Akt 71:

Jäger und Gejagte (bzw. Deus ex machina):

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler)

die übrige Gruppe:

Alestor (Alba, Krieger), Tarion Weran (Alba, Assassine), Alberic/Azel (Alba, Glücksritter), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), Lothar Wolfspeltz (Waeland, Tiermeister), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (NPC, Alba, Krieger), Stanislaw Kirilew (NPC, Moravod, Hexenjäger), Kruschina Kruschov (NPC, Moravod, Schamanin), Naridyi Aranee (NPC, Aran, Feuermagierin), Iphicrates (NPC, Valian, Magier)

 

(Notiz: An dieser Stelle muss ich als SL leider zugeben, dass ich aufgrund einer veränderten Konstellation in der Spielergruppe in diesem Akt sehr viel gescriptet habe. Darum auch der alternative Name des Aktes in der Klammer.)

 

Die erste Nachtwache übernahmen Harkon und Alberic. Sie saßen vor der Hütte und schauten sich um. Seitdem sie sich um die großen Probleme des Waldes gekümmert hatten, waren die Geräusche des Waldes und die der Tiere wieder zurückgekehrt und das beklemmende Gefühl in der Nacht verschwunden. Der Himmel war sternenklar und keine Wolke war weit und breit zu entdecken. Und so konnten sie den Vollmond sehen. Er schien größer zu sein, als jemals zuvor und hatte darüber hinaus noch eine fast blutrote Farbe angenommen. Auch wenn der Aufgang eines Blutmondes in der Vergangenheit immer mal wieder vorkam, so hatte dieser doch etwas Unheimliches an sich. Zudem zogen ungewöhnlich viele Sternschnuppen ihre Bahnen. Standen diese Dinge in irgendeinem Zusammenhang zueinander? Später weckten sie Stanislaw und Vadock, damit diese die nächste Wache übernahmen (Nachtwache 1).

Fela und Harkon wurden unsanft aus ihrem Schlaf gerissen, als jemand ihre Münder zuhielt und ihnen zu verstehen gab leise zu sein. Als alle mehr oder weniger wach waren, flüsterten die beiden Nachtwächter ihnen zu, dass sie Bewegungen hinten am Waldrand wahrgenommen hatten. Harkon lugte durch die Ritze der Hütte hindurch und spähte hinaus (20). Tatsächlich wurden sie gerade von zwei Seiten aus von mindestens zwanzig völlig in schwarz gekleideten Gestalten umzingelt, die sich gekonnt fortbewegten, ohne auch nur den leisesten Ton zu erzeugen. Ihm kam sofort das Verhör mit dem einem Gefangenen in den Sinn, der davon sprach, dass ein mit dem KuraiAnat verbündeter Fürst aus dem TsaiChen-Tal die Truppen der Adepten mit NinJa unterstützte. Und diese gefährlichen Assassinen verwendeten mit Sicherheit Klingengifte an ihren Waffen! Schnell forderte er die Gruppe auf im Schutze der Nacht die Hütte auf der Hinterseite zu verlassen und zum Pass zu gehen. Er würde derweil ein Ablenkungsmanöver vorbereiten. Da er sich noch daran erinnerte, dass die Soldaten mehrere Nächte in Folge von den dämonischen Spinnen angegriffen worden waren und dabei herbe Verluste erlitten und darum mit Bestimmtheit Angst vor Spinnen hegten, wollte er mit der folgenden Tat für maximale Schrecken sorgen. Dies würde ihnen definitiv ausreichend Zeit verschaffen, um zum Pass zu gelangen. Dafür wirkte er „Nebel des Grauens“ und erschuf darin die Illusion einer drei Meter großen Riesenspinne (20), während Fela Garcia zusätzlich „Stille“ sprach, um bei ihrer Flucht durch den Nebel nicht gehört zu werden. Doch als Harkons Riesenspinne erschien passierte etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Irgendetwas griff in das Bild seiner Illusion ein und veränderte die Spinne (20). Der vordere Teil ihres massigen Leibes platzte auf und zum Vorschein kam der Oberkörper einer nackten Frau, die auf eine perverse Art und Weise mit dem Spinnenkörper verwachsen war. An ihrem Mund befanden sie vier große Mundwerkzeuge, die entfernt an greiferartige Klauen erinnerten. Das Wesen riss ihr Maul weit auf und erbrach einen nicht enden wollenden Schwall kleiner Spinnen, die sich an Fäden zu Boden sinken ließen und sich dann wie ein lebendig gewordener Teppich auf die sich noch versteckt haltenden Angreifer zubewegten. Harkon wusste, was das Wesen war. Eine Jorogumo! Doch da das Geschöpf ihn nicht beachtete, drehte er um und eilte seinen Kameraden hinterher.

Fela hatte schon die ersten Meter der Stufen des Passes hinter sich gebracht und blickte zurück, um auf Harkon zu warten. Da erspähte auch sie zitternd die Jorogumo und hielt Harkon im ersten Moment für die Erschaffung dieses Wesens für krank. Sollte er etwa jetzt schon so kurz, nachdem er verkündete fortan ein neues Leben zu führen, in alte Verhaltensweisen zurück gefallen sein? Doch als sie in ihrer Nähe Arberic bemerkte, wie dieser wild gestikulierend eine Zauberformel rezitierte und dabei das groteske Geschöpf im Nebel für keine Sekunde aus den Augen ließ, meinte sie Harkon vielleicht vorschnell verurteilt zu haben. Denn seit wann beherrschte ihr Glücksritter denn die Kunst der Magie? Doch jetzt war nicht die Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Als Harkon zu ihr aufstieß beeilten sie sich zu den anderen zu gelangen, die bereits voraus gegangen waren.

Schleunigst rannten sie die Stufen empor und als dann laute Schreie und Kampflärm von weiter unten zu ihnen hinauf drangen blieb Harkon stehen und warf einen Blick zurück auf den Nebel unterhalb des Steilhangs. Mittlerweile waren die Nebelschwaden zu dicht geworden, um darin irgendetwas auszumachen. Doch dann dröhnte eine Stimme heraus und befahl seine Männer zum Angriff. Wer auch immer den Befehl gab, sprach zwar in KanThaiTun, hatte aber einen unmissverständlichen valianischen Akzent. Prompt schossen von mehreren Positionen im Nebel aus flammende Geschosse umher. Es war ein wahrhaftiges Bombardement von Feuerlanzen, die höchstwahrscheinlich auf die Spinnen zielten. Harkon wandte seinen Blick ab und rannte los, denn all zu lange würden die Illusionen die Angreifer nicht mehr aufhalten können.

Nach einer Stunde machten ihnen schon die Treppen des Passes zu schaffen. Nicht nur hatten sie schon wieder kaum Schlaf gefunden, sondern auch der Weg an sich war eine Herausforderung. Über weite Strecken schlängelte sich der Weg so schmal an den Klippen vorbei, dass sie hintereinander hergehen mussten. Noch dazu hatten die aus dem Fels geschlagenen Stufen unterschiedliche Höhen. Manche waren so niedrig, dass man sie leicht übersah und darüber stolpern konnte, während einige so hoch waren, dass man sie schon erklettern musste. Und das von den Hängen heruntergefallene lose Gestein, welches sich mancherorts auf dem Weg in den vergangenen Jahren angesammelt und niemand fortgeräumt hatte, erleichterte nicht gerade ihr Vorankommen.

So geschah es, dass Harkon stürzte. Zum Glück war Vadock sofort zur Stelle und half ihm auf. Aber dann hatte er einen rettenden Einfall, wie er seine inzwischen schon schmerzenden Beine etwas entlasten konnte. Er ließ sich zurückfallen und verwandelte sich kurzerhand in eine Fledermaus. Zwar war auch fliegend anstrengend, doch so musste er sich zumindest nicht mit den endlosen Stufen abquälen. Hexenjäger Stanislaw verdächtigte den Hexer zwar schon seit geraumer Zeit ein Vampir zu sein und jetzt, da er Harkons Verwandlung sah, fühlte er sich sogar noch mehr bestätigt. Jedoch war dies eine Angelegenheit, die er auch noch nach dem Besuch des letzten Schreins in Angriff nehmen konnte. Iphicrates war nicht konditioniert genug unausgeruht eine endlos erscheinende Treppe empor zu eilen und brach laut schnaufend auf einem ebenerdigen Teil des Weges zusammen. Schnell griffen ihm zwei Weggefährten unter die Armen und halfen ihm stützend wieder auf die Beine.

Als die Sonne hinter den Bergen aufging waren alle schon wegen der erneut durchgemachten Nacht völlig ermattet. Als sie an der Kurve einer Serpentine an der Treppe einen großflächigen Felsvorsprung erblickten, der eben war, beschlossen sie zu rasten. Sie blickten noch einmal in das Tal unter sich, um ihre Verfolger auszumachen, doch leider war dieser vom heraufziehenden Morgennebel so verhangen, dass sie nichts sehen konnten. Zumindest warfen die Berge noch weite Schatten und hüllten den Feldvorsprung in Dunkelheit, sodass sie nicht auf die Schnelle entdeckt werden würden. Nichtsdestotrotz hielten sie es für eine gute Idee zumindest ein paar Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. So installierte Harkon, wieder in seiner menschlichen Gestalt, einige Meter weiter unten einen „Schädelwarner“, der einen markerschütternden Schrei von sich geben würde, wenn sich ihm jemand näherte und Fela Garcia präparierte zusätzlich die Stufen in der Nähe großflächig mit rutschigem Öl. Dann versuchten sie zu schlafen, stellten aber wieder vorsichtshalber Wachen auf.

Es verging keine Stunde, als die aufgestellten Wachen Alarm schlugen und die Schlafenden aus den Träumen rissen. Und dann hörten sie es, das schwere Schlagen von Flügeln. Und noch bevor die meisten überhaupt richtig erwacht waren und handeln konnten, tauchte schon etwa fünf Meter vor der Spitze der Felsnadel ein riesiger Kopf auf. Es war ein Drache, der sich zu ihnen erhob und sie mit messerscharfem Blick ins Auge fasste! Umgehend machte sich Panik unter ihnen breit. Manche griffen zu ihren Waffen, andere türmten und wieder andere wichen noch in ihren Schlafsäcken hektisch zurück und kauerten sich von Angst getrieben an die felsige Wand in ihrem Rücken.

Harkon sah das Geschöpf an und wusste, dass dies kein richtiger Drache war. Es war ein Sceada, eine größere Unterart der Wyvern, die einen längeren Hals besaßen und eigentlich nur an den Küsten Chryseias und der Küstenstaaten vorkam. Auch wenn diese Art bei Weitem nicht die Intelligenz richtiger Drachen besaß, sollte man diesen fliegenden Gegner keinesfalls unterschätzen, dem war er sich bewusst.

Dann geschah genau das, was sie befürchteten. Das Wesen atmete ein Mal tief ein und spie dann einen Eishauch über die Köpfe der Abenteurer hinweg. Das war mehr als nur eine Warnung gewesen, denn er hatte seine Ziele einfach nur verfehlt. Diesen glücklichen Umstand nahmen sie wahr und flohen überstürzt die Treppen hinauf. Dort oben war der Weg nämlich gesäumt von vielen aufrecht stehenden Felsen, die ihnen Schutz boten. Die meisten von ihnen waren nämlich Nahkämpfer und konnten es nicht mit einem fliegenden Ungetüm, welches einen Abstand zu ihnen einhielt, aufnehmen.

Da sich der Sceada auf die Fliehenden konzentrierte, blieb Harkon zurück und verwandelte sich erneut in eine Fledermaus. Schnell flog er unbemerkt zu dem Wesen hin, landete auf dessen Rücken und verwandelte sich zurück. Es war mehr als gewagt, was er machte, doch falls sein Plan aufginge, hätten sie einen mächtigen Vorteil gegenüber ihren Verfolgern. Mit dem Sprechen des gleichnamigen Spruches versuchte er den Drachen zu zähmen. Doch obwohl ihm dieser Zauber perfekt gelang, hatte er keine Wirkung aus das Wesen. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, was dies heißen könnte. Dieser´Drache war eine Beschwörung der Adepten gewesen und nun saß er womöglich an dem gefährlichsten Ort, den man sich ausmalen konnte. Auf dem Rücken eines wilden und ferngesteuerten Drachens, der das Ziel hatte sie zu töten. Doch selbst den mächtigsten Seemeistern damals war es selten gelungen die Kontrolle über ein solchen Geschöpf zu erhalten und auch die Schwarzen Adepten, die ihnen dicht auf den Fersen waren, sollten dazu nicht imstande sein. Wer also war ihr wahrer Feind? Plötzlich wurde Harkon aus seinen Gedanken gerissen, denn der Sceada hatte ihn bemerkt und versuchte nun mit wilden Manövern diesen Störenfried von seinem Rücken in die tödlichen Tiefen zu werfen. Auch wenn Harkon in seiner Vergangenheit das Einreiten wilder Pferde gelernt hatte, so konnte er sich nicht mehr festhalten. Viel zu wild waren seine Bewegungen. Als der Wyvernartige seine Flügel ungleichmäßig schlug und sich somit um seine eigene Achse drehte, wurde Harkon in die Luft geschleudert. Doch das Schicksal wollte es, dass er hierbei in unmittelbarer Nähe auf dem schroffen Boden eines Hanges aufschlug und sich nur leicht verletzte. Mit seinen Fingern ergriff er einen Halt, richtete sich auf und suchte hinter einer Gruppe Felsen Deckung. Gerade rechtzeitig, denn ein eisiger Hauch strömte in seine Richtung.

Dann ließ der Sceada von ihm ab, denn einige Geschosse prallten auf ihn ein. Eine Wegbiegung weiter oben spannte Yosuke seinen Bogen und schoss in schneller Folge Pfeile ab, während Sarazian magische Blitze auf das Wesen entsandte und die Feuerpriesterin Naridyi feurige Geschosse beschwor. Diesen Umstand nutzte Harkon aus und machte sich unsichtbar, um ungesehen zu seiner Gruppe aufzustoßen.

Dann löste sich, wie durch Zauberhand, ein großer Felsblock an der Steilwand über ihnen und krachte mit enormer Geschwindigkeit donnernd hinab. Dabei verfehlte dieser jeden einzelnen von ihnen, wurde von der Felskante, wo sie zuvor rasteten, in die Luft geschleudert und hielt geradewegs auf die Bestie zu. Obwohl die riesige Echse diese drohende Gefahr bemerkte und noch versuchte in der Luft auszuweichen, wurde ihr rechter Flügel hart getroffen. Diese schrie laut auf vor Schmerzen und schlingerte, fing sich jedoch nach einigen Sekunden wieder. Das sich ein Felsbrocken löste und direkt ihren Widersacher traf konnte kein Zufall sein. Nicht nachdem sich bereits in der Nacht Harkons Illusion einer Riesenspinne verselbstständigt hatte. Was war hier los? War das Magie? Und wenn ja, wer half ihnen?

Der Sceada schlug erneut seine Schwingen und stieg zur nächsten Felskante auf, wo sich die Schützen und der Rest der Gruppe befanden. Sofort spie dieser erneut einen eisigen Hauch, der alle Oberflächen umgehend einfror. Die Abenteurer hatten bereits damit gerechnet, verstreuten sich und suchten Zuflucht hinter Hindernissen auf diesem etwas größeren Plateau. Harkon war noch einige Meter weiter unten und schaute auf das Wesen. Irgendetwas musste ihm einfallen, wie sie diese Echse ablenken oder gar aufhalten konnten. Nur was? Und dann kam ihm halt doch noch ein Einfall in den Sinn. Wenn er unterhalb des Drachens ein großes Feuer entzündete, dann würde sich getreu den Gesetzen der Thermodynamik der Auftrieb ändern und das Wesen wäre gezwungen seine Position zu ändern. Diesen kurzen Augenblick könnten sie dann für eine erneute Flucht ausnutzen. Doch wie sollte er dies bewerkstelligen, wo sie doch fast all ihre Habe in ihrem Lager auf Hattoris Lichtung zurück ließen?

Und dann ging alles ganz schnell. Der Sceada schwang sich in die Lüfte empor und schraubte sich im Sturzflug zu Boden. Dort ergriff er mit seinen kraftvollen und krallenbewährten Klauen Fela Garcia und machte sich bereit mit ihr abzuheben. Doch so weit sollte es nicht kommen. Noch während die Heilerin von Schmerzen geplagt aufschrie und verzweifelt mit ihrem Dolch auf die Beine des Sceadas einstach, waren sofort alle anderen zur Stelle. Mit erhobenen Waffen stachen sie von allen Seiten auf das Wesen ein, jetzt, da es sich am Boden befand. Harkon beschwor zudem noch einen Insektenschwarm herauf, der sich eng um den Kopf des Ungetüms sammelte, um diesen die Sicht zu nehmen. Alestor hatte sein magisches Schwert weggesteckt und stattdessen zu seiner Drachenschlächteraxt gegriffen. Wie ein Berserker rannte er nun auf den schweren peitschenden und mit Knochenplatten gepanzerten Schwanz zu und versenkte das Blatt mit einem Hieb tief im Fleisch, was umgehend von einem markerschütternden Schrei quittiert wurde. Die Echse ließ Fela Garcia los und diese wich dabei mehrmals den Beinen der Echse aus, die drohten sie zu zerstampfen. Dabei bemerkte sie auch als erste, wie sich zahlreiche immer größer werdende Risse im Boden dieses 'Plateaus bildeten.

Und schon wieder geschah etwas, womit niemand rechnete. Die Felswand hinter ihnen explodierte regelrecht und Gestein flog allem um die Ohren. Dort, wo zuvor noch eine natürliche Steinwand war, klaffte nun ein Loch im Fels, welches tief in den Berg zu führen schien. Ein lautes Grollen drang aus der Höhle und von jetzt auf gleich trat eine andere Riesenechse zum Vorschein. Ein ausgewachsener Lindwurm! Die zweibeinige und flügellose drachenartige Gestalt erspähte den Wyvern, preschte los und verbiss sich prompt in dessen Nacken.

Die Lage drohte zu eskalieren, denn mit zwei solcher Wessen konnten sie es unmöglich aufnehmen. Zu ihrem Glück beachteten die Riesenechsen sie nicht weiter sondern konzentrieren sich auf die jeweils größere Gefahr. Oberhalb des Plateaus stand Alberic und spähte hinab auf den Kampf der Giganten. Dann faltete er die Hände seitlich seines Mundes und rief, so dass ihn jeder hören konnte, dass sie ihre Augen schließen und einfach durch den Lindwurm hindurch gehen sollten. Er wäre nicht echt! Daraufhin versuchten Harkon und Stanislaw an den Echsen vorbei zur anderen Seite des Plateaus zu gelangen. Aber dieser Versuch missglückte. Stanislaw wurde von dem peitschenden Schwanz des Lindwurms erfasst und mehrere Meter weit hinfort geschleudert. Dort beendete eine Steinwand seinen Flug und er sackte unter Schmerzen auf dem Boden zusammen.

Fela gelang es einen genügend großen Abstand zu den Kämpfenden aufzubauen und vernahm dann auch Alberics suspekt klingende Worte. Doch im Gegensatz zu ihren Weggefährten wehrte sie sich gegen eine Illusion. Umgehend verschwand der Lindwurm und sie sah, was tatsächlich auf dem Plateau vonstatten ging. Der Wyvern kämpfte verbissen mit sich selbst und trat dabei immer weiter nach hinten und auf den Abgrund zu. Jetzt schrie auch sie ihren Kameraden diese Erkenntnis zu.

Harkon hatte in der Zwischenzeit Stanislaw aufgeholfen und versuchte gerade einen neuen Versuch zu wagen an den Echsen vorbei zu schlüpfen, als er ein Zischen vernahm und ihn ein Pfeil von hinten in die Schulter traf. Er ignorierte den Schmerz, erkannte das Trugbild des nicht existierenden Drachen und hechtete los. Dann detonierten hinter ihnen schon mehrere Explosionen und Dutzende von Pfeilen prasselten hernieder. Durch den Angriff des Sceadas hatten sich die Abenteurer nicht mehr auf die Treppen unter ihnen konzentriert, von wo aus die feindliche Streitmacht anrückte. An einer breiteren Stellen einige Weggabelungen entfernt, hatten sich deren Bogenschützen und Hexer aufgestellt und nahmen sie von dort aus unter Beschuss.

Fela musste etwas tun, um ihnen etwas mehr Zeit zu verschaffen. Da sie über keinen Angriffszauber und auch nicht über andere Fernangriffe verfügte, holte sie eine Flasche Zauberöl heraus, steckte ein Stück altes Tuch hinein und zündete es an. Dann warf sie es in Richtung der Soldaten. Das Schicksal war ihr hold, denn die Flasche traf trotz der weiten Entfernung zielgenau die vorderste Front, zersplitterte und detonierte augenblicklich. Mehrere Soldaten gerieten in Brand oder wurden durch die Wucht der Explosion vom Pass geschleudert und fielen in die Tiefe.

Jetzt, da auch Harkon der Illusion des Drachens widerstanden hatte, war es für ihn ein Leichtes mit Stanislaw die andere Seite des Plateaus zu erreichen und zu seiner Gruppe aufzuschließen. Doch die nächste Gefahr bahnte sich bereits an. Überall lösten sich Felsbrocken und kleinere Steine von den schroffen Hängen und kullerten donnernd hinab. Auch die Risse im Boden vergrößerten sich und ein teils durchgehendes Ruckeln erschütterte den Boden, auf dem sie standen. Die Bergflanke drohte einzustürzen! Während alle rannten blieb Harkon stehen. Das der Berg so instabil war, könnte nämlich auch ihre Rettung sein und zugleich die Möglichkeit sich dauerhaft von ihren Verfolgern und von diesem mächtigen und fliegenden Widersacher zu befreien. Schleunigst beschwor er eine „Steinkugel“ herauf und richtete ihre Rollbahn auf das Plateau in der Nähe zu. Und wie erhofft war der Wyvern zu sehr auf seinen ebenbürtigen und nicht existenten Kontrahenten fixiert, dass dieser die Kugel nicht bemerkte, ehe es zu spät war. Sie rollte zwischen dessen Füße, dorthin, wo die Risse am breitesten waren und explodierte.

Ein Erdbeben mitsamt tiefem Grollen ließ alles erzittern. Es war so stark, dass jeder Probleme hatte sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten. Auch die Soldaten setzten ihren Beschuss aus und hielten sich fest, wo sie nur konnten. Die Abenteurer wussten, dass dies nichts Gutes bedeutete. Sie kamen aus ihren sicheren Verstecken und hinter Vorsprüngen hervor, nahmen ihre Beine in die Hände und sputeten trotz der Vibrationen die Stufen hoch. Plötzlich setzte sich der obere Teil des Gerölls in Bewegung. Doch es war nicht nur das Geröll oder die oberste Bodenschicht. Die ganze Bergflanke geriet ins Rutschen. Erst langsam und dann immer schneller. Schon öffnete sich vor den Abenteurern der Boden und eine Spalte tat sich auf. Die ersten setzten im vollen Lauf an und sprangen hinüber zur sicheren Seite. Dort wandten sie sich um und hielten den Nachkommenden ihre ausgestreckten Hände entgegen, damit sie sie ergreifen konnten, weil der Spalt zwischen ihnen sich zusehends vergrößerte. Auch Stanislaw, obwohl schwer angeschlagen, setzte zum Sprung an und versuchte eine der rettenden Hände zu ergreifen.

Fela Garcia war schon auf der sicheren Seite und beugte sich über die todbringende Kluft, als einer der Springenden ihre Hand ergriff. Sie hielt ihn mit all ihrer Kraft, die sie aufzubringen vermag, fest. Es war Alberic! Doch wegen den Anstrengungen der letzten Stunden waren ihre Hände schweißfeucht und ihre Griffe rutschten. Ein letztes Mal blickte Alberic ihr ins Gesicht und entschuldigte sich mit einem leisen Wort. Dann entglitt er ihr und der Glücksritter fiel in die Dunkelheit. Fela Garcia schrie auf. Doch dann bemerkte sie, dass an ihrer Hand, mit der sie bis vor einem Augenblick noch Alberic ergriffen hatte, eine andere Person hing. Es war eine junge Frau mit langen zu vier Zöpfen gebundenen Haaren. Sie war in eine Robe ähnlich einer Miko, einer Schreindienerin, gewandet, mit scharlachrotem Faltenrock und einem weißen Kimonohemd. Auch wenn sie die Fremde nicht kannte, kam sie ihr von irgendwoher bekannt vor. Die junge KanThai an ihrer Hand flehte sie an sie hochzuziehen und die Heilerin kam dieser Bitte nach. Fela stemmte sich gegen den Boden und holte sie, ein Leichtgewicht, mit einem Zug nach oben.

Gerade rechtzeitig nahmen sie Abstand von der Spalte, als die gesamte Bergflanke inklusive mehreren hunderten Metern des gewundenen, serpentinenartigen Passes sich nun endgültig vom Muttergestein des Berges löste und Fahrt aufnahm. Im Rutschen zerbrach die Bergflanke unter ihnen in immer kleinere Teile und stürzte in einem ohrenbetäubenden Getöse in Richtung des Tals, wo sie im Meer des Morgennebels verschwand. Dabei riss die Lawine sowohl die Sceada, als auch den vordersten Teil der anrückenden Armee und all die Unglücklichen mit sich, die das Pech hatten, sich noch auf ihr oder in der Nähe zu befinden. Eine dichte Staubwolke wurde durch den Aufwind zum Gipfel getrieben und hüllte sie ein. Schreie ertönten kurz, verstummten aber in dem Lärm.

Harkon zog sich an der rettenden Kante hinauf und blickte sich um. Doch außer Schemen im Staub konnte er nichts erkennen. Aber dann entdeckte er Sarazian und Miya sowie Vadock und einige andere in seiner unmittelbaren Nähe und schritt zu ihnen hinüber. Es dauerte nicht lange, bis der Wind die Staubwolke weiter gen Gipfel trieb und die Sicht aufhellte. Harkon stellte sich an die Abbruchkante und sah in die Tiefe. Viele hundert Meter weiter unten auf der anderen Seite der neuen tiefen Schneise sammelten sich ihre Verfolger. Sie würden wohl viele Stunden benötigen, um dieses Hindernis mit all ihren Leuten zu überqueren. Dann trat aus ihren Reihen ein großer schwarz gerüsteter Krieger hervor, der all die anderen Soldaten um einen Kopf überragte und der auch den Hexer umgehend trotz dieser Entfernung ins Auge fasste. Harkon nahm zu Beginn an, dass er ein OgraMurai wäre, bis dieser das Wort erhob und lauthals rief: „Dich und deine zwei Begleiter bekomme ich auch noch. Lass dir das gesagt sein!“ Harkon wandte sich wieder seiner Gruppe zu und atmete tief durch. Das war dieselbe Stimme, die auch den Soldaten am Fuße des Berges Befehle erteilt hatte, derjenige mit dem valianischen Dialekt. Er musste ihn kennen. Nur woher? War es jemand aus seiner Vergangenheit aus dem Krieg der Magier gewesen? Nein, denn sonst hätte er in einem maralinga Akzent gesprochen, denn Maralinga war einst die Sprache der Seemeister und des alten Valian gewesen. Und wen meinte er mit „seinen zwei Begleitern“?

Die Abenteurer ließen sich nieder und verschnauften. Ihre Erschöpfung lag ihnen nun nicht mehr nur in ihren Knochen, sondern zeichnete sich bereits in ihren Gesichtern ab und ihre Kleidung war zerschlissen und schmutzig. Als sie dann in ihre Runde blickten wurde ihnen dann etwas Furchtbares gewiss. Sechs Begleiter fehlten! Von Alberic, Kruschina, Lothar, Tarion, Stanislaw und Yosuke fehlte jede Spur. Waren sie etwa noch auf der Bergflanke gewesen, als diese als Lawine ins Tal rauschte? Wenn das stimmte, dann hätten sie innerhalb von wenigen Sekunden so schwere Verluste erlitten, wie ihnen die gesamte zweijährige Reise noch nicht abverlangte. Doch da sie deren Verbleib nicht kannten und auch deren Leichen nirgends erspähten bestand noch immer das kleinste Fünkchen Hoffnung, dass sie diesen grauenerregenden Felsrutsch überlebt haben konnten. Auch wenn sie sich selbst gegenseitig Mut zusprachen waren sie alle den Tränen nahe und wussten nicht mit ihrer Trauer umzugehen.

Der Verzweiflung nahe versuchte sich Fela Garcia abzulenken und widmete ihre Aufmerksamkeit der fremden jungen Frau in ihrer Mitte zu. Sie überlegte, von woher sie ihr bekannt vorkam. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie war eine der beiden Fuchsgeister gewesen, mit denen Alberic in der Sphäre der Grünen Hügeln geflirtet hatte! Alberic war wohl wirklich die ganzen letzten Monate von ihr besessen gewesen, ohne dass es irgendwem aufgefallen war. Nun musste sie sich wieder von ihm losgelöst haben. Diese Erkenntnis erklärte so einige ominöse Vorkommnisse in der letzten Zeit. Unter anderem auch warum ihr Glücksretter im Butsu-Kloster nachts verschwand, um sich in der nahegelegenen Stadt umzusehen und einen Kimono kaufte. Fuchsgeister, ober wie sie in diesem Landesteil auch genannt wurden, Kitsune, waren darüber hinaus für ihre starke Illusionsmagie bekannt. Bestimmt hatte sie in Harkons Illusion einer Riesenspinne beim Kampf gegen die NinJa eingegriffen und dieses Trugbild manipuliert und schrecklicher gestaltet. Auch der Felsbrocken, der in einem unmöglichen Bogen den Sceada traf und auch das plötzliche Auftauchen des Lindwurm könnten auf ihr Konto gehen. Doch auch dem Fuchsmädchen, welches sich ihnen dann als Kizuna vorstellte, schien der Schmerz um den Verlust von Alberic zu schaffen zu machen. Immerhin teilten sie sich über ein halbes Jahr denselben Körper.

Doch die Gefahr war immer noch nicht gebannt. Harkon sprang auf und spornte seine Gefährten an schleunigst aufzubrechen. Ihre Verfolger bräuchten zwar bestimmt noch einige Zeit, um den Grat zu überwinden, doch die Abbruchkante, auf der sie derzeit verweilten, könnte jederzeit einbrechen und nachrutschen. Da unterwegs auch noch Zeit war, um über ihre Verluste zu trauern, hatten sie Einsicht mit Harkons Einwand und setzten sich in Bewegung.

 

Akt 72:

Trauer:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler)

mit dabei:

Alestor (Alba, Krieger), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), Vadock MacBeorn (NPC, Alba, Krieger), Naridyi Aranee (NPC, Aran, Feuermagierin), Iphicrates (NPC, Valian, Magier), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Kizuna (NPC, Kitsune, Grüne Hügel, Wanderpredigerin und Musikmeisterin)

 

Langsamen Schrittes quälte sich die vom Unheil gezeichnete Gruppe weiter die scheinbar endlosen Stufen hinauf und hüllte sich dabei in Schweigen. Nur selten sprach jemand ein Wort. Unterwegs tat es Fela Garcia mehreren anderen gleich und betete. Sie richtete ein stilles Stoßgebet gen Himmel hinauf und hoffte ihr Mentor Jokamadorus hielt seine schützenden Hände über diejenigen, die diese Katastrophe vielleicht überlebt hatten.

Harkon fiel abermals zurück, da seine Schulterschmerzen ihn schier überwältigten. Sofort war die Heilerin zur Stelle, die über diese Ablenkung erfreut war. Und dann erkannte sie, was seine Schmerzen auslöste. In Harkons Schulter steckte noch immer ein Pfeil. Sie zog ihn heraus und verband die Wunde.

Irgendwann im Laufe des Nachmittags hatten die gewundenen Treppen endlich ein Ende. Von dort aus folgte der Pass einem schmalem Tritt entlang einer Steilklippe eines vorgelagerten Gipfels. Der aufkommende Wind war heftig und pfiff bereits in dieser Höhe eiskalt, obwohl sie noch nicht einmal am Shiroyama angelangten. Gerade als sie einer nach dem anderen den Tritt beschritten und sich dabei so dicht wie möglich an die Felswand drückten, um nicht abzurutschen, setzte ein leichter Schneeregen ein. Auch wenn der Schnee noch nicht liegenblieb, erschwerte er ihnen das Vorankommen.

Naridyi ergriff schließlich das Wort, weil sie die unangenehme Stille nicht mehr aushielt. Sie alle mussten einfach weitermachen und ihr Ziel erreichen, denn das wären sie ihren vermissten Kameraden schuldig. Denn wenn sie hier und jetzt in Verzweiflung versinken würden oder gar mit dem Gedanken spielten die Reise zu beenden, dann wäre ihr Opfer sinnlos gewesen. Und wenn sie das Siegel wiederhergestellt hätten, dann könnte ein jeder sicher sein, dass ihre Götter sie eines fernen Tages mit offenen Armen in Empfang nehmen würden.

Das Wetter wurde immer grottiger und so stellte sich die Frage, ob irgendwer von ihnen überhaupt Erfahrung im Gebirge hatte. Da sich niemand meldete trat Sarazian wenig begeistert hervor. Er hatte bereits eine längere Reise ins Gebirge unternommen und dabei etwas Erfahrung sammeln können. Doch dies war seinerzeit im Norden Vesternesses gewesen. Die hiesigen Gebirge waren gänzlich anders aufgebaut und hatten andere Gefahren zu bieten. Daher wusste er nicht, wie hilfreich er jetzt und hier sein konnte. Kizuna trat dann hervor und gab ihnen zu verstehen, dass sie ihr folgen sollten. Irritiert fragte Harkon die Heilerin im Flüsterton wer diese Frau war und woher sie so plötzlich kam.

Es ging bereits auf den Abend zu und der Weg führte eben weiter und durch eine Schlucht hindurch. Auch wenn der Schnee nicht liegenblieb, war der Wind so heftig geworden, dass ihnen die nasse Kälte ernsthaft zu schaffen machte. Niemand hatte an Winterkleidung gedacht, weil sie dieses Land als mild kennenlernten. Und bei all der Kälte wollte sich weit oben auf dem Plateau des Shiroyama das vereinte Heer der Fürsten des TsaiChen-Tals und des SchiDoschas mit den Truppen des Jadekaisers messen? Das war Wahnsinn!

Die Schlucht öffnete sich und von da an führte der schmale Pfad sie abermals am Rande eines Abgrunds entlang. Der Wind legte noch einmal zu und so mussten sie Vorsicht walten lassen nicht zufällig von einer Böe erfasst und vom Pass geweht zu werden.

Dann bog der Pfad scharf nach rechts ab und durch eine kleine Klamm hindurch, in die der Wind hörbar pfiff. Sie dachten dort eine Erscheinung zu sehen, denn bunte Fahnen wehten auf der anderen Seite dieser Schlucht, erleuchtet durch die Sterne und dem Licht des Vollmondes. Sie beeilten sich dorthin zu gelangen und erblickten voller Erstaunen ein einsam stehendes Gebäude in dieser schroffen Gesteinswüste. Das Haus war von seiner Grundfläche her winzig und trug ein turmähnliches Dach, von dessen Spitze aus Leinen in jede Himmelsrichtung zu umstehenden Felsen gespannt worden waren, an denen zahlreiche bunte Wimpeln flatterten. Die Fähnchen waren mit Sutras beschrieben, heiligen religiösen Texten, was darauf hindeutete, dass dies ein Butsu-Heiligtum war. Sie eilten hin und öffneten schnell die alte, marode Holztüre.

Der kleine Innenraum war gänzlich aus Stein gehalten und maß nur drei mal drei Meter. Nirgends waren Verzierungen zu finden und nur ein schmuckloser Steinsockel, der unterhalb des einzigen Fensters auf der gegenüber liegenden Seite der Türe stand und wohl einen Altar für Reisende darstellte, zierte diesen Raum. Sie schlossen die Fensterläden und die Eingangstüre und kauerten sich beengt zusammen. Zumindest würden sie in dieser Nacht nicht mehr dem Wind ausgesetzt sein.

Leider hatte aber auch niemand bei ihrem überstürzten Aufbruch daran gedacht Feuerholz mitzunehmen. Harkon meldete sich deswegen bereit jetzt noch in der näheren Umgebung nach altem trockenen Holz oder Sträuchern zu suchen und verließ das Gebäude. Aber auch ihre Nahrungsvorräte waren bereits so gut wie erschöpft.

Naridyi setzte sich zu Fela Garcia und breitete ihre Decke um sie beide aus, um sie etwas zu wärmen. Nachdem sie sich unterhielten übergab sie der Heilerin zwei Gegenstände aus dem Besitz ihrer Gruppe. Es handelte sich hierbei um die Steinschale des Butsu, die sich noch bis vor Kurzem im Besitz Kruschinas befand und auch eine Abschrift der Bildergeschichte, die sie im letzten Schrein entdeckten. Als sie nämlich getrennt auf Reisen gegangen waren wurden sie nämlich beim Betreten des zweiten Schreins abermals in eine andere Sphäre befördert. Es war eine archaische Welt gewesen, die von zahlreichen Naturgeistern bevölkert worden war, von denen sie teils selbst noch nie etwas gehört hatte. Die Magie an jenem Ort war sogar nochmals stärker als im Selbstmordwald gewesen. Sie und ihre Mitstreiter hatten sich sogar schon die Mühe gemacht mithilfe einiger TsaiChin, die sie unterwegs trafen, die Bilder zu deuten:

 

1. Bild: Ein rauer und in roter Rüstung gekleideter SaMurai mit wildem und struppigem Haar und traurigem Blick war im Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund erhob sich die Sonnengöttin der KanThai auf einer Wolkenbrücke in all ihrem Glanz. Sie schien erzürnt zu sein und wies mit ihrer Rechten nach unten.

2. Bild: Eine halb entblößte Frau in Priesterinnentracht tanzte wild und ungehemmt auf einer Kiste stehend vor einer Höhle. Zahllose Gestalten schauten sich ringsum das Schauspiel aus einiger Entfernung aus an.

Abenteurer zu den ersten beiden Bildern: Aufgrund von Streichen und diverser makabren Akten verbannte die Göttin Taiyó ihren Bruder WeTo aus dem Himmelreich. WeTo war eifersüchtig auf seine Schwester gewesen und versuchte daher ihre Werke zunichte zu machen. Er salzte ihre Felder, vertauschte ihren Wein und seine Streiche wurden immer schlimmer. Taiyós Geduld war aufgebraucht, als er ihre Lieblingskuh tötete und häutete und die noch blutige Haut dann durch ein Fenster auf sie warf, als sie gerade am Seidenspinnen war. Dann verwies sie ihn des Himmels. Danach trauerte sie und sperrte sich selbst in der Himmlischen Felsenhöhle ein. Durch das Fortbleiben der Sonnengöttin wurde eine immerwährende Nacht eingeläutet und die anderen Gottheiten beratschlagten sich, wie sie Taiyó wieder hervorlocken konnten. Die Fruchtbarkeitsgöttin O-Miya-no-me-no-kami hatte dann den entscheidenden Einfall für eine List. Sie setzte zu einem peinlichen, perversen Tanz an, der alle Götter zum Lachen brachte. Taiyó wunderte sich dann im Inneren der Höhle, wie alle so lachen konnten, jetzt, wo es nur noch Nacht gab. Dann verließ sie die Höhle, da ihr Interesse sie dazu trieb und der Tag-Nacht-Zyklus setzte wieder ein. Bei O-Miya könnte es sich sogar um die lichte Gestalt handeln, die laut ihren Erzählungen ihnen auf der Reise mit der Roten Seekuh erschienen war.

3. Bild: Der rotgerüstete SaMurai lief durch ein Dorf. Die Menschen um ihn herum beachteten ihn kaum.

Abenteurer: WeTo ist auf Ljosgard/Midgard hernieder gefahren und erkundete die Menschenwelt. Seinen Status als Gott schien er verloren zu haben. Und so wussten die Menschen nicht, dass sich unter ihnen ein Gott befand.

4. Bild: Der SaMurai trug nun einfache Kleidung und umarmte eine einfache Menschenfrau vom Land. Im Hintergrund war ein schlichtes Haus mit etwas Land zu sehen.

Abenteurer: WeTo hatte die Liebe seines Lebens kennengelernt. Sie war eine einfache Bäuerin, ein Mensch.

5. Bild: Der SaMurai war nicht zu sehen und das Haus lag in Schutt und Asche. Die Frau jedoch befand sich mit gequältem Gesicht in den Klauen einer gigantischen und missgebildeten Kreatur.

Abenteurer: Das abscheuliche Wesen des Anarchen war von Neuem erwacht und vergriff sich zufällig auf seinem Weg an der Frau des gefallenen Gottes WeTo. Der Gott selbst war nicht anwesend, da dieser seinem täglichen Werk nachgegangen war, ohne zu ahnen, was in seiner Abwesenheit passieren würde.

6. Bild: Gerüstet kämpft der SaMurai gegen die missgebildete Kreatur. Sein Schwert zerschneidet dabei die Bäume, den Boden und die Felsen.

Abenteurer: WeTo ist nach hause zurück gekehrt. Obwohl er den Status eines Gottes verlor verfügte er dennoch über seine alte Stärke. Er kämpfte erbittert gegen das Wesen, um seine Frau zu retten.

7. Bild: Der SaMurai und die Frau umarmten sich vor einem neuen Haus. In ihrer Mitte hielten sie in Tuch gewickelt ein Neugeborenes. Sie sahen glücklich aus.

Abenteurer: WeTo konnte seine Frau retten und gründete mit dieser eine Familie. Das Kind würde ein Halbgott, ein Arahitogami, sein, ein Kami in Menschengestalt.

 

Zuletzt gab die Feuerpriesterin Naridyi zu, dass sie nun im Besitz des legendären Fells der Feuerratte war, welches sie im Heiligtum in der archaischen Welt bargen. Es war das vierte der fünf benötigten Gegenstände, die sie am Ende ihrer langen Reise benötigten. Doch dieses Artefakt wollte sie bis zum Erreichen ihres Ziels lieber selbst verwahren. Fela Garcia zeigte hierfür Verständnis und harkte nicht weiter nach.

Auch ihr Neuzugang Kizuna gab nun preis, dass sie zwei Gegenstände Alberics gerettet hatte. Sie trug nun die wehenstillende Muschel der Schwalben bei sich, als auch das Buch „Wanderer der Pfade“ von Mycelius Ban-Doran.

Nach beinahe einer Stunde öffnete sich die Eingangstüre und Harkon trat fröstelnd hinein. Auf seinen Armen trug er zurecht gebrochene Holzscheite, die er in einem wettergeschützten Areal unweit ihrer Position fand. Es reichte zwar bei Weitem nicht, um ein dauerhaftes Feuer zu entfachen, damit sie sich wärmen konnten, doch für die Zubereitung von drei warmen Mahlzeiten reichte es allemal.

 

Akt 73:

Die Prinzessin, die alles verlor:

 

teilnehmende Abenteurer:

keine

 

(Notiz: Dieser Akt wurde nie gespielt. Er dient lediglich dazu den Lesern noch offene Fragen bezüglich der Hintergrundgeschichte zu beantworten.)

 

Ganz weit unten am Fuße des Berges erwachte Prinzessin LinYa einen Tag zuvor in der Grabkammer ihrer Vorfahren aus ihrem magischen Schlummer und war sichtlich irritiert. Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war, dass ihr Schloss von dämonischen Spinnen überrannt und sie von der Herrin der Spinnen entführt und in deren Welt gebracht worden war. Sie richtete sich in ihrem weißen Kleid aus Spinnenseide auf und sah sich um. Irgendwer hatte sie scheinbar befreit und hier gebettet. Vor ihr brannte eine einfache Laterne, neben der eine andere Frau in seltsamen Kleidern schlief. In einer Ecke dieser steinernen Kammer stand ein junges Mädchen in ebenfalls reinweißen Kleidern. Sie war blass und keinesfalls älter als sechs oder acht Jahre und lächelte sie an. Als die Prinzessin ihr Lächeln erwiderte, kam das Mädchen auf sie zu und umarmte sie. Das Mädchen stellte sich so aufgeweckt mit Namen Tiatlana vor (ja, sie alterte innerhalb weniger Tage so weit), dass auch die schlafende Frau in ihrer Nähe aus ihrem Schlummer gerissen wurde und gleichzeitig ein Geist in der Türe erschien.

Es dauerte ein paar Stunden, bis sie der Prinzessin die ganze Situation erklärten. Der Geist war LinYas Vorfahre, Prinzessin HaiTang. Sie beauftragte eine Gruppe junger Recken damit sie aus den Klauen der Herrin der Spinnen zu befreien. Zu dieser Gruppe gehörte auch die andere anwesende Frau, Isobel Grünflamme, die sich bereit erklärte hier zu wachen, bis sie schließlich aus ihrem magischen Schlaf erwachte. An dieser Stelle beschwerte sich Isobel auch noch einmal über ihren Weggefährten Harkon, der ein Spinnenei hier deponiert hatte, ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen. Als der Kokon schlüpfte und sie darin einen Säugling fand, rang sie mit sich selbst. Immerhin war es ihre Aufgabe als Fianna die Welt von finsteren Mächten zu befreien. Doch da das Kind noch niemandem Leid zugefügt hatte, entschied sie sich ausnahmsweise gegen ihren Kodex. Und innerhalb weniger Tage wuchs das Kind zu einem freudigen Mädchen heran.

LinYa bedankte sich aufrichtig bei jedem von ihnen, doch sie musste unbedingt nach hause zurück, um dort nach dem Rechten zu sehen. Am Eingang zum Grab trennten sich dann ihre Wege und so verabschiedete sie sich von HaiTang und Isobel. HaiTang konnte nämlich aufgrund ihres Daseins als Geist ihre eigene Grabstätte nicht mehr verlassen und Isobel wollte zurück in die Hafenstadt Ina reisen, da sie dort auf die Rückkehr ihrer Gefährten warten wollte.

LinYa schaute Tiatlana ins Gesicht und hielt ihr ihre Hand hin. Mit einem unschuldigen Lächeln auf ihrem Gesicht ergriff Tiatlana die Hand der ehemaligen Prinzessin und gemeinsam schritten sie langsam über die alte Handelsstraße hinweg auf den einsamen Berg zu. LinYa wusste natürlich, dass es sich bei Tiatlana um eine Spinne handelte und sie wohl auch das Kind deren Herrin war. Nichtsdestotrotz war sie ein liebes Kind, welches eine Vorverurteilung nicht verdiente. Unterwegs wurde ihr aber dennoch Bange. Hier stand einst eine florierende Stadt und nun war nichts mehr von den damaligen Bewohnern oder von den Gebäuden zu erkennen. Stattdessen war nun ein uralt erscheinender Wald erwachsen. Alles hatte sich verändert. Wie lange musste sie wohl geschlafen haben?

Der Aufstieg zum einsamen Berg war mühselig und als sie am Tor vor ihrer ehemaligen Heimstatt TinKaTuh angelangte, konnte sie das Ausmaß der Zerstörung kaum fassen. Aus dem Burghof stiegen kleine Rauchfahnen empor und die Luft roch nach verbranntem Holz. Sie schluckte, denn sie befürchtete bereits das Schlimmste. Und im Hof wurde es nicht besser. Alles war zerstört und neben verkohlten Kratern lagen verstreut die letzten Zeugnisse eines heftigen Kampfes. Auch hatte jemand drei neue Gräber dort angelegt, wo in ihrer Kindheit noch die Glyzinien in voller Blüte standen. Doch zumindest war das Hauptgebäude noch weitgehend intakt, wenn man von der Front einmal absah.

Ihr Blick schweifte über den Horizont bis hin zum Gebirgsmassiv, welches von dunklen Wolkenbergen verhangen war, über denen jetzt am Tage der riesige rote Vollmond wachte. Es war das Zeichen des drohenden Untergangs, das sie nur aus den Geschichten und Erzählungen ihrer Familie kannte und welches sie bis gerade eben noch als ein Märchen abtat. Auf ihrer Familie lastete seit Alters her der göttliche Auftrag Hüter des Passes zu sein. Denn hinter dem Gebirge lag die letzte Stadt des Glücklichen Volkes und auch der Schrein des Großen Ho, der den Menschen einst den Götterglauben nahebrachte. Sie sollten dafür Sorge tragen, dass nur auserwählte Personen, die reinen Herzens waren, jemals einen Fuß in diese Stadt setzten. Doch jetzt, da sie die Letzte ihrer Familie war, oblag es ganz bei ihr etwas zu unternehmen, um diesen Familienauftrag zu erfüllen.

Als sie ihr Schloss betrat hatte sie kaum noch Augen für die hier vorherrschende Verwüstung, sondern versank gänzlich in unruhigen Gedanken. Was konnte sie tun, um das drohende Unheil abzuwenden? Sie hatte nichts mehr, um diesen Familienauftrag zu erfüllen und sollte sie scheitern, dann könnte sie niemals mehr jemanden in die Augen schauen. Sie schlotterte, als sie an die Konsequenzen dachte, wenn sie ihr Gesicht verlor. Wo waren ihre Eltern nur? Sie wüssten mit Sicherheit Rat, selbst in solch schweren Zeiten.

Sie schritt durch die Türe zum ehemaligen Schlafgemach und fand dort ein merkwürdiges Zeichen auf dem Boden vor. Tiatlana ließ ihre Hand los und tanzte freudig um das Zeichen herum. Das Mädchen erklärte, dass sie wüsste, was dies war. Dieses Hexagon war, so erklärte sie, ein Weltentor. Ein magisches Tor, welches auf die andere Seite dieser Welt in ein anderes Land führte. Es war beinahe ausgebrannt und konnte nur noch zwei Male verwendet werden. LinYa wurde nachdenklich. Woher wusste die Kleine dies? Doch diese Frage konnte ihr das Mädchen nicht beantworten. Sie meinte nur, dass sie die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf vernahm, die ihr dies mitteilte. Ihrer Mutter war die Prinzessin nämlich immer noch lieb und wichtig. Vielleicht war dies auch die erhoffte Möglichkeit gewesen ihrem Familienauftrag doch noch gerecht zu werden. Sie könnte durch dieses Tor reisen und andere mutige Abenteurer engagieren, die ihr dann dabei halfen. Mit neuem Mut ergriff sie Tiatlanas Hand und gemeinsam schritten sie hindurch ins Unbekannte, selbst wenn dies ihr Ende bedeutete.

 

Oben im Gebirge trat nachts ein altehrwürdiger Mann in der Gewandung eines Mönchs auf die vorderste Spitze eines porös wirkenden Felsvorsprungs und blickte auf ein kleines Gebäude nicht weit entfernt. Es war ein kleines Heiligtum der Butsubrüder und ward einst angelegt um Reisenden Schutz zu bieten. In dem einzigen Fenster konnte er sogar noch einen schwachen Lichtschein erkennen, der von einem kleinen Feuer oder einer Kerze herrührte. Die meisten würden in diesem einsamen Mann einen Guru gesehen, einen Erleuchteten aus Rawindra, der nur allzu gerne bereit war mit den Menschen seine Erfahrung zu teilen und sie auf den rechten Weg zu führen. Der Guru war halbseitig gelähmt und stützte sich auf einen alten verkrüppelten Stab, denn schon vor so vielen Jahren hatte er nach alter daoistischer und schamanistischer Sichtweise seine Yang-Seite zugunsten seiner Yin-Kraft geopfert, wodurch seine einseitige Lähmung entstand. Und obwohl der Wind orkanartig über die schroffe Felslandschaft blies, wirbelten weder seine Kleidung noch seine Haare auf. An seine Seite gesellte sich seine einhörnige Ziege, die sich wie ein alter Freund an ihn schmiegte.

Der Guru lachte beherzt, denn diese Menschenkinder faszinierten ihn. Er wusste um jede Kleinigkeit und auch um jedes Geheimnis, denn ihm blieb nichts verborgen. Die Götter erhielten einst eine Vision von einer aufsteigenden finsteren Macht und interpretierten diese falsch. In ihrer Angst versuchten sie neue Wege zu beschreiten, die selbst das Schicksal nicht vorhergesehen hatte und erwählten schließlich für die lange Pilgerfahrt eine Gruppe Abenteurer aus, die keine KanThai waren. Zum ersten Mal in der Geschichte! Doch stand es nicht in den Sternen geschrieben, ob diese Entscheidung die Urkatastrophe verhinderte oder diese gar erst auszulösen vermochte. Doch jede Katastrophe hatte schließlich das Potential umgekehrt zu werden, um ein neues glücklicheres Zeitalter einzuläuten. Egal, wie man sich entscheiden sollte, nichts war verloren, denn selbst wenn sich der Lauf der Zeit änderte und sich die Achsen des Schicksals verschoben, könnten alle anderen Welten irgendwann in Frieden miteinander leben, wenn erst eines Tages der Dunkle Turm zusammenbrach. Und auch die bereits getroffenen Entscheidungen nagten bereits an dem Gerüst der vorherbestimmten Zukunft. Doch auf Chaos könnte auch Ordnung folgen. Abermals lachte der Guru und seine Ziege stimmte mit ein.

Wer hätte gedacht, dass der Gegenstand von „Alchessamiore“, den er extra in Ina zurückließ, damit er sich zu den Auserwählten in den verschlossenen Sphären versetzen konnte, um die Gunst einer Urmacht des Chaos zu erhalten solche Auswirkungen haben könnte? Durch ihn erfuhr erst das KuraiAnat, das Schwarze Herz, was es mit der langen Pilgerfahrt und dem Anarchen auf sich hatte. Daraufhin entsandten der Jadekaiser und auch YenXuLu Truppen, um die Auserwählten aufzuhalten, damit der Anarch sich aus seinem Gefängnis befreien und er ihnen einen Gefallen schuldig war. Dies führte dazu, dass auch der SchiDoscha, der oberste militärische Führer des TsaiChen-Tals seine Truppen sammelte, weil er keine fremden Truppen in seinem Herrschaftsgebiet duldete. Denn das magische Band, welches einst ein Vorfahren von ihm mit einem früheren Kaiser schloss, war alt geworden. Und so schaukelten sich diese Herrscher durch diesen kleinen Funken gegenseitig weiter hoch und rekrutierten immer mehr Truppen, um die Gegenseite zum Einlenken zu bringen. Doch niemand gab nach. Aus Grenzkonflikten wurde daher bereits ein kleiner Bürgerkrieg, angeführt durch den Unsterblichen Abe, mit dem die Abenteurer in der Höllenstadt FengDu sprachen. Das Volk der TsaiChin erhob sich und strebte nun nach Unabhängigkeit.

Wer hätte gedacht, dass Alberics Fund eines Buches unter dem Palast von Celastia solche Auswirkungen haben könnte? Wie das verschollene Buch von Myxxel Ban Dor, welches so viele Geheimnisse enthielt, überhaupt auf diese Insel gekommen ist, war dem Gros der Menschheit ein Rätsel, wenn sie es denn überhaupt kannten. Jedoch legte dieses den Grundstein für den Sieg eines jungen Studenten der Magischen Multiversität von Candranor, um in wenigen Tagen eine schwarzmagische Organisation in Alba aufzuhalten, die ein finsteres Ritual planten.

Wer hätte gedacht, dass die Bürgschaft für die Friedfertigkeit Harkons gegenüber der Herrin des Wassers solche Auswirkungen haben könnte? Die Herrin konnte seitdem nur noch an eine der Personen denken, die sich an diesem Tage für Harkon eingesetzt hatte und lud sie darum sogar zu sich nach hause ein, um mit demjenigen den Beischlaf zu vollziehen. Aus diesem befruchteten Drachenei wird eines Tages ein neuer Halbgott das Licht der Welt erblicken und hoffentlich vieles anders machen, als die Generationen vor ihm, die die meiste Zeit untätig blieben.

Wer hätte gedacht, dass die Ermordung des Dorfsprechers aus der reinen Angst heraus, dieser könnte böse Absichten hegen, solche Auswirkungen haben könnte? „Alchessamiore“ nutzte dieses Wissen gekonnt für seine Manipulationen aus, um Streit innerhalb der Auserwählten zu schüren. So gelang ihm auch die Flucht und er konnte sich Zeit lassen die Gunst einer großen Macht zu erhalten. Und auch wenn die Wogen geglättet schienen, so ist Hass und Zorn ein zweischneidiges Schwert, welches selbst noch nach Jahren der Ruhe eine Gefahr für beide Seiten darstellte.

Wer hätte gedacht, dass der Fund von ZuFongs Zepter nach so vielen Jahrhunderten noch solche Auswirkungen haben könnte? Um die Frau des mächtigen Magiers endgültig von ihrer Bindung zu befreien, blieb einem Freigeist nichts anderes übrig, als dieses an einem der gefährlichsten Orte der Welt zu zerstören. Doch um sein eigenes Leben und das der Frau, die er liebte, zu schützen, musste er sich zuvor dem Geist ZuFongs ausliefern. Zwar konnten sie das Zepter, welches ZuFongs Seele beinhaltete zerstören, doch die Herrscher von YenXuLu waren über die Auslöschung ihres höchsten Heiligtums mehr als erzürnt. Dies war auch der Grund warum einer der neuen führenden Köpfe der Adepten scheinbar endlose Ressourcen erhielt, um den Weg der Auserwählten zu beenden. Doch ZuFong, einer der mächtigsten Magier aller Zeiten, war nicht endgültig verloren. Während er am Ende der Zeit in seinem Turm ausharrte, um auf den richtigen Augenblick zu warten, blieb eines seiner Seelenfragmente auf dieser Welt zurück und reiste hier durch das PanKuTun-Gebirge.

Wer hätte gedacht, dass der vereitelte Mordanschlag auf AhodoriSamutomo, den ersten Sohn des Fürsten AhodoriHorigawa, solche Auswirkungen haben könnte? Durch das Verhör des für das Attentat beauftragten NinJa verlor der Auftraggeber, Fürst SokugareKanwa, der schon immer eigene Wege ging, um seinen Einflussbereich zu vergrößern und darüber hinaus kritisch gegenüber dem SchiDoscha eingestellt war, nicht nur seinen Stolz, sondern beschmutzte in den Augen seiner Kinder sogar noch die Familienehre. So kam es, dass dessen ältester Sohn Iemitsu jedweden Respekt zu seinem Vater verlor und die Dinge selbst in die Hand nahm. Um seine Familie wieder zu altem Glanz zu verhelfen und um die drohende Rache seitens AhodoriHorigawas vorzukommen, tötete er nicht nur seinen Vater, sondern räumte auch seine Nebenbuhler, seine Geschwister, aus dem Weg. Dann erhob er sich selbst zum Fürsten und nannte sich fortan Daimyo SokugareIemitsu. Doch für den Kampf mit seinem Kontrahenten AhodoriHorigawa benötigte er dringend Unterstützung und da viele andere Fürsten auf Seiten der allseits beliebten Familie Ahodori standen, suchte er diese beim Herrscher von YenXuLu, der nur Faust genannt wurde und der einer der Oberbefehlshaber der Schwarzen Adepten war. Im Gegenzug versprach er ihnen seine Truppen mit KageMurai, NinJa, zu verstärken und das ungleiche Bündnis war geschlossen.

Ein letztes Mal grinste der Guru, denn er war gespannt, wie sich das alles entwickelte. Wohin würden diese Abenteurer noch streben? Errichten sie die erste richtig freie Stadt im Norden Albas, in der ein jeder dieselben Rechte besaß und Demokratie herrschte? Gründen sie tatsächlich noch eine Kopfgeldjägergilde, die sich mit Naturgeistern verbrüderte, um den Kontinent Sirao aus den Klauen der Nachfahren der Seemeister zu befreien? Die Zukunft wird es zeigen.

 

Akt 74:

Menetekel:

 

teilnehmende Abenteurer:

Simin El A Faz (Aran, Assassinin), Laetita Alea Cadin (Alba, Priesterin-Herrschaft), Salfalur Ziltumzwazad (Zwerg, Alba-Zwergenreich, Kr-Schlachtenwüter), James (Erainn, Bestienjäger)

 

Alba: Laetita lebte schon ihr ganzes Leben lang in einem Kloster im Norden Albas, seit sie von Daiin Cadin, einem Herrschaftspriester des Sonnengottes Xans, aufgezogen wurde, der sie eines Tages als Baby in einem kleinen Korb vor den Toren des Klosters gefunden hatte. Die Priesterschaft glaubte, dass ihre eigene Familie kein Geld hatte, um sie zu ernähren. Und so nahmen sie das kleine Mädchen auf und kümmerten sich seither um sie. Sie gaben ihr einen Namen und unterrichteten sie in den Regeln, Geboten und in ihrer Lebensweise, um ein Xan-gefälliges Leben zu führen. Daiin sah in ihr die Tochter, die er niemals hatte und so nahm sie ebenfalls seinen Nachnamen an. Seit diesen Tagen war viel Zeit vergangen und als sie erwachsen wurde, da trat auch sie in die Fußstapfen ihres Ziehvaters und kümmerte sich seit ihrer Eidablegung als Priesterin des Xans um die religiösen Bedürfnisse der nahen Ortschaften. Doch eines Tages tauchte ein Bote im Kloster auf und überreichte ihr einen Brief. Sofort, als sie ihn durchgelesen hatte packte sie ihre Habe und verabschiedete sich von den übrigen Bewohnern dieses Klosters, denn die Obersten der Kirgh wollten es, dass sie sich umgehend nach Deorsted begab, um ein Auge auf die dort stattfindenden Hexenprozesse zu werfen. Allem Anschein nach waren nämlich die Übeltäter, die den zu häufig wiederkehrenden Vollmond beschworen hatten, dort zu finden.

James war ein Bestienjäger im Lande Erainn, der sich auf die Jagd und Beseitigung von dämonischen und finsteren Kreaturen und Personen spezialisiert hatte. Doch seitdem der Vollmond häufiger auftauchte hatte er alle Hände voll zu tun. Denn die Kreaturen der Nacht, Werwölfe, Vampire und anderes Gesindel, trauten sich nun vermehrt aus ihren dunklen Löchern. Und so dauerte es nicht lange, bis sie von einem ihrer Opfer die Kunde erhielt, dass die vermeintlich Schuldigen hinter dieser ganzen Angelegenheit im weit entfernten Deorsted zu finden waren. Auch wenn sie diese Reise eine lange Zeit kosten würde, musste sie doch wissen, ob etwas Wahres daran war.

Simin stammte ursprünglich aus Aran und war eine überzeugte Gläubige des Zweiheitsglaubens um Ormut und Alaman. Doch als ihr das Schicksal offenbart wurde die siebte Frau eines reichen Kaufmanns zu werden, kehrte sie ihrem Land den Rücken zu und heuerte auf einem Handelsschiff an, um lieber die Freiheit auf hoher See zu genießen, als mit sechs anderen Frauen einen Mann zu teilen. Vor zwei Wochen gerieten sie jedoch vor der Küste Albas in eine Sturmflut, als unerwartet der Vollmond aufgegangen war. Und als dann in den Wellen zuerst ihr Kapitän verschwand erlitten sie wenig später Schiffsbruch. Doch ihr Gott wollte sie noch nicht zu sich holen und so erwachte sie danach an einem Strand in diesem ihr fremden Land.

Salfalur war ein noch recht junger Zwerg, der den Weg eines Schlachtenwüters eingeschlagen hatte. Um sich selbst etwas zu beweisen trat er eine Reise an, um gegen Orks zu kämpfen und an der nordalbischen Grenze Orkmenschen, Menschen, die mit Orks Handel trieben, das Handwerk zu legen.

Brief der Kirgh an die Xan-Priesterin Laetita
Brief der Kirgh an die Xan-Priesterin Laetita

Der Spätherbst war über das Land hereingebrochen und die teils heftigen Winde bliesen das bunte Laub von den Bäumen. Seit Tagen war es bewölkt und es regnete in Strömen. Nur selten klarte der Himmel etwas auf, bevor auch schon der nächste Wolkenbruch stattfand. Die Böden waren derartig durchnässt und vollgesogen, dass sie kein Wasser mehr aufnahmen und die unbefestigten Straßen und Wege in Morast verwandelten, in dem Fuhrwerke stecken blieben und Reisende bis zu den Knöcheln versanken.

Der Zufall wollte es, dass die vier reisenden Abenteurer getrennt voneinander eines Abends im vierzig-Seelen-Weiler Somerset Shire eintrafen und dort, wie sollte es anders kommen, in die einzige Gaststube einzogen. Das Wirtshaus war klein aber gemütlich und der Innenraum hölzern rustikal gehalten. Es gab nur drei Tische, die jeweils aus aufrecht stehenden Fässern bestanden, auf denen eine Holzplatte befestigt war. Neben ihnen waren noch drei andere Personen in der Gaststube. Da diese kein Reisegepäck dabei hatten handelte es sich wohl bei ihnen um Einheimische.

Die vier, so durchnässt wie sie waren, nahmen am freien Tisch neben dem Wärme spendenden Kamin Platz, um sich zu trocknen und machten sich unmittelbar miteinander bekannt. Lachen mussten sie unfreiwillig auf die Frage, wie lange jeder von ihnen bereits auf Reisen war, weil eine Antwort in Monden zurzeit nicht mehr möglich war. Zumindest brach dieses erste Gelächter das Eis.

Es dauerte auch nicht lange, bis der etwas grobschlächtig wirkende Wirt auf sie zukam und sie nach ihrer Bestellung fragte. Schon wenige Minuten danach erhielten sie ihre Humpen Ale, sowie Schüsseln mit einer Fettsuppe und einem Leib Brot. Der Wirt wartete ab und fragte, ob seine Kost ihnen mundete, wirkte aber dann leicht verärgert, als die in einem Abaya gekleidete Simin ihm entgegnete, dass es „essbar“ wäre. Schnell korrigierte sie ihre Aussage und begründete ihr Missgeschickdamit, dass sie der albischen Sprache noch nicht so ganz mächtig wäre. Nach dem Essen wollte die Priesterin für die Zeche aller aufkommen, aber James lehnte dankend ab. Er wollte nämlich keinesfalls in der Schuld einer anderen Person stehen und zahlte darum selbst aus eigener Tasche.

Vor dem Kaminfeuer machten sie es sich etwas gemütlich und so sprachen sie darüber, wie und warum sie überhaupt unterwegs waren. Im Laufe des Gesprächs wandte James ein, dass er das häufigere Auftauchen des Vollmondes für merkwürdig, wenn nicht gar unerklärbar hielt. Alle zwei Wochen schob sich nun mittlerweile ein Vollmond in die eigentliche Mondphase herein. Als dies das erste Mal vor ein paar Monaten geschehen war und es nur wenigen „nachtaktiven Menschen“ aufgefallen war, machten sich noch Gros der Zuhörerschaft über diese lustig, doch in der Zwischenzeit hatte es fast schon beängstigende Ausmaße angenommen. Und dieser Vollmond kam nun immer öfters, was dazu führte, dass viele bereits dies als böses Omen ansahen und sich sowohl die Magiergilden, als auch Priesterschaften dieses annahmen. Doch noch immer fehlte jedwede Erklärung für dieses Phänomen.

Hin und wieder provozierte Simin ihre neugewonnenen Kameraden mehr oder weniger unbeabsichtigt mit ihrer Art die Anhänger anderer Glaubensrichtungen als Ungläubige zu bezeichnen, doch um einen Streit aus dem Weg zu gehen, gingen die anderen drei nicht weiter darauf ein. Irgendwann stand die Aranerin auf und kramte einen zusammengerollten Gebetsteppich aus ihrem Rucksack und ging zur Eingangstüre. Eigentlich hatte sie vorgehabt draußen ihr Abendgebet zu vollziehen, doch das Wetter hatte wieder einmal umgeschlagen. Es schüttete, wie aus Eimern und Sturmböen fegten durch die Gassen. Hinter den schnell vorbeiziehenden Wolken konnte sie einen hellen Lichtschein ausmachen. Es würde wieder einmal eine nicht vorher gesehene Nacht des Vollmondes werden. Sie drehte um und marschierte durch den Gastraum, um im hintersten Eck, ungestört der noch wenigen Gäste, zu beten.

Als die drei Einheimischen gegangen und der Gastraum gesäubert war, erklärte der Wirt Schluss zu machen. Er schloss die Fensterläden und verriegelte die Eingangstüre, bevor er sich an die Abenteurer wandte. Wenn sie wollten, dann könnten sie die Nacht hier unten im Gastraum verbringen, denn in diesen schwierigen Tagen sollte niemand gezwungen sein im Freien zu nächtigen. Natürlich nahmen sie sein Angebot dankend an und so verabschiedete sich der Wirt von ihnen und schritt die Treppe zu seiner eigenen Wohnung hoch.

Doch noch bevor ein jeder von ihnen sein Nachtlager aufschlug hatte James ein ungutes Gefühl. Darum ging er zu einem Fenster, öffnete die Läden und spähte nach draußen. Sehr weit konnte er jedenfalls nicht sehen, da es zu sehr regnete. Niemand war mehr auf den Straßen unterwegs und jedes andere Haus hatte seine Fensterläden verschlossen. Es war auch gut so, denn die Kunde von den Kreaturen der Nacht hatte sich bereits herum gesprochen. Doch dann meinte er auf einmal hinter den dichten Regenschleiern auf der haupten Straße des Weilers eine Bewegung auszumachen. Es war die Silhouette eines Menschen! Und als er sich genauer auf diese konzentrierte, da erkannte er darin eine junge Frau zu sehen. Sie rannte gebückt in ihre Richtung und hielt sich dabei ihre rechte Schulter. Schleunigst eilte sie zur Türe, zog sie auf und rief die Frau zu sich.

Wenige Augenblicke später war die junge Frau in ihrer Mitte und atmete vor dem Kaminfeuer tief durch. Ihr Name lautete Lilia und auf Nachfragen erzählte sie ihre Geschichte. Sie bewohnte mit ihren Eltern einen Hof einige Stunden von hier entfernt. Vor einer Woche klopften ein Mann und eine Frau an ihrer Türe und erklärten, dass sie alles verloren und nun keine Bleibe mehr hätten. Ihr Vater machte ihnen daraufhin den Vorschlag sie bei sich aufzunehmen und sie könnten dafür auf ihrem Hof arbeiten. Doch was sich anfangs als eine gute Idee anhörte entpuppte sich schnell als einen schwerwiegenden Fehler. Die zwei Neuankömmlinge rissen den Hof an sich und unterdrückten ihre Familie. Und während es sich dann die Fremden gut gehen ließen, mussten sie nun für sie auf ihrem eigenen Hofe arbeiten. Bei jeder angeblichen Verfehlung seitens ihrer Eltern wurde sie bedroht. Nun wüssten sie nicht mehr, was sie tun sollten. Eigentlich sollte man sich in einem solchen Fall an den eigenen Laird wenden, doch dieser wohnte zu weit entfernt. Nachdem ihr erster Fluchtversuch, um bei ihrer Tante Martha Hilfe zu suchen, scheiterte und sie eingeholt und zurückgezerrt wurde, entwickelte sie einen neuen Plan. Sie wollte abwarten, bis zum nächsten Vollmond, denn niemand wäre in diesen Tagen so verrückt und würde ihr dann in die Nacht folgen. Tatsächlich trauten sich die Fremden nicht aus dem Haus heraus, als sie in die Nacht entschwand.

Doch was war mit ihrer Schulter geschehen? Dort trug sie nämlich eine gerade und blutende Verletzung, wie von einer Schwertklinge verursacht. Lilia holte noch einmal aus und begann zu erzählen. Von ihrem Hof bis nach Sometset Shire musste sie lediglich einen mehrstündigen Marsch durch den nahen Wald begehen. Um nicht aufzufallen und wilde Tiere oder andere Geschöpfe auf sich aufmerksam zu machen, nutzte sie keine Laterne, sondern verließ sich einzig und allein auf das Licht des Mondes. Als sie so vorsichtig durch den Wald wandelte meinte sie aus den Augenwinkeln heraus einen großen Totenschädel eines Vogels zu sehen, doch schon im Moment, in dem sie sich umwandte, war dieser auch schon verschwunden. Doch als sie ihn meinte kurz darauf noch einmal zu bemerken beschleunigte sie ihre Schritte und fing an zu rennen. Just in diesem Moment griff sie etwas von hinten an. Es war ein menschengroßer Vogel. Nur mit viel Glück gelang ihr schließlich die Flucht aus dem Wald heraus. Doch als sie schließlich erschöpft und hilfesuchend am Hause ihrer Tante angelangte und an die Tür hämmerte, reagierte niemand. Auch konnte sie durch die Ritzen der verschlossenen Fensterläden keinen Lichtschein ausmachen. Da sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste rannte sie von dort aus weiter in Richtung des Dorfes, wo sie sie trafen.

Die Erzählung und auch die Beschreibung Lilias erinnerte die Priesterin und auch den Bestienjäger unweigerlich an Dunebargen. Dunebargen waren eine grobe Bezeichnung für eine bestimmte Art von Dämonen aus einer anderen Sphäre. Diese konnten in unterschiedlichen Daseinsformen erscheinen und waren nicht ganz so intelligent, wie Menschen es sind. Dies bedeutete aber noch lange nicht, dass es sich bei ihnen um dumme oder rein Instinkt getriebene Geschöpfe handelte. Die normalen Bewohner Midgards bekämen solche Geschöpfe wohl ansonsten niemals zu Gesicht, da sie viel zu selten anzutreffen waren. Also was führte einen Dunebargen in die Menschenwelt? Steckte womöglich ein Dämonenbeschwörer dahinter oder gelangte er durch Zufall durch einen Spalt zwischen den Welten hierher? Bei Letzterem handelte es sich definitiv um ein undenkbar seltenes Szenario.

Laetita wollte sich gerade um ihre klaffende Krallenverletzung kümmern, als die junge Frau ihr dies verweigerte. Sie beharrte darauf sich nur von ihrer Tante behandeln zu lassen. Martha wäre nämlich eine ausgezeichnet gute Kräuterkundige und kannte sich darum auch bestens in der Heilkunde aus. Doch nachdem ihr die Abenteurer versprachen sich gleich morgen nach ihrer Tante umzusehen, gab sie nach und ließ sich von der Priesterin behandeln.

Unterdessen stampfte Salfalur die Treppe nach oben und klopfte an der Wohnungstür des Wirtes. Kurz darauf öffnete dieser die Türe und baute sich leicht genervt und nur in einem Nachthemd bekleidet vor dem Zwergen auf. Als er erfuhr, dass sie in dieser Vollmondnacht einfach die Eingangstüre geöffnet hatten, war er alles andere als begeistert davon. Immerhin hätte sich durch diese leichtsinnige Tat auch eine Kreatur der Nacht Zutritt verschaffen können. Doch damit hatte der Zwerg bereits gerechnet und verwendete die eigene Aussage des Wirtes gegen ihn. Sollte denn nicht niemand in dieser schwierigen Zeit gezwungen sein die Nächte im Freien zu verbringen? Der Wirt zeigte daraufhin Einsicht und folgte ihm nach unten in die Gaststube.

Die Frau kam dem Wirt zwar nicht bekannt vor, doch als er davon erfuhr, dass sie die Nichte Marthas wäre, wurde er hellhörig, denn er kannte sie. Jeder hier kannte sie. Martha war nämlich eine ausgesprochen exzellente Kräuterkundige, deren Heilkünste weit über die Grenzen des Dorfes hinaus bekannt waren. Selbst aus weiter entfernten Orten kamen die Menschen eigens zu ihr, um sich von ihr behandeln zu lassen. Sie wohnte ungefähr eine halbe Stunde Fußmarsch außerhalb des Dorfes. Dort bewohnte sie ein eigenes kleines Fachwerkhaus, welches umringt von Gärten bei einigen Aussiedlerhöfen am Waldrand lag.

Der Wirt verabschiedete sich kurz darauf wieder, als ihm niemand mehr eine Frage zu dieser Sache stellte. Aber dafür gab Lilia noch einige Informationen preis. Der Hof, den sie mit ihren Eltern bewohnte, gehörte zum Lehnsgebiet der MacAelfins. Das drum herum liegende Land jedoch zum Clangebiet der MacRathgars, wie auch Somerset Shire. Sie und ihre Eltern Paul und Miriam waren jedoch geborene MacSmith, einem kleinen nicht unabhängigen Clan, der heutzutage keinen Laird mehr stellte, da sie über kein eigenes Territorium mehr verfügten.

James hatte schon davon gehört, dass die Zuständigkeitsbereiche in Alba etwas spezieller wären. Für gewöhnlich hatte jeder Clan sein eigenes Clangebiet, doch durch Schenkungen oder Heiraten oder Fehden kam es auch schon vor, dass das Land vor allem im Bereich der Clangrenzen etwas zerclustert wurde. Aus diesem Grund war es der Familie von Lilia scheinbar auch nicht möglich in dieser Gefahrensituation sich an ihren Laird der MacAelfin zu wenden, da dieser weit entfernt residierte. Die Familie war somit auf sich alleine gestellt und musste sich irgendwie selbst helfen.

Der nächste Morgen brach heran und sie wurden vom Wirt geweckt, der ihnen für die Rettung Lilias ein Mahl kostenfrei bereitete. Dann packten sie ihre Habe zusammen und machten sich auf den Weg. Zu ihrem Glück hatte sich das Wetter in der Zwischenzeit etwas gelegt und nur leichter Nieselregen fiel auf sie herab.

Als sie an den unweit entfernten Aussiedlerhöfen ankamen, erspähten sie sofort das Haus von Martha. Das Fachwerkhaus war von außen sehr gepflegt und von mehreren Kräutergärten umgeben, die von einem niedrigen Holzzaun umschlossen waren. Nur wenige Meter entfernt lagen die Aussiedlerhöfe mit ihren angrenzenden Wirtschaftsgebäuden, in denen bereits Bauersleute und Handwerker ihrer täglichen Arbeit nachgingen.

Sie öffneten das Zauntörchen und schritten über die Trittsteine zur Haustüre hin. Doch wie auch schon bei Lilia in der Nacht zuvor reagierte niemand im Inneren auf ihr Klopfen und Rufen. Es tat sich rein gar nichts und auch die Fensterläden waren noch immer zugezogen.

Da bemerkten sie einen Stallburschen gegenüber des Weges, der gerade dabei war mit einer Mistgabel die Hinterlassenschaften seiner Tiere in Eimer zu aufzulesen. Vielleicht hatte ja er etwas bemerkt, was ihnen weiterhelfen konnte? Tatsächlich hatte er Martha am Abend zuvor zuletzt gesehen. Etwa ein Stunde vor Einbruch der Dämmerung blickte er noch ein letztes Mal aus dem Fenster. Der starke Regen hatte sich zu diesem Zeitpunkt gerade etwas abgeschwächt, da eilte der Nachbarsjunge John über den regennassen Weg zu ihr herüber und klopfte an ihre Türe. Sie machte aber nur kurz auf und der Junge wandte sich daraufhin schnell wieder um und kehrte nach hause zurück. Das war merkwürdig. Normalerweise hielt sich der Junge nämlich jeden Abend etwas bei ihr auf, weil die nette Dame ihm Märchen und Geschichten vorlas. Aber das dort drüben etwas im Argen war hatte auch er sich gedacht. Gestern ging er nämlich kurz zuvor selbst zu Martha herüber, um ihr, wie jeden Tag, frische Eier und Milch zu verkaufen. Doch sie wiegelte ihn ab und meinte lediglich, dass sie in den nächsten zwei Tagen nichts bräuchte.

Die Abenteurer kehrten zum Haus der Dame zurück und fragten sich, wie sie nun weiter vorgehen könnten. Da zückte Laetita auch schon einen Dolch, stieß ihn in den Türspalt und hebelte damit den einfachen Riegel auf. Die Türe war offen.

Auf den ersten Blick schien niemand anwesend zu sein, was verwunderte, da der Riegel von innen verschlossen war. Es roch auch nicht nach Tod und Verwesung. Das einzige, was sie rochen, war der überwältigende Duft von Kräutern, die in Büscheln zusammengefasst an mehreren aufgehängten Leinen unterhalb der Decke trockneten. Sie schritten hinein und durchsuchten das Haus. Neben dem Eingangsbereich, der auch als Arbeits- und Verkaufsraum diente, gab es nur noch eine kleine Schlafstube und einen Lagerraum. Alles war sehr ordentlich und sauber gehalten. Doch dann bemerkte James an der steinernen Schwelle der Eingangstüre Fußspuren. Sie waren schlammig gewesen und jemand hatte keine Zeit gefunden diese richtig aufzuwischen, sodass sie noch etwas sichtbar waren. Derjenige, zu dem sie gehörten, war barfuß gewesen und sonderbarerweise liefen die Zehen spitzt zu, wie als hätten die Zehen nicht in Nägeln sondern in Krallen geendet. Dann kam ihnen die Gewissheit. Es war ein Ork!

Doch wieso waren diese Spuren dann nur auf der Türschwelle gewesen und nicht im Hausinneren? Und warum gab es keine Spuren eines Kampfes? Hatte der Ork einfach umgedreht und war gegangen? Sie durchsuchten das Haus jetzt noch gründlicher, denn irgendetwas übersahen sie. Martha musste schon in die Nacht entschwunden sein, denn ihr Bett war nicht angetastet. Auch fehlte die Heilertasche, die man bei ihr im Arbeitszimmer vermuten würde. Simin durchforstete gerade den Lagerraum, als sie von den bis zur Decke reichenden Regalen abgelenkt wurde. In hunderten beschrifteten Kisten, Kästchen, Tiegeln und Umschlägen lagerten hier jede Menge Tränke, Tinkturen und Kräutermischungen gegen jede Art nur erdenkliche Wehwehchen. War die Frau tatsächlich nur eine Kräuterkundige oder gar eine Hexe, ging es ihr durch den Kopf. Sofort machte sie sich daran einige dieser Arzneien in ihrer Tasche verschwinden zu lassen. Als James ebenfalls den Raum betrat fauchte er Simin an. Wollten sie sich nicht nach Spuren umschauen, anstatt die Hausherrin zu bestehlen? Doch dann fiel ihm noch etwas auf. Der Fensterladen hier war nicht wie die anderen von innen verschlossen, sondern lediglich angelehnt. Auch der Stuhl direkt vor der Fensterbank wirkte deplatziert. Hatte sich die Frau durch dieses Fenster etwa heraus geschlichen, um nicht von irgendwem gesehen zu werden? Sie öffnete die Läden und blickte auf die davor befindliche nasse Wiese. Im Abstand von Schritten sammelten sich dort kleine Pfützen! Umgehend benachrichtigte sie ihre Gefährten.

Alle eilten daraufhin zum Garten hinter dem Haus. Doch James ließ sich etwas mehr Zeit und schaute sich nun auch noch einmal vor der Haustüre gründlich um. Von den schlammigen Fußabdrücken führten ebenfalls Spuren dicht am Haus herum bis nach hinten. Dort vereinigten sich dann beide Spuren. Vom Fenster aus führten sie dann direkt in den nur fünf Meter weiter entfernten angrenzenden Waldrand.

Sie riefen Lilia zu sich und fragten sie, wo genau der Dämon sie in der Nacht angegriffen hatte. Sie überlegte nicht lange, bevor sie antwortete, denn der Ort war markant gewesen. Etwa eine Stunde von hier entfernt machte die Straße einem starken Rechtsknick um einen Hügel mit einem großen Wacken darauf. Dort hatte sie die Wesenheit zuerst gesehen. Doch dies war in einer anderen Richtung, was sie etwas aufatmen ließ. Sie bedankten sich und gaben Lilia die Order hier auf ihre Rückkehr zu warten, ehe sie den Spuren auf unbefestigtem Grund in den Wald folgten.

Der Waldboden war aufgrund des Sturms der vergangenen Tage von matschigem bunten Laub bedeckt. Gute Voraussetzungen, um den Spuren zu folgen. Doch noch immer trieb sie die Frage herum, wurde die Kräuterfrau tatsächlich von einem Ork entführt? Wohl kaum, denn dafür waren die zwei Personen anhand ihrer Tritte zu langsam gelaufen und bei einer Entführung hätte sich das Opfer mit ziemlicher Sicherheit gewehrt und die Spuren wären dann nicht in einer geraden Linie gewesen. Zudem hatte die Frau zuvor ihre Nachbarn abgewimmelt. Salfalur mutmaßte, dass sie eine der Orkmenschen war, nach denen er Ausschau hielt. Und auch den anderen beschlich so langsam dieses Gefühl. Und ein Handel mit Orks war den Albai strengstens verboten, da sie die erklärten Feinde der Menschen waren.

Etwa zur Mittagszeit sichteten sie in etwa dreißig Metern Entfernung eine kleine Lichtung vor sich, zu der die beiden Spuren führten. Doch dort im Zentrum des freien Areals war noch etwas anderes. Eine Gestalt lehnte dort an einem Stamm. Sie hatte ihr Haupt so weit gesenkt, dass sie nicht genau erkennen konnten, ob es sich bei ihr um einen Menschen oder um einen Ork handelte. Sicherheitshalber zogen sie ihre Waffen und näherten sich. Lediglich Simin blieb zurück, um die Situation zu überblicken.

Die anderen gelangten auf der Lichtung an und jetzt konnten sie erkennen, dass es sich bei der Gestalt tatsächlich um einen Ork handelte. Er war schwer verletzt und mit einem groben Seil mit den Händen hinter dem Rücken an dem Baumstamm festgebunden. Als der Ork sie bemerkte schreckte dieser hoch und sprach wirres Zeug. Er bat um sein Leben und darum freigelassen zu werden. Er und seiner Sippe wollten ihnen kein Haar krümmen, denn sie hätten sich von dem Schwarzen abgewandt. Ihr Chef Narhattash wollte damit nur seine kleine Sippe schützen. Die Abenteurer schenkten seinen Worten keine Beachtung und hielten dies für eine Falle. Oder vermutlich hatten sie ihn hier auch absichtlich zum Sterben zurückgelassen, da er Scheiße baute. Und nun versuchte er mit seiner Begründung nur Mitleid zu erregen,um sein eigenes Leben zu retten. James schaute sich seine Fesselung einmal genauer an. Die Qualität des Seils ließ zu wünschen übrig, was darauf hindeutete, dass es von Orkhänden geschaffen worden war. Scheinbar hatte man ihn sogar mit seinem eigenen Seil gefesselt. Auch der Knoten war sehr schlecht. Wäre der Ork noch im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen, dann hätte er sich mit Leichtigkeit befreien können. Allerdings wies der Stamm oberhalb und auch unterhalb des Knotens tiefe Ritze auf.

Gerade als ihm James die Kehle aufschnitt, um ihm von seinem Dasein zu erlösen, kam ihnen in den Sinn, dass dies wirklich eine Falle war. Es waren nämlich dieselben Ritze, wie von einer Kralle, wie bei dem Ork und auch bei Lilia! Doch es war bereits zu spät, denn ein Wesen mit schwarzen Schwingen schnellte bereits im Sturzflug aus den Baumkronen herab und auf die abseits stehende Simin zu. Der Aranerin wurde gerade noch der Gefahr gewiss, in der sie schwebte und wich im letzten Moment aus, sodass der Flug des Wesens jäh in einem nebenstehenden Gebüsch endete. Das Gebüsch raschelte kurz und dann erhob sich die mysteriöse Wesenheit in seiner vollen Größe ohne selbst einen leisesten Laut zu verursachen. In seiner dunklen Erscheinung glich sie nun einer Eule mit angelegten schwarzen Schwingen, wie denen eines Rabens, die einen Menschen um einen Kopf überragte. Allerdings besaß das Wesen keine Schwanzfedern, trug aber dafür eine Art knöchernen Schädel mit tiefschwarzen Augenhöhlen und einem knochenweißem Schnabel, der wegen seiner Länge an eine Pestmaske erinnerte. Dann erkannten sie ihren Fehler. Es war kein Dunebarg, sondern ein Dunebrast – ein dämonischer Kämpfer!

Schleunigst eilten alle zu dem Dämonen hin und deckten ihn mit Hieben ein. Doch ihr Gegner konterte flink und schnell mit seinen unter seinen Schwingen bis jetzt verborgen gehaltenen Armen, die jeweils in einer langen Kralle endeten. James schwang seine Peitsche und ließ sie gekonnt auf dass Wesen niederfahren. Die Peitsche wickelte sich um dessen Oberkörper und beraubte ihn seiner Fähigkeit sich zu wehren. Doch der Dunebrast war stark, sodass James versehentlich seine Peitsche losließ (100). Doch da ihr Gegner seine volle Aufmerksamkeit auf den Bestienjäger richtete, gelang es Simin ihm mit ihrem Kurzschwert einen Schlag mitten ins Gesicht zu versetzen (20). An den Augen zerbarst die Knochenmaske und gab das darunterliegende faltige Fleisch frei. Es war gar keine Maske, sondern ein Exoskelett gewesen! Der Dunebrast verstand seine brenzlige Situation und versuchte zu fliehen. Doch zu spät! James hatte in der Zwischenzeit wieder seine Peitsche ergriffen und stemmte sich mit aller Kraft dagegen, um das Wesen an einer Flucht zu hindern. Da schwang auch schon Salfalur seine Axt und köpfte das Wesen, welches daraufhin in sich zusammensank. Der Kopf wiederum wirbelte kurz durch die Luft und schlug dann auf dem Boden auf. Nachdem James seine Peitsche löste, stellte Laetita sicher, dass der Dämon endgültig tot war und versenkte seine fleischigen Überreste mit einer Feuerkugel.

James ließ es sich nicht nehmen den Schnabel an sich zu nehmen und auch Simin nahm die beiden Krallen als Andenken an sich. Danach suchten sie die nähere Umgebung ab. Etwas abseits vereinigten sich die Stiefelabdrücke der Kräuterfrau mit jenen von vier anderen Orks. Scheinbar hatte die Orkgruppe hier auf die Rückkehr des anderen Orkt gewartet, als sie von dem Wesen überrascht wurden. Oder hatten sie gar diese Lichtung benutzt, um hier dem Dunebrasten zu huldigen, in dem sie einen der ihren opferten? Orks konnte man so ziemlich alles zutrauen. Bei dem toten gefesselten Ork fanden sie noch ein ungewöhnliches Handbeil mit einer sägeartigen Klinge, als auch eine Lederschnur um seinen Hals, an dem sich eine Art Anhänger befand (20). Der Anhänger war entweder zerteilt worden oder unabsichtlich zerbrochen und bestand aus gut gearbeitetem Silber. Er war alt, denn das Schmuckstück wies bereits eine leichte Rotfärbung auf. Die beiden Teile des Anhängers zusammengehalten zeigten ein stilisiertes Steuerrad wie jenes eines Schiffes auf. James kam dieses Zeichen zwar zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt vor, steckte es sich aber ein. Seine nicht gesicherte Vermutung war, dass dies das Emblem oder Familienwappen eines Seemeisters sein könnte und darüber musste er unbedingt mehr in Erfahrung bringen. Doch warum war es geteilt worden?

Gerade als sie den Spuren tiefer in den Wald folge wollten stellte sich Simin quer und weigerte sich. Warum begaben sie sich denn überhaupt in Gefahr? Lilias Familie waren einfache Bauern und könnten sie bestimmt nicht für ihr Tun bezahlen. Auch der Zwerg meinte nun für seine Dienste gerne eine Bezahlung zu erhalten, auch wenn er sowieso Orks töten würde. Es entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, dass es das Richtige wäre Menschen in Not auch mal aus purer Nächstenliebe zu helfen. Doch erst als James sagte, dass man Orkohren für drei Goldstücke das Stück an magische, alchimistische Labore verkaufen könnte, wie es se in jeder Magiergilde gab und dass die Kräuterfrau ihnen bestimmt Heilerbedarf für die Rettung ihrer Familie überreichen würde, zeigten sie Interesse und waren nun wieder motiviert diesen Auftrag abzuschließen.

Da es nun eine ganze Gruppe war, denen sie folgten, war es ein Leichtes diesen ohne große Mühe hinterher zu eilen. Nach einigen Stunden strammen Marsches endeten die Spuren schließlich an einer kleineren Erhebung in den Einstieg zu einer Höhle. Die Erhebung an sich war bewachsen und bestand aus einer Schicht massiver Basaltsäulen natürlichen Ursprungs. Die Wiese vor dem Eingang war platt getreten, sodass davon auszugehen war, dass die Orks sich schon seit einigen Tagen hier aufhielten. Langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Eingang und vernahmen dann von weiter unten Stimmen.

Simin schickte sich an schwarz gekleidet und mit ihrem Schleier vors Gesicht gezogen hinein zu gehen. Die felsigen Stufen führten teils steil ungefähr zehn Meter in die Tiefe und hinter einer scharfen Rechtskurve konnte sie in eine kleine Kaverne spähen.

Der Raum war von einigen Fackeln und Kerzen ausgeleuchtet und der Boden mit festgetretenem Stroh bedeckt. In der Mitte stand ein provisorischer Tisch und in den Ecken sammelten sich Vorräte. An der hintersten Wand standen sechs Orks hinter der gebückten Kräuterfrau und sahen ihr interessiert zu, wie sie sich um einen weiteren älteren Ork, der in einer einfachen Bettstatt aus Stroh lag, kümmerte. Simin hörte sie wild durcheinander tuscheln und reden und verstand nur wenige Wortfetzen. Der liegende Ork war ihr Sippenälteter Narhattash und sie alle waren aus den Nebelbergen geflohen, weil sie nicht mehr für ihren König kämpfen wollten, der sie sinnlos in Kämpfen verheizte. Eine Gruppe Häscher unter Taqko´ashan hatte dieser fliehenden Sippe dann aufgelauert und Narhattash schwer verletzt.

Simin hatte genug gehört und begab sich still und leise auf den Rückweg. Sie erzählte ihren Kameraden jedoch nichts von den Gesprächen, die sie aufgeschnappt hatte, sondern nur, dass sich die Kräuterfrau dort um einen verletzten Ork kümmerte und sie umringt waren von sechs anderen Orks. Schnell waren sie sich einig diese Orks töten zu müssen. Ihre erste Idee sie einfach zu begraben, in dem sie den Eingang zuschütteten, verwarfen sie jedoch wieder. Das umliegende Gestein war einfach zu massiv und zu schwer und den Eingang zuzuschütten oder zu verbarrikadieren würde wohl zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Darum positionierten sie sich rechts und links des Eingangs und verursachten durch Rufe und durch das Schlagen ihrer Waffen Lärm, um die Aufmerksamkeit der Orks auf sich zu ziehe.

Es dauerte nicht lange und zwei Orks rannten mit gezückten Waffen nach oben, um zu schauen, was das für Geräusche waren. Genau darauf hatten die Abenteurer gewartet. Sie sprangen hinter den Ecken des Eingangs hervor und nahmen die überraschten Orks in Empfang. Laetita stach mit ihrem Schwert auf einen Gegner ein, als James den zweiten prompt mit einem Peitschenschlag entwaffnete. Doch dieser Tumult blieb nicht unbemerkt, denn schon eilten die anderen vier Orks herbei, um sich um die Eindringlinge, die Abenteurer, zu kümmern. Während der Bestienjäger und der Schlachtenwüter noch recht gut zurecht kamen, wirkte die Priesterin schon nach einigen parierten Hieben angeschlagen. Simin stand noch im Hintergrund, denn eine Konfrontation offen zu suchen war nicht ihre Art zu kämpfen. Stattdessen hätte sie diesen Gegnern viel lieber eine Falle gestellt und diese hinterrücks ausgeschaltet. Erst nach mehrmaligem lautstarken Auffordern und Anfeindung seitens James warf auch sie sich in das Kampfgetümmel am Höhleneingang. Scheinbar wurde ihre Art die Kämpfe auszutragen in diesem Land und von ihren neuen Gefährten nicht geduldet. Salfalur wechselte gerade ein paar Schläge mit seinem Kontrahenten, als auf einmal ein anderer Ork mit einem leichten Speer aus der zweiten Reihe heraus auf ihn einstach und dabei seinen geliebten Bart durchpflügte. Jetzt sah der Zwerg rot! James Gegner versuchte gerade seine Waffe vom Boden aufzuheben, was der Bestienjäger jedoch direkt ausnutzte, um ihm ins Gesicht zu treten. Doch als sich wenig später James selbst die Blöße gab revanchierte sich der Ork und trat ihn ebenfalls. Salfalur spaltete einem Ork gerade mit einem mächtig geführten Hieb den Schädel. Doch in dem Moment, als er zusammensackte, wurde ein Pfeil aus der Höhle heraus geschossen, der den Zwergen nur um Haaresbreite verfehlte. Der zweite Pfeil traf ebenfalls nicht sein anvisiertes Ziel, sondern bohrte sich stattdessen in das hintere Schulterblatt eines anderen Orks. Dieser schrie erbärmlich auf und konnte sich nicht mehr auf den Kampf konzentrieren, sodass James ihn mit seiner Ochsenzunge tief in die Magengegend traf und die Klinge mit Schwung nach oben zog. Die Abenteurer stürmten nun voran in die Höhle und der letzte Ork, der Schütze, sah keinen anderen Ausweg mehr, als seinen Klingenbogen im Nahkampf zu verwenden. Am Wurfarm seines Bogens waren nämlich zahlreiche kleinere Klingen befestigt, mit denen er sich zu verteidigen wusste. Doch gegen den wütenden anstürmenden Zwergen mit seinem Schlachtruf „Blut für Zornal“ half dies auch nichts mehr und sein Leben wurde ausgehaucht.

Sie betraten waffenstarrend die Kaverne und prompt wandte sich die Kräuterfrau zu ihnen um. Sie bat sie um Vergebung und verbürgte sich für den schwer verletzten Ork Narhattash, der noch immer im Stroh lag und sich nicht bewegen konnte. Dieser Ork wollte den Befehlen seines Königs nicht weiter folgen, sondern erhoffte für sich und seine Sippe einen neuen Platz zu finden, wo sie in Frieden leben konnten. Darum wurde er auch so schwer verwundet. Sie hatte als Kräuterkundige und Heilerin einst einen Eid geschworen jeden Verletzen zu behandeln. In ihren Augen war dabei die Rasse egal, weshalb sie sich auch dazu entschloss einem Ork zu helfen. Sie würde niemals eine Ausnahme machen. Doch als die Abenteurer ihr von der Not ihrer Nichte Lilia erzählten und dass sie dringend ihre Hilfe benötigten wurde sie abgelenkt und ließ von ihrem Patienten ab.

Diesen Umstand nutzte die Herrschaftspriesterin aus, um sich dem alten und röchelnden Ork anzunähern. Sie nahm ihren Dolch hervor und setzte es an seine Kehle an. Ja, es war verboten mit Orks Handel zu treiben, aber noch verwerflicher und verbotener war es Orks zu erlauben auf dem Gebiet von Menschen zu siedeln. Und mit einem schnell geführten Schnitt erstarb auch das Röcheln. Martha schloss kurz die Augen und ging in sich, bevor sie sich ohne Worte abwandte und den Weg zum Ausgang beschritt.

Danach durchsuchten die vier noch das Lager der Orks, doch bis auf eine Schatulle mit zweihundert Goldmünzen, einigen Vorräten und Proviant fanden sie nichts von Interesse. Bei den Toten sah dies jedoch ganz anders aus (20). Ein jeder trug nämlich dasselbe Schmuckstück um den Hals, wie bei dem Ork auf der Lichtung. Und jedes von ihnen war in der Mitte geteilt oder anderweitig zerbrochen worden. Und jetzt ging James ein Licht auf, denn nun erkannte er auch das Zeichen wieder. Das Ruderrad war nämlich einst das Familienwappen des Dunklen Seemeisters Saron Neragal gewesen, von dem es hieß, dass er vor gar nicht so langer Zeit aus einem langen Schlaf erwachte und sich nun zum Herrscher über die Orks der Nebelberge ausgeschwungen hätte. Doch inwieweit sollte man diesen Gerüchten Glauben schenken?

 

weiter in Akt 74:

Menetekel:

 

teilnehmende Abenteurer:

Simin El A Faz (Aran, Assassinin), Laetita Alea Cadin (Alba, Priesterin-Herrschaft), Salfalur Ziltumzwazad (Zwerg, Alba-Zwergenreich, Kr-Schlachtenwüter), James (Erainn, Bestienjäger)

 

Nachdem es nichts mehr zu finden gab verließen sie die Höhle. Oben wartete bereits die etwas geknickt wirkende rüstige Dame auf sie und fragte nach, was mit ihrer Nichte geschehen war. Dabei bedachte sie die Xan-Priesterin keines Blickes. James antwortete ihr, dass Lilia auf der Reise zu ihr von einem Dämonen in Vogelgestalt angegriffen und leicht verletzt wurde. Ihre Wunde wäre bereits versorgt und nun wartete sie an ihrem Haus auf ihre Rückkehr. Martha hakte weiter nach, wieso sie denn überhaupt in diesen schwierigen Zeiten den Weg alleine zu ihr auf sich nahm, doch James zuckte nur mit seinen Schultern. Sie sollte ihre Nichte, was das betraf, doch gefälligst selbst fragen. Prompt wandte sich die Frau um und trat den Rückweg an. Die Abenteurer folgten ihr.

Unterwegs versuchte es James erneut mit gezielten Fragen den wahren Beweggrund für die Behandlung des Orks aus Martha heraus zu bekommen. Martha antwortete ihm, dass sie einst in der Hauptstadt die dortige Heilerschule besuchte und nach ihrem Abschluss den Eid ableistete, jedem Verletzten eine helfende Stütze zu sein. Und diesen Eid nahm sie bis zum heutigen Tage sehr ernst. Aus diesem Grund machte sie auch keinen Unterschied bei der Behandlung der unterschiedlichen Rassen. Ihr wäre es nämlich am liebsten, wenn die gegenseitigen Anfeindungen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Menschenvölkern und den anderen Rassen endlich zu einem gütigen Ende kommen würden. Ihr war es auch durchaus bewusst, dass sie sich hierbei Ärger einhandeln konnte. Darum verließ sie ihr Haus auch ungesehen nach Einbruch der Dämmerung durch ein von der Straße abgewandtes Fenster. Jetzt wusste auch James, um wen es sich bei Martha tatsächlich handelte. Um einen Gutmenschen, der die Realität dieser Welt nicht begriff. Und solche Menschen konnte er nicht ausstehen.

Als sie den Wald verließen kam Lilia bereits angerannt und umarmte mit Tränen in den Augen ihre geliebte Tante. So groß war ihre Sorge um sie gewesen. Martha erklärte ihr, dass sie sich lediglich auf der Suche nach Kräutern im Wald verirrt hätte und dass sie sich keine Sorgen mehr um sie machen müsste. Dann gingen beide in das Haus hinein.

Wenige Augenblicke später trat die ältere Dame noch einmal heraus und überreichte ihnen einige Heilkräuter und Tränke für deren weitere Reise. Ihre Gemütslage schien zwiegespalten. Einerseits waren diese Abenteurer für den Tod ihres Patienten verantwortlich, andererseits hatten sie sich aber auch vorbildlich um ihre Nichte gekümmert.

In der Ferne donnerte es und eine Wolkenfront baute am Horizont auf. Es wurde Zeit einen sicheren Unterschlupf für die Nacht zu finden. So kehrten sie abermals in die Wirtsstube in Somerset Shire ein. Bei einem letzten Umtrunk fragten sie sich ob es richtig gewesen war die beiden Frauen alleine zurück zu lassen, denn immerhin war noch der Hof von Lilias Eltern durch Fremde besetzt gewesen. Auch musste es noch eine andere Gruppe Orks geben, die die von ihnen getöteten Orks überhaupt erst hierher gejagt hatten. Doch sie hatten Wichtigeres zu erledigen. Sie mussten nach Deorsted, da es scheinbar dort das Rätsel um den zu häufig wiederkehrenden Vollmond zu lüften galt.

 

Akt 75:

Der Baum der Wünsche:

 

Zwei Tage später folgten sie einer alten Handelsstraße in Richtung Deorsted durch den Wald von Tureliand. Der Himmel war noch immer zugezogen, als sie etwas abseits des Weges den Eingang einer großen Höhle entdeckten (2x20). Sie hielten an und schauten sich um. Interessanterweise entdeckten sie zur Höhle hin keinen Trampelpfad. Das war merkwürdig. Da dieser Höhleneingang nahezu nicht zu übersehen war, musste dieser Ort zumindest für Reisende ein optimaler Zufluchtsort vor dem Wetter oder eine Unterkunft für die Nächte darstellen.

James wurde neugierig und näherte sich einige Schritte. Der von Pflanzen bewachsene Eingang war kreisrund, so als schiene er von Meisterhand behauen worden zu sein – zumindest erschien ihm dies aus der Ferne so. Waren hier etwa Zwerge am Werk gewesen? Doch diese Mutmaßungen wurden schnell berichtigt. Viele Zwerge arbeiteten zwar in Minen und lebten auch dort, doch nur an Orten, wo es auch Schätze zu finden gäbe. Die meisten Zwerge errichteten aber, im Gegensatz zur landläufigen Vorstellungen vieler, richtige aus Holz und Stein erbaute Gehöfte, Dörfer und Städte.

James blickte abermals in den kreisrunden und dunklen Ausschnitt, doch er spürte keine Furcht vor diesem Loch. Stattdessen übermannte ihn ein Gefühl des Friedens je länger er diesen perfekten Kreis anstarrte. Und dann wurde ihm mit einem Mal bewusst, was dies war. Es war ein Naturheiligtum oder vielleicht eine Linienkreuzung.

Während sich James, Salfalur und Laetita kurzerhand entschlossen in den Tunnel zu gehen, blieb Simin am Eingang zurück. Das Loch erschien ihr nicht geheuer und andererseits musste jemand hier draußen Wache schieben.

Die drei Gefährten folgten dem leicht abschüssigen Tunnel. Doch im Gegensatz zu ihrer ersten Vermutung war dieser nicht behauen worden, sondern natürlichen Ursprungs. Nach etwa fünfzig Metern öffnete sich der Gang zu einer großen von Licht gefluteten Kaverne. Doch wie bei dem Zauber „Bannen von Dunkelheit“ konnten sie auch hier nirgends eine Lichtquelle ausmachen. Der Boden dieses Raumes wurde durch ein flaches Gewässer, welches glasklar und nur kniehoch war eingenommen. In der Mitte dieses Sees befand sich eine kleine mit Gras bewachsene Insel, auf der sich ein mächtiger Laubbaum erhob. Vor dem Baum stand ein dicker Steinblock, der wie eine Art Altar wirkte. Vor ihrer derzeitigen Position aus führte ein begrünter schmaler Pfad zur Insel herüber. Der Rand, der das Gewässer mit den Seiten der Höhle begrenzte, war von vielen Sträuchern und anderen Pflanzen dicht bewachsen.

James sah sich um und erblickte dann in den umgebenen Sträuchern kleine Wesenheiten, die wie Pflanzenmänner aussahen und sie im Auge behielten. Umgehend erkannte er in ihnen Waldrächer. Das waren kleine Naturgeister, die wichtige Orte der Natur schützten und etwaige Täter gnadenlos jagten. Nicht aber um diese umzubringen, sondern um sie laut einer Sage nach zu urteilen selbst auf Ewig in Bäume zu verwandeln. Er machte seine beiden Begleiter auf die Waldrächer aufmerksam, doch diese konnten sie scheinbar gar nicht erkennen.

Sie näherten sich vorsichtig der schmalen Landzunge und schauten ins Wasser. Solch klares Wasser hatten sie lange Zeit nicht mehr gesehen und es erinnerte vielmehr an frisches Quellwasser aus den Gebirgen, als an das stillstehende Gewässer eines Sees. Hin und wieder funkelte etwas Helles durch den Schlick am Grund des Gewässers hindurch, was den Eindruck von Sternen am Nachthimmel erweckte.

Wenig später erreichten sie den steinernen Quader am Fuße des Baumes und sahen, dass irgendwer etwas auf den Sockel eingeritzt hatte. Es war eine Inschrift auf albisch, die da hieß „Danke an den Baum der geilen Sachen. Gezeichnet Beth NiCoren, Balric de Saingere, Matan, Inari KagayakuYama, Bado, Sheldon Macintosh, Arthur de Saingere und Rebus Weingut.“ Sie blickten sich gegenseitig an und sofort war ihnen klar, dass wohl schon einmal eine Gruppe Abenteurer diesen Ort gefunden hatte (siehe: Reihe 0 „Dämonenjäger, Band 1“, Akt 4 „Die verwunschene Höhle“). Der Zwerg inspizierte den Block genauer. Wer auch immer der Steinmetz dieses Altares war, hatte absichtlich nicht versucht die Oberflächen zu glätten, damit dieser Stein etwas natürliches bewahrte. Nirgends fanden sich Blutspuren, was sie beruhigte. Scheinbar wurden hier niemals Menschen oder Tiere geopfert. Lediglich oben auf waren einige kleine Kratzer zu erkennen, so als ob irgendwer schon mehrere Male metallene Werkzeuge dort platziert hatte.

Salfalur konnte seine Neugierde nicht zügeln und platzierte seine Streitaxt auf dem Altar. Sogleich wurde sie in ein gleißendes Licht gehüllt und auch an einer Stelle im See leuchtete ein neuer Lichtschein auf. Als das Licht erlosch lag jedoch nicht mehr seine, sondern eine andere Streitaxt an der Stelle. Diese hatte ein behauenes Blatt aus schwarzem Obsidian und der Griff erinnerte an eine verschlungene und knöchern wirkende Baumwurzel. Etwas irritiert nahm er diese an sich und führte ein paar Schläge in der Luft aus. Sie war zwar etwas schwerer als seine eigentliche gewesen, doch war sie ausgewogen und äußerst leicht zu handhaben.

Jetzt legte auch Laetita ihr Langschwert und James seine Ochsenzunge darauf und auch diese wurden kurzerhand in natürlich anmutende Gegenstände der gleichen Machart eingetauscht. James wollte wissen, was aus seiner Peitsche werden würde. Diese veränderte sich ebenfalls. Der hölzerne Griff ging in eine lange mit Lederbändern umwickelte Schnur aus Sehnen über, an deren Spitze ein kleiner Stein festgeknotet worden war.

Laetita vermutete, dass sie dadurch magisch wurden, ohne dies an Ort und Stelle zu beweisen. Völlig entzückt knöpfte sie ihre Priesterrobe auf, faltete sie zusammen und bettete diese auf den Altar und wartete gespannt, was passieren würde. Als das Licht erlosch lag dort ein Pelzumhang, dessen Kapuze dem Kopf eines Bären bis ins kleinste Detail glich. Ihre Welt brach zusammen, denn wie sollte sie nun in der Öffentlichkeit als eine Priesterin des hiesigen Herrschaftsgottes auftreten?

Der Zwerg lachte auf und knallte seine Rüstung auf den Altar. Wieder erstrahlte diese und zeitgleich ein Ort im Wasser. Dann sah er, was daraus geworden war. Es war eine zwergische Schlachtenwüterrüstung, deren Panzerplatten aus gediegenem und kalt geschlagenem, grob geformten Kupferplättchen bestand. An hervorstehenden Stellen, wie auf der Brust, am Rücken und auf den Schultern waren die Plättchen mit hervorstehenden Dornen versehen, die seinen Feinden selbst im Raufen zum Alptraum werden könnten.

Sie wollten ihr Glück nicht weiter ausreizen und verabschiedeten sich dankend von dem Baum. Draußen erwartete sie bereits ungeduldig Simin, die auf ihre Rückkehr wartete. Nachdem James ihr erzählte, was sie dort drinnen vorfanden, wurde sie hellhörig. Und ihre Neugierde spitzte sich noch weiter zu, als der Bestienjäger die eingetauschten Ausrüstungsgegenstände analysierte und herausfand, dass alle, bis auf die neue Rüstung des Zwergen, magisch waren. Auch spürte er, ganz so als ob ihm dies der Baum in seinen Gedanken verriet, dass ihre Peitsche nun finsteren Kreaturen einen flammenden Schaden zufügen konnte und der Pelzumhang der Priesterin jedweden menschlichen Geruch des Trägers überdecken konnte.

Simin konnte sich spätestens jetzt nicht mehr zügeln und bat die Gruppe zu warten. Dann ging auch sie ins Innere. Dort kniete sie sich erst einmal an das Ufer des Gewässers und nahm einen Schluck vom köstlichen Nass. Sie fuhr dann mit ihren Händen über den Grund. Unter dem aufgewirbelten Schlick war der Grund spiegelglatt, als bestünde dieser aus Glas. Konzentriert blickte sie in die darunter liegende Dunkelheit und erkannte mehrere leuchtende Lichtpunkte. Als sie genauer hinsah, entpuppten sich diese Punkte als Waffen, Rüstungen und andere Gegenstände, die sich jeweils an den Spitzen der Wurzelenden des Baumes befanden. Scheinbar behielt der Baum all die ihm geopferten Gegenstände. War es also irgendwie möglich an diese ganzen Dinge zu gelangen, die sich dort in all den Jahren angesammelt hatten? Sie verwarf diesen Gedanken schnell wieder, denn sie wollte keinesfalls diesen bezaubernden Ort entweihen.

Auf dem Altar opferte sie zwei Dinge. Ihr Krummsäbel wurde eingetauscht und besaß danach dieselbe Obsidianklinge, wie die Waffen ihrer Gefährten. Ihre Garotte hingegen bestand danach aus einer feinen silbrigen Schnur, die an Haar oder gar Seide erinnerte und deren Enden in zwei hölzerne Griffstücke übergingen. Mit diesen Dingen war sie zufrieden und kehrte zum Eingang zurück.

Als sie sich schließlich gemeinsam von der Höhle abwandten und sich danach noch einmal neugierig umdrehten, war der Höhleneingang verschwunden. Irritiert suchten sie die freigewordene Lichtung ab. Das konnte keine Illusion gewesen sein, denn ihre eingetauschte Habe trugen sie noch immer bei sich. Was war hier geschehen?

Dann ging Laetita ein Licht auf. Sie hatte vor vielen Jahren einmal etwas über den sogenannten Baum der Wünsche erfahren. Ein Naturheiligtum, bei dem man bearbeitete aber nicht magische Dinge gegen natürliche und magische Gegenstände derselben Art eintauschen konnte. Angeblich sollte sich dieses Naturheiligtum, welches schon vor der Existenz Albas von den Dunatha verehrt wurde, über die Kraftlinien dieser Welt bewegen und darum nie lange an ein und demselben Ort zu finden sein. Leider konnte sie sich aber nicht mehr an die damit verbundene Sage erinnern (siehe: Reihe 0 „Dämonenjäger, Band 1“, Anthologie „Der Baum der Wünsche“).

 

Akt 76:

Der mit dem Wolf tanzt:

 

Der Himmel zog sich immer weiter zu und das Donnergrollen der vergangenen Tage intensivierte sich. Bald würde es zu regnen beginnen. So beeilten sie sich eine sichere Zuflucht vor dem drohenden Sturm zu finden. Doch leider wurden sie bei ihrem Unterfangen ausgebremst, denn die neue Rüstung des Zwergen behinderte ihn in seiner Bewegungsfreiheit.

Doch Laetita hatte den rettenden Einfall. Sie hatten zwar erst die Hälfte ihrer Reise bis nach Deorsted zurückgelegt, doch vor ihrem Aufbruch aus dem Kloster hatte sie sich die Karte dieses Landesteils genau eingeprägt. Irgendwo vor ihnen musste sich das Dörfchen Wulfenforest befinden. Und wo es Menschen gab, da gab es auch eine Möglichkeit einzukehren.

Sie beschleunigten ihre Schritte bis sie am frühen Abend auf einer Hügelkuppe, die den Waldrand bildete, kurz halt machten. Vor ihnen konnten sie in die seichte und etwas unter ihnen liegende Talsenke mit dem Weiler blicken. Aus dem südlichen Wald war das Schlagen einer Axt und das Geräusch mehrerer Sägen zu hören, während der nördliche Wald ruhig war. Auf den gerodeten Feldern rund um das Dorf, die wohl mühselig dem Wald abgetrotzt worden waren, wurde noch hart gearbeitet. Als sie sich Wulfenforest näherten, fiel ihnen die neue Palisade mit den Wachtürmen am Nord- und Südtor auf. Eine kleine Hochmotte lag innerhalb des Dorfes auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel gelegen, an deren Fuße ein kleiner Bachlauf das Dorf in Nordost/Südwestrichtung passierte. Die etwa vierzig Häuser waren alle aus Holz gebaut und viele Obstbäume und Gemüsegärten waren sowohl innerhalb als auch außerhalb der Palisade auszumachen.

Die Priesterin wusste, dass der hier ansässige Syre Dalston MacTuron hieß, welcher auch den Titel Syre ap Wulfenforest trug. Dieser war zugleich auch dem Laird von Turonsburgh Dagelrod MacTuron hörig und untertänigst.

Als der erste Nieselregen zu Boden fiel brachen die Bauern ihre Arbeit auf den Feldern ab und marschierten in Richtung des nächsten Tores. Die Abenteurer folgten ihnen und kamen sich zugleich auch von den Bauern begafft vor. Ihre Gruppe war nämlich ein bunt zusammen gewürfelter Haufen von Abenteurern aus den unterschiedlichen Ländern und so etwas hatte die hiesige Bevölkerung wohl sehr selten bisher gesehen.

Am Tor angekommen versperrte ihnen eine Wache mit einem leichten Speer in den Händen den Weg und begrüßte sie. Sie blickte ein jeden von ihnen an und fragte nach dem Grund für ihren Besuch. Laetita ergriff das Wort und stellte sie vor. Sie wären nur auf der Durchreise und eigentlich auf dem Weg nach Deorsted, um die dort stattfindenden Hexenprozesse auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen. Das schien die Wache zufrieden zu stimmen, auch wenn dieser die Xan-Priesterin noch einmal genauer wegen ihres Pelzes musterte. Laetita entgegnete, dass sie unterwegs auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stießen und nachdem die Torwache ihre heiligen Symbole an der Halskette bemerkte, machte er ihnen den Weg frei. Allerdings hatten sie ebenfalls noch einige Fragen an ihn. So stellte Laetita ihm die Frage, ob es im Dorf einen Priester gäbe. Er bejahte dies und verwies sie an den Xan-Priester Bruder Aelfred, der zu dieser Zeit sicherlich im kleinen Kapellchen auf dem Dorfplatz anzutreffen war. Dann erkundigte sich die Wache noch nach ihrer Reise und ob auch sie von den wilden Wölfen im Wald angegriffen wurden. Hier hatten sie nämlich seit einiger Zeit Probleme mit einem aggressiven Wolfsrudel, dem schon einige Menschen in den vergangenen Jahren zum Opfer fielen. Doch er wechselte schnell das Thema, denn diese Gruppe hätte kaum zu einem geeigneteren Zeitpunkt eintreffen können, denn ausgerechnet heute fand die Einweihung ihres ersten Wirtshauses, des „Wilden Wolfs“ statt. Das einzige Manko an dieser eigentlich frohen Kunde war, dass dieses von einem Pack käuflicher Totschläger (Söldner) betrieben wurde, was einige für nicht gut hießen. Dazu käme noch, dass heute im Laufe des Tages einer dieser „kompletten Volltrottel“, ein Narr, hier Einzug gehalten hatte und sich dort ebenfalls einquartierte. Zu guter Letzt gab er ihnen noch den Ratschlag, ihre Waffen nicht innerhalb der Palisaden zu ziehen, mit auf dem Weg. So etwas sähe der Syre nämlich gar nicht gerne.

Dann setzte ein kurzer aber starker Regenschauer ein und die Wache presste sich dicht unter das Torhaus, um nicht nass zu werden. Und nachdem sie sich vergewisserte, dass niemand mehr vor dem Tore war, schloss sie es und legte einen schweren Balken in die Angeln.

Der Schauer währte nur sehr kurz und da das Dorf sehr klein war standen die Abenteurer schnell auf dem Dorfplatz, auf dem mehrere Bäume und ein großer Brunnen standen. Alle wichtigen Gebäude wie der Gasthof, die Hochmotte, das große Haus des einzigen Händlers sowie einige Häuser der etwas Wohlhabenderen standen hier.

Vor dem Gasthaus stand ein Zigeunerwagen, auf dem in bunten Buchstaben „Jack Jester – King of Fools and Fool of Kings“ geschrieben stand. Zwei Ochsen grasten in einiger Entfernung und ein kunterbunt gekleideter, kleinerer Mann spielte bis vor wenigen Augenblicken noch mit einigen Dorfkindern. Dann spannte dieser die Ochsen vor den Wagen, sprang mit einem Satz auf den Sitz und fuhr mit einem Peitschenknall und unter dem Klatschen und Jubel der noch im Niesel stehenden Kinder die fünf Meter in den Hof des „Wolfs“ hinein. Da es so tat, als ob die langsamen Ochsen einen Galopp hinlegten, sah die Szene sehr komisch aus. Dann verbeugte sich Jack Jester kurz und marschierte mit Stolz geschwellter Brust ins Gasthaus.

Doch mit dieser Szene konnte er die Gruppe Recken nicht beeindrucken. Sie sahen sich nur kurz gegenseitig an und trennten sich dann. Während Salfalur und Simin Jack in das Gasthaus folgten, betraten Laetita und James die kleine hölzerne Kapelle zwei Häuser weiter.

Die Kapelle war klein und nur vier Bänke boten Platz für ungefähr zwanzig Gläubige. Die Fenster waren nicht verglast, sondern nur mit Fensterläden versehen und der Boden bestand aus festgetretenem Lehm. Hinter dem Altar saß Bruder Aelfred an einem kleinen Beistelltisch und arbeitete gerade an ein paar Schriftstücken. Als er die beiden Gäste näher kommen sah, stand dieser sofort auf und begrüßte die Fremden. Laetita und James taten es ihm gleich und kamen dann ohne Umschweife aufs Eigentliche zu sprechen. Was wusste er denn über die Hexenprozesse, die zurzeit in Deorsted stattfanden? Aelfred dachte nur sehr kurz nach, bevor er antwortete. Von diesen Hexenprozessen hatte auch er gehört, sich aber bis jetzt noch nicht damit beschäftigt, weil er sich in erster Linie um seine eigene Gemeinde sorgte. Es gab nämlich zurzeit sehr viele Komplikationen. Und Deorsted sollte nur das Epizentrum dieser Prozesse darstellen, da es in den Nachbargemeinden der großen Stadt, wie zum Beispiel in Angus, zu ähnlichen Jagden kam. Erst jetzt bemerkte er Laetitas Kette, die sie ebenfalls als gleichgesinnte Priesterin auszeichnete und so trug sie auch ihm ihre (etwas abgewandelte) Geschichte vor, weshalb sie nunmehr keine Robe trug. Hätte er womöglich eine Robe für sie? Dies musste Bruder Aelfred, so Leid es ihm tat, leider verneinen. Seine Gemeinde war arm und darum musste er jeden Groschen zweimal umwenden. Die Robe, die er trug, war die einzige, die sich in seinem Besitz befand. Doch er hatte noch ein Rochette für die Helfer beim Abendmahl, die er ihr für die Dauer ihres Aufenthaltes hier zur Verfügung stellen konnte. Besser als nichts, dachte sich Laetita und nahm diese dankbar an. Doch wenn sie sich eine neue Robe anfertigen lassen wollte, dann könnte er ihr Brianna Cogefill empfehlen. Diese Frau wohnte in der Nähe des Nordtores und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Trotzdem war sie handwerklich überaus begabt. Nachdem Laetita ihren Pelz abgelegt und sich das weiße Kirchenkleid übergeworfen hatte hakte sie noch einmal nach, um welche Probleme es genau ging. Jetzt wurde Aelfred etwas nachdenklicher. In letzter Zeit häuften sich nämlich die Gespräche der Bewohner, die ihn aufsuchten, ihre Probleme schilderten und ihn um Rat fragten. So geht derweil das Gerücht herum, dass es sich bei den Wölfen im nördlichen Wald um besonders intelligente Vertreter ihrer Art handelte. Dann kam einigen Bewohnern dieser neu eingetroffene Jack Jester äußerst ominös vor. Vor allem, weil er sich den ganzen Tag mit den Kindern beschäftigte. Er selbst wollte ihm nichts unterstellen und vertröstete die Eltern, dass es doch gut wäre, wenn die Kinder mal ein wenig Abwechslung vom Alltagstrott hätten, obwohl er die Sorgen und Nöten der Eltern natürlich auch vollkommen nachvollziehen konnte. Warum sollte sich denn überhaupt ein fremder erwachsener Mann mit den Dorfkindern herumtreiben? Wenn es dieser selbsternannte Narrenkönig auf eine Anstellung beim hiesigen Syre abgesehen hatte, dann würde er hier definitiv keinen Erfolg haben. Syre Dalston MacTuron würde sich nämlich keineswegs für vagabundierende Hofnarren interessieren. Und zu guter Letzt gäbe es noch die Söldner, die hier seit etwa einem Jahr lebten. Ein Teil des Dorfes würde sich zwar über das neue und vor allem erste Wirtshaus hier freuen, aber der andere Teil hält sie für potentielle Störenfriede, auch wenn es bis jetzt noch nicht zu irgendwelchen Vorkommnissen mit ihnen kam. Laetita bedankte sich bei ihm für dieses aufschlussreiche Gespräch und warf beim Verlassen der Kapelle vier Goldmünzen in die Kollekte an der Eingangspforte. Als sie draußen waren mutmaßten sie, dass Jack Jester wohl durch die Kinder sehr vieles über diesen Weiler in Erfahrung bringen konnte. Darum stellte dieser mit ziemlicher Sicherheit eine gute Informationsquelle für sie dar.

Salfalur und Simin betraten gerade das Gasthaus während Artair MacTuron, der Offizier der Söldner, seine Rede mit den Worten „und darum gebe ich jetzt und hier die erste Lokalrunde für die Neueröffnung unserer Wirtsstube aus“ beendete. Salfalur konnte sein Glück kaum fassen. Es gab Freibier! Nachdem sie ihre Getränke erhielten schauten sie sich kurz im Raume um, ehe sie sich an noch freie Plätze am hintersten Tisch setzten.

Der Gasthof war aus Holz gefertigt und zweigeschossig. Da es wohl zugleich das Hauptquartier der Söldner war, wurde wert auf eine gute Verteidigung gelegt. So gab es neben von innen verschließbaren Fenstern auch ein paar Schießscharten. Das Dach des Gebäudes trug einen kleinen Turm mit einer Plattform, auf der zwei Mann stehen konnten. Direkt an das Haus war ein Stall für Pferde und eine Scheune gebaut. Die Wände der Kneipe waren mit Waffen, Schilden, Rüstungsteilen und Wolfsfellen geschmückt. In der Mitte der Gaststube stand auf einem niedrigen Podest ein großer, schwarzer, ausgestopfter Dunkelwolf, der zur Eingangstüre blickte und seine großen Fangzähne fletschte. Er sah täuschend echt aus und mehr als einem Gast lief es beim Anblick der Kreatur ein kalter Schauer über den Rücken. Im hinteren Teil des Gebäudes mussten sich die Wirtschaftsräume und die Schlafstätten der Söldner befinden. Die dreißig Gäste fassende Schankstube war bis auf den letzten Platz belegt und von hier aus führte eine schmale Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo sich die Gästezimmer befinden mussten. Alles wirkte noch wie neu und gerade fertiggestellt. Die Toiletten befanden sich im Hinterhof, der mit einer Mauer abgetrennt war, so dass der Stall, die Scheune und das Gasthaus den Hof begrenzten. Die gut zweieinhalb Meter hohe Mauer, die zusätzlich das ganze Grundstück umschloss, war zudem mit einem Wehrgang versehen.

Doch schon wurden sie von einem Trunkenbold, der sich als Brann, der mit dem Wolf tanzt, vorstellte, angesprochen, der neben ihnen am Tisch saß. Sie ergriffen diese Möglichkeit, um von dem kleindörfischen Quotenalkoholiker, der ihrem Scherz nach hier schon trank bevor das Gasthaus um ihn herum errichtet wurde, mehr über das Dorf in Erfahrung zu bringen. Sie interessierte vor allem die hiesige Geschichte, weil das Thema Wolf hier sehr präsent erschien. Und so drückte Brann ihnen eine Geschichte nach der anderen ins Ohr.

Das Dorf war gerade erst zwei Generationen alt und erhielt seinen Namen wegen dem aggressiven Wolfsrudel im nördlichen Wald. Doch heutzutage war es jedem verboten diesen Teil des Waldes zu betreten, damit man nicht den Zorn der Tiere heraufbeschwört, dem schon so einige zum Opfer fielen. Vor sieben Sommern war es dann, dass ein Wahnsinniger ins Dorf stürmte und lauthals Verwünschungen ausrief. Die Wölfe sollten sie alle reißen! Niemand kannte den Fremden und danach kehrte wieder Ruhe ein. Zumindest bis vor einigen Tagen, als die Wölfe wieder aktiver wurden. Er hatte es selbst am eigenen Leib erfahren! Dort schlenderte er einfach so in das Wolfsgebiet und legte sich gemütlich schlafen. Aber er war ganz nüchtern gewesen, betonte er hierbei extra. Als er wieder aufwachte war er splitterfasernackt und blickte in die Augen eines monströsen wolfartigen Wesens. Er tat das einzig Richtige. Er flüchtete nicht, sondern umtanzte den Wolf. Dadurch konnte er diese wilde Bestie so sehr verwirren, dass sie Reißaus nahm. Und so erhielt er seinen Titel „der mit dem Wolf tanzt“, auf den er sehr stolz war.

Zu Salfalurs und Simins Erleichterung betraten in diesem Moment James und Laetita den Gastraum, sodass sie ein gutes Argument hatten, sich von Brann abzuwenden. Sie stießen gemeinsam an und unterhielten sich über dieses Etablissement. Nicht nur die Einrichtung war merkwürdig, sondern auch die Tatsache, dass sich der Offizier der Söldner selbst als Wirt versuchte und seine sechs gleich gekleideten Untergebenen die Gäste bewirteten. Diente dieses Haus also eigentlich als deren Hauptquartier und versuchten sie hiermit neue Leute für ihr Haupterwerb anzuwerben? So standen die Aranerin und der Bestienjäger etwa zeitgleich auf, um Informationen einzuholen, während der Zwerg und die Priesterin am Tisch zurückblieben.

James ging zu dem ausgestopften Dunkelwolf herüber und streichelte diesen. Ohne Zweifel war dies ein echter Dunkelwolf gewesen. Doch mit dem Streicheln verfolgte er noch einen weiteren Zweck, denn damit untersuchte er die Figur nach etwaigen Geheimnissen ab. Leider wurde er dabei nicht fündig.

Simin ging währenddessen zur Theke hin und verwickelte den Söldneroffizier in ein Gespräch. Artair war offen für ein Gespräch, denn bis jetzt hatte sich noch niemand für ihre Geschichte interessiert. Vor etwas über einem Jahr zogen sie mit vierzig Mann auf eine Orkjagd ins Nebelgebirge. Leider wurden sie selbst in einen Hinterhalt gelockt, als Orks, Wolfsreiter und sogar ein Hügeltroll sie in die Zange nahmen. Sie konnten diesen Kampf zwar für sich entscheiden, mussten aber herbe Verluste hinnehmen. Darum zogen sie sich zurück, um sich für eine spätere Mission neu zu formieren und aufzustellen. Diese Ortschaft wurde erst vor wenigen Jahren gegründet und um neue Bewohner anzulocken wurden großzügige Hilfeleistungen in Naturalien und sogar in Form von baren Münzen versprochen. Aus diesem Grund hatten sie sich auch ausgerechnet hier niedergelassen. So stießen die beiden freudig noch an der Theke sitzend auf die Tötung von Orks an. Denn nur ein toter Ork war ein guter Ork.

Unweit entfernt fand sich auch James in einem Gespräch mit einem der beiden Feldwebeln der Söldner, Penrith MacFeoch, wieder. Laut dessen Aussage kamen sie vor rund einem Jahr hierher und errichteten dieses Hauptquartier hauptsächlich um neue Leute anzuwerben. Für getötete Orks zahlten reiche Kaufleute wegen der Sicherstellung der Handelsrouten nämlich gutes Geld. Und zudem könnte man Orkohren noch in den Magiergilden verkaufen, mit denen sie womöglich irgendeinen Zauberkram anstellten. Dieser Schankraum stellte nur ein Nebengewerbe dar, um zusätzliche Einnahmen für neue Rekrutierungen und Ausrüstungen zu generieren. Jetzt hakte Simin etwas weiter nach. Wenn die Wolfsaktivität hier laut Hörensagen seit einem Vorfall von vor sieben Jahren zugenommen hatte und sich ihr Söldnertrupp selbst „die Wilden Wölfe“ nannte, warum jagen sie dieses Rudel dann nicht einfach? Penrith lachte herzhaft auf, bevor er weitersprach. Das hatten sie selbstverständlich auch schon vorgeschlagen, doch leider hatte Themore, der Hofheiler des Lairds, vor einigen Jahren die Wolfsjagden in diesen Wäldern für verboten erklärt. Auch wenn seine Männer sich bis heute die Frage stellten warum ein Heiler über derartige Befugnisse verfügte. James bedankte sich bei seinem Gesprächspartner und ging dann zurück zu ihrem Tisch. Ihm war diese ganze Sache nicht geheuer, denn zu viele Dinge erschienen ihm unlogisch.

Am Tisch tauschten James und Simin ihre neuen Informationen mit ihren Gefährten aus. Angeblich waren diese Söldner im Nebelgebirge unterwegs gewesen, doch die ersten Ausläufer dieses Massivs waren ungefähr 200 Kilometer von hier entfernt. Für James klang diese Erzählung wie an den Haaren herbei gezogener Schwachsinn. Er nahm an, dass diese Ausflüchte einfach nur von einem Geheimnis ablenken sollten. Wahrscheinlich handelte es sich bei den sieben Söldnern in Wahrheit um irgendeinen Kult oder noch schlimmer: um Werwölfe! Doch konnten sich Werkreaturen bei einem solch unvorhersehbaren Mondzyklus, wie in jüngster Zeit, überhaupt noch ein „normales“ Leben leisten ohne entdeckt zu werden? War womöglich gar ein Großteil der Dorfgemeinschaft in dieses Geheimnis eingeweiht? Und war aus diesem Grund das Thema Wolf hier so präsent?

Sie überlegten eine Zeit lang, bis sie sich eine wichtige Frage stellten. Was wussten sie denn eigentlich über Werwölfe? Dabei konnte ihnen James weiterhelfen, denn als Bestienjäger verfügte er in dieser Hinsicht über weitreichende Kenntnisse, die er nur zu gerne bereit war mit ihnen zu teilen: Werwölfe waren eigentlich Menschen, die unter der als Lykanthropie bekannten Krankheit litten. Sie besaßen einen normalen, unscheinbaren Körper und darüber hinaus noch eine wolfsartige Gestalt. In ihrer menschlichen Form waren sie sterblich, wie jeder andere Mensch auch. Aber in ihrer Werform könnte man sie nur mit Waffen verletzen, aber nicht töten, denn dafür benötigte man schon magische oder versilberte Waffen. Die Lykanthropie befiel in den meisten Fällen Menschen und war nicht über die Rasse hinaus ansteckend. Außer bei Menschen und Halblingen, da sie sich sehr ähnelten. Eine durch Blutkontakt übertragene Lykanthropie würde nicht vererbt, sondern allenfalls nur durch Blutkontakt weiter gegeben. Bei Menschen, denen diese Krankheit vererbt wurde, entschiede sich in der Pubertät, ob sie ausbräche oder nicht. Bräche sie aus, so verwandelte sich diese Person unter bestimmten Umständen in das Werwesen. Und bräche sie nicht aus, so wäre diese Person noch immer Träger dieser Erkrankung und könnte diese auch an die nächste Generation weitervererben, selbst wenn er sich selbst nie verwandeln würde. Die Verwandlung in ein Wertier ginge häufig mit Gedächtnisverlust einher. Auch wenn sich die jeweilige infizierte Person ihrer Krankheit bewusst wäre, könnte sie die Verwandlung in das Werwesen oder wieder in einen Menschen nur sehr selten steuern. Früher oder später gewänne das Triebhafte die Oberhand. Die Verwandlung erfolgte in den häufigsten Fällen bei Vollmond. Aber auch sehr stressige Situationen könnten das Werwesen hervorrufen. Somit könnte ein Werwolf selbst bei Tageslicht aktiv sein.

Je später der Abend wurde, desto mehr stieg der Alkoholpegel der hier feiernden Meute und desto ausgelassener wurde die Stimmung im Raum. Jack Jester saß am Nebentisch und haute unter anhaltendem Grölen der männlichen Beisitzer einen versauten Spruch nach dem anderen heraus, die allesamt unter die Gürtellinie gingen. Dann stand er auf und leerte seinen Becher in einem Zug. Er verkündete heute Abend keine weitere Vorstellung mehr zu geben und verabschiedete sich danach auf sein hier im Obergeschoss angemietetes Zimmer.

Laetita wandte sich Brann zu und fragte ihn bezüglich Brianna (weil sie die Frau fragen wollte, ob sie für sie eine neue Priesterrobe anfertigen könnte). Brann zog eine Grimasse und hauchte ihr nur zu, ob sie bereit wäre die Geheimnisse dieser Frau zu erfahren. Natürlich wollte Laetita dies wissen! Allerdings verlangte der Trunkenbold vorab ein neues Bier für diese Information. Schnell schob sie ihm ihr Bier zu, von dem sie noch so gut wie gar nichts getrunken hatte und dann beugte sich Brann zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: So munkelte man hinter vorgehaltener Hand im Dorf, dass Männer bei Brianna gewisse Dienste in Anspruch nehmen könnte. Das war nun wirklich gar nicht diese großartige Information, die sich die Priesterin erhoffte. Da Brann ihren Unmut bemerkte, erklärte er ihr noch im Vollsuff, wo sich ihr Haus am Nordtor befand. Daraufhin stand Laetita auf und verließ das Gasthaus. Trotz dieser späten Stunde wollte sie noch diese Frau kennenlernen, um sie für den Auftrag eine neue Robe für sich anfertigen zu lassen, anzuheuern.

Die Priesterin schloss gerade die Eingangstüre hinter sich, da zersprang eine der Butzenglasscheiben des Fensters hinter dem Tisch, an dem die anderen Abenteurer saßen. Im selben Moment stöhnte Brann ein Mal kurz auf, sackte zusammen und schlug heftig mit seinem Kopf mit dem Gesicht voran auf dem Tisch auf, wo sich sofort eine Blutlache ergoss. Die Spitze eines Pfeiles hatte sich durch seinen Schädel gebohrt und schaute nun triefend auf der Rückseite heraus (20). Schreie ertönten und das ganze Gasthaus brach in Aufruhr auf, als die Personen in der Nähe erschraken und verängstigt von ihren Bänken aufsprangen.

Simin schaltete geschwind, blickte sich um und meinte durch das Fenster hindurch auf einem gegenüber liegenden Dach einen Schatten zu erkennen, der sich davon stahl. Sie preschte durch die Menschenmenge hindurch nach draußen in die Dunkelheit, um umgehend die Verfolgung des Unbekannten aufzunehmen.

Vor den aufgewühlten Zeugen dieses grauenerregenden Anblicks beugte sich Salfalur über den Toten, mit dem sie noch vor wenigen Minuten plauderten. Die metallene Spitze des Geschosses hatte Widerhaken und verströmte einen unangenehmen stechenden Geruch. Zweifelsfrei war dieser vergiftet gewesen. Doch mit einer Sache irrte er bei seiner ersten Vermutung. Dies war kein Pfeil, sondern der Bolzen einer Armbrust. Irgendwer wollte wohl sichergehen, dass Brann diesen Anschlag keinesfalls überlebte. War er also nicht bloß ein Trunkenbold, sondern besaß auch Wissen, welches irgendwem zum Verhängnis werden konnte, selbst wenn er selbst sich dessen gar nicht bewusst war? Und die Spitze war auf den ersten Blick so gut gearbeitet, dass er Orks als Täter definitiv ausschließen konnte.

Laetita war gerade auf dem Weg in Richtung Nordtor, als ein laut keuchender Mann ihr entgegen rannte. Nichtsahnend ließ sie sich davon nicht beirren und schritt weiter. Erst als sie hinter sich aus dem „Wilden Wolf“ Schreie vernahm, nahm sie die Beine in die Hand und beeilte sich zu ihrer Gruppe zurück zu kommen.

Im Gasthaus wurde die Eingangstüre aufgestoßen und ein völlig verstörter Waldarbeiter stürzte zitternd und schreiend ins Gasthaus. Er brüllte: „Tot! Er ist tot! Der Wolf hat ihn zerrissen! Er verfolgt mich! Tot!“ Dann brach er schweißgebadet auf dem Fußboden zusammen. Die Söldner zögerten nicht lange, ergriffen die Waffen und Schilde von den Wänden und nahmen Positionen an Fenstern und der Eingangstüre ein.

Nur ein Wimpernschlag später stieß auch Laetita hinzu und erblickte den auf dem Boden versunkenen Mann, der vorhin noch an ihr vorbei gerannt war. Sie kümmerte sich um ihn und half ihm sich hinzusetzen. Und nachdem sie ihm etwas zu Trinken reichte konnte er auch erzählen, was genau ihn so verschreckt hatte.

„Oh Xan, hilf uns! Ich hörte einen Todesschrei und stürzte zum Fenster. Da sehe ich, wie ein riesiger Wolf über dem zerrissenen Odon MacFeoch kauert und ihn mit wütendem Knurren die Brust zerreißt. Ich schreie auf und da blickt die Wolfsbestie direkt in meine Augen, als könnte sie meine Seele lesen. Ich schlage schreiend den Fensterladen zu und höre noch wie sich die Bestie gegen den Laden schmeißt, bevor ich die Tür erreiche und direkt hierher gelaufen bin. Xan sei Dank, sie hat mich nicht erwischt!“ Dann brach er abermals zusammen.

Abermals ließen die Söldner um Artair keine kostbare Sekunde verstreichen und marschierten hinaus, um am Nordtor beim Haus des Waldarbeiters nach dem Rechten zu sehen. Laetita folgte ihnen, da sie nun diesen verängstigten Mann, der diese Geschichte erzählte, in Sicherheit wusste.

In der Zwischenzeit hatte Simin das nebenstehende Gebäude bereit umrundet, von dessen Dach aus der unbekannte Schütze seinen hinterhältigen Angriff verübte. Doch die Tatsache, dass sie in der Dunkelheit der aufkommenden Nacht kein Licht mit sich führte erschwerte ihre Spurensuche erheblich. Als dann noch der Regen einsetzte war es kaum mehr möglich etwas ausfindig zu machen, was auf den Täter hindeutete. Früher oder später würde der Regen jedwede Spuren beseitigen. Und da sie keine Sterne sah, war der Himmel wohl so dermaßen bedeckt, dass es den Rest der Nacht hindurch regnen würde.

Unweit vom geschlossenen Nordtor entfernt erreichte die Gruppe Söldner mit der Priesterin Laetita triefend vor Nässe das Haus des Getöteten. Und wie es der Mann im Gasthaus erzählte, lag Odon in der Regennassen Erde wenige Meter vor seinem schützenden Zuhause. Seine Kehle war gänzlich aufgebissen und die Brust zerrissen. Das heraus geflossene Blut vermischte sich auf dem Boden mit dem sich ansammelnden Regenwasser. Er hatte bei diesen multiplen Verletzungen keine Chance gehabt diesen Angriff zu überleben. Alles deutete auf den ersten Blick auf einen Wolf hin. Doch wenn es tatsächlich ein Wolf gewesen war, so musste sich dieser noch immer innerhalb der Siedlung befinden, da zu dieser Zeit beide Tore in der Palisade geschlossen waren. Laetita wirkte den Spruch „flammende Hand“, um sich mit ein wenig mehr Licht den Toten genauer anzusehen. Um den Hals trug Odon MacFeoch eine dünne Lederschnur, an der ein Zahn befestigt war. Und neben seinem Kopf im Schlamm lag noch ein zweiter Zahn. Letzteren nahm sie an sich. Da erspähte sie auch die unverwechselbaren tiefen Spuren eines großen Hundes um den Leichnam herum, die von hier fort führten. Scheinbar war der Wolf nach seinem Angriff ebenfalls in Richtung des Marktplatzes gelaufen. Schnell überzeugte sie die Söldner der Spur zu folgen und so machten sie sich auf den Rückweg. Doch hätte sie dann nicht vorhin den Wolf sehen müssen? Immerhin gab es vom Tor aus nur eine Straße, die zum großen Platz in der Mitte von Wulfenforest führte.

Am Marktplatz angekommen stießen sie dort bereits auf Salfalur und Simin. Leider endeten auch hier die Wolfsspuren, da die aus dem Gasthaus fliehenden Menschen und auch der Regen diese bereits bis zur Unkenntlichkeit verwaschen hatten. Sie ärgerten sich. Ausgerechnet heute schien der Vollmond nicht, denn etwas mehr Licht hätten sie in dieser Situation gut gebrauchen können. Mittlerweile hatte Laetita auch ihre eigene Theorie, wer dieser Wolf war. Es musste sich einfach um den zusammengebrochenen Mann im Gasthaus handeln, den angeblich einzigen Zeugen dieser Tat. Bestimmt hatte sich dieser nach der Tötung des Waldarbeiters wieder in einen Menschen verwandelt, als er ihr unterwegs begegnete, um keinen Verdacht zu erregen. Und er hatte diese Tat von langer Hand geplant, sonst hätte er nicht ausgerechnet in dem Moment zugeschlagen, an dem die halbe Dorfgemeinschaft im Wirtshaus versammelt war. Ein fast perfekter Mord! Diese Theorie unterbreitete sie auch ihren Kameraden.

Dann näherten sich durch den Regenschleier Lichter von der Hochmotte her. Es waren vier Wachen mit Laternen und sie waren ebenfalls bewaffnet. Erzürnt und mit lauten Worten bauten sie sich vor Artairs Trupp auf und fragten „Was soll dieser Tumult, ihr mieses Söldnerpack?“ Als daraufhin ein lautes Wortgefecht zwischen den Wachen und den Söldnern ausbrach war dies der perfekte Zeitpunkt für die drei Abenteurer ungesehen zu verschwinden, um eigene Nachforschungen anzustellen.

Die Gefährten begaben sich zum Tatort, wo der Tote noch immer lag. Der Priesterin schmerzte dieser Anblick sehr, denn zumindest im Tode sollte man einen Menschen mit etwas mehr würde behandeln und ihn nicht hier einfach draußen im Regen liegen lassen. Sie wandten sich seinem Haus zu und zu ihrer Überraschung war die Eingangstüre lediglich angelehnt. Also gingen sie hinein, um sich hier etwas umzusehen.

Das Erdgeschoss dieses kleinen Hauses bestand lediglich aus einem einzigen Raum. Und bis auf eine kleine Kochnische, eine einfache Bettstatt, einen Tisch mit einem davor umgefallenen Stuhl und eine Kleidertruhe gab es sonst keine weiteren Möbelstücke. Aber eine Leiter führte hinauf zu einer Luke unters Dach. Jetzt wo sie im Trockenen waren holte Laetita den neben dem Getöteten gefundenen Zahn hervor und zeigte ihn ihnen. Von der Form her stellte der Zahn eine Mischung aus Wolfs- und Menschenzahn dar (1). Doch war das überhaupt möglich? War der Angreifer also tatsächlich ein Werwolf gewesen und hatte diese schreckliche Tat dann noch während seiner Verwandlung in eine Werkreatur verübt? Sie mussten ihn bei der nächsten Gelegenheit James zeigen und ihn fragen, was er dazu meinte.

Simin kletterte anschließend die Leiter zum Dachboden hinauf und ließ sich dann von Laetita die angezündete Kerze vom Tisch reichen. Währenddessen öffnete Salfalur die Kleidertruhe und stöberte darin herum. Unter vielen einfachen bäuerlichen Kleidungsstücken fand er noch ein Paar gute Lederstiefel. Doch auf ein Geheimversteck wie einen doppelten Boden, der Hinweise auf etwaige Geheimnisse lieferte, stieß er zu seinem Bedauern nicht.

Unter dem teils morschen Dachgebälk kroch Simin durch den niedrigen Dachboden. Alles war verstaubt. Die Mitte dieses Raumes wurde durch einen schweren, dunklen Vorhang verhangen, der ihr Interesse weckte. Dann hörte sie es. Ein leises, tiefes Schnauben, welches von hinter dem Vorhang erklang. Neugierig kroch sie durch das Dunkel darauf zu. Die Bretter unter ihr knarrten. Als das Unwetter draußen sich intensivierte prasselte der Regen nur so auf das alte Dach über ihr und einige Wassertropfen fanden ihren Weg durch die Ritzen der hölzernen Schindeln und benetzten sie. In dieser alptraumhaften Atmosphäre erreichte Simin den Vorhang. Wenn etwas dahinter auf sie lauerte, dann könnte sie hier nicht einmal mehr ihre Waffen ziehen. War ihr Vorhaben leichtsinnig? Mit ihrer freien Hand packte sie den Stoff und riss ihn zur Seite. Dann fiel all ihre Anspannung auf einmal ab. Vor ihr war nur die Wand unterhalb des Giebels gewesen und der Wind des draußen tobenden Sturmes pfiff lediglich durch ein kleines undichtes Fenster, was wie das Schnauben eines wilden Tieres klang. Gleichzeitig enttäuscht und frohen Gemütes schlug sie das Fenster fest zu und kletterte wieder hinab.

Im Erdgeschoss nahm sich die Priesterin dann das Laken vom Bett und schritt zur Türe. Sie wollte nämlich damit den Toten draußen abdecken, damit ihn nicht jeder sehen konnte. Der Anblick müsste Kindern auf jeden Fall erspart bleiben. Als sie die Haustüre öffnete, um gerade ins Freie zu treten, da stand plötzlich ein Mann vor ihr. Dieser trug eine gute Lederrüstung und hatte sowohl die Söldner, als auch die Wachen im Schlepptau. Wer auch immer dieser Mann war, er strahlte solch eine Autorität aus, dass es ihm möglich gewesen war die sich noch vorhin auf dem Marktplatz streitenden Gruppen von Kriegern zu einer gemeinsamen Gefolgschaft zu bewegen. Mit kurzen Worten stellte er sich als Trymian MacTuron, den Leutnant der Burgwache vor. Dann verfinsterte sich dessen Mine. Was hatten sie hier im Haus des Opfers zu suchen!? Doch dann traten die Söldner hinter ihm an ihn heran und versicherten Trymian, dass diese drei Personen nichts mit diesem Mord zu schaffen haben konnten. Sie waren zum Zeitpunkt der Tat im „Wilden Wolf“ gewesen, was jeder von ihnen bezeugen konnte. Mit dieser Erklärung begnügte er sich. Er wandte sich anschließend an die Wachen und befahl ihnen die beiden Toten zum Bergfried zu bringen, damit sich dort Bruder Aelfred in der Burgkapelle ihrer annehmen konnte. Nachdem die Abenteurer seiner Aufforderung das Haus zu verlassen nachgekommen waren, ging ein jeder seines Weges.

Im Gasthaus war es still geworden. Es wirkte beinahe wie ausgestorben. Die Abenteurer waren nun noch die einzigen Gäste, die im Schankraum anzutreffen waren. Die Söldner hatten ihre durchnässte Kleidung abgelegt und nachdem sie die Stube gereinigt hatten, setzten sie sich an den ersten Tisch. Sie waren wütend über die Vorfälle an diesem Abend gewesen, denn eigentlich hätte es ihr großer Tag werden sollen, auf den sie schon so lange hingearbeitet hatten.

Irgendwann setzten sich die Gefährten zu den Söldnern an den Tisch und fragten sie nach Brann. Artair ergriff das Wort. Brann war ein herzensguter Mensch gewesen, der fieberhaft der Eröffnung entgegen fieberte. Aber er war auch ein Trinker und ein Lügner. Es war gar nicht mal so lange her gewesen, da bezichtigte er völlig betrunken die hiesige Kräuterfrau als Hexe. Und das war nur eines von vielen Beispielen, in denen er im vernebelten Kopf über andere herzog und Unwahrheiten verbreitete. Vielleicht verscherzte er es sich dieses Mal mit der falschen Person? Doch über Tote sollte man ja bekanntlich nicht schlecht reden. Dann musste Artair lachen und schaute die Abenteurer an. Kannten sie schon seine Geschichte, wie er angeblich mal mit einem Wolf im nördlichen Wald tanzte? Simin schmunzelte und bejahrte diese Frage.

Doch wo sie schon einmal über die Vorkommnisse hier im Dorf sprachen, was war eigentlich vor sieben Jahren geschehen, über das sie schon mehrmals etwas Kurioses hörten? Laut dem, was ihnen zu Ohren kam, sie waren nämlich damals noch nicht hier gewesen, kam eines Tages ein verrückter Mann ins Dorf und rief lauthals Verwünschungen aus. Niemand kannte ihn und so schnell er hier erschienen war, so schnell war er auch wieder verschwunden. Artair empfand es äußerst merkwürdig, dass die Menschen im Dorf noch heute nach all den Jahren sich diese alte Geschichte erzählten. Doch die Gefährten wurden neugierig. Was waren das genau für Flüche gewesen, die der Fremde äußerte? Jetzt redeten auf einmal die sieben Söldner wild durcheinander. Einer meinte der Fluch hieße „Verflucht! Verflucht! Der Wolf ist des Mordes schuldig!“, während ein anderer „Verflucht seid ihr, durch Tod und Wolf der Mord bestraft wird!“ hörte. Ein dritter Söldner korrigierte seine beiden Vorredner, indem er das Gesagte zu „Verflucht, sie sind tot! Verflucht, der Wolf straft Euch!“ berichtigte. Letzterer hätte dies erst neulich von Erwin, der auch ein Waldarbeiter hier war, erfahren und dieser wäre damals sogar Zeuge dieser Fluchaussprechung gewesen. Dann überlegten sie kurz. Erwin war heute Abend nicht im Gasthaus gewesen, oder?

Auf Nachfrage erlaubten die Söldner den Abenteurern hier sogar nächtigen zu dürfen. Im Obergeschoss war sogar noch eines der neuen noch nie zuvor vergebenen Doppelzimmer frei. Sofort reservierten sich die beiden Frauen das Zimmer, während es sich James und Salfalur im Gastraum gemütlich einrichteten. Nachdem das letzte Licht gelöscht worden war wurde Salfalurs Nachtruhe aber mehrfach gestört, als einer der Söldner in gewissen Intervallen durch den dunklen Raum schlich und die Fenster und Türen inspizierte.

Der nächste Tag brach an und die Gruppe Recken frühstückten an einem der Tische. Drei Söldner räumten unterdessen hinter der Theke auf, als ein vierter zu ihnen kam und ihnen etwas zuflüsterte. Natürlich spitzten die Abenteurer ihre Ohren, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Anscheinend lahmten heute Morgen all ihre Pferde im angrenzenden Stall. War dies etwa ein weiterer Anschlag gewesen? Direkt im Anschluss entschuldigten sich die vier Söldner und eilten zur Hintertür in Richtung des Stalls.

Doch lange konnten die Frühstückenden ihr Mahl nicht genießen und selbst nicht einmal über das Mitgehörte tratschen, denn eine Person in den Farben der MacTurons betrat die Schänke durch den Haupteingang. Der Soldat sah sich nur kurz um und schritt dann zielstrebig auf die Gefährten zu. Er stellte sich förmlich als ein Bote des Syres vor und überbrachte den „Wunsch des Syre Dalston MacTuron, die werten Damen und Herren zu einem kleinen Umtrunk auf seiner Hochmotte begrüßen zu dürfen.“