Akt 51:

Am Hofe:

 

teilnehmende Abenteurer:

Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), MikiFune (NPC)

 

Der Einladung des Fürstensohns AhodoriSamutomo folgend, schlossen sie sich seinem Tross zur Burg seines Vaters, dem Fürsten AhodoriHorigawa, an. Unterwegs fing Sarazians rechte Hand, genau dort, wo ihn Safran mit dem Dolch verletzt hatte an zu schmerzen und ein dauerhaftes Pochen setzte ein. Um MikiFune keine Sorgen zu bereiten und um ihre Mission nicht zu gefährden, machte er gute Mine zum bösen Spiel und überspielte den Schmerz. Schon nach zwei Tagen erkannten sie die auf einem Hügel gelegene Festung, dessen Bauten und Türme dem Himmel entgegenstrebten und scheinbar der Schwerkraft trotzten.

Die Wachen vor dem Tore erkannten den Sohn des Lehnsherren und machten umgehend Platz, auch wenn einige misstrauische Blicke auf Sarazian gerichtet waren. In einer großen hölzernen Halle wurden sie dann in aller Ehren vom Landesherrn AhodoriHorigawa empfangen, denn die Kunde vom Auffinden Hoshidas war ihnen bereits durch einen Diener vorausgeeilt.

Um diese erfreuliche Botschaft gebührend zu Feiern, wurde im begrünten Hof zwischen den Burgmauern Abends ein großes Fest ausgerichtet. Edle Damen in JuniHitoe, zwölflagigen Seidenkimono, saßen mit den Ministern und Beratern um den Fürsten herum und sahen sich die Darbietungen langsam tanzender Frauen an. Begleitet wurde das ganze mit wohligst aufgetischten Speisen, sowie Sake und grünem Tee, während im Hintergrund eine Gruppe Musiker auf Koto und Shamisen spielte. Und inmitten dieser Szenerie saßen Sarazian und MikiFune auf Seidenkissen. Während MikiFune das Ganze augenscheinlich gut gefiel und sie an die alten Zeiten am kaiserlichen Hof erinnerte, empfand sich Sarazian mehr als fehl am Platz. Er konnte das Fest kaum genießen, weil er seine Geschichten um die Rettung AhodoriSamutomos und den Fund Hoshidas jedem einzelnen aufs Neue erzählen musste.

Als er dann etwas Zeit fand, kam er auch endlich dazu etwas trinken zu können. Doch etwas stimmte nicht. Er bekam außerordentliche Probleme beim Schlucken, ganz so, als ob sein Hals zugeschnürt worden wäre. Die Angst zu Ertrinken kam in ihm auf und er nahm all seinen Mut zusammen diesen Schluck herunter zu würden. Schweiß stieß auf seine Stirn. Als ihm eine Bedienstete anbot ihm mehr Wein einzuschenken, lehnte er dankend ab.

Dann stand Fürst AhodoriHorigawa aus seinem Sitz auf und wünschte Sarazian herbei. Auf seine Bitte ihm, dem Retter seines Sohnes, seinen ganzen Namen zu nennen, nannte Sarazian seinen vollständigen Namen inklusive seines Titels, Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa von Candranor. Der Fürst runzelte die Stirn und erhob seinen rechten Arm. Prompt verstummte die Musik. Sarazian erkannte seinen Fehler zu spät. Der Fürst kannte sich anscheinend auch in der Kultur der Länder außerhalb des TsaiChen-Tals aus und wusste, dass sein Titel bedeutete, einen Magier vor sich zu wissen. Er hakte nach, ob sein Gegenüber ein Magier wäre. Der Magier indes fühlte sich ertappt und da er nicht wusste über wie viel Menschenkenntnis der Fürst verfügte, wollte er ihn auch keineswegs anlügen. Denn auch dies könnte seinen Tot bedeuten. Daher gab er zu ein Magier zu sein und keineswegs etwas mit den Schwarzen Adepten zu tun zu haben. Horigawa blieb ernst, auch wenn er einmal tief durchatmete.

Dann gab er unweigerlich Befehl den Magier gefangen zu nehmen. MikiFunes Augen weiteten sich und erhob Einspruch, doch die Wachen näherten sich bereits. Erst als Samutomo sich vor seinem Vater auf den Boden warf und um Gnade flehte, hielten die Wachen inne. Er erklärte seinem Vater, dass es Unrecht wäre seinen Retter zu verurteilen, da sonst Schande auf ihn fiele, da er ihn schließlich hierher brachte. Der Fürst blickte grimmig auf seinen Sohn herab. Auch wenn er der Fürst dieses Landstrichs war, so war er dennoch an die Gesetze dieses Landes und die des SchiDoschas gebunden. Da gäbe es kein Wenn und Aber. Nur den Priestern, Miko, Heiler und Schamanen war es erlaubt Magie im Land zu wirken. Alle anderen könnten Spitzel von KuroKegaTi sein. Und in diesen politisch heiklen Zeiten dürfte man keine Ausnahmen dulden. Samutomo war sich dessen bewusst, denn würde er entgegen den Gesetzes handeln, so würde sein Vater eine Schwäche zeigen, die andere nur allzu gerne ausnutzen würden. Dennoch versprach er Sarazian alles nur Erdenkliche zu unternehmen, um seine Strafe abzumildern.

Sarazian hatte diese Zeit ausgenutzt, um einen Plan zu entwickeln. Auch wenn es riskant war, so könnte, wenn dieser gelang, jeder sein Gesicht bewahren. Er blinzelte MikiFune zu, in der Hoffnung, sie verstand zu entsprechender Zeit einzuschreiten und trat dann einen Schritt auf den Fürsten zu. Die Schwertspitzen der Katana der Wachen waren auf ihn gerichtet. Er erhob das Wort und erklärte, dass er zwar aus einer einflussreichen valianischen Familie stammte und daher auch in die Wirkungsweisen der Magie und Zauberei eingeführt wurde und den Titel erbte, aber nie vollständig zum Magier ausgebildet worden war. Schon in jungen Jahren kehrte er seinem Land den Rücken, um sich eine Zukunft in KanThaiPan aufzubauen, wo er dann in einem Kloster zu einem Onmyouji, einem Wahrsager, ausgebildet wurde. AhodoriHorigawa blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, ehe er anfing lauthals spöttisch zu lachen, ob dieses anscheinend lächerlichen Versuchs. Doch er war gewillt ihm eine Chance zu geben und verlangte umgehend einen Beweis für seine Behauptung.

Sarazian hatte auf dem Hinweg zur Burg von AhodoriSamutomo genug über dessen Familie erfahren, um den Fürsten zum Staunen zu bringen. Er erklärte, dass Horigawa der vierzehnte Fürst der Familie Ahodori war, aber sein Sohn niemals der fünfzehnte werden würde. Kalter Schauer umgab ihn, als wütende Blicke ihn durchlöcherten. Dann fuhr der Magier fort, indem er MikiFune ein zweites Mal zuzwinkerte. Samutomo war es nämlich bestimmt erst der siebzehnte Fürst zu werden und selbst Horigawa würde heute Abend nur für einen kurzen Zeitraum dem fünfzehnten Herrscher auf dem Thron Platz machen und erst dann wieder der sechzehnte Herrscher werden. Doch er würde keine Einwände haben heute Abend mit jemand anderem seinen Thron zu teilen, sondern würde es nicht nur billigen sondern als einen Wink des Schicksals betrachten. Das Zeichen des neuen Herrschers wären zwei braue Schwingen und Federn würden sein Gewand schmücken, die den Stolz dieser Blutlinie zum Ausdruck brächten.

Völlig wutentbrannt über seine angeblich noch heute Abend stattfindende Entthronisierung verließ er seinen Platz und stampfte mit zornigem Gesicht auf den Magier zu. Die anwesenden Damen hielten ihre zierlichen Hände auf ihre weit aufgerissenen Münder. Dann durchbrach ein herzzerreißendes Lachen eines Dieners die ernste Stimmung. Als dann weitere Personen in das Lachen einfielen, blickten selbst die Krieger als auch der Fürst nach hinten auf den provisorischen Thron, der im Außenbereich aufgestellt worden war. Dort war in der Zwischenzeit der fünfzehnte Herrscher, ein Falke, gelandet. Und jetzt musste selbst der Fürst schmunzeln, auch wenn er damit nicht gerechnet hatte. Noch bevor er den Befehl gab, nahmen die Wachen wieder eine passivere Haltung ein und ließen ihre Katana zurück in die Scheiden gleiten. Zu sehr waren Onmyouji hierzulande geehrt und mit dem Stand der Priesterschaft gleichgesetzt, als dass man ihnen mit Waffen begegnete. Immer noch lachend, entschuldigte sich der Fürst bei seinem Gast und auch Samutomo fiel ein Stein vom Herzen. Das Fest ging unbeirrt weiter, als ob nichts gewesen wäre und Sarazian nahm neben seiner Begleiterin Platz. Leise bedankte er sich bei ihr, woraufhin sie den Vogelfächer zurück in ihr Gewand gleiten ließ und ihn sacht küsste. Für ihn, der sie aus ihrem Jahrhunderte langem Schlaf errettete, würde sie jeder Gefahr trotzen.

Nachdem das ruhige Fest seinen Abschluss erreichte, wurde Sarazian und MikiFune ein Gemach zugewiesen. Das Zimmer war zur Gänze aus Holz getäfelt und die Böden im Eingangsbereich so stark geschliffen und gebohnert, dass sie aufpassen mussten nicht versehentlich auszurutschen. Ihre Bettstatt bestand aus zwei dicken Futons, die auf Tatami, Reisstrohmatten, ausgerollt waren. Mit einen Blick vor sich auf den Ausgang zur Veranda hin gerichtet, der nur mit heruntergelassenen Rollos halb geschlossen war, schliefen sie schließlich ein.

Am darauffolgenden Tag erhielten sie neben Reiseproviant und Kleidung, die ihres Standes würdig war, noch zwei Rösser als Dankeschön ihren einst befreundeten Clan gerettet zu haben. Mit den neuen Informationen, wo denn der gesuchte Vulkan genau lag, die ihnen von einem gebildeten Diener Horigawas zugekommen waren, setzten sie ihre Reise gemächlich fort. Ihr Ziel war der heilige Feuerberg PadKus mit Namen SongSchan, der im Süden KanThaiPans zu finden war. Sarazian beunruhigte dabei aber das, was sich an seinen Hängen befand. Dort lag das ChanHoSchang. Offiziell war dies ein gewöhnliches aber reiches Kloster, doch in Wahrheit handelte es sich dabei um das Hauptheiligtum PadKus, hinter dem sich, wenn die Inschrift der Steintafel aus ZuFongs Museum stimmte, niemand Geringeres als der Rote Herr, die Urmacht des Chaos Padkuzorakh, verbarg. Und es sollte noch viel schlimmer kommen. Die Hänge waren angeblich so steil und unpassierbar, dass man sie zu Fuß unmöglich hochsteigen konnte und der starke Rauch verhinderte auch eine Annäherung durch die Luft. Es gab nur einen einzigen schmalen Pfad, der zum Schlund des Feuerberges führte und dieser führte geradewegs durch das Kloster hindurch. Und die Mönche, oder was auch immer in diesen Gemäuern hauste, würden sie niemals in ihr Heiligtum lassen. Er hoffte inständig, dass es lediglich zu kleineren Scharmützeln und Auseinandersetzungen kommen würde. Auf was hatte er sich hier eigentlich eingelassen?

Er warf einen Blick auf seine schöne Begleiterin, die neben ihm ritt und kannte die Antwort auf seine Frage. Auch für sie würde er alles tun und notfalls selbst einer Urmacht in die Augen blicken. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine rechte Hand und abgrundtiefe Übelkeit übermannte ihn, während seine Stirn zu schwitzen begann. Aber er wischte sich nur über die Stirn und ließ sich sonst nichts anmerken.

 

Akt 52:

Tollwut:

 

teilnehmende Abenteurer:

Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), MikiFune (NPC)

 

Dunkle Wolkenberge verdichteten den Himmel über ihnen und böige Winde mit einsetzendem Regen peitschte sie. MikiFune sah besorgt auf Sarazian, der stillschweigend und scheinbar unbeeindruckt des Wetters neben ihr ritt. Er war bleicher als sonst und schon vor einigen Tagen war ihr aufgefallen, dass er alles tat, um seine rechte Hand vor ihrem Blick versteckt zu halten.

Als sie dem Weg folgend in ein gebirgiges und dicht bewaldetes Tal ritten, kippte der Magier plötzlich und ohne Vorwarnung aus dem Sattel und stürzte von seinem Pferd. Ohne eine Reaktion oder wenigstens einem Versuch den Aufprall abzufangen, kam er auf dem matschigen Boden auf und blieb mit dem Gesicht im Schlamm regungslos liegen.

Sofort sprang MikiFune ab und eilte zu ihm. Sie drehte ihn auf dem Rücken und fühlte seinen Puls. Er glühte und sein Herz raste. Er hatte Fieber. Hohes Fieber! Sie nahm seine rechte Hand hervor, die er in seine Gewandung gewickelt hatte und erstarrte. Sie war stark entzündet!

Laut rief sie um Hilfe, doch sie waren allein. Niemand würde sie hören. Als dann der Regen an Intensität zunahm, war sie gezwungen ihn irgendwo in Sicherheit zu bringen. Sie blickte sich um und meinte hinter einer uralten Baumreihe auf einem Hang einen dunklen Schemen zu erkennen. Ohne zu wissen, was dies tatsächlich war, da der Regen die Sicht behinderte, zog sie ihren Begleiter durch das Nass an den Fuß des niedrigen Hanges. Ihre Sandalen waren absolut ungeeignet für dieses Terrain und rutschte mehrere Male auf dem schlammigen Untergrund aus und landete unsanft auf Selbigem. Irgendwann gelang es ihr Sarazian zu dem Eingang einer Höhle zu ziehen. Doch war es ihr jetzt nicht vergönnt aufzuatmen. Als sie ihre beiden Pferde an einem mächtigen Baum untergestellt und angebunden hatte, eilte auch sie zum Eingang der Höhle.

Sie war durchnässt und fror, doch kümmerte sich erst einmal um ihren Gefährten. Sie befreite ihn von seiner schmutzigen und nassen Oberbekleidung und legte ihm eine Decke über. Dann holte sie ihre Wasserflasche hervor und führte sie vorsichtig an seinen Mund. Als die ersten Tropfen des Nass seine Lippen berührten und in seinen Mund rannen, weigerte er sich krampfhaft zu schlucken und spuckte es aus. Dann wirbelte er wild mit seinen Händen in der Luft herum, so, als wenn er mit einem geisterhaften Gegenüber gestikulieren oder kämpfen wollte. Offensichtlich halluzinierte er.

Auch wenn sie kaum Erfahrungen in der Heilkunde besaß, so kannte sie diese Symptome. Fieber und Wasserangst waren eindeutig Symptome von Tollwut, einer Krankheit die nahezu immer tödlich ausging. Doch woher hatte er diese gefährliche Krankheit? Sie dachte an die Schnittwunde an seiner Hand und daran, wer sie ihm zugefügt hatte. Safran! Jetzt wurde ihr so einiges klar. Auch Safran zeigte die gleichen Symptome der Krankheit und war darüber hinaus von vielen Wildtieren, wie Füchsen umgeben. Scheinbar hatte sie sich zuvor irgendwann mit ihrem Messer selbst verletzt, ehe sie sich ihnen entgegengestellt hatte.

Da sie Sarazian, solange das Unwetter wütete, weder weiter helfen noch Hilfe organisieren konnte, beschloss sie auf eigene Faust die Höhle etwas genauer anzusehen. So tastete sie sich langsam und behutsam vor, bis sie schon nach wenigen Metern in einer Sackgasse endete. Doch an dieser Stelle klaffte ein großes Loch im Boden. Ihre Neugierde war gepackt und so lugte sie vorsichtig über den Rand hinweg nach unten. Es war nicht tief, bemerkte sie. Vielleicht nur vier oder fünf Meter. Sie ging zurück zu ihrem Begleiter, der erschöpft eingeschlafen war und nahm einen seiner Leuchtsteine an sich. In ihrer Hand leuchtete er nicht stark genug, um einen ganzen Raum auszuleuchten, sondern glimmte nur sacht, doch für ihr Vorhaben würde es genügen. Sie wandte sich abermals dem Loch zu, wo sie sich gänzlich entkleidete und ihre noch nassen Kleider zum Trocknen an eine etwas hervorstehende Felsnadel hing. Dann verwandelte sich ihre Gestalt in die einer großen Katze mit langem, buschigen, weißen Fell und nahm den Leuchtstein in den Mund, ehe sie heruntersprang.

Unten angelangt blickte sie sich um. Dieses uralte vier Meter hohe Backsteintonnengewölbe musste viele Generationen lang standgehalten haben, bevor wahrscheinlich vor Kurzem die Decke an dieser Stelle nachgegeben hatte. Sand, etwas Erde sowie schwache Grassoden, die verkümmert in der Höhle darüber wuchsen, waren nachgerutscht. Ein Teil der Nordwand bestand aus ungebranntem gelbem Lehm, den die Baumeister mit Stroh vermischten. An der Westwand des sechs auf sechs Meter messenden Raumes stand ein hölzerner Wagen und im Osten sah sie die mumifizierten Reste zweier Ochsen, die wie schimmlige Lederdecken aussahen. Überall an den Wänden hing verschiedenes Material und Werkzeug für Hufschmiede und Wagner. Alles war in einem sehr schlechten Zustand. Die Seile zerfielen selbst unter ihren samtenen Tatzen und die Werkzeuge waren stark verrostet, aber teilweise noch brauchbar.

An dem Wagen befanden sich noch Fetzen von ehemals farbigen Fahnen und sie konnte erahnen, dass sie wohl ehemals Wappenzeichen in Form eines stilisierten schwarzen Hirsches auf grünen Wellen trugen. Das jemand diesen Raum nur für Werkzeuge erschaffen hatte, konnte sie sich nicht vorstellen. Als sie sich weiter umsah, bemerkte sie ein vorerst unscheinbares kleines Loch im Mauerwerk. Sie machte sich ganz flach und lugte hindurch. Dahinter ging es weiter. Daher nahm sie ihren Mut zusammen und zwängte sich hindurch.

KARTE MIT RAUMAUFTEILUNG: GRUFT DER TSCHING

Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Augen an die hier vorherrschende Dunkelheit gewöhnten. Hinter der Wand öffnete sich ein zwei Meter breiter und sieben Meter langer Gang. In der Mitte des Ganges standen links und rechts an der Wand zwei lebensgroße Statuen schlanker Menschen auf niedrigen Sockeln. Die linke Statue hatte jedoch anstatt menschlichen Gesichtszügen einen Karpfenkopf aus grünem Kupfer, wohingegen die rechte Statue einen Hirschkopf aus schwarzem Gusseisen trug. Sowohl die Sie Sockel, als auch die darauf befindlichen schlanken Körper bestanden aus hellem Granit.

Als ihre Tatzen vorsichtig über den Steinboden schritten, bemerkte sie eine Vertiefung. Genauer handelte es sich hierbei um zwei gegenläufige wellenförmige und ungefähr zwei Zentimeter breite Rinnen, die vorne an der Wand begannen, sich danach zweimal bis zur Gangmitte kreuzten, um hinter den Statuen wieder in der Wand zu verschwinden.

Als MikiFune die zwei Statuen passierte, leuchteten deren Augen rot auf und aus den Wellenlinien am Boden schoss ein Flammenvorhang senkrecht bis zur Decke empor. Wie ein weißer Blitz schnellte sie durch den Gang bis ans andere Ende, bevor sich der lodernde Vorhang schloss und sie in seinem Inneren einsperrte. Außer Puste wandte sie sich um und bemerkte, dass es sich wohl um magische Flammen handelte, da sie ohne Brennstoff gespeist wurden und nicht mehr abflauten. Ihr Rückweg war versperrt.

Doch hier erkannte sie noch etwas anderes, was sie aus der erhöhten Perspektive ihrer menschlichen Gestalt bestimmt übersehen hätte. Im Boden befanden sich nämlich zwei kleine verborgene Nischen, in der zwei eiergroße Murmeln lagen. Eine aus grünem und die andere aus schwarzem Marmor. Von den Nischen aus führten zwei Röhren zu den Sockeln der Steinstatuen. Kurz dachte sie nach, ehe sie die grüne Kugel in die Wellenlinie zur Statue mit dem grünen Karpfenkopf und die schwarze Kugel in Richtung der ebenfalls schwarzen Hirschkopfstatue legte. Wie von selbst rollten diese dann durch die Linien und durch den Flammenvorhang hindurch bis zu den Sockeln, wo wie dann in kleinen unscheinbaren Löchern verschwanden. Ein leises Knacken ertönte und sofort darauf erstarben die Flammen. Daraufhin wurden die Kugeln wieder freigegeben und rollten langsam über die Bodenröhren zurück zu den Nischen, in der sie zuvor die Kugeln gefunden hatte.

Der Gang an sich endete in einem Raum von denselben Maßen, wie derjenige, in dem sie den Wagen gefunden hatte. Hier standen mehrere äußerst alte Transportkisten, in denen sich verschiedene Gebrauchsgegenstände befanden. Die Kisten waren jedoch jetzt vermodert und deren Inhalt herausgerutscht. An der Westwand war ein Durchgang zu einem weiteren Raum, mit zwei schlichten Sarkophagen aus Granit. Da sie die Totenruhe nicht stören wollte blickte sie sich weiter um. An der Ostwand hingegen entdeckte sie einen zugemauerten Durchgang. Zwischen dem zerbrochenen Porzellan bei den Kisten fand sie ein silbernes Schnapsservice als auch ein noch gut erhaltenes Scheng, ein Musikinstrument, und auch ein LiuBo-Spielbrett aus schwarzem Lack mit rot-eingelassenen Linien, welches sie alles liegen ließ.

Außerdem lagen verschiedene beschriftete und bebilderte Lacktäfelchen in einer Kiste. Die Darstellungen auf den Lacktäfelchen zeigten die Hochzeit eines Kaisers, dessen Umhang mit Dreifüßen geschmückt war, mit einer Frau, der ein Hirsch-Wellen-Symbol zugeordnet war. Auf anderen war dieselbe Frau als ungehorsame pietätlose Tochter, die ihrem Vater die Teeschale vorenthielt, zu erkennen. Dann die gleiche junge Frau mit der Fratze einer Berghexe, die im Schlafgemach des Kaisers, der einen Dreifuß wie einen Schild vor sich hielt, böse Zauber in Form von Krankheitsdämonen um sich warf. Auf einem letzten Täfelchen war dann die Frau zu sehen, die von kaiserlichen Wachen gefesselt und lebendig eingemauert wurde. Es musste sich dabei immer um dieselbe Frau handeln, denn sie trug immer genau die gleiche Kleidung. In einer Hand hielt sie dabei auf den ersten drei Täfelchen immer ein Schwert wie einen Speer. Auf einem weiteren Täfelchen sah sie den Kaiser, wie er dieses Schwert an eine demütige junge Frau überreichte, bei der es sich der Tracht nach wahrscheinlich um eine Erbprinzessin handelte. Auf der Rückseite sämtlicher Tafeln sah sie eine vornehme Dame mittleren Alters, unter deren Gewand seltsamerweise ein Leopardenschwanz hervorschaute. Auf den Schultern der Dame saßen ein Rabe und eine Eule und sie schenkte einem jungen Mann und einer Frau jeweils ein Schwert, das genauso aussah wie das der jungen Frau auf der Vorderseite. Das nackte Paar stand in einem paradiesähnlichen Garten und neben ihnen trank ein Hirsch aus einem Brunnen.

MikiFune, die eigentlich vor eintausend Jahren lebte, kam diese Geschichte irgendwie sehr bekannt vor, spielte sie doch erst dreihundert Jahre bevor sie von ZuFong beschworen worden war. Ihr zufolge handelte es sich bei diesem Kaiser, aufgrund der zahlreich abgebildeten Dreifüße, um niemand anderes als Kaiser Lü, der Begründer der frühen Mang-Dynastie (um 1300 nL). Und die vornehme Dame mit Leopardenschwanz war demnach NüFeiPai, die Herrin der Seuchenvögel.

So wandte sich die weiße Katze der zugemauerten Wand zu. Die vergangenen tausend Jahre hatte das Mauerwerk brüchig werden lassen und zwischen den Ziegeln bröckelte bereits der Mörtel raus. Ein lose wirkender Ziegel erregte ihr Interesse und so stemmte sie sich mit ihrem Kopf dagegen und ruderte mit ihren Pfoten auf dem Boden, bis der Stein schließlich nachgab und mit einem Rumms auf der anderen Seite der Mauer landete. Dies tat sie zwei weitere Male, bis das Loch groß genug für ihren kleinen Körper war, um hindurch zu schlüpfen.

Der Raum dahinter war bis auf ein kniendes, mit unverrotteten Stricken gefesseltes weibliches Skelett leer. Zwischen den Kiefern steckte ein Lederknebel. Neben dem Skelett lag eine Trommel, deren Fell zerstochen war und das eine Schwert, welches auf den Bildern der Lacktäfelchen abgebildet war. Sobald sie sich dem Leichnam näherte erschien ein Kuei, ein Totengeist, in Gestalt einer hübschen jungen Frau und blickte verwundert auf die strahlend weiße Katze hinab, ehe es bemerkte, dass es sich bei dieser um ein magisches und intelligentes Wesen handelte. Dann bat die Kuei die Katze händeringend, ihren Körper von den mehr als tausend Jahre alten Fesseln zu befreien und erzählte mit seltsam verzerrter Stimme:

„Mein Name lautet LuNiuTsching. Mein Vater war ein Edelmann und mit der Kaiserfamilie der Wang verwandt und ich eine angesehene Wu. Als Kaiser Lü die Macht übernahm, wollte mein Vater seine Stellung sichern, indem er ihm seine jüngste Tochter, also mich, als Konkubine anbot. Ich weigerte mich aber, diesem alten Lüstling in sein Bett zu folgen, das der Widerling schon mit 999 anderen Frauen teilte. Als er mir Gewalt antun wollte, zeigte ich ihm, was eine fähige Schamanin mit der Manneskraft eines solchen Unholds anstellen kann. Über seine schlappe Nudel gab es bestimmt tausendfaches Gelächter! Aber ich habe freilich einen Fehler begangen, für den ich mich schäme. Die Wut des Kaisers war nämlich fürchterlich. Er verurteilte meine Familie zum Tod und ließ sie hier abseits der großen Städte und Handelszentren bestatten. Sämtliche Hinweise auf meine Familie wurden aus den Annalen des Reiches getilgt. Eine schwere Strafe! Ich selbst wurde gefesselt und geknebelt und hier lebendig eingemauert. Nun will ich endlich für immer sterben! Löst bitte meine Fesseln, die meinen Geist in dieser Welt binden und erlöst mich!“

MikiFune antwortete mit menschlicher Stimme aus ihrem katzenhaften Maul, sie wäre bereit diese Bitte zu erfüllen. Dabei entging dem Kuei nicht, dass die Katze während ihrer Erzählung immer kurze Blicke auf das sonderbare Schwert vor ihrem Leichnam warf.

So erzählte sie: „Das ist eines der beiden Zwillingsschwerter der Tsching, die einst die Weiße Tigerin des Westens einem Geschwisterpaar unserer Familie geschenkt hatte. Meines war das männliche Schwert, das in unserer Familie von Schamanin zu Schamanin weitergereicht wurde. Das weibliche Schwert verließ schon früh unsere Familie, darüber weiß ich gar nichts.“

Die weiße Katze glaubte ihr, denn der Geist hatte ihrer Ansicht nach keinen Grund zu lügen. So näherte sie sich dem toten Körper und biss an einer Schleife herum, bis sich der Knoten löste. Daraufhin zerfiel das Skelett unmittelbar zu Staub und der Geist von LuNiuTsching löste sich mit einem Seufzen auf. MikiFune durchfuhr ein Gefühl der Glückseligkeit, ganz so, als ob dies eine gottgefällige Tat war.

Bei ihrem folgenden Unterfangen halfen ihr die Kami jedoch nicht. Der Versuch in ihrer Katzengestalt das Schwert und auch einen der Porzellanteller als Erinnerung nach oben zum Eingang der Höhle zu bringen, entpuppte sich als schwerer als gedacht. Doch letzten Endes gelang es ihr. Sie wollte sich dafür nicht zurückverwandeln, da sie in der vorherrschenden Kälte ansonsten ohne Kleider dastand.

Sarazian zitterte noch und kam kurz und bei klarem Verstand zu Bewusstsein. Jedenfalls glaubte er dies solange, bis es etwas Seltsames bemerkte. Aus den Tiefen der Höhle näherte sich ihm eine große weiße Katze, deren Fell aus der vorherrschenden Dunkelheit hervorstach. Doch er war zu geschwächt, um seinem Körper zu befehlen, sich aufzurichten. Und so fügte er sich seinem Schicksal. Doch seine Angst war unbegründet, denn die Katze legte sich auf seinen Schoß und wärmte ihn mit ihrem langen Fell. Er meinte sogar dieser Katze schon einmal begegnet zu sein, als er sich in der ersten Nacht in der „Ewigen Wonne“ zum Ahnenschrein geschlichen hatte.

Am nächsten Morgen war das Unwetter weitergezogen. Als er seine Augen aufschlug, stand MikiFune in ihrem schmutzigen Kleid vor ihm und legte ihm eine Hand auf. Sein Zustand war noch unverändert schlecht. Dann schnellte sie um, da sie ein Volkslied singen hörte. Auf dem Weg unterhalb des Höhleneingangs fuhr ein Händler mit seinem Wagengespann vorbei. Sie lief hinaus und stellte sich mit ausgestreckten Armen vor das Fuhrwerk, woraufhin der Händler stoppte.

Der Händler, ein gutbetuchter Ginsengsammler, ließ sich die Situation von der Dame erklären und brachte beide daraufhin zu einem befreundeten Heiler in einem nur wenige Stunden entfernten Dorf. Dort angekommen diagnostizierte der Heiler schnell das, was sie schon vermutete. Sarazian war mit Tollwut infiziert. Ohne den Einsatz von Magie wäre dies eine tödliche Krankheit, die manchmal sogar erst Jahre nach einer Infektion ausbrechen konnte. Zu ihrem Glück war der Heiler in der Kunst des Jin Shin Jyutsu, des Heilströmens, geübt. Dabei legte der Anwender für gewöhnlich seine Hände auf bestimmte Energiepunkte des Erkrankten mit dem Ziel, Energieblockaden zu lösen und damit das Wohlbefinden oder die Selbstheilungskräfte zu bessern oder vorhandene Beschwerden zu lindern. Doch in Sarazians Fall musste er diese Fähigkeit anders einsetzen. Der Heiler griff mit einer Hand in einen Käfig und nahm eine Maus heraus. Mit dem Heilströmen entzog er die Krankheitskeime aus dem Körper seines Patienten und transferierte sie in die Maus, die sofort daran verstarb. Sarazians Zustand besserte sich daraufhin innerhalb weniger Stunden, sodass sie ihre Reise fortsetzen konnten.

Zwar hatte diese Behandlung sie beinahe die gesamte Ausrüstung gekostet, die sie von dem Fürsten geschenkt bekommen hatten, doch sie waren gesund und strebten nun wieder ihrem Ziel entgegen. Das war die Hauptsache.

Als sie ritten erzählte der Magier seiner Begleiterin von seinem merkwürdigen Tagtraum um eine große weiße Katze, die ihm in der vergangenen Nacht Wärme schenkte und vielleicht sogar damit sein Leben rettete. MikiFune schwieg, bis Sarazian sich bei ihr bedankte. Er hatte sie durchschaut und so war sie gezwungen ihm die Karten offen auf den Tisch zu legen. Angefangen bei ihrem Leben in den Grünen Hügeln, über ihre unbeabsichtigte Beschwörung durch ZuFong und das Missgeschick am kaiserlichen Hofe, was zu ihrer Flucht führte bis hin zu ihrer Bleibe im Schrein.

 

Akt 53:

Der Schlund des Feuerberges:

 

teilnehmende Abenteurer:

Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), MikiFune (NPC)

 

Ihre beiden Pferde sowie den Großteil ihrer Ausrüstung hatten Sarazian und MikiFune hinter einigen großen Felsen der Gesteinswüste zurückgelassen. Nachdem auch seine Begleiterin die leichtere Kluft von Abenteurern anlegte, begannen sie das unwirkliche und schwarze Terrain, welche aus ausgekühlter Lava bestand, zu durchqueren.

Etwas später lugten sie schon hinter einem Vorsprung in unmittelbarer Nähe des Klosters hervor. Eine weite und steinerne Treppe führte hinauf zu einer großen durch Rus und Qualm geschwärzte Tempelanlage, die an den Hängen des Vulkans SongSchan errichtet worden war. Hinter dem Kloster sahen sie eine kleine Treppe, die sich an den Steilhängen hinauf bis zum Schlot wand. Leider hatte der Gelehrte von Fürst Horigawa Recht behalten. Die Hänge waren zu schroff und zu steil, um sie zu besteigen. Sie mussten durch das Kloster. Hier würden sie keinesfalls eingelassen werden und sie durften sich auch nicht erwischen lassen. Dies war das höchste Heiligtum der Priesterschaft PadKus und damit auch das Einflussgebiet der Schwarzen Adepten. Hier waren sie nur von Feinden umgeben.

Scheinbar rechneten die ständigen Bewohner der Klosteranlage nicht mit Eindringlingen, denn sie konnten problemlos ungesehen bis zum großen Eingangstor gelangen. Wer wäre denn auch so bescheuert sich freiwillig diesem Ort zu nähern? Zwar war das dreckige und goldbeschlagene Tor weit geöffnet, aber ein großes Gatter war heruntergelassen. Mittels eines geglückten „Macht über Unbelebtes“ betätigte der Magier die große Kurbel auf der anderen Seite des Gatters und hob dieses soweit an, dass sie hindurch schlüpfen konnten.

Im Gegensatz zum Äußeren war der Tempel im Inneren sauber gehalten und strotzte nur so von Goldschmuck und reichhaltigen Kunstwerken, die zu Ehren des Herrn des Feuers angebracht worden waren. Doch dafür hatten sie jetzt keinen Blick. Sie mussten unbedingt aus der gigantischen Eingangshalle verschwinden, bevor sie noch entdeckt würden, und schlugen einen unscheinbaren Seitengang ein.

Sarazian wollte nicht riskieren einen Stillezauber anzuwenden, da andere Personen im Wirkungsbereich auch betroffen wären und dadurch alarmiert werden könnten. So machte er sich unsichtbar und kundschaftete den Weg für MikiFune aus. Kurz hielten sie hinter einer Ecke bei einer großen Statue inne, als sich wenige Meter vor ihnen eine Türe öffnete und mehrere schwarzgewandete Mönche oder Priester mit vier mit Knochenmasken maskierte Gestalten in den Flur traten und sich von ihnen entfernten. Schwarze Adepten! Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Als die Luft rein war begaben sie sich zu der Türe, aus der die Schar kurz zuvor getreten war, und betraten sie.

Dahinter war kein schön geschmückter Raum, sondern eine Kerkerzelle. Doch was hatte eine solche Zelle hier zu suchen? Ein Menschenopfer für ihren dämonischen Gott vielleicht? Auf einem nahen Schreibtisch lagen Unterlagen, die der Magier auch sofort unter die Lupe nahm. Bei den Schriften handelte es sich augenscheinlich um einen Auslieferungsantrag für ein anstehendes „Gelage der langen Nacht“ in YenXuLu, der noch heute stattfinden sollte.

Als MikiFune ihn dann auf das merkwürdige zusammengekauerte Etwas aufmerksam machte, was sich verängstigt auf dem Stroh in der hintersten Ecke der Zelle vor ihren Blicken verbarg, musste er schwer schlucken. Es war ein kleiner Junge von vielleicht acht Jahren, der über und über mit rotem Blut begossen und mit schwarzen Schriftzeichen PadKus beschriftet worden war. Die „Ware“ in den Schreiben handelte von diesem Jungen und das würde sein Schicksal besiegeln.

Ohne etwas schönzureden erklärte er seiner Dame, was dieses Gelage der langen Nacht tatsächlich war. Es war ein Ritual, welches vom Büro für Opferungen organisiert und geleitet wurde. Die Anwärter auf die drei höchsten Ränge der Adepten, die sogenannten „Söhne der Nacht“ oder auch MusukoYoru, mussten während des Frühlingsfestes in der Festung YenXuLu abartige Prüfungen und Zeremonen vollziehen. In den tiefsten Geschossen der schwarzen Feste sollten hierbei die magischen Kräfte der Schwarzen Adepten gestärkt und sie selbst verjüngt werden. Während das Feuer zu Ehren PadKus entzündet würde und Orgien, Massaker und widerliche Wettbewerbe stattfanden, bekäme jeder Prüfling, der sich vorher schon bei einigen Aufgaben bewährte, eine individuelle Probe gestellt, die sich nach den jeweiligen Schwächen und Neigungen ausrichtete. Ein Scheitern in dieser Nacht bedeutete für den Anwärter das Ende seines Lebens oder Schlimmeres. Am Ende dieser Zeremonie würde die „Opferung des Roten Kindes“ durchgeführt. Dabei würde ein mit rotem Blut bestrichener Knabe getötet und von den Teilnehmern verzehrt. Die Schwarzen Adepten erhofften sich davon sich von ihrer Menschlichkeit zu lösen und gleichzeitig die Lebenskräfte des Jungen in sich aufzunehmen. Kein Wunder also, dass die Menschen im TsaiChen-Tal eine Abneigung gegen Magier hatten, wenn deren politische Führung im anderen Landesteil solch Grausamkeiten verübte.

MikiFunes Augen sagten mehr als tausend Worte. Da er keinen Schlüssel in diesem Raum ausmachen konnte, rief er den Jungen zu sich, der wegen der weiblichen Begleiterin schnell Vertrauen fasste. Denn immerhin war dieser „heilige“ Bezirk für Frauen verboten, was bedeutete, dass sie Eindringlinge waren und nicht zu den Schwarzen gehörten. Sarazian überreichte dem Kind einen Ring, der, wenn er ihn ansteckte, ihn in eine Maus verwandelte. Er sollte aus dem Tempel fliehen und sich erst dann zurück verwandeln, indem er den Ring abnahm, wenn er sie am Fuße der Eingangstreppe sah. Der Junge stimmte zu und streifte sich den Ring über. Als er die Zelle zwischen den Gitterstäben hindurch als kleine Maus verließ, ertönte ein durchgehender Hornruf. Sie waren aufgeflogen. Schleunigst versuchte Sarazian Gegenzauber zu wirken, doch irgendetwas blockierte ihn an der Ausübung. Sie hatten einen Schutzmechanismus ausgelöst und waren magisch markiert worden!

In aller Eile hechteten sie durch die Flure und bemerkten umgehend eine Unzahl von Verfolgern hinter sich, die die Maus, an der sie vorbeirannten, zum Glück übersahen oder einfach nicht beachteten. Vor ihnen tat sich nun ein weitreichender Saal auf, dessen sich schließendes Tor zum Pfad zur brodelnden Caldera hinauf führte. Zwei schwer gerüstete Torwächter, Krieger mit Schlachtbeilen und Vollrüstungen, stellten sich ihnen entgegen. In einem kurzen Schlagabtausch streckte der Magier seinen Gegner mit nur einem glücklichen Streich mit dem Katana der Schamanin LuNiuTsching nieder, während seine Begleiterin ihren Kopf einer Teilverwandlung unterzog und dem vor Schreck erstarrten Kämpfer vor sich die Kehle durchbiss.

Als sie die Pforte durchquerten hielt Sarazian inne. Jetzt wo er das Kloster verlassen hatte, war der Marker von ihm abgefallen und seine magischen Kräfte kehrten zurück. Er zückte sein Thaumagral und schickte seinen Verfolgern eine Salve „Blitze“ und „Feuerlanzen“ entgegen, bis der große Dachsturz unter einer feurig aufwirbelnden Staubwolke zu Boden fiel und den Eingang versperrte. Gerade noch dachte er, dass er ihre Verfolger abgeschüttelt hatte, da erstrahlte ein fahlgrünes Licht von dort aus. Der Dachsturz samt Trümmer wurden meterhoch in die Luft gehoben und weit fortgeschleudert und in dem Durchgang erschienen die Schwarzen Adepten. Angsterfüllt nach Luft schnappend rannten Sarazian und MikiFune unter dem Zauber „Beschleunigen“ die schier endlosen Treppenstufen bergauf, während ihnen eine Hundertschaft von Mönchen, Priestern, Kriegern und Adepten unaufhaltsam folgte.

Der Weg endete auf einer Empore oberhalb der Caldera. Und während unter ihnen die rotglühende Lava brodelte, schlossen die menschlichen Diener PadKus hinter ihnen den Kreis und schnitten ihnen den Rückweg ab. Die schwarzen Diener hatten es auf einmal gar nicht mehr so eilig die Frevler zu überwältigen, sondern genossen es ihre Beute in der Falle zu wissen und labten sich an ihrer aufkommenden Angst.

Sarazian umarmte MikiFune ein letztes Mal und entschuldigte sich bei ihr. Doch nicht etwa, weil ihr Weg hier ein Ende hätte, sondern dafür, was er als nächstes tat. Der Magier ergriff mit ungeschützter Hand das Zepter, was er gelobt hatte zu zerstören und befreite seinen Geist, um es ZuFongs Seele zu gestatten seinen Körper zu übernehmen. Ein greller und alles überleuchtender Blitz fegte vom Himmel herab und schlug auf dem Gipfel ein. Als sich die aufgewirbelte Staubwolke legte stand nicht mehr Sarazian vor MikiFune, sondern ZuFong in Person.

Die schwarze Heerschar wusste nicht so genau, wie sie mit dieser veränderten Situation umgehen sollte. Da sie kein Risiko eingehen wollten, ließen sie ein endloses Trommelfeuer an Magieentladungen auf die Frevler niedergehen. Doch ihre Angriffe waren vergebens, denn ZuFong beschwor mit dem Wink eines Fingers einen magischen Schild, der alle Attacken negierte.

ZuFong sah seine einstige Geliebte mit ernsten Gesicht und durchdringenden Augen an, ehe sich sein Blick erweichte. Dann entschuldigte auch er sich für die letzten Jahre, die er mit ihr verbracht hatte. Als er spürte, dass sich ihm sein Lebensabend näherte überschattete seine Angst vor dem Tod alles, sodass er sie nur noch als ein Schmuckstück oder als eine einfache Trophäe angesehen hatte. Als er dann einen Ausweg aus seiner misslichen Lage fand und bereit war seine Seele in dem Jadezepter zu versiegeln, um irgendwann einen neuen Körper zu übernehmen und sein Leben fortzusetzen, hatte er ihr die Bürde auferlegt sie in einen endlosen Schlaf zu versetzen, bis zu dem Tage, an dem auch er wieder erwachte. Doch in den vergangenen eintausend Jahren hatte er genügend Zeit gehabt über seine Verfehlungen nachzudenken. Daher tat es ihm unendlich Leid ihr diese Zeit geraubt zu haben anstatt sie ihr Leben leben zu lassen.

Dann wandte er sich den Anfängern zu, die es wagten ihre Zaubersprüche gegen ihn und seine Geliebte zu richten. Allem Anschein nach hatten diese Unerfahrenen keinen Schimmer, wer ihnen hier und jetzt gegenüberstand, dachte ZuFong. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen ihnen wahre Macht zu zeigen. Mit einem berstenden Grollen erhob er nur mit der Kraft seines Geistes vom Kraterrand haushohe Felsen empor und schleuderte diese in Richtung der Angreifer. Kurze Schmerzensschreie ertönten als deren Körper zu einer breiigen Masse unter dem tonnenschweren Gestein zermalmt wurden. Die überlebenden Feinde strömten auseinander. Angreifende Krieger rannten mit erhobenen Waffen gegen die Barriere und zerfielen umgehend in ihre Bestandteile, als sie diese berührten. ZuFong wirbelte wie bei einem Tanz mit den Händen in der Luft herum, woraufhin sich hinter ihm Magmaschleier und Gesteinsbrocken erhoben und auf die schwarze Front niederprasselten. Die Geräusche von brechenden Knochen und das Knistern von verbranntem Fleisch ging in dem Getöse ungehört unter. Als sich dann noch der Himmel verdichtete und ein Feuerregen auf das Schlachtfeld niederging, herrschte danach für kurze Zeit Ruhe. Doch vier Gestalten traten unbeeindruckt aus dem Qualm heraus und in Erscheinung. Es waren die vier Schwarzen Adepten. ZuFong spürte umgehend ihre von der Finsternis befleckte Aura, die sie wie eine sich manifestierende Perversion umgab und in seinen Augen nichts mehr mit der Schönheit der Zauberei zu tun hatte. Die Adepten kanalisierten ihre Kräfte und verschossen blitzschnelle und verstärkte Feuerbälle. Als die kraftvollen Explosionen seine Barriere erschütterten und diese zu brechen drohte, sorgte sich ZuFong so sehr um das Leben MikiFunes, dass er richtig ernst machte. Ein Erdbeben ging infolgedessen durch den Berg und mit einem Mal ließ er den Vulkan ausbrechen. Eine Erdspalte tat sich auf und verschluckte zwei der Adepten, die noch wild mit ihren Extremitäten rudernd in die unendlichen Tiefen fielen. Ein anderer stürzte in den Lavafluss, der wie ein Tsunami auf ihn zuströmte. Der Letzte der Adepten versah sich selbst mit einem Schutz gegen Feuer, stürmte vor und zerbrach die Barriere. Mit erhobenem Schwert stand er dann vor ZuFong, doch versteinerte, ehe er zum Streich ausholen konnte. Jetzt hätte der Spuk zu Ende sein können, doch einige hundert Meter von ihnen entfernt am Kloster sammelten sich bereits die nächsten Streitkräfte. ZuFong seufzte. Er ließ die Spitze des Berges in einer gewaltigen Eruption explodieren und schickte die Trümmer wie ein Schauer auf sie herab. Die Kraterränder brachen und die Lava bahnte sich einen Weg zum Kloster. Das Heiligtum versank in den Feuern des Herren, den sie dort anbeteten.

Unterhalb der gigantischen Flammenfontäne des Berges trat ZuFong erneut MikiFune unter die Augen. Er erklärte ihr, dass er spürte, welche Gefühle der andere Magier für sie hegte. Es waren dieselben Gefühle, die auch er einst für sie empfand. Mit Tränen in den Augen verabschiedete er sich von ihr und küsste sie ein allerletztes Mal. Am Ende der Zeiten würde er auf sie warten, doch bis es dazu käme, sollte sie ein glückliches Leben führen. Mit einer beiläufigen Geste erzeugte er eine Treppe aus purem hellblauen Licht von ihrer Position bis zum Fuße des Berges und dann warf er das Zepter, welches seine Seele enthielt, in den Schlot. ZuFongs Erscheinung verblasste und vor der Dame stand wieder der Magier, mit dem sie die letzten Wochen durch das Land gezogen war.

Sarazian war zwar erschöpft, doch hatte alles durch die Augen ZuFongs mitansehen können. Er ergriff ihre Rechte und rannte dann der Erschöpfung trotzend über die neu entstandene Treppe hinab. Unten wartete schon der Junge, den sie aus dem Kerker befreit hatten und liefen mit ihm so lange, wie sie ihre Füße tragen konnten.

Als sie die Pferde erreichten konnten sie noch sehen, wie über dem Ausbruch vulkanische Blitze zuckten und die gesamte Berghälfte in einem pyroklastischem Strom zu Tage rutschte und das Kloster bis zur Unkenntlichkeit zerstörte.

 

Akt 54:

Weltliche Gestade der Glückseligen:

 

teilnehmende Abenteurer:

Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), MikiFune (NPC)

 

Auch wenn es Sarazian wegen seiner eigenen Erfahrungen innerliche Schmerzen bereitete den Jungen in einem Waisenhaus abzugeben, so war es doch das Beste für ihn. Ihre kommende Reise war einfach zu gefährlich für ein solches Kind.

Nach weiteren drei Wochen der Reise erreichten sie schließlich den Hafenort Ina und nachdem sie sich von den Strapazen in einem Onsen erholt und ihre Kleider gereinigt hatten, quartierten sie sich in einem besseren Gasthaus an den Piers ein. Der Zufall wollte es, dass sie dort auf eine Gruppe fremdländischer Abenteurer trafen und sich zu ihnen gesellen durften. Bei den Fremden handelte es sich um niemand Geringeres als die Fianna Isobel, den Magier Duncan und die Tiermeisterin Cengizhan, die hier auf die Rückkehr ihrer gemeinsamen Gefährten warteten. Der Abend wurde bei Wein und kleinen Speisen lustig und unterhaltsam gefeiert und nachdem ihre drei neuen Bekanntschaften ihnen von ihren Erlebnissen und Wünschen für die Zukunft erzählten, war auch Sarazian gezwungen von seinen weiteren Plänen zu berichten.

Mit einer ehemaligen Begleiterin namens Murrn hatte er sich ausgemalt an der Grenze zwischen Alba und Clanngadarn irgendwann einmal den Grundstein für eine eigene Siedlung zu legen, wo jeder Mensch in Freiheit leben konnte. Es sollte dort keine Stände aber ein gerechtes Steuersystem geben und jedes Kind hätte das Recht eine Schule besuchen zu dürfen. Nach ihrem Ableben im hohen Norden suchte er den Besitzer des Landstriches auf, auf dem sie eigentlich die Siedlung gründen wollten, eine seit Jahren verfallene Burgruine, von der nichts weiter übrig war als die Grundmauern. Der Besitzer war das Clanoberhaupt der MacRathgars, ein adliger Herr namens Ian MacRathgar. Dieser weigerte sich solange ihn zu empfangen bis dieser erkannte, dass er nicht freiwillig von seiner Türpforte verschwand. Und so empfing er ihn. Tatsächlich hatte Ian ohnehin vorgehabt in Zukunft einem adligen und ergebenen Untertanen die Hoheit über diese Burgruine zu überlassen, um sie als Grenzbefestigung gegen die einfallenden Horden der Twyneddin wieder aufzubauen. Doch nach albischem Recht durfte nur ein wahrer Albai Bauland erwerben, Fremden war dies untersagt. Allerdings war er bereit ihn in seinen Clan aufzunehmen, wenn er ihm im Gegenzug einen der legendären Übersetzungswürfel der Zwerge brächte. In der Folgezeit hatte er an vielen unwirklichen Orten auf der Welt danach gesucht, wo sich Zwerge aufgehalten hatten und war sogar in eine untergegangene Zwergenstadt in Moravod am Rande des EISES von Tuomela vorgedrungen. Doch ohne Erfolg. Er war schon beinahe davor gewesen von seinem Traum abzulassen, als ihn einer seiner Stiefgeschwister, Rodric, in seinen Gedanken nach KanThaiPan rief, da er seine Hilfe benötigte. Hier traf er seine und auch ihre Reisegefährten und zog mit ihnen durch das Land, auch um den vermeintlichen Tod seines Bruders aufzuklären. Auf ihrer gemeinsamen Reise in eine der Sphären der Neun Höllen gelangte er schließlich nach einer Konfrontation mit dem Yamakönig Blutadler in den Besitz eines der von ihm gesuchten Übersetzungswürfels der Zwerge. Nun hatte er sich für kurze Zeit von seiner Gruppe verabschiedet, um einer privaten Sache nachzugehen. Doch schon am morgigen Tage würde er zu ihnen zurückkehren, um ihre geheime Aufgabe zu einem Ende zu bringen. Und zurück in Alba würde er dann Clanoberhaupt Ian MacRathgar feierlich den Würfel überreichen, in seinen Clan aufgenommen werden und dann mit dem Aufbau seiner erträumten Siedlung beginnen.

Einige Stunden später legten sich alle fünf in ihren Stuben zur Nachtruhe, auch wenn der Morgen bereits graute. Doch Sarazian und MikiFune lagen noch wach und spähten durch ein Fenster ihres Schlafraumes auf die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Ihre Blicke trafen sich und sie kamen sich nahe. Sie küssten und umarmten sich und läuteten für sich die Nacht der Nächte ein. Und nur mit viel Konzentration konnte MikiFune das Tier in sich unterdrücken und gab sich der Liebkosung hin.

Gemeinsam mit den anderen drei schritten sie zur Mittagszeit zum Schiffsbauwerk und inspizierten das Fortschreiten der Reparaturarbeiten an der „Roten Seekuh“. Die Arbeiten gingen gut voran und würden wohl innerhalb des kommenden Monats beendet werden. Zwar waren alle Ausrüstungsgüter und auch die zusätzlichen Deckaufbauten bei dem Untergang des Schiffes im Wasser des Schattenmeeres verloren gegangen und die neuen Segel zeigten die landestypische Raffung, doch die Qualität der Arbeiten zeugten vom Können der KanThai.

Sarazian bat seine neuen Bekanntschaften bis zu seiner Rückkehr auf seine Zukünftige aufzupassen und verabschiedete sich zu den Stallungen, in der sein Pferd stand. Doch MikiFune rannte ihm hinterher und zerrte ihn überraschend in eine schmale Seitengasse. Hier, wo sie niemand sehen konnte, schwang sie ihren Fächer der Vögel und beschwor damit einen pferdegroßen Windpfau mit bunt leuchtenden Gefieder, ein Wesen, welches der Magier nur aus Sagen und Märchen kannte. Das heilige Tier sollte verschwinden und in seine Welt zurückkehren, sobald sein Auftrag, ihn zu seinen Gefährten zu bringen, beendet war, erklärte MikiFune ihm. Mit diesem sollte es ihm aber gelingen die Abenteurergruppe schneller zu erreichen als es hoch zu Ross möglich wäre. Er bedankte sich mit einem Abschiedskuss und sprang auf den Rücken des Pfaus. Das Tier nahm Anlauf, peste ungehalten auf die große offene Straße, wo die Passanten erschrocken zur Seite wichen und breitete seine Schwingen aus. Mit einigen mächtigen Flügelschlägen erhob sich der Windpfau schließlich in die Lüfte.

Sarazians Ängste und Befürchtungen, dass er das Tier aufgrund der fehlenden Zügel oder seiner Unerfahrenheit einen Vogel zu reiten und auf eben diesem zu fliegen nicht unter Kontrolle hätte, bewahrheiteten sich keineswegs. Das Tier wusste instinktiv wohin es musste. So konnte er den Blick aus der Vogelperspektive auf das weit unter sich hin gleitende Land in vollen Zügen genießen. Die Menschen waren Punkte, nur so groß wie Ameisen und bald würde er wieder zu ihnen stoßen. Dort an den aufragenden Hängen des Shiroyama oberhalb des Selbstmordwaldes würde er auf sie warten.

 

Akt 55:

Die Eisenhütte:

 

teilnehmende Abenteurer:

Alestor (Albai, Krieger), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Albai, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Die Abenteurer hatten den TangHo überquert und folgten mehrere Tage lang wieder der großen Handelsstraße, bis sie in der Ferne ChangAn erkennen konnten. ChangAn war die Hauptstadt und zugleich das kulturelle Zentrum des TsaiChen-Tales in KanThaiPan. Die Stadt gehörte zum Fürstentum JiuKuni, welches vom Clan Hitorihane regiert wurde. Zugleich residierte im dortigen Kaiserpalast der SchiDoscha.

Sie ließen die belebte Stadt links liegen und bogen auf einen kleineren Pfad ein. Diesem folgten sie in gebirgiges Terrain. Es vergingen beinahe drei Wochen, ehedem sich auf einer Anhöhe vor ihnen der dichte und beinahe unberührte Wald lichtete und einen Ausblick auf ein darunter liegendes Tal preisgab. Das Tal wurde von einem großen See eingenommen, dessen Ufer weitreichend gerodet waren. Inmitten des Gewässers befand sich eine befestigte Siedlung mit einer Eisenhütte, deren einziger Zugang eine schmale Landzunge zum Ufer bildete. Es musste sich wohl um einen von Menschenhand aufgeschütteten Dammweg handeln. Und dies war auch zugleich die letzte Siedlung vor dem Selbstmordwald, in der sie die andere Gruppe Auserwählter um Vadock treffen wollten.

Sie begingen den Abstieg ins Tal und schritten über die Landzunge in Richtung des schweren Holztores. Der gesamte teils matschige Erdboden hier zeugte von mehreren Angriffsversuchen wie frische Blutspuren, beschädigte Ausrüstung, eingeschlagene Pfeile und verbrannte Überreste.

Als sie vor die verschlossenen Flügel des Eingangstores traten, tauchten ein halbes Dutzend Bogenschützen auf dem Torhaus auf und richteten ihre Pfeile auf die Abenteurer. Bevor irgendetwas eskalieren tauchte überraschend Vadock hinter den Palisaden auf und redete auf die Schützen ein. Allem Anschein nach genoss der Albai das Vertrauen der Bewohner, denn sie senkten ihre Bögen und öffneten das Tor.

Umgehend wurden die Abenteurer von Vadock begrüßt, auch wenn er Alestor einen missbilligen Blick zuwarf, da er sich noch an seine Tat in Kakureta mura erinnerte. Auch hatte der Krieger sich seit ihrer letzten Begegnung stark verändert, was unter anderen auch an einer Augenklappe über seinem linken Auge lag.

Vadock ging voraus und führte sie in den zweiten Palisadenring der befestigten Siedlung. Unterwegs erläuterte er ihnen die gegenwärtige Situation hier. Diese Bergarbeiter- und Schmiedesiedlung gehörte zum Eigentum von Tozama Daimyo. Vor zwei Wochen zog der Fürst jedoch, einem Aufruf des mächtigen SchiDoscha folgend, beinahe alle seiner SaMurai ab und brach zum Hochplateau des Shiroyama auf. In diesem Ort ließ er nur rund zwei Dutzend seiner Elitekrieger zur Verteidigung zurück. Allerdings nahm ein angrenzender und konkurrierender Daimyo mit Namen SokugareKanwa die Abwesenheit der Verteidiger zum Anlass sich dieses rohstoffreichen Gebietes zu bereichern. Seither verging nicht ein Tag, an dem seine Truppen nicht versuchen würden auf irgendeinen Weg sich der Insel zu bemächtigen. Die Lage sieht jedoch nicht sehr gut aus, denn die meisten der zurück gelassenen Elitekrieger sind schwer verletzt oder gefallen, sodass nur noch zwanzig einfache und wenig geschulte Bewohner ihre Heimat schützten.

Sie betraten gemeinsam die Taverne und konnten in der hintersten Ecke ein kleines zum Tisch umfunktioniertes Fass ausmachen, an dem ihnen bekannte Personen saßen. Es handelte sich um Kruschina Kruschov, Stanislaw Kirlew und Naridyi Aranee. Nach einer herzlichen Begrüßung verfinsterte sich aber deren Gemüt. Auf dem Weg vom letzten Schrein hierher hatten sie einen schweren Verlust erlitten, als Zotico bei einem nächtlichen Überfall auf ihr Lager starb. Und von ihrem Magier Iphicrates Candranorum hatte man seit der Begegnung mit den Piratenschiffen, als er als Feuervogel verwandelt vorgeflogen war, nichts mehr gehört. Aber ihren Freunden fiel auch auf, dass sich ihre eigene Gruppe verändert hatte und so erzählten sie ihnen vom Schicksal ihrer einstigen Begleiter, der Kämpferin Esther-yi Aran, deren Leiche vom Sprachgelehrten Jofric in ihre Heimat gebracht wurde und von ihrem Magier Rodric, dessen Schicksal und Ableben noch immer ungewiss war.

BILD: KARTE SIEDLUNG MIT EISENHÜTTE

Sie wechselten das Thema, bevor sie in Zweifel und Missmut verfielen und erzählten sich, welche Welten jeder von ihnen bei der Suche nach den vier bisher gefundenen Relikten durchquert hatte. So hatte es die Gruppe um Vadock, nach ihrem Besuch in den himmlischen Gefilden, in eine von Lebenskraft durchflutete magische Waldwelt voller Naturgeister verschlagen. Die dort am Schrein befindlichen Bildnisse konnten sie nur schriftlich festhalten und kamen bisher aufgrund von Zeitmangel noch nicht dazu sich Gedanken darüber zu machen. Vor allem war auch jetzt der Zeitpunkt nicht gekommen, sich über den Inhalt den Kopf zu zerbrechen, da der Feind jederzeit vor dem Tor erscheinen könnte. Trotz der Ernsthaftigkeit dieses Gesprächsthemas ging ein Gelächter durch die Runde. Viele waren nämlich der Ansicht, dass es gut wäre, wenn Alberic niemals einen Weg in die zuletzt genannte andere Sphäre fände, da sonst kein Naturgeist vor ihm sicher wäre. Alberic stieß diese Bemerkung Alestors sauer auf und er schoss damit zurück, dass er anmerkte, auch Alestor hätte die letzte Gelegenheit wahrgenommen und gefickt! Sofort rückte Naridyi etwas von dem Krieger ab und warf ihm einen bösen Blick zu, da sie dachte, er meinte ihre Beziehung ernst. Alestors Schweigen missfiel ihr augenscheinlich sogar noch mehr als seine Unzucht und versank ebenfalls in Schweigen. Yosuke spürte die aufkommende beklemmende Atmosphäre, die die Stimmung zu vergiften drohte und lenkte alle Anwesenden damit ab, dass er sich selbst vorstellte. Erst jetzt fiel den Vieren der anderen Auserwählten auf, wie sehr sich Miya verändert hatte. Von ihrer kindhaften Ängstlichkeit war kaum mehr etwas übrig und stattdessen saß sie nun aufgeschlossen und mit Nahkampfwaffen mit ihnen am Tisch. Alestor war alles andere als begeistert von Miya, denn in seinen Augen war sie nichts weiter als ein Teufel. Miya ließ sich nicht provozieren. Sie grinste ihm stattdessen hämisch zu, streichelte die Griffknäufe ihrer Kurzschwerter und pflichtete ihm bei, ein Teufel zu sein. Bei ihrer ungewohnten Reaktion staunten alle und Tarion motivierte dies sogar so sehr, dass er sich gleich darauf ein neues Getränk orderte.

Dann begann Vadock bezüglich der großen bevorstehenden Schlacht am Shiroyama zu erzählen. Laut einem Gerücht zufolge hatte das KuraiAnat sogar die Unsterblichen aus der Festung YenXuLu mobilisiert, da es angeblich einen Angriff auf das höchste Heiligtum des PadKu gab, welches sich an den Hängen eines aktiven Vulkans weit im Süden des Landes befand. Zurzeit befanden sich etwa 40.000 kaisertreue Soldaten auf dem Weg zum Hochplateau. Der SchiDoscha seinerseits konnte ein Heer von rund 30.000 SaMurai und anderen Kriegern aufstellen, die sich ihnen dort entgegenstellen werden. Was zu Beginn als der Versuch des Kaisers und der Schwarzen Adepten begann den Weg der Auserwählten zu behindern, gewann mit der Zeit eine Eigendynamik. Die TsaiChin mit dem SchiDoscha und dem Berater Abe an der Spitze wollten dem Treiben des Marionettenkaisers und seiner Magiewirker Einhalt gebieten und stellten ihrerseits Truppen auf, um nun für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landesteils zu kämpfen. Leider war das Hochplateau am Shiroyama, welches hinter dem Selbstmordwald lag, auch der einzige begehbare Zugang zum letzten Heiligtum, wo sich der Karte auf dem Himmlischen Flügelgewand zufolge das „Juwel, welches in fünf Farben am Halse des Drachens, schimmerte“, befand.

Wo sie schon von den Relikten sprachen, offenbarten sie ihnen auch, wer die zwei von ihnen gefundenen Relikte trug und was sie bisher über die jeweiligen Fähigkeiten in Erfahrung bringen konnten. So war die moravische Schamanin Kruschina im Besitz der heiligen Steinschale des Butsu, die durch Meditation einen Bereich der Unangreifbarkeit erzeugen konnte. Zudem wirkte diese während ihrer Wirkungsdauer auf alle Wesen in der Nähe besänftigend. Die aranische Feuermagierin Naridyi trug dagegen das legendäre Fell der Feuerratte, welches ihr eine absolute Immunität gegen Feuer, Blitze, Lava und ähnlicher starker Hitze verlieh. Leider schützte dieses Fell nur den Träger, nicht aber die Dinge, die er oder sie am Leibe trug.

Dann richtete sich ihr Gespräch wieder auf die Problematik am Shiroyama. Zwar konnten sie, wenn sie unbedingt wollten, den Selbstmordwald umgehen, indem sie den großen Passstraßen folgten, die weit von ihrer derzeitigen Position begannen, doch dieser Umweg würde sie mindestens zwei Monde kosten. Darüber hinaus gab es noch einige Gefährten, die noch private Dinge in diesem verfluchten Wald erledigen wollten. Doch selbst wenn sie das Hochplateau erreichten, hatten sie keinerlei Ahnung, wie das dortige Schlachtfeld aussähe. Kämen sie überhaupt durch die dort drohenden Kämpfe hindurch oder wären sie gezwungen sich durch eines der beiden Lager hindurch zu schleichen? Dann hatte Tarion eine mögliche Lösung für ihr Problem gefunden. Sie wussten bereits, dass der Herrscher dieser Siedlung, der Daimyo Tozama, mit seinen Truppen dem SchiDoscha zu dem Schlachtfeld folgte. Wenn sie nun diese Eisenhütte vor dem Angriff der Truppen des konkurrierenden Daimyo SokugareKanwa schützten, könnten sie sich dafür einen schriftlichen Beweis aufsetzen lassen, welches sie im Heerlager der TsaiChin als Freunde auswies. Ihnen alles gefiel Tarions Vorschlag.

Vadoch erklärte sich bereit Mitsuaki, das Oberhaupt dieser Siedlung, dahingehend zu fragen. Zwar war Mitsuaki ein vielbeschäftigter Mann, der nun durch die andauernden Angriffe drohte in Arbeit zu versinken, doch für eine solche Unterstützung würde er bestimmt seine Arbeit liegen lassen.Da der Albai wusste, wo sich das Oberhaupt zu dieser Stunde aufhielt, nämlich in den Werkhallen der eigentlichen Eisenhütte, eilte er auch prompt los.

Sie hatten gerade in aller Gemütlichkeit die zweite Runde zu trinken begonnen, da kam Vadock mit Mitsuaki an seiner Seite zurück. Mitsuaki war ein stämmiger KanThai in der Mitte seines Lebens und zeigte sich begeistert von den neuen Freiwilligen für die Verteidigung seiner Heimat. Doch wie hatten sie vor diese Halbinsel vor dem erneuten Zugriff der Feinde zu schützen? Da unterbreiteten sie ihm den Vorschlag mit einem Pflug Gräben auf der Landbrücke zu ziehen, welche man mit Öl füllen und dann mit Brandpfeilen zur Explosion bringen könnte. Tatsächlich offenbarte ihnen Mitsuaki noch ein Fass mit zweihundert Litern brennbarem Schmieröl zu besitzen, welches sich in der Schmiede befand. Er kannte sogar die Taktiken der Angreifer. Daimyo SokugareKanwa sandte zwar nur rund hundert Mann, da er womöglich davon ausginge, diese Siedlung bliebe unbewacht zurück und seine Männer könnten leichtes Spiel haben, doch sie griffen immer in Wellen an und versuchten dabei eine Strategie der „tausend Nadelstiche“, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Alberic und Harkon schlugen vor diese Taktik umzukehren und sie gegen die Angreifer selbst zu verwenden. Mit ihrer Magie sollte es ihnen möglich wein Nebel aufziehen zu lassen und dann zum Beispiel verkleidet als der Dämon des Südens im Nebelmeer vor den Kriegern zu erscheinen und sie somit in die Flucht zu schlagen.

Nachdem die strategischen Diskussionen eine Pause einlegten, nutzte Harkon diese Auszeit, um die Gefahren anzusprechen, mit denen sie es im Selbstmordwald zu tun bekommen könnten. Durch Harkons Geschichtswissen und Yosukes Zutun kamen sie dann auf eine ominöse weiße Frau, die angeblich dort residierenden Herren des Waldes und etwaigen durch die Zerstörung des Waldes erzürnten Naturgeister. Mitsuaki komplettierte diese Liste noch um einen weiteren Punkt: seit Kurzem gäbe es in diesem Wald nämlich eine finstere Präsenz, deren bloße Anwesenheit schon zum Tod von mehreren Kindern und Neugeborenen führte. Diese angesprochenen Punkte beunruhigten sie, sodass sie Harkon ermutigten weiter seine grauen Zellen dahingehend anzustrengen. Nach wenigen Minuten offenbarte er ihnen eine Liste von mehreren Göttern, Geistern und Dämonen, die seinem Wissen nach in dieser Gegend bekannt und heimisch waren. Zu diesen gehörten der Kirin, der Waldgott, der Prinz der Feen, ein Walddrache, die Eule, die Grüne Dame, ein einstmals versiegelter und nun befreiter Spinnendämon und eine geisterhafte und todbringende Braut, die höchstwahrscheinlich von einer fehlgeschlagenen Geisterhochzeit ihren Ursprung hatte.

Doch selbst, wenn sie die Belagerung überstehen, den Gefahren des Waldes trotzen und über das Schlachtfeld am Shiroyama kämen, könnten sich ihnen noch die vierzig Unsterblichen entgegenstellen. Laut Harkon trugen diese beinahe gottgleichen und angeblich unsterblichen Elitekrieger die dunkle Gewandung der Schwarzen Adepten inklusive der Masken. Allerdings verwendeten sie keine Zauber, sondern konzentrierten sich hauptsächlich auf den Nahkampf und die Verwendung von unterschiedlichen und tödlichen Giften.

Egal! Es war zu früh, um sich dahingehend Gedanken zu machen, denn sie mussten sich erst einmal auf die bevorstehende Belagerung konzentrieren. Alberic machte sich sogleich daran drei Geisterkostüme mitsamt Holzmasken anzufertigen, während Tarion in der Schmiede einen kleinen Pflug in Auftrag gab. In der Zwischenzeit verzauberte Harkon einige ihrer Waffen mit „Chaosweihe“, um ihnen im Zweikampf eine höhere Durchschlagskraft zu geben.

Tarin wandte sich anschließend wieder an Mitsuaki, da es einigen ihrer beiden Gruppen an Waffen und Ausrüstung mangelte. Das Oberhaupt führte sie schließlich zum Fertiglager im Handwerkerbereich, in dem sich bis zur Decke Rüstungen und Waffen fein säuberlich sortiert reihten. Auch Miya, Naridyi und Kruschina organisierten sich Lederwämse, sowie Arm- und Beinschienen. Als sie danach das Fertiglager verließen, merkte er an, dass der Feind auch vermehrt Brandpfeile einsetzen könnte. Immerhin bestanden alle Gebäude aus Holz. Als hätte Naridyi seine Gedanken lesen können, fiel sie ihm ins Wort und beschwor ihn bei den folgenden Kämpfen keine Feuer zu löschen. „Was brennt, das brennt“, das wäre der Wille ihres Gottes Ormut. Sowohl Alestor als auch Tarion stieß dieser unnötige Einwand sauer auf, denn diese Diskussion führten sie schon einmal, damals auf der Insel der Kannibalen, als sie das Dorf der Eingeborenen von Bord aus mit brennenden Bolzen ihrer Balliste beschossen hatten.

Dann durchbrach ein Alarmhorn die frühabendliche Stille und in aller Eile brachen die Abenteurer und Mitsuaki zum Tor auf. Eine Reiterschar von zehn mit Dämonenfratzen maskierter SaMurai ritten auf die Schmiedesiedlung zu und hielten in der Mitte der Landzunge ein. Einer der Männer, der eine feine, blaue Seidenrobe trug, nahm seine Maske ab und erhob das Wort. Mit eindringlicher Stimme forderte er die Verteidiger zur Aufgabe auf und gab ihnen dafür eine Frist bis zur morgigen Mittagsstunde. Mitsuaki weigerte sich und Alberic forderte vom Torhaus aus sogar den Reiter zu einem Zweikampf auf. Einer der SaMurai stellte sich erzürnt vor seinen Herrn und warnte den Wurm, Alberic, Daimyo SokugareKanwa den nötigen Respekt zu erweisen. Alberic lachte laut und ihm fiel nichts besseres ein, als den SaMurai seinerseits als Wurm zu bezeichnen, woraufhin dieser ihm versprach ihm in einem kommenden Zweikampf seinen Kopf von den Schultern zu trennen. SokugareKanwa beendete diese gescheiterte Verhandlung, schwang sich wieder auf den Rücken seines Pferdes und trabte hinfort. Seine SaMurai folgten ihm. Als die Reiter sich entfernten, spielte Harkon noch kurz mit dem Gedanken das Wasser des Sees zu bändigen, um den Fürsten und seine Reiter von der Landzunge in den See zu schwemmen. Doch leider wurde er sich der Tatsache bewusst, dass seine „Wassermeisterschaft“ für einen solchen Angriff zu schwach war.

Nachdem die Sonne vollständig hinter dem Horizont verschwunden und der Vollmond aufgegangen war, verschwanden Tarion und Kruschina auf ihrem Zimmer, um etwas gemeinsame Zeit zu verbringen. Etwa zeitgleich begab sich Harkon auf das vorderste Torhaus und ließ seine Fledermaus die Umgebung absuchen. Mittels „Binden des Vertrauten“ konnte er durch die Augen seines tierischern Begleiters blicken und erspähte in einiger Entfernung auf der anderen Seite des Sees das Heerlager des Feindes. Es war stark befestigt und bot bestimmt hundert, wenn nicht gar hundertzwanzig Kriegern Platz. Als sein Vertrauter zurück zur Schmiedesiedlung flog, kreuzte über ihnen ein großer bunter Vogel, der einen regenbogenfarbenen Schweif hinter sich herzog, ihre Flugbahn. Es war ein Windpfau, ein heiliges Tier, welches zum Selbstmordwald unterwegs war. Doch Harkon wunderte sich. War auf dem Tier nicht ein Reiter zu sehen?

Danach verschaffte sich Harkon Zugang in das Holz- und Kohlelager. Es war niemand da. Daher schleifte er die in einem großen Leinensack steckende Leiche des moravischen Hexenjägers von ihrem Wagen dorthin und öffnete den Sack. Die Leiche stank mittlerweile erbärmlich und verweste zusehends. Er nahm seine magischen Utensilien zur Hand und bereitete ein finsteres Ritual vor, bei dem er den einstigen Hexenjäger in einen Todeswächter verwandelte. Diesem gab er schließlich den Befehl in diesem Lager zu warten und sich vor fremden Blicken verborgen zu halten.

 

Akt 56:

Gefährliche Queste: Die Belagerung der Insel:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Albai, Heilerin und weiße Hexe), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Alba, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Fela Garcia wandte sich Vadock zu, da sie interessiert war zu hören, warum sein eines Auge nun mit einer Augenklappe verdeckt war. Schweren Herzens erinnerte er sich an das Erlebnis seiner Gruppe von vor ein paar Wochen zurück. Nachdem sie ihr zweites Relikt geborgen hatten machten sie sich auf den Weg zu ihrem ausgemachten Treffpunkt, zur Eisenhütte, der letzten Siedlung vor ihrem eigentlichen Ziel. Unterwegs kamen sie durch ein kleines Dorf, in dem sie ihre Vorräte aufstockten und sich einige Tage ausruhten und gut gehen ließen, um sich von den Strapazen ihrer bisherigen Reise etwas zu erholen. Vermutlich hatten sie dabei ihr Vermögen einmal zur oft vor den in Armut lebenden Bewohnern zur Schau gestellt. Sie verließen schließlich das Dorf und lagerten auf offenem Gelände. Doch in dieser Nacht wurden sie von Plünderern überrascht, die an ihre Reichtümer gelangen wollten. Zwar konnten sie die Angreifer in die Flucht schlagen, doch ihr Begleiter Zotico ließ dabei sein Leben, was sie weitaus schwerer traf, als sein dabei verlorenes Auge. Vadock meinte bei dieser Konfrontation sogar den einen oder anderen Bewohner des letzten Dorfes wiedererkannt zu haben. Fela Garcia fühlte mit ihm. Gerne hätte sie sein verlorenes Auge wiederhergestellt, doch selbst ihr mächtigster Heilzauber „Allheilung“ wäre dazu nicht imstande ein verlorenes Körperteil wieder zu regenerieren.

Etwa zur selben Zeit wurde Alberic mit der Herstellung der drei Masken und Verkleidungen für seine Onikostüme fertig, um die angreifenden SaMurai zu verängstigen und vielleicht sogar in die Flucht zu schlagen. Doch etwas fehlte noch, die typisch weiße Farbe, die Geister für gewöhnlich aufwiesen. Weil es in der Schmiedesiedlung keine weiße Farbe gab, griff er auf die Aschereste aus den Schmieden zurück und verlieh den Kostümen ein hellgraues Äußeres.

Es war schon dunkelste Nacht als Harkon seine Gefährten zu sich rief. Dann unterbreitete er ihnen einen heimtückischen Plan, um den feindlichen Truppen eine Nacht des Grauens zu bescheren und ihre Motivation für den nächsten Tag zu senken. Sie willigten schließlich ein, denn sie brauchten jedwede Unterstützung, um gegen diese Übermacht bestehen zu können.

Harkon ging danach ins Freie und schickte seinen Vertrauten abermals in Richtung des Lagers. Er war sich bewusst, dass sein Plan ihn äußerst schwächen würde, sodass er sich in der folgenden Schlacht im Hintergrund aufhalten musste. Als seine Fledermaus das große Zeltlager erreichte, wirkte er „Dämonische Zaubermacht“, um seine Zauberkunst zu verstärken, gefolgt von „Binden des Vertrauten“, um durch die Augen seines dämonischen Begleiters zu sehen und dann an dessen Position seine Magie zu wirken. Dann ließ er einen „Nebel des Grauens“ über dem Lager aufziehen. Dichte Nebelschwaden überzogen die Zelte und behinderten nicht nur die Sicht der SaMurai und dämpften den Schall, sondern erzeugten auch Trugbilder von mysteriösen Wesenheiten, welche anscheinend durch den Nebel streiften und die Krieger in Angst und Schrecken versetzte. Harkon selbst konnte zwar davon kaum etwas wahrnehmen, denn der Nebel behinderte auch seine Sicht, sodass er nur das fahle Licht von unzähligen Fackeln erkannte, die sich durch das weiße Meer bewegten und gedämpfte Rufe wahrnahm. Noch während das Chaos im Lager herrschte sprach er noch die Zauberformel von „Ungewitter“, woraufhin örtlich begrenzte Gewitterwolken heraufzogen und ein starker Wind durch das Lager wehte. Der einsetzende Regen spülte zwar den Nebel fort, doch die zuckenden Blitze lösten zahlreiche Brände aus. Jetzt erst konnte er die eiligst herum rennenden Krieger ausmachen, die in ihrer Verzweiflung versuchten die Feuer zu löschen, während deren Hauptmänner unter lautem Brüllen von Befehlen zur Ordnung riefen. Harkon lachte laut auf, doch er war noch nicht fertig. Nachdem er eine der Wachen vor dem Zugang zum Lager mit „Wahnsinn“ belegte und mittels „Stimmwerfen“ ein lauthalses Gelächter erklingen ließ, beschwor er noch einen Fledermausschwarm, der über die Köpfe der SaMurai hinweg flog. Sofort hauten die Krieger mit ihren Katanas nach den Tierchen und versuchten gar, ohne Rücksicht auf Verluste, mit Pfeilen in die Luft auf sie zu schießen. Als auch Harkons Fledermausvertrauter beinahe von einem Pfeil getroffen wurde, war er sich bewusst, dass sie im Himmel nicht mehr sicher war. Er ließ sie daraufhin vor einem Zugangstor vor einigen Wachen landen und verlieh ihr mit dem Illusionszauber „Macht über das Selbst“ sein eigenes Äußeres, jenes von Harkon. Vor den vor Angst erschaudernden Kriegern wünschte er ihnen nur ein schönes Wiedersehen am morgigen Tag, ehe er den Zauber auflöste. Die Wachen schrien entsetzt, denn sie hielten diese auf sie gewirkten Katastrophen für die Flüche eines Oni, eines Dämons aus der Hölle.

Erschöpft sank er beinahe auf dem Platz vor der großen Schmiede zusammen und schleppte sich mit seiner restlichen Kraft zur Taverne zurück, wo er sich umgehend ausruhen musste. Auf dem Wehrgang der Palisade waren indes die merkwürdigen Geschehnisse im feindlichen Heerlager auf der anderen Seite des Sees den Nachtwachen und den Abenteurern nicht entgangen, sodass sich selbst zu dieser späten Stunde mehrere Dutzend Leute dorthin drängten, um zu sehen, was dort vor sich ging. Über dem Lager konnten sie nur die weißen und durch den Vollmond beschienenen Nebelschwaden erkennen, sowie die Feuer, die durch das örtlich begrenzte Gewitter entstanden waren. Bis zur Schmiedesiedlung reichten nur kleinere Wellen im Wasser, die durch den dort in der Ferne tobende Sturm herrührten. Doch nach kurzer Zeit war auch dieser Spuk vergangen.

Als wieder Ruhe einkehrte ging Tarion etwas abseits und suchte einen stillen Platz auf. Hier ging er in sich und richtete ein stilles Stoßgebet hinauf zu seinem Totengott Ylathor und wünschte sich, dass dieser seine schützenden Hände morgen über sich und seine Gefährten ausbreitete.

Woanders tat Alberic etwas Ähnliches. Doch im Gegensatz zu Tarion versuchte er nicht in Kontakt mit seinem Gott zu treten, sondern suchte in seinen Gedanken das Gespräch mit Kalliope, der Muse. Sie war froh ihn zu sehen und gesprächsbereit. Nachdem er ihr von der bevorstehenden Belagerung erzählte und sie ihm viel Erfolg wünschte, hatte sie aber auch eine wichtige Frage an ihn, die ihr schon seit einigen Wochen auf der Seele brannte. Wer war die andere Frauenstimme, die sie seit Kurzem in seiner Gedankenwelt vernahm? Alberic schluckte und verschlang es den Atem, denn mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Er versuchte ihr die Situation zu erläutern, dass es sich bei dieser anderen Frau um einen Naturgeist handelte, die in ihn gefahren war, nachdem er ihr versprach, ihr seine Welt zu zeigen. Mit dieser Erklärung gab sich die Muse schließlich zufrieden.

Als der nächste Morgen graute, war Tarion schon früh dabei mit dem neuen und noch in der Nacht fertig gestellten Pflug einen Graben für das brennbare Öl in den Dammweg zu ziehen. Doch reichten ihre Vorbereitungen, um der drohenden Invasion etwas entgegen setzen zu können? Alberic wiederum verschwendete keinen Gedanken an die kommenden Kämpfe, sondern trainierte, wie seit einiger Zeit zu jedem Sonnenaufgang, in seinen Gedanken mit Kalliope. Während er damit seine Fähigkeiten in den Techniken des KiDo festigte, nutzte sie Pankration..

Dann erschienen die SaMurai am Seeufer vor der Landzunge, die zu der Halbinsel mit der Schmiedesiedlung führte. Wie schon einen Tag zuvor ritt eine Gruppe Reiter, die Befehlshaber, zu dem Tor zu. Sie verlangten sofort die Aufgabe der Verteidiger. Sie sollten ihre Waffen umgehend niederlegen und das Tor für die Truppen öffnen. Als nur betretendes Schweigen als Antwort kam, wurden sie ernst. Sie wussten, dass die Verteidiger mit einem Oni paktierten. Wegen des Vorfalls in der letzten Nacht war dies nun kein einfacher Auftrag ihres Fürsten mehr, sondern für sie sogar zu einer privaten Angelegenheit geworden. Sie wandten sich um und ritten zu ihren Soldaten zurück.

Tarion stand bereit hinter dem schweren, hölzernen Eingangstor und machte sich so seine Gedanken über die gegenwärtige Situation. Die Fahnen der SaMurai gehörten definitiv zu Daimyo Sokugare, der der größte Konkurrent von Daimyo Tozama war, dem diese Schmiede inklusive des umgebenen Landstrichs gehörte. Daimyo Sokugare war es wohl egal, ob sich die Auserwählten der langen Pilgerfahrt, auf deren Schultern vermutlich die Zukunft dieser Welt ruhte, im Inneren befanden. Oder war er sich dieser Tatsache einfach nur nicht bewusst, denn immerhin hatten sie ihre Identitäten hier geheim gehalten. Vielleicht galt dessen Treue auch einfach nur dem Jadekaiser, der laut Hörensagen nichts weiter als eine Marionette der Schwarzen Adepten und noch heute offizielles Oberhaupt des SchiDoschas war, auch wenn sich diese beiden Männer mit der Zeit entfremdeten. Letzteres könnte auch eine Erklärung dafür sein, da er nicht dem Ruf des SchiDoschas, dem obersten militärischen Befehlshaber des TsaiChen-Tals folgte, sondern gar die Abwesenheit der Truppen Tozamas ausnutzte, um sein eigenes Einflussgebiet zu vergrößern.

Als sich die SaMurai in Bewegung setzten und deren Bogenschützen Position an den Ufern des Sees einnahmen, wirkte Harkon „Nebel wecken“ und die Halbinsel versank daraufhin in einem grauen Schleier, so dicht, dass man nur zehn Metern weit blicken konnte. Sein nächster Spruch „Ungewitter“ sollte erst mit der Zeit seine Macht entfalten. Derweil beschleunigte Fela Garcia ihre Gefährten, die nun durch das Tor nach außen gehen sollten, mit ihren magischen Künsten. Tarion, Stanislaw und Alberic warfen ihre geisterhaften Verkleidungen über und maskierten sich, ehe sich das Tor für sie einen Spalt weit öffnete und sie auf die schmale Landzunge heraustraten. Hintere ihnen, in der zweiten Kampfreihe, nahm Vadock unverkleidet seinen Posten ein. Falls es einem Angreifer gelingen sollte durch die Reihe der maskierten Gestalten zu treten, dann sollte er sich um diesen Unglücklichen kümmern.

Kurz nachdem Tarion mit einer Fackel das Öl im Graben entzündet hatte, traten die ersten feindlichen Krieger durch die dichten Nebelschwaden langsam auf sie zu. In ihren Gesichtern spiegelte sich noch die Angst und die Erschöpfung der vergangenen und für sie unwirklichen Nacht voller Terror, die ihnen wohl kein Schlaf mehr geschenkt hatte. Die Feinde überwanden nur mit Mühe ihre Furcht und warfen sich todesmutig auf die drei geisterhaften Gestalten vor ihnen. Trotz ihrer zahlenmäßigen Übermacht hatten sie größtmögliche Probleme gegen die mit „Beschleunigen“ verzauberten Geister, die allesamt im beidhändigen Kampf geschult waren. Der Boden war schon übersät mit Leichen und in dem unebenen Gelände sammelten sich Pfützen voller Blut, als Tarion den Befehlshaber des ersten SaMuraitrupps niederstreckte. Stanislaw hatte weniger Glück und wurde gleich von mehreren Kriegern zurückgedrängt. Der Morave wich zwar den vielen Hieben seiner Gegenüber gekonnt aus, doch gelangte es einem von ihnen ihn mit einem Schlag seines Schwertes zu entwaffnen (20). Vadock erkannte dies und rannte in die Bresche, um seinem Kameraden genügend Zeit zu verschaffen, damit dieser sein eines Schwert wieder vom Boden auflesen konnte.

Harkon vernahm die von der Front hallenden Schreie und gab den verteidigenden Bogenschützen, die bis dato wegen des Nebels noch auf einen günstigen Zeitpunkt warteten, den Befehl, einen koordinierten Pfeilhagel hinter die auf dem Dammweg brennenden Feuer abzugeben. Daraufhin flitzten Dutzende Pfeile in das Weiß des Nebels ins Unbekannte, in der bloßen Hoffnung, zufällig ein Ziel zu finden. Als die Pfeile zu Boden gingen drohten die SaMurai beinahe die erste Front, bestehend aus Stranislaw, Alberic und Tarion zu überrennen. In dieser Situation warf sich ein tödlich verwundeter Krieger mit letzter Kraft auf den verkleideten Stanislaw, warf ihn zu Boden (20) und lieferte sich mit ihm im durchtränkten Matsch eine wilde Rauferei. Als der SaMurai erkannte, dass sein Gegenüber in Wahrheit kein Geist war, rief er diese Neuigkeit umgehend den anderen zu. Stanislaw beendete dessen Leben zwar mit einigen geübten Schlägen und warf seinen Leichnam in den Dreck, doch der Schaden war bereits angerichtet. Diese letzten Worte beflügelten die SaMurai und zeigten fortan keinerlei Furcht mehr, sondern konzentrierten ihre Wut über dieses makabre Schauspiel auf die vier Krieger vor ihnen, die es gewagt hatten, sie zum Narren zu halten.

Unterdessen hatte einer der Hauptmänner am Seeufer den von den Verteidigern ausgehenden Pfeilhagel bemerkt, der in einer hohen ballistischen Kurve oben aus dem Nebel herausgetreten war und dann wieder in diesem verschwand, genau an der Landzunge, auf der sich seine Leute befanden. Nun gab er seinerseits seinen Männern, die schon mit gespannten Bögen am Ufer warteten, den Befehl, dasselbe tu tun, blind in den Nebel zu schießen. Mehrere vom Glück beseelte Pfeile trafen dabei die Verteidiger (2x20), die unmöglich diese Gefahr haben kommen sehen können. An der Frontlinie kämpften die vier Auserwählten weiterhin bis zur Erschöpfung, doch sie hielten stand. Als Stanislaw abermals eines seiner Waffen aus der Hand geschlagen wurde (1), hörte Alberic in der Ferne das gedämpfte und lauter werdende Geräusch einer angalloppierenden Reiterei. Mit einem lauten Rufen warnte er seine Gefährten.

In der Schmiedesiedlung traten drei Ninjas, Assassinen, aus ihren Verstecken hervor, die bis dato unentdeckt geblieben waren und sich wohl schon seit Längerem hier verschanzt hatten, und griffen mit gezückten Dolchen die bewaffneten Dörfler still und leise von hinten an, um sie zu ermeucheln. Einer hatte gar die Dreistigkeit Harkon anzugreifen. Doch dieser bemerkte im letzten Augenblick den auf ihn versuchten Meuchelmord und wich aus. Da der neue Todeswächter spürte, wie sein Herr und Meister in Bedrängnis geriet, stieß dieser die Türe vom Verschlag des Holz- und Kohlelagers weit auf, gab sich zu erkennen und kam Harkon zu Hilfe. Ein heraneilender Dörfler, der mit einem einfachen Speer bewaffnet war, um sich dem Ninja entgegen zu stellen, bemerkte schockiert den Untoten und schlug Alarm. Prompt richteten sich zwei Bogenschützinnen auf der Palisade um, spannten ihre Bögen und schossen. Nicht jedoch auf den Assassinen, sondern auf diese unheilige, gottlose und untote Kreatur, die auf der Gasse den Kampf mit einem Menschen aufgenommen hatte. Harkon wusste um diese heikle Situation und befahl gedanklich seinen anderen zwei Untoten in ihrer Kiste auf dem Wagen auszuharren und sich keinesfalls zu zeigen. Dann belegte er den Ninja vor sich, der sich nun auf den Todeswächter konzentrierte, mit „Namenlosem Grauen“. So schnell konnte selbst der schwarze Hexer nicht blicken, wie sich sein Gegenüber aus dem Kampf löste und in Windeseile die Flucht antrat.

Da die Augen der Siedlungsbewohner allesamt auf andere Geschehnisse gerichtet waren, bemerkte auch niemand die zwei anlegenden Holzboote, die im Schutze der dichten Nebelschwaden am Ufer unterhalb der Palisade anlegten. Erst als einige dieser neuen Krieger die Holzmauern erklommen und sich mit Eifer ins Gefecht stürzten, realisierten die Verteidiger die neue Gefahr, der sie ausgesetzt waren. Einige der neu eingetroffenen SaMurai und Söldner liefen jedoch unterhalb des Palisadenrings entlang in Richtung des Tores, wo sie den vier Auserwählten in den Rücken fielen.

Wieder war es Harkon, der aus guten Willen heraus mit seiner Magie versuchte die Motivation der Angreifer zu senken und sie einzuschüchtern, als er „Blutregen“ wirkte. Prompt setzte ein feiner blutroter Nieselregen ein, der die Oberflächen der Häuser und auch alle Menschen so langsam rot einfärbte. Selbst der Nebel, als auch das Wasser des Sees begann sich zu verfärben. Leider achtete er nicht auf den Wirkungsbereich, sodass lediglich die Halbinsel betroffen war, nicht aber große Teile des feindlichen Heeres. Dies hatte unweigerlich zur Folge, dass die Verteidiger in Panik verfielen und sich Unruhe breitmachte.

Im Körper des Todeswächters steckten mittlerweile einige Pfeile und obwohl Harkon versuchte die Bogenschützen zu beruhigen, dass er in der Lage wäre den Untoten selbst zu besiegen (um ihn zu retten) erreichten seine Erklärungen sie nicht. Ihre bloße Panik vor diesem Wesen hatte die Oberhand übernommen. Dann tauchte der Priester des Ortes auf und begann gerade einen Spruch, der das Wesen vernichten sollte, als Harkon dem Todeswächter befahl sich einfach fallen zu lassen und sich tot zu stellen. Sofort stellten die anderen ihre Angriffe ein. Harkon ging gemächlichen Schrittes auf den Priester zu und überzeugte ihn, er hätte sich bereits um den Untoten gekümmert. Vermutlich hatten die SaMurai den Untoten, genauso wie die Assassinen hier versteckt gehalten, um die Festung bei ihrem Sturmangriff von innen heraus zu schwächen, damit sie sie von zwei Seiten aus in die Mangel nehmen konnten. Der Priester hatte keine Zeit sich jetzt Gedanken darum zu machen und wandte ihm den Rücken zu. Harkon atmete erleichtert auf, denn es war ihm irgendwie gelungen seinen Untoten vor dem unweigerlichen Ende zu schützen. Er packte seine Kreatur und schleifte sie zum Wagen, wo er sie unter der Plane versteckte, ehe er sich abermals zu dem kleinen Platz hinter der Eisenhütte zurückzog. In der Annahme allein zu sein, hüllte er sich in seinen Schwingenumhang und erhob sich in die Lüfte, um die Schlacht von oben aus zu betrachten. Etwas entfernt drehte sich der Priester nochmals um und meinte dies gesehen zu haben. Er war sich jedoch nicht ganz so sicher, was er dort gesehen hatte, da es auch sein konnte, dass ihm seine Augen im dichten Nebel vielleicht einen Streich spielten. War dieser Fremde etwa gerade geflogen?

Auf der Palisade im unteren Ring traf derweil ein verirrter Pfeil Yosuke (20), der daraufhin hinter einer Deckung Schutz suchte. Als Fela Garcia dies sah, stöhnte sie auf, denn sie war nun der festen Überzeugung, dass Tarions neuer Saufkumpan zu nichts zu gebrauchen ware und er auch nichts in ihrer Gruppe verloren hätte. Dass der Nebel vermutlich Schuld daran hatte, dass er seine Bogenkünste nicht unter Beweis stellen konnte, an diesen Gedanken verschwendete sie jedoch keine Sekunde.

Vor dem Tor schienen die SaMurai die verteidigenden Krieger überrennen zu wollen, als ihre mit den Booten eingetroffene Verstärkung sie nun von hinten beharkten. Die Bogenschützen versuchten, soweit es ihnen möglich war, zu helfen und beschossen sie trotz der eingeschränkten Sicht mit mehreren Salven Pfeilen. Kurz geriet Tarion in Bedrängnis, als er von mehreren Feinden umringt war. Er half sich, indem er berserkerartig einen Angreifer in das Feuer des Ölgrabens trat, um sich dann den anderen zuzuwenden.

Dann tauchte aus dem Nebel der erste berittene Reiter der Schar auf. Es war der SaMuraihauptmann, der Albereic aufgrund seiner Äußerungen Rache geschworen hatte. Als dieser Hauptmann Alberic sah, ritt er im vollem Sturmangriff mit seinem Stoßspeer voraus auf seinen Kontrahenten zu. Diesem gelang es nur mit viel Glück um Haaresbreite dem tödlichen Angriff auszuweichen. Fela Garcia bemerkte die missliche ihres Freundes und wirkte umgehend „Macht über die belebte Natur“ auf das Pferd des Hauptmannes, um es unter ihre geistige Kontrolle zu bringen. Der Zauber verfehlte seine Wirkung nicht. Das Ross bäumte sich auf und warf seinen Reiter im hohen Bogen ab, wo er unsanft auf dem nassen Grund vor Alberics Füßen aufkam. Alberic blickte den Hauptmann mit einem bösartigen Blick an, bevor er diesen mit einer Abfolge von Schwerthieben von seinem Dasein erlöste.

Der oberste Feldherr der SaMurai hatte genug gesehen und gab das Signal zum Rückzug. Seine Männer gehorchten ihm und eilten über den Dammweg fort. Nachdem eine Drohung seinerseits geschrien war, dass diese Auseinandersetzung noch lange nicht beendet wäre, dauerte es nicht lange, bis das Heer die umliegenden Hügel des Sees bestiegen und verschwunden war. Harkon löste daraufhin seine Zauber auf, der Nebel verschwand, das Wetter besserte sich und die blutrot getünchte Umgebung nahm seine normale Farbe wieder an. Für die Verteidiger musste dies so ausgesehen haben, als wären diese seltsamen Vorkommnisse von einem Zauberer auf Seiten der SaMurai gewirkt worden. Laute Jubelschreie hallten über das Seegebiet.

Einige Zeit später suchte Tarion Mitsuaki auf. Mitsuaki war der festen Überzeugung, dass die SaMurai nun einige Tage benötigten, um sich neu zu formatieren, ehe sie einen erneuten Angriff auf ihre Eisenhütte unternahmen. Doch er beruhigte Tarion, denn bis es so weit käme, würde sein Daimyo mit Sicherheit von der Schlacht am Shiroyama zurückgekehrt sein. Dann hätten sie genügend kampferprobte Krieger vor Ort, die sich den SaMurai entgegenstellen konnten. Mit einem freudigen Blick überreichte er Tarion das im Vorfeld versprochene Schreiben, welches sie bei einer eventuellen Begegnung mit Daimyo Tozama als Freunde des Clans auszeichnete. Allerdings hatte Tarion noch eine Bitte. Er wusste um das Ehrgefühl der hiesigen Bevölkerung und auch um den hier gelebten Ahnenkult und bat um einen Wagen, damit sie die gefallenen Feinde zu ihrem Feldherrn bringen konnten. Mitsuaki kam der Bitte nach. Auch wenn sie große Teile ihrer Befestigung reparieren mussten und auch mit den geforderten Lieferungen ihrer hier produzierten Rüstungsgüter im Verzug waren, konnten sie für ihre Retter, die für die Bewohner ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatten, einen Wagen entbehren. Sie könnten ihn sogar, falls sie diesen noch benötigen sollten, behalten.

Im Laufe des Nachmittags suchte der Dorfpriester Alberic auf und bat ihn um ein Gespräch unter vier Augen. Dabei weihte er ihn in seine Vermutung ein, dass es sich bei einem seiner Begleiter womöglich um einen Hexer handelte, der vielleicht sogar den Adepten oder einer anderen finsteren Macht dienlich war. Alberic verstand umgehend, wen er meinte, Harkon. Der Priester hatte leider keine handfesten Beweise gegen ihn, sodass er nicht selbst zur Tat schritt, doch er warnte ihn. Früher oder später würde dieser Mensch ihnen in den Rücken fallen, nur um seine persönlichen Ziele zu erreichen. Daher sollten sie sich ihm am besten noch, bevor sie aufbrachen, aus dem Weg räumen. Alberic nahm seine Worte dankend an.

Nachdem sich die Abenteurer danach vor der Siedlung trafen und die toten SaMurai inklusive ihrer Waffen auf den neuen Wagen, vor der ihr Lastpferd gespannt war, geladen hatten, fuhren sie zum Zeltlager auf der anderen Seeseite. Unterwegs weihte Alberic seinen Gefährten Harkon über die warnenden Worte des Dorfpriesters ein und machten ihre Späße darüber.

Die SaMurai waren gerade dabei ihr Lager abzuschlagen, als ihre Wachen den gemächlich herankommenden Wagen bemerkten. Umgehend zückten sie ihre Waffen und stellten sie. Tarion trat hervor und schilderte ihnen ihr Vorhaben, woraufhin die Wachen ihren Heerführer holten. Der Heerführer verzog keine Mine, bedankte sich aber aufrichtig für die Zurückführung seiner Gefallenen. Etwas abfällig äußerte dieser jedoch, sie starben einen ehrhaften Tot in einem unehrenhaften Kampf und bedachte Harkon mit einem scharfen Blick und warnte ihn zugleich. Das Wirken solch gottloser Zauber würde ihm irgendwann einmal den Kopf kosten und er würde sich freuen, wenn er derjenige wäre, der zu diesem Streich ausholte. Doch jetzt war er mit anderen Dingen beschäftigt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dies stieß Tarion etwas sauer auf und entgegnete schroff, dass dessen SaMurai zu unehrenhaften Methoden gegriffen hatten. Immerhin waren sie diejenigen, die einfache Dorfbewohner mit einer Übermacht angegriffen hatten. Der Heerführer tat jedoch so, als hätte er diesen Einwand überhört. Seine Krieger hatten zwischenzeitlich den Wagen entladen und schlugen den auf der Wiese liegenden Leichen, einem nach dem anderen, den Kopf ab. Völlig entsetzt fragten die Abenteurer, was das sollte und ihr Gegenüber erläuterte den Gaikokujin, den Ausländern, dieses Handeln. Einerseits waren die Gefallenen so bedeutend leichter zu transportieren und andererseits benötigten deren Familien ohnehin nur die Köpfe ihrer Familienmitglieder für die Beerdigungen. Denn nur im Kopf befand sich die Seele, der restliche Körper war darum nicht vonnöten. Ohne sich zu verabschieden wandten sich die Abenteurer um und kehrten zur Siedlung zurück.

Zurück in der Eisenhütte begab sich Fela Garcia umgehend zur Stallung, wo sie sich mit dem Stallburschen Shun bekannt machte. Auf ihre Frage nach dem erbeuteten Pferd des Hauptmannes entgegnete er ihr, dass dieses Schlachtross wohl nur seinem eigentlichen Besitzer und niemand anderes akzeptierte. Es musste völlig neu abgerichtet werden, ehe es einem neuen Reiter gestattete es zu reiten. Dies könnte bestimmt drei Monate oder sogar länger dauern. Fela Garcia wollte nicht so lange warten und stattdessen unterwegs selbst versuchen das Pferd unter Kontrolle zu bringen. Shun wünschte ihr viel Erfolg dabei, denn er glaubte nicht an ihren Erfolg.

Die Abenteurer deckten sich reichlich für ganze zwei Wochen mit Vorräten ein, die sie frei von den Bewohnern der Schmiedesiedlung als Belohnung für ihre Dienste bei der Schlacht erhielten, und trafen sich anschließend mit der Gruppe um Vadock im hiesigen Wirtshaus. Dort tranken sie bis zur späten Stunde und unterhielten sich über die verschiedensten Themen. Irgendwann kamen sie dabei auf den Meisterschmied Hattori Hanzo zu sprechen und stellten sich die Frage, was diesen Mann überhaupt in dieses abgeschiedene Land und dann sogar ausgerechnet in den Selbstmordwald führte, um dort sesshaft zu werden. Sie stellten die Theorie auf, dass er irgendetwas erlebt haben musste, was diesen daraufhin veranlasste, sich von der Welt zurück zu ziehen.

Als die einfach bekleidete Frau, die die Gäste bediente, wieder einmal Getränke an ihren Tisch brachte, fragten sie sie, was sie alles über diesen Wald wusste und so begann sie zu erzählen. Angeblich, wenn man den alten Erzählungen Glauben schenkte, gab es dort einmal vor mehreren hundert Jahren eine Stadt, noch ehe der magisch verfluchte Wald an ihre Stelle trat. Tagsüber waren dort heute die Kreaturen und Tiere eines normalen Waldes anzutreffen, doch diese dort waren weitaus größer, als ihre Artgenossen anderswo. Doch nachts herrschte dort der reinste Horror, jenen, wie man ihn nur aus Alpträumen kannte. Aus diesem Grund wagten sich nur die wenigsten Menschen dort hinein und zumeist waren es auch nur Pilz- und Kräutersammler. Diese hielten sich aber auch immer nur in der unmittelbaren Umgebung der wenigen begehbaren Pfade auf und wagten sich nie zu tief hinein. Noch bevor sich die Sonne ihrem Untergang neigte, verließen sie den Wald auch schon wieder. Doch dann belehrte sie ihre Gäste. Die dort hausenden Geister waren gefährlich und verfluchten schon des Öfteren einfache Menschen, die ihnen nichts angetan hatten. Wegen diesen Schreckensgestalten gab es vor einigen Monaten viele Totgeburten in ihrer bescheidenen Siedlung und auch die Kindersterblichkeit war zu dieser Zeit überproportional hoch gewesen.

Am nächsten Morgen trafen sich Harkon und Alberic schon in der Früh auf dem Dammweg vor dem Tor der Eisenhütte. Alberic schrie seinen Gefährten theatralisch an und warf ihm vor ihre Gruppe und ihre heilige Mission verraten zu wollen. Harkon wehrte sich. Nachdem seine Worte und seine Versuche der Entschuldigung scheinbar auf taube Ohren stießen, zog er sein Schwert. Alberic tat es ihm umgehend gleich. In einer Abfolge von schwächlichen und nicht ernstgemeinten Hieben stach Alberic seinen Freund nieder. Harkon schwankte, fiel rücklings zu Boden und blieb regungslos liegen. Dann brachen beide in einem lauten Gelächter aus und Alberic reichte Harkon die Hand, um ihn aufzuhelfen. Ihr Schauspiel war eigentlich dazu gedacht, sich über den Dorfpriester lustig zu machen, doch zu ihrer Enttäuschung war dieser nicht zugegen.

Beide Gruppen Auserwählter beluden ihre Habe auf die zwei Wagen und spannten ihre Pferde davor. Da, wie bereits befürchtet, das Schlachtross sich weigerte vor einen Wagen gespannt zu werden, belegte es Fela Garcia kurzerhand mit „Zähmen“, sodass es sich vorerst seinem Schicksal fügte. Damit das Ross nicht doch frühzeitig den Zauber von sich abstreifte und mit seinem Wagen durchging, verbanden sie beide Wagen noch mit einem Seil miteinander. Dann fuhren sie los, wobei die meisten von ihnen neben den Karren hergingen und blickten zurück auf das vermutlich letzte Stückchen Zivilisation, was sie bis zu ihrem Ziel sehen sollten.

 

Akt 57:

Der Selbstmordwald:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Albai, Heilerin und weiße Hexe), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Alba, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Nach nicht einmal einer Stunde gelangten sie an dem unweit entfernten Rand des Selbstmordwaldes an und hielten kurz inne. Der schmale Pfad vor ihnen führte in die Dunkelheit, das Blätterdach war so dicht, dass es kaum die Strahlen der Sonne hindurch ließ. Der Wald und seine Bäume wirkten nicht wie ein gewöhnlicher Wald, sondern vielmehr wie ein Jahrtausende alter und von Menschenhand unberührter Dschungel. Nur die Randgebiete waren den Holzfällern bisher zum Opfer gefallen, um als Brennstoff für die nahe Eisenverhüttung zu dienen. Harkon dachte an das Gespräch mit der Bardame am Vorabend zurück und schien irritiert. Entweder war dieser Wald tatsächlich älter, als in den Geschichten überliefert, oder mächtige Naturgeister waren hier am Werk gewesen.

Vorsichtig befuhren sie den schmalen und verwilderten Pfad. Da wurde Fela Garcia auf die unzähligen und teils mächtig klingenden Tiergeräusche aufmerksam, die aus den Tiefen zu ihnen drangen. Auch die anderen bemerkten diese, ließen sich aber nicht von ihrem Weg abbringen.

Wenig später hörte Harkon ein anderes Geräusch. Es war eine Art Klickern, wie jenes von unendlich vielen gleichzeitig geschlagenen Rasseln. Und dann tauchten um sie herum, auf dem Weg, dem Geäst der Bäume und auf den Felsen am Wegesrand handtellergroße Geschöpfe mit bläulicher Haut auf, die sie mit ihren zwei unterschiedlich großen Kulleraugen neugierig betrachteten. Miya beruhigte sie. Laut ihr handelte es sich bei jenen Geschöpfen um Kodama, Baumgeistern. Sie waren friedliebend und ihre Anwesenheit bedeutete, dass dieser Wald gesund war. Alberic versuchte sich einem Kodama zu nähern und streckte seine Hand in seine Richtung aus. Mit einem Klicken erhob sich der Kodama und drehte seinen Kopf einmal um seine eigene Achse, ehe er sich auflöste und verschwand.

Sie gelangten an eine Kreuzung, die sich in vier weitere Pfade aufteilte. Vadock warf ein, sie hätten sich wohl im Vorhinein über den genauen Weg erkundigen müssen. Doch niemand war bereit nochmals zurück zu Eisenhütte zu kehren, um Erkundigungen anzustellen. Da jeder einen anderen Weg vorschlug aber dennoch jeder dagegen war sich zu trennen, kniete sich Alberic vor einem Kodama näher, der ihnen bis jetzt gefolgt war. Er fragte ihn, ob er den richtigen Weg zum Schmiedemeister kannte. Der Baumgeist blickte ihn mit einem klackernden Geräusch an und erhob seine schmalen Hände, nur um daraufhin in zwei unterschiedliche Richtungen zu zeigen. Alberic seufzte und Fela Garcia meinte, von diesen Wesen könnte man keine Hilfe erwarten. Schließlich einigten sich dann doch alle und schlugen den rechten Weg ein.

Unterwegs fing das Schlachtross an aufzubocken und wehrte sich vehement gegen das Ziehen des Wagens, was ihr Vorankommen verlangsamte. Nur mit Mühe und Not gelangte es ihnen das Pferd wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Erst jetzt realisierten sie die Schar von Eulen, die sich auf den Ästen über ihnen befanden. Es waren Eulen der verschiedensten Arten und Gattungen und alle hatten sich hier aus einem ihnen unbekannten Grund eingefunden. Mit noch größerer Vorsicht bewegten sie sich weiter vor. Doch dann hielten sie inne, denn auf einem Ast oberhalb des Weges saß in einiger Entfernung eine menschengroße Eule, die sie beobachtete. Harkon meinte, dass es sich bei dieser womöglich um einen der Geister, eines der Herrn des Waldes, handeln könnte. Sie traten näher heran und grüßten sie. Tatsächlich konnten sie jetzt aus der Nähe nicht einmal sagen, ob es sich um eine Eule oder um einen verkleideten Menschen handelte, denn sie wies beiderlei Merkmale auf. Die Eule erwiderte ihre Begrüßung und hieß sie mit einer sphärischen Stimme willkommen. Fela Garcia äffte dabei versehentlich die Eule in ihrem Gruß mit einem „huu huu“ nach, wovon sich die Eule aber nicht irritieren ließ. Die Eule schien keinerlei Angst oder auch nur die Besorgnis über diese Fremden zu haben, denn sie schenkte sich eine Tasse grünem Tee ein, den sie hoch oben irgendwie gekocht haben musste und öffnete sich ihnen gegenüber für ein Gespräch. Die Abenteurer stellten sich ihr als die Auserwählten der großen Pilgerfahrt vor, die im Auftrag der Götter einer wichtigen Prophezeiung folgten und baten um ihre Hilfe. Die Eule erläuterte ihnen, dass selbst ihre Prophezeihung nicht in Stein gemeißelt war, sondern lediglich zu einer von vielen möglichen Zukünften führte. Den Weg zu Hattori Hanzo konnte sie ihnen aber schildern. Die Abenteurer bedankten sich bei ihr und drehten mühselig ihre Wagen auf dem schmalen Pfad, um an der letzten Kreuzung einen anderen Weg einzuschlagen.

Auf ihrem Weg merkten sie an, dass ihnen in diesem Wald bisher nichts Gefährliches begegnet war. Waren wohl ihre Befürchtungen allesamt unbegründet? Doch aus welchen Grund hatten dann die Menschen Angst vor diesem und bezeichneten ihn gar als Selbstmordwald?

Dann erspähten sie ein einsames Kind direkt voraus. Es war ein Junge von vielleicht acht Jahren. Harkon und Fela gingen zu ihm herüber und fragten ihn mit sanften Worten, was er so allein hier draußen machte und ob er sich verlaufen hätte. Mit einem leicht krankhaft wirkenden Lächeln auf der Lippe meinte das Kind, er würde nur spielen, woraufhin er ihnen zeigte, was sich in seiner Hand befand. Es war ein Eichhörnchen, welches er mit ganzer Kraft festhielt und wild zappelte, in dem verzweifelten Versuch sich von dieser Umklammerung zu befreien. Fela versuchte noch auf den Jungen einzureden das Tier bitte wieder frei zu lassen, doch dieser entgegnete nur „Das ist doch nur ein Tier“ und riss ihm danach, noch ehe jemand einschreiten konnte, den buschigen Schwanz ab. Sowohl die Heilerin als auch der Hexer blickten sich nur kurz entgeistert an, ehe sie zeitgleich von rechts und von links das Kind ohrfeigten. Der Junge war unbeeindruckt von ihrer Tat und meinte, er erzähle dies seinem Papa und dieser würde sie dann töten! Dann bewarf er Fela mit dem halbtoten Eichhörnchen, welches sie mitten ins Gesicht traf (20). Jetzt platzte Fela Garcia der Kragen und sprach „Heiliges Wort“. Aber das Kind blieb unbeeindruckt davon. Als er sich sogar der Heilerin einige Schritte lächelnd näherte, unterbrach sie ihren Zauber, ergriff den Stab der drei Jahreszeiten und schlug zu, um diese Missgeburt mit den geheiligten Nüssen, die sich an seiner Spitze befanden, auszulöschen. Ob das Kind diese scheinbare Gefahr realisierte oder einfach nur keine Lust mehr hatte zu spielen, wussten sie nicht. Es wich gekonnt aus und rannte dann in den Wald hinein. Niemand wagte es ihm zu folgen, da sich ein jeder von ihnen an die Warnung erinnerte keinesfalls die Wege zu verlassen. Weiter hinten war Tarion indes nicht untätig gewesen und hatte die Situation durch seine „Gabe des Wahren Sehens“ überblickt. Das Kind war von einer schwarzen Aura umgeben, wie jene Harkons, als dieser noch untot gewesen war. Doch da war noch etwas anderes. Eine Art gleißendes Licht, dessen Strahlen hin und wieder durch die dunkle Aura nach außen drang. Könnte es sich bei diesem Jungen gar um einen gefallenen Gott handeln? Die Heilerin verschwendete keine Sekunde und kümmerte sich umgehend um das im Sterben liegende Tier. Mittels „Allheilung“ gelang es ihr sogar seinen Schwanz wieder anwachsen zu lassen. Danach setzte sie es auf dem Boden ab, von wo es seiner Retterin noch einmal ansah, um danach auf einem angrenzenden Baum zu verschwinden. Als alle sich wieder etwas beruhigt hatten kam Kruschina auf sie zu und fragte sie, ob sie auch die vielen Narben auf dem Gesicht und den Händen des Jungen gesehen hätten. Jetzt, da sie dachten diese bizarre Begebenheit überstanden zu haben, trat Harkon auf die Heilerin zu und tadelte sie. Was fiel ihr ein „Heiliges Wort“ zu wirken? Dachte sie etwa nicht an seine drei untoten Diener, die auf ihrem Wagen lagen? Stanislaw wurde hellhörig.

Sie folgten dem Pfad, wobei ihre Augen jederzeit achtsam durch die Bäume glitten, in der Furcht der Vater des Jungen könnte ihnen jederzeit auflauern. Doch dem war nicht so. Kurzzeitig war der Weg sogar so schmal und teils vom Regen vergangener Tage so sehr unterspült, dass die Wagenräder mehrmals steckenzubleiben oder vom Pfad abzukommen drohten. Doch sie meisterten auch diese Situation. Sie erschraken nur kurz, als ein laut schreiendes Krächzen erklang. Doch es war nur ein großer, dicker Vogel, der sich daraufhin von seinem Ast erhob und davon flatterte, obwohl seine Flügel offenbar im Verhältnis zu seinem restlichen Körper zu klein waren, um diesen Leib in die Luft zu tragen.

Dann gelangten sie an einer großen Lichtung an, auf der nur ein kleines, bescheidenes Häuschen stand und atmeten erleichtert auf. Es war ein schlichtes Wohnhaus mit einer daran angrenzenden offenen Schmiede, die lediglich mit einer Pergola überdacht war und darunter stand vor einem Schmiedeofen ein Mann, der seiner Arbeit zielstrebig nachging.

Die Gruppe wartete vorerst ab, bis der Mann das Schwert, welches er schmiedete, in einem Trog mit Öl ablöschte, um es zu härten. Dann schritten sie zu ihm herüber und machten sich mit ihm bekannt. Der Mann war tatsächlich der von ihnen gesuchte Meisterschmied Hattori Hanzo. Die Eule hatte sie nicht belogen. Nachdem sie sich kurz vorstellten, kam Tarion direkt zum Eigentlichen zu sprechen. Sein eines Schwert hatte durch die häufige Verwendung einen tiefen Grat erlitten. Hattori nahm das Schwert entgegen, als auch das von seinem Besitzer verwahrte Bruchstück der Klinge, und inspizierte es genauestens im Licht der Sonne. Seiner Einschätzung nach war dies eine äußerst gut gearbeitete Waffe gewesen und lobte denjenigen, der dieses Meisterschwert einst geschaffen hatte. Mit geschultem Auge erkannte er sogar, dass dieses Teil eines Zwillingspaares war. Tarion war beeindruckt und erklärte, dass er es nicht für lange Zeit aus der Hand geben durfte. Denn wenn eines der Zwillingsschwerter sich auch nur kurz von dem anderen entfernte, dann geriet die darin schlummernde Magie außer Kontrolle und könnte sich gar gegen ihn wenden. Der Schmied händigte ihm daraufhin das Schwert wieder aus. Für einen Betrag von nur fünfhundert Goldstücken wäre es ihm möglich, diese Waffe wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen. Um jedoch die darin verankerte Magie zu bewahren, bräuchte er jedoch etwas Vanadinit, ein selten vorkommendes Erz, um eine spezielle Legierung zu bilden. Bei Vanadinit handelte es sich um ein Mineral mit rotbraunen Kristallen. Leider hatte er dieses jedoch nicht auf Lager und sie müssten es ihm beschaffen. Soviel er wusste gab es Vorkommen davon in einem alten Zinnobererzbergwerk im zerklüfteten Gebiet nördlich von hier. Um dorthin zu gelangen müssten sie dem anderen Pfad aus dieser Lichtung heraus folgen, der zu einem einsamen Berg führte, auf dem ein altes Schloss thronte, wo finstere Wesenheiten hausten. Genau auf der anderen Seite des Berges sollten sie dem Weg tiefer in den Wald folgen. Dann sollten sie zwischen zwei größeren Hügeln mit einer Grabanlage hindurchgehen und so würden sie zu ihrem Ziel, dem zerklüfteten Gebiet, gelangen. Er betonte dabei, sie sollten sich keineswegs dem Schloss zu weit nähern. Dessen neuer Bewohner wurde zwar von den Herren des Waldes kürzlich als einer der ihren akzeptiert, könnte aber wegen der von ihm ausgehenden Finsternis für Lebende tödlich sein. Auch sollten sie nicht weiter gehen als bis zum Zinnobererzbergwerk, denn dahinter läge ein Waldstück mit dem Grab eines Valianers. Und der Prinz der Feen hatte geschworen dieses Grab vor jedem Fremden zu schützen.

Harkon Neugierde war geweckt und so versuchte er mit gezielten Fragen dem Schmied noch mehr Informationen zu entlocken (20). Laut Hörensagen könnte es sich bei dem erstgenannten Grab um jenes der Prinzessin HaiTang handeln. Doch nach dem zweiten Grab brauchte er gar nicht erst zu fragen, denn diese Kunde hatte er bereits vor einigen Monaten vom Herrn der Zeit erhalten. Dies musste einfach das von seinem Mentor und Meister, dem Herrn der Zeit, erwähnte Grab eines Seemeisters sein.

Dann drängte sich auch die Heilerin vor, denn auch ihr brannte sich eine Frage auf. Kannte er Irgendein merkwürdiges und befremdliches Kind mit Narben, welches sich alleine durch diesen Wald wagte? Natürlich kannte er es. Es gehörte zu der finsteren Präsenz im Schloss, vor der er sie bereits vorhin warnte. Fela erstarrte vor Schreck, denn dies bedeutete, dass sie und Harkon sich bereits mit der Familie eines der Herrn des Waldes angelegt hatten. Sofort erklärte sie, dass sie das Schloss so weit wie nur irgend möglich umgehen wollte und zusätzlich ihren Tarnumhang tragen würde, sollten sie sich entschließen dieses Gebiet zu bereisen. Denn nun befürchtete sie wahrhaft die Rache seines Vaters.

Nun, da sie jemandem gegenüber standen, der diesen Wald in- und auswendig kannte, interessierten sie sich auch für die Geschichte des Waldes. Hattori musste sie vertrösten, denn ein Großteil der Geschichte war auch ihm noch verborgen geblieben. Trotzdem erzählte er ihnen, was er wusste. Wegen der vielen Ruinen, die unter dem Grün verborgen lagen, musste es hier einst eine mächtige Stadt gegeben haben. Die einstigen Bewohner mussten aus einem ihm nicht bekannten Grund diesen Landstrich verlassen haben und die Natur holte sich das Gebiet wieder zurück. Dann hatte es eines Tages einen großen Krieg der Kami im Wald gegeben. Den genauen Auslöser kannte er nicht, aber er mutmaßte, dass es wohl um die Vorherrschaft über den Wald ging. Bevor sie ihre Heimat gänzlich verwüsteten einigten sich die Wesenheiten und Geister dann auf einen dauerhaften Frieden, um die Ordnung wiederherzustellen, der bis heute andauerte und teilten den Wald und die Befugnisse untereinander auf.

Tarion fing an zu lachen, denn er hatte einen wagemutigen Einfall für seine Zukunft. Er hatte Miya ohnehin versprochen eines Tages hierher zurück zu kehren, um eine Gilde für Kopfgeldjäger zu gründen, die die Schwarzen Adepten jagen sollten. Er beschloss die finstere Präsenz aus dem Schloss zu vertreiben, um dieses Gemäuer als Sitz für seine neue Gilde zu gebrauchen. Die Lage war einfach optimal in seinen Augen. Es war weit abgeschieden, lag hoch auf einem Berg und war daher leicht zu verteidigen. Zudem trauten sich die meisten Menschen sowieso nicht in diese Wälder und darüber hinaus gab es noch einen Schmiedemeister ganz in der Nähe. Dann spielte er sogar mit dem Gedanken selbst einer der Herren des Waldes zu werden.

Wo sie schon einmal bei dem Thema Herrn des Waldes waren, baten sie ihren Gegenüber ihnen diese genauer zu erklären. Die sogenannten Herren bestanden insgesamt aus sieben Mitgliedern. Da wären der Waldgott mit seiner geflügelten Beschützerin Jiras, der Prinz der Feen Arderyu, der Walddrache Ta-Nurakh, die Eule, die finstere Präsenz im Schloss, die Grüne Dame Nyamha, ein Naturgeist, die wohl aus einem fernem Land zu stammen schien, und zu guter Letzt der Kirin. Bei dem Kirin handelte es sich eigentlich nicht um einen der ursprünglichen Herren des Waldes, sondern vielmehr um die Manifestation eines Naturgesetzes und zugleich einem mächtigen Kami, weshalb jeder ihm Gehorsamkeit schuldete, auch wenn er sich selbst nur äußerst selten blicken ließ. Ihn, den menschlichen Schmied und ehemaligen Krieger, akzeptierten sie darüber hinaus als inoffizielles Mitglied und so durfte er bei den Waldräten sogar in ihre Reihen treten. Dann gab es noch die zwei anderen Mächte, die zwar keine Herren waren, alle jedoch duldeten, um den Frieden zu bewahren. Diese waren die Geisterbraut und die Spinnendämonin, die Herrin der Arachniden. Dann hellte sich seine Mine auf, denn er merkte an, dass Jiras und Niamha sogar sehr an Spielen interessiert waren.

Bevor sie sich von dem Schmiedemeister verabschiedeten erlaubte er ihnen noch ihre Zelte auf dieser Lichtung nahe seines Hauses aufzuschlagen, damit sie hier die Nacht verbringen konnten. Kein Mensch sollte gezwungen sein des Nachts durch diesen Wald zu wandern oder gar dort campieren zu müssen und riet ihnen eindringlich davon ab. Viel zu groß wären die Gefahren, denen man sich sonst konfrontiert sähe. Seine Lichtung hingegen war auf jeden Fall sicher. Etwas mulmig wurde den Abenteurern dann doch zumute, als dieser Mensch, den die Herren des Waldes akzeptierten, ihnen dies mitteilte. Um die Herren nicht zu erzürnen, nahmen sie sich sogar vor nichts aus diesem Wald heraus zu nehmen oder zu erjagen. Hanzo beruhigte sie jedoch. Für den Eigenbedarf oder zum eigenen Überleben war es jedem Lebewesen erlaubt etwas an sich zu nehmen. Die Tiere des Waldes aßen doch immerhin ebenfalls Früchte und Wurzeln oder gingen auf die Jagd, um sich oder ihren Nachwuchs zu ernähren. Das war der Lauf der Natur. Selbst kleine Mengen Holz zu sammeln oder zu ernten stellte kein Problem dar, wenn es dazu diente ein Feuer zu entzünden, um nicht zu erfrieren. Allerdings sollte man tunlichst davon absehen unkontrolliert ein Feuer brennen zu lassen, etwas sinnlos zu zerstören oder nur Tiere für den Pelzhandel zu erjagen. Damit würde man sich definitiv den Zorn der Herren einhandeln.

 

Weiter in Akt 57:

Der Selbstmordwald:

 

teilnehmende Abenteurer:

Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Alba, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Da es erst später Nachmittag war und sie noch etwas Zeit bis zum Sonnenuntergang hatten, beschlossen Tarion und Alberic das Gebiet östlich der Lichtung zu erkunden und marschierten los. Mit jedem Schritt schienen die umgebenen Bäume dicker und der Wald dichter zu werden. Beinahe erschien es ihnen, als ob sie schrumpften. Die Wurzeln hier hatten den Boden so stark durchpflügt, dass dieser Weg wohl nur mit größten Schwierigkeiten mit Fuhrwerken zu befahren wäre. Dann hörten sie vor sich ein lautes Knacken und hielten vorerst inne. Etwa zwanzig Meter vor ihnen lief ein Wildschwein über den Weg und schaute sich um. Alberic sah an einem einzigen Wildschwein gar kein Problem, denn immerhin waren sie kampferprobte und erfahrene Abenteurer. Aber Tarion hielt ihn zurück. Das etwa ein Meter hohe Wildschwein hatte gestreifte Borsten und wirkte wie ein zu groß geratener Frischling. Und wenn seine Vermutung stimmte, dann würde die Bache wohl nicht all zu weit entfernt sein. Und diese konnten, wenn es um ihre Jungen ging, äußerst aggressiv sein – zumindest in seiner Heimat Alba. Da das Muttertier bestimmt noch weitaus größer wäre, wollten sie kein Risiko eingehen und machten kehrt.

Die anderen errichteten in der Zwischenzeit ein Lager in der Mitte der Lichtung, bauten ihre Zelte auf und banden die Pferde an den zwei Wagen an. Naridyi wirke während dem Aufbau abweisend gegenüber Alestor. Immerhin hatte Alberic Alestor in der Schänke der Schmiedesiedlung in ihrer Gegenwart vorgeworfen fremdgegangen zu sein und dieser hatte sich bis jetzt, was diese Beschuldigung anging, nur in Schweigen gehüllt.

Harkon ging zu Hattori herüber und fragte ihn, ob er auch eine Waffe aus Sternensilber verarbeiten konnte. Zu seiner Überraschung bejahte er diese Frage. Sternensilber war immerhin eines der seltensten, wenn nicht gar die seltenste Legierung überhaupt. Um dieses Metall herzustellen, musste man die Energie eines natürlichen Blitzes einfangen und bändigen. Daher war die Herstellung lebensgefährlich und laut seinem Kenntnisstand waren dazu in der Vergangenheit nur die moravischen Schmiedemeister fähig.Doch leider besaß Harkon nicht die dafür notwendige Menge Silber, noch sah es nach einem Gewitter aus. Darum wechselte er das Thema und erkundigte sich nach dem Wald hinter dem zerklüfteten Gebiet. Prompt wurde Hattori ernst, da er Harkons Vorhaben durchschaute und versuchte ihn von seiner Idee abzubringen. Das alte Valianergrab dort wird vom Prinz der Feen, Arderyu, einem der Herren des Waldes bewacht und dieser ließ in dieser Angelegenheit nicht mit sich reden. Dafür nahm er seinen Schwur viel zu wichtig. Harkon bemerkte schnell, dass er hiermit bei dem Schmied nicht weiterkam und fragte, was sich zwischen Arderyus Gebiet und der Lichtung befand. Hattori zufolge lag dort ein zerfallener Schrein, das Epizentrum der Geistersichtungen hier. Die Geisterbraut tauchte dort häufig auf und selbst Tiere mieden aus diesem Grund diesen Ort. Der einzige befestigte Weg dorthin war vom verfluchten Schloss aus zugänglich.

Tarion und Alberic kamen bei Einbruch der Dunkelheit zurück ins Lager und berichteten ihren Begleitern umgehend von der Sichtung eines zu groß geratenen Wildschweins. Anscheinend stimmten die Grüchte um diesen Wald, dass die hier lebenden Tiere größer wuchsen als ihre Verwandten anderswo. Aufgrund des einsetzenden Herbstes wurde es nicht nur kühl, sondern auch die Nächte länger. Somit bliebe ihnen tagsüber nicht viel Zeit sich im Wald umzusehen. Die andere Gruppe hatte in ihrer Abwesenheit einen schweren Rammler erlegt und daraus mit gefundenen Kräutern und Knollen einen deftigen Eintopf zubereitet, den sich nun alle bei einem Lagerfeuer schmecken ließen. Sie luden sogar Hattori Hanzo zu sich ein, doch dieser lehnte dankend ab. Er wollte sich jetzt schon schlafen legen, weil er am morgigen Tag noch viel Arbeit vor sich hatte.

In der Nacht erwachte Alestor, denn er hatte ein überaus schlechtes Gefühl. Ein solches, dass es ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte und seine Nackenhaare aufstellen ließ. Er verließ das Gruppenzelt und blickte sich in der beinahen Dunkelheit der Nacht um, die nur vom Vollmond erleuchtet wurde. Es herrschte absolute Stille. Dann erspähte er einen hellen Lichtschein zwischen den entfernten Bäumen, der sich langsam bewegte. Um was es sich genau handelte, konnte er nicht bestimmen. Daher schritt er ins Zelt zurück und versuchte seine Kameraden zu wecken. Harkon zeigte schnell Verständnis und stand auf, während es den anderen egal war. Tarion lag gemeinsam mit Kruschina unter einer Decke und wollte seine „Position“ nicht verlassen und Alberic entgegnete nur im Halbschlaf, dass sie sich in einem Wald befanden. Merkwürdige Lichterscheinungen und Geräusche wären ganz normal. Alestor zog ihnen schließlich verärgert die Decken fort und gab nicht eher auf, bis auch sie aufgestanden waren. Gemeinsam gingen sie dann nach draußen und erblickten das Licht. Harkon wirkte prompt „Hören von Fernem“ und konzentrierte sich auf die Erscheinung. Doch selbst mit diesem Zauber hörte er nicht das leiseste Geräusch, was ihm etwas suspekt vorkam. Allerdings bemerkten sie dabei auch etwas anderes. Ihr Schlachtross war fort und nur noch das Ende des Seils, mit dem es angebunden war, lag am Boden. Harkon und Tarion untersuchten das Seil. Das Pferd hatte sich nicht losgerissen, sonst hätte sich der Wagen, an dem es befestigt war, bewegt. Stattdessen sah es danach aus, als ob es das Seil durchgebissen hatte. Die Hufspuren am Boden führten zu den Bäumen hin, doch sie waren nicht bereit ihm zu folgen. Tarion wünschte dem Ross noch viel Erfolg beim Überleben und und legte sich wieder schlafen. Alberic folgte ihm. Harkon und Alestor blieben noch wach und setzten sich gegen einen Wagen, um die Umgebung im Auge zu behalten. Wenig später war das Licht verschwunden und gleichzeitig mit seinem Verschwinden setzten die gewohnten Waldgeräusche und Tierrufe wieder ein.

Harkon und Alestor wurden sich bewusst, dass es von ihnen allen ein Fehler gewesen war, keine Nachtwachen aufzustellen. Aber daran verschwendeten sie keinen weiteren Gedanken mehr. Um sich etwas abzulenken beschlossen sie ihren Gefährten als Rache einen kleinen Streich zu spielen. Immerhin waren sie selbst bei dieser drohenden Gefahr vorhin nicht bereit gewesen aufzustehen. Sie erwärmten über der noch immer glimmenden Glut der Feuerstelle etwas Wasser und gaben dieses in zwei Schalen. Daraufhin schlichen sie ins Zelt zurück, legten die Schalen neben die Schlafenden und tauchten jeweils eine Hand von Tarion und von Alberic in das warme Wasser. Dann zogen sie sich, wie Schulmädchen, kichernd zurück und warteten auf eine Reaktion, doch leider blieb sie aus. Darum legten auch sie sich hin, um sich für den Folgetag noch etwas auszuruhen.

Am nächsten Morgen wunderten sich sowohl Alberic als auch Tarion darüber, was es mit den mit Wasser gefüllten Schalen neben ihren Nachtlagern auf sich hatte. Sie dachten sich nichts weiter dabei. Tarion freute sich sogar darüber und benutzte das Wasser sogleich, um etwas Körperhygiene zu betreiben.

Vadock war bereits draußen und schaute sich das durchgebissene Seil des Schlachtrosses an. Jetzt hatten sie zwei Wagen und nur noch ein Pferd. Wie sollten sie jetzt mit all ihrer Habe weiterreisen? Alberic nahm dies gelassen und meinte nur sarkastisch, hier gäbe es große Wildschweine und vielleicht könnte man eines von ihnen als Lastentier abrichten. Er erntete einen abfälligen Blick für seinen Vorschlag. Daraufhin berieten die zwei Gruppen das weitere Vorgehen. Sie einigten sich schließlich darauf, dass sie sich bei der Erkundung des Waldes täglich abwechseln. Somit hätte die jeweils andere Gruppe genügend Zeit neue Kräfte zu tanken und konnten gleichzeitig ihr gemeinsames Lager bewachen. Die Abenteurer ließen danach Miya, sowie Yosuke und Harkons Wächterwürfel bei Vadocks Gruppe zurück und betraten den Wald

 

Akt 58:

Das Zinnobererzbergwerk:

 

teilnehmende Abenteurer:

Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Alba, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Sie folgten den Weg in östlicher Richtung aus der Lichtung heraus, den zuvor schon Alberic und Alestor teils ausgekundschaftet hatten. Entgegen ihrer Befürchtung trafen sie diesmal nicht auf Wildschweine. Nach einigen Stunden gabelte sich schließlich der Pfad in Front eines niedrigen Berges vor ihnen. Diese weitreichende Landmarke war ungefähr dreihundert Meter hoch, unbewaldet und mit teils steilen und schroffen Abhängen. Auf seiner Spitze war ein Bauwerk zu erkennen, das verfluchte Schloss. Sie wandten sich nach rechts und bogen erst an der übernächsten Kreuzung im Rücken des Hügels in den Wald ein.

Der Weg auf dem sie wandelten war schnurgerade, wirkte unnatürlich und konnte nur von Menschenhand geschaffen worden sein. Doch dies musste schon sehr vor sehr vielen Jahren geschehen sein, denn die Vegetation eroberte sich das Land zurück. Ein paar Stunden danach endete der Weg scheinbar abrupt an einer senkrechten Felswand eines anderen Berges, wo hinter einigem Gestrüpp ein zugemauerter und überwucherter Eingang zu erkennen war. Sollte Harkon richtig liegen, das müsste dies der Zugang zum Grab der Prinzessin HaiTang sein. Als sie dann bemerkten, dass der Weg doch noch nicht zu Ende war, sondern zu ihrer rechten hinter einem Busch weiterging, hatten sie keine Zeit mehr das Grab aufzubrechen und zu inspizieren. Der Weg folgte der Bergflanke und bog dann in eine tiefe Schlucht ein. Als sich diese wieder öffnete konnten sie schon in der Ferne aus hoch aufragende Steinsäulen über den Baumwipfeln ausmachen. Das musste das von Hattori Hanzo beschriebene zerklüftete Gebiet sein.

Die Abenteurer hatten kein Problem damit das alte Zinnobererzbergwerk zu finden, denn die ehemalige Straße führte geradewegs an dessen altem Vorplatz vorbei. Hier standen sogar noch einige zerfallene Wirtschaftsgebäude und unter dem Laub unter ihren Füßen lagen noch die verrosteten Werkzeuge der einstigen Arbeiter. Die Menschen mussten den Ort fluchtartig verlassen haben. Harkon ging zu einer der mächtigen Steinsäulen herüber, die einen Durchmesser von locker zehn Metern hatte. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sie einen natürlichen Ursprung hatte und es sich um Karstgestein handelte. In der Zwischenzeit hatte Tarion die Köpfe zweier noch einigermaßen erhaltener Spitzhacken von ihren morschen Griffstücken befreit und sie durch die Stiele ihrer Fackeln ersetzt. Ihre neuen Werkzeuge würden sicherlich durch diese Improvisation nur wenigen Schlägen standhalten, aber sie benötigten für die Reparatur ihrer magischen Waffen schließlich auch nur kleine Mengen Erz.

Dann richteten sie ihr Hauptaugenmerk auf den Zugang zum Bergwerk. Dieser führte einige Meter weit seicht bergab in das Felsgestein des Berges und endete an einer massiven Holztüre, die von außen mit einem schweren Riegel verbarrikadiert war. Obwohl ihnen dies seltsam vorkam, zerbrachen sie sich nicht ihre Köpfe darüber. Sie hievten den Barken hinfort und nachdem sie ihre Fackeln entzündeten, begaben sie sich ins Innere.

Der fünf Meter lange Gang führte in eine Art Vorhalle (Raum 3). Als sie diese betraten entzündeten sich an der Decke aufgehängte Öllampen von ganz allein. Die geräumige Halle hatte mehrere in der Decke angebrachte senkrechte Schächte, durch die zudem noch etwas Sonnenlicht von draußen hereinfiel. Grobe Säulen, die von den Bergleuten vom ursprünglichen Fels stehen gelassen wurden, stützten die Decke. Die Halle diente offensichtlich als eine Art Wirtschaftshof, denn sie war mit allem möglichen Gerät und Gerümpel vollgestellt. Auch ein Misthaufen, der schon seit Langem nicht mehr mit frischem Mist bestückt wurde und schon in sich zusammengesunken war, befand sich hier. Daneben stand ein Holzregal mit Bonsaibäumchen, kahl und längst vertrocknet. Wassere plätscherte durch einen der Schächte von oben herab und lief durch ein in den Boden führendes Überlaufrohr wieder ab. Schöpfkellen aus Bambus lagen daneben. Rinnen im steinernen Boden führten ebenfalls eintretendes Wasser ab, das durch die Lichtschächte kam. Angelehnt an die Wand war noch ein größerer hölzerner Verschlag zu erkennen.

Alberic öffnete sogleich den Verschlag. Das darin erhaltene Werkzeug wie Schaufeln, Spitzhacken und Sägen zeigten zwar Gebrauchsspuren, doch waren noch gut erhalten. Die Schubkarre war jedoch durchgemodert und morsch (1). Dann bemerkte er noch eine Holzspule mit bestimmt hundert Metern Seil, sowie einige Dutzend großer Jutesäcke. Als er gerade dabei war einige Dinge in die Halle zu schaffen bemerkte er eine zweite Türe an der Rückseite des Verschlages und öffnete sie. Dahinter führte ein Schacht, steil wie eine Rutsche, bergab. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, meinte er in einer Tiefe von fünfzehn Metern das Ende zu erkennen, an dem sich eine große Luke befand.

Unterdessen war Harkon aufgefallen, dass im verstaubten Boden überall kleine Handabdrücken zu erkennen waren. Einige waren älter, andere jüngeren Datums. Doch es war ihm nicht möglich diese einem Geschöpf zuzuordnen.

Der Gang, der im hintersten Teil der Halle nach rechts abknickte, führte in einen drei mal drei Meter großen Raum, in dessen Mitte sich ein quadratischer Bambuskäfig mit Tür befand (Raum 4). Von oben fiel durch einen schmalen Lichtschacht ein wenig Tageslicht herein, das den Raum in schummriges Licht tauchte. Als sie näher an den Käfig heran traten, konnten sie unterhalb des Käfigs in einen tiefen senkrechten Schacht blicken. Im Käfig waren zwei Hebel installiert mit denen man womöglich diesen Aufzug bedienen konnte, dessen Haltesein über eine Winde lief und dann in einer Nische in der Decke verschwand.

Sie analysierten die Bedienvorrichtung und kamen zu dem Entschluss, dass sie diese bedienen konnten. Doch Harkon hegte Zweifel an ganz anderer Stelle. Seiner Einschätzung nach war der Aufzug noch in einem weitgehend guten Zustand, wenn man einmal von dem Geländer absah, doch hielt das alte Seil überhaupt noch einer solchen Beanspruchung stand? Er war dafür dieses auszutauschen, hatte aber keine Ahnung, wie sie dies bewerkstelligen sollten. Auch wenn sie nun über genügend Seil verfügten, so musste es einen Bebenraum geben, indem sich ein Gegengewicht für diesen Aufzug befand. Diesen mussten sie zuvor finden und dann noch den Aufzug und das Gegengewicht arretieren, um das Seil zu tauschen.

Alberic und Alestor wollten keine Zeit mit etwaigen Reparaturarbeiten verlieren, betraten zum Entsetzen des Hexers den Käfig und betätigten einfach die Hebel. Harkon und Tarion konnten nur noch zusehen, wie ihre beiden Kameraden mit dem Käfig langsam im dunklen Schacht verschwanden.

Es war dunkel und nur ihre Fackeln sorgten für etwas Licht. Zu Beginn hörten sie nur das Rattern und Klappern des alten Mechanismus. Doch dann vernahmen sie noch ein leises und entferntes Kreischen unter sich, und dieses wurde lauter! Es klang, als würden mehrere Wesen die porösen Wände des Schachtes emporklettern. Noch ehe sie die Lage einschätzen und reagieren konnten sprang ein Äffchen auf das Geländer des Käfigs und schaute mit seinen eingefallenen Augen Alberic an. Dieser wusste erst nicht mit der Situation umzugehen, kramte eine Tagesration heraus und bot sie dem stinkenden Tier mit seinem zerzausten Fell mitleidig an. Der Affe roch daran, zeigte dann aber kein Interesse. Er wollte vielmehr frisches Fleisch und sprang seinen menschlichen Gegenüber an. Dann erschienen noch fünf weitere Äffchen, von denen zwei an ihnen vorbei nach oben kletterten, und sprangen die Abenteurer an und verbissen sich in ihnen. Jetzt wurde ihnen erst bewusst, dass die Affen untot waren. Doch sie hatten ein schwerwiegendes Problem: Würden sie ihre normalen Waffen benutzen, dann könnten sie dabei versehentlich das Haltesein des Käfigs treffen und dann ungebremst nach unten stürzen. Somit entwickelte sich eine Rauferei auf engstem Raum.

Alestor spielte mit dem Gedanken, wenn sie bald im Besitz ihres Schiffes waren, es dem berühmten und berüchtigten Piraten Barbarossa gleichzutun, der die Küstenstaaten und Teile der südlichen Gefilden mit seinen Überfällen auf Handelsschiffe und unbewachte Küstenbauten terrorisierte und dabei ein untotes Äffchen als Begleiter hatte. So ein Tierchen wollte unbedingt auch, selbst wenn er sich bewusst war, dass es ungeheurer schwer werden würde einen Untoten abzurichten. Doch Harkon bekäme dies bestimmt hin. Schnell rief er Alberic entsprechende Anweisungen zu eines zu packen und in einen ihrer neuen Jutebeutel zu stecken. Alberic kam der Aufforderung nach, auch wenn sich diese Angelegenheit als nicht ganz einfach entpuppte.

Oben am Schacht wird Tarion auf das seltsame Gekreische aufmerksam. Als er sich der Kante des Schachtes näherte, wurde er von einem Äffchen überrascht. Er erkannte jedoch seine untote Herkunft schnell und stampfte brutal mit einem seiner Stiefel darauf. Er zermalmte ihm den Hinterleib und versuchte sich mit aller Kraft aus dieser misslichen Lage heraus zu winden. Doch nicht mit Tarion! Dieser trat das Wesen mit voller Kraft und schenkte ihm einem Freiflug ins Loch. Jetzt war auch das Interesse von Harkon geweckt. Als er gerade in die Tiefe spähte, wurde er von einem anderen Äffchen in Kopfhöhe angesprungen und konnte nur im letzten Augenblick zurückweichen, bevor es mit seinen Krallen sein Gesicht zerkratzte. Schleunigst setzte er seine nekromantischen Fähigkeiten ein und brachte den Affen, den er als Totenkopfäffchen identifizierte, unter seine geistige Kontrolle.

Es krachte im Aufzug, als das von Tarion fortgetretene Äffchen unsanft auf dem Holzdach aufschlug. Als dann kurz darauf der Korb mit einem dumpfen Aufprall unsanft auf dem Grund aufschlug, war die Gefahr gebannt. Alberic und Alestor war es gelungen die vier Äffchen zu ergreifen und sie irgendwie in den Beutel zu stopfen und diesen dann mit einem Seil zuzubinden und zu verknoten.

Ihr Ankunftsort hier unten hatte zwei weiterführende Türen, wovon die zu ihrer Linken offen stand und in einen Gang führte. Da sie keine unmittelbare Gefahr ausmachen konnten, fuhr Alestor mit dem Sack voller Äffchen mit dem Aufzug nach oben und ließ Alberic vorerst alleine zurück. Im Gegensatz zu Harkon war Tarion ganz und gar nicht begeistert davon diese Untoten mitzunehmen, obwohl der Hexer ihn zu beschwichtigen versuchte, diese mittels „Untote lenken“ für sechs Stunden unter seine geistige Kontrolle zu bringen. Dies tat er auch umgehend und der Inhalt des Sackes hörte auf zu zappeln. Sie ließen die Äffchen zurück und fuhren nach unten, wo ihr einsamer Gefährte bereits wartete. Als sie wieder alle beisammen waren sprach sich Tarion noch einmal gegen diese Untoten aus, denn er hatte überhaupt keine Lust ihr späteres Schiff mit diesen unheiligen und bestialisch stinkenden untoten Wesen zu füllen.

Gemeinsam beschritten sie den Gang, der an einer Türe endete und von dem aus ein anderer Flur abging. Die Türe war beschädigt und ein großes durch Krallen verursachtes Loch klaffte in ihrer Mitte. Vermutlich waren es die Äffchen gewesen.

Hinter der Tür erwartete sie ein schön eingerichteter Raum mit einer Sitzgruppe aus geschnitzten Edelholzstühlen und bunt lackierten Tischchen (Raum 5). Auch hier zündeten die Öllampen automatisch. Seidenteppiche lagen auf dem Boden und die Wände waren mit sehr schönen Holzkassetten verkleidet, deren Füllungen mit Holzeinlegearbeiten verziert waren. Mit verschiedenfarbigen Hölzern waren Bilder von exotischen Vögeln und Tieren, aber auch von himmlischen Feen und Ungeheuern geschaffen. Spätestens jetzt waren sich die Abenteurer sicher, dass irgendwer in den vergangenen Jahren sich hier häuslich eingerichtet hatte.

Sie stießen weiter in den Untergrund vor. Die einzelnen Räume waren durch einen langen verkleideten Flur miteinander verbunden, der an einem Ende an einem dicken Bambusgitter endete. Doch bevor sie diesen Bereich erkundeten kehrten sie zum Aufzugschacht zurück und öffneten dort die zweite Türe. Der dahinterliegende Gang knickte nach rechts ab und führte in ein Vorratslager (Raum 12). Da sie von einem schlechten Gefühl geplagt wurden blieben sie erst einmal am Eingang stehen und blickten von dort aus in den Raum hinein. Das gesamte Inventar lag zerschmettert oder mutwillig zerstört über den Boden verstreut. Nichts war mehr heil. An der rechten Wald war eine große hölzerne Luke auszumachen. Hierher musste die Rutsche aus dem Erdgeschoss führen, um Waren schnell von oben nach hier unten zu befördern. Als ihre Blicke dann auf eine zwei Meter hohe, graue und mit Falten übersäte pulsierende Masse wanderten, gingen sie zurück und schlossen leise die Türe hinter sich.

Kurz darauf betraten sie ein gepflegtes Studio mit Bibliothek, in denen die kanthanischen Klassiker in reicher Auswahl ebenso vorhanden waren wie kostbare historische Originalhandschriften (Raum 8). An den Wänden hingen schöne Darstellungen des himmlischen Pantheons und der Unsterblichen, sowie Landschaftsmalereien mit den immer wiederkehrenden Symbolen der Unsterblichkeit: Kraniche, Jadeterrassen und Pavillons in parkähnlicher Landschaft. Die Einrichtung bestand aus schwarz lackiertem Edelholz mit roten Einlegearbeiten. Die Tische und Pulte waren voll mit Notizen eines Gelehrten namens PiTze und eine millimeterdicke Staubschicht bedeckte alles.

Unweigerlich mussten sie bei diesen Wandmalereien an die Grünen Hügeln denken und wie sie an den Gestaden der Seligen vor dem Meer der Morgenröte standen. Harkon stimmte ihnen zu. Wer auch immer diese Bildnisse angefertigt hatte, hatte entweder weitreichende Kenntnisse über diese andere Welt oder war einst selbst dort gewesen. Alberic schaute sich die Bücher und Handschriften in den Regalen genauer an. Die meisten trugen Titel wie „das Geheimnis der Unsterblichkeit“, „das Unsterblichkeitselixier“, „die unsterblichen Lande“, „die Grünen Hügel“, „die Fuchshügel“ oder „die acht Unsterblichen“. Der Sammler dieser Werke musste fasziniert vom Traum nach dem endlosen Leben gewesen sein. Er holte einen neuen Sack heraus und ließ zwei Dutzend noch gut erhaltene Bücher sowie die losen Schriftstücke vom Schreibtisch darin verschwinden. So gerne er auch die gesamte Bibliothek sein Eigen nennen wollte, sie waren zu Fuß unterwegs und konnten nicht mehr transportieren. Harkon konnte sich in der Zwischenzeit daran erinnern, um wen es sich bei PiTze handelte. Es war ein Gelehrter und begnadeter Anatom und Alchimist, der vor ungefähr zweihundert Jahren als Berater in den Diensten verschiedener Fürsten stand. Laut seinem Kenntnisstand hatte er sich nach einem missglückten Experiment auf der Suche nach einem Trank der Unsterblichkeit, bei dem mehrere Testpersonen unter mysteriösen Umständen verstarben, von dem weltlichen Geschehen zurückgezogen, und war seit diesem Tag nicht mehr gesehen worden. Er machte den Fehler ein bei Normaltemperatur flüssiges Metall in seinen Tränken zu verwenden, Quecksilber. Heutzutage waren die Alchimisten und Zauberkundigen erfahrener und kaum jemand würde dieses hochgiftige Metall einem anderen Menschen verabreichen. Das Wissen um die Giftigkeit war wohl damals noch nicht so weit verbreitet oder vielleicht versuchte der Gelehrte auch mit anderen in seiner Mixtur enthaltenen Inhaltsstoffen das Gift zu neutralisieren? Doch PiTze hatte zu seiner Zeit in der Gesellschaft sein Gesicht verloren und dadurch den Zorn der Hinterbliebenen auf sich gezogen. War er etwa seinen Häschern entkommen und forschte danach hier in dieser Abgeschiedenheit ungestört weiter, um seine Ehre wiederherzustellen? Harkon machte dem Gelehrten keinen Vorwurf, denn in seinen Augen war er der Welt voraus.

Durch eine Nebentüre gelangten sie in eine Küche (Raum 7). Hier herrschte ein widerlicher Gestank vor und auf dem großen Tisch in der Mitte lagen die skelettierten Überreste eines Tieres, was wohl einmal ein Hähnchen war. Ein Kratzen, wie von unzähligen kleinen Krallen war zu hören, es klang beinahe wie fließendes Wasser. Sie gingen in die Hocke und blickten unter die Küchenschränke. Dort waren irgendwelche Klumpen von sich windendem haarigen Getier zu erkennen, Schwärme von handtellergroßen Nagetieren. Doch bei den vorherrschenden Lichtverhältnissen konnten sie sie nicht genau aus der Ferne bestimmen. Da die deswegen nicht wussten, was sie erwartete oder wie die Tiere reagierten, verließen sie die Küche und verschlossen auch diese Türe.

Der hinterste Raum (Raum 6) entpuppte sich als ein geschmackvoll ausgestattetes, wenn auch durch den Zahn der Zeit stark verstaubtes Schlafzimmer. Gegenüber der Eingangstüre stand ein großes schrankähnliches Bett, welches wie ein Zimmelbett mit langen Tuchbahnen zugezogen war. Auf einem kleinen Tischchen stand eine Flasche mit einem Keramikbecher, eine Öllampe, ein Gebiss aus Elfenbein, sowie mehrere Glasfläschchen mit verschiedenfarbigen Salzen. Auf einem anderen Tisch lagen Schreibgeräte und Seidenrollen. Einige Stühle, auf denen Herrenkleidung ausgebreitet lagen, standen in der Nähe des Bettes.

KARTE BERGWERK

Sie schoben die Vorhänge zwischen den Bettpfosten zur Seite und konnten einen Blick auf einen toten Mann in seidenem Nachtgewand erhaschen. Auch wenn er in einer bereits eingetrockneten Lache aus Leichenwasser lag, zeigte sein Körper kaum Spuren von Verwesung. Dies war wohl die letzte Ruhestätte von PiTze.

Sie gingen zum Gang zurück und wandten sich nach rechts. Hier ging der Flur nach nur wenigen Metern in einen der ursprünglichen Stollen des Bergwerkes über. Die Abenteurer holten ihre Spitzhacken heraus und untersuchten die Felswände nach dem erhofften Erz. Es dauerte nicht lange, bis Alberic fündig wurde und ein faustgroßes Aggregat rotbrauner Kristalle aus seiner Matrix brach, Vanadinit. Tarion wurde ebenfalls fündig (1), doch es war nicht das von ihm erhoffte Mineral, sondern ein Klumpen mattschwarzer Kristalle. Er nahm es an sich und zeigte es sofort Harkon. Obwohl dieser in der Geologie geschult war, kannte er diesen Kristall nicht (20) identifizieren. Seiner Meinung nach musste es sich wohl um ein bisher unentdecktes, unbekanntes Erz handeln. Diese Neuigkeit ließ Tarion jubeln, hatte er mit seinem Fund doch etwas Neues entdeckt und begann sogleich damit diesem Gestein einen Namen zu geben. Seine erste Idee Tarionium verwarf er jedoch und taufte ihn Tarionit. Erst mit ihrer weiteren Untersuchung der Felswand des Stollens stellten sie fest, dass eine dicke Ader mattroter Kristalle an den Wänden zu sehen war. Zuerst rätselten sie darüber, war dies sein konnte, bis sie die Erleuchtung hatten. Hattori Hanzo hatte ihnen erzählt, dass dies ein ehemaliges Zinnobererzberg war, demzufolge handelte es sich höchst-wahrscheinlich um Zinnober. In der folgenden Stunde brachen sie ungefähr fünf Kilogramm Vanadinit und Zinnober heraus, das sie in einen Jutesack warfen. Nachdem Alberic noch einen fingernagelgroßen mehrfarbigen und beinahe glasklaren Kristallsplitter fand (20), brachen sie ihre Suche ab, denn sie hatten, weswegen sie hierher gekommen waren. Später klärte ihn Harkon auf, dass es sich bei seinem bemerkenswerten Fund um einen Regenbogenturmalin handelte. Ein äußerst seltener Kristall, der nur einzeln und nicht in Form von ganzen Flözen vorkam.

Harkon ging danach noch einmal in das Schlafzimmer zurück und schaute sich den Toten einmal genauer an. Seiner Meinung nach verstarb der einstmals berühmte Gelehrte an einem natürlichen Tod. Seine Zeit war wohl einfach abgelaufen. Doch obwohl PiTzes Tod mindestens anderthalb Jahrhunderte zurückliegen musste, was auch die Verkrustungen auf dem Betttuch und auch der Staub auf ihm untermauerte, wirkte seine Leiche so, als ob er erst vor wenigen Tagen verstarb. Dann entdeckte er, dass sich auf dessen Haut ein rötliches Pulver befand. War es eines der Salze, die sich neben dem Bett auf dem Tisch befanden? Hatte dieses womöglich die Verwesung derart verzögert und auch den einsetzenden Leichengeruch übertüncht? Wenn diese Theorie stimmte, dann war ich PiTze seines letzten Tages gewiss und behandelte sich selbst mit diesem Pulver, ehe er sich bettete. Harkon nahm eine Probe des Salzes und steckte sie sich ein. Jetzt auf die Schnelle konnte er die Inhaltsstoffe nicht bestimmen und würde dies wohl erst in einem Labor untersuchen können. Erst jetzt bemerkte er auch die dunkel verfärbten Fingerspitzen des Toten. Doch auch der Grund hierfür blieb im Verborgenen, denn es gab einfach zu viele Substanzen, die zu solchen Verfärbungen imstande waren, angefangen bei den unterschiedlichen thaumaturgischen Salzen, über diverse Minerale und Hölzer bis hin zu einigen Gemüsesorten, wie in etwa Schwarzwurzeln, die er in seiner Küche zubereitet haben könnte.

Der schwarze Hexer erlaubte es PiTze tot zu bleiben und verließ das Schlafzimmer. Sein Weg führte ihn danach zum Aufzug zurück, mit dem er nach oben fuhr, um draußen zu schauen, wie weit der Tag bereits fortgeschritten war. Zu seinem Erstaunen war die Sonne längst untergegangen und die Nacht hereingebrochen.

Nachdem Harkon seinen Gefährten mitteilte, dass die Nacht bereits hereingebrochen war, errichteten sie im Vorraum (Raum 3) hinter dem Eingang zum Bergwerk im Erdgeschoss ihr Nachtlager und entzündeten mit dem Holz der Werkzeuge aus dem Verschlag ein kleines Feuer. Wie sie sich erhofften eigneten sich die Lichtschächte in der Decke hervorragend als Rauchabzug. Jetzt musste Harkon ihnen ein kleines Geheimnis offenbaren. Aufgrund der gegenwärtigen Lage war es ihm nicht möglich noch mehr untote dauerhaft unter seine geistige Kontrolle zu bringen, da ihm die drei Toten auf ihrem Wagen bereits alles abverlangten. Stattdessen könnte er aber ihre Äffchen mittels „Untote lenken“ beherrschen. Nur leider musste er diesen Zauber alle sechs Stunden und noch innerhalb der Wirkungsdauer erneuern. Er versprach dem nachzukommen, selbst wenn er keine Nacht mehr durchschlafen würde.

Nach dieser Ansprache stellten sie Nachtwachen auf und beendeten den Tag. In Harkons Nachtwache erneuerte er, wie versprochen, seinen Zauber und schnappte sich anschließend die handschriftlichen Unterlagen von PiTze, die Arberic von dessen Schreibtisch mitgehen ließ. Beim Durchlesen stieß er auf zwei Seiten, die seine Neugierde weckten und seine Iriden weiten ließ. Er las sie mit größter Motivation durch. Auf eine unverständliche Art und Weise war darin eine Anleitung verborgen, um vielleicht ein Elixier der Unsterblichkeit herzustellen, Es handelte von der Stärkung des Körpers auf eine natürliche und etwas mit Magie verwobene Weise, vielleicht von den Chakren, wie es die hiesigen Daoisten nannten. Auch war darin die Rede vom Licht der purpuren Treppe, die in der Vergangenheit auch immer mit der Unsterblichkeit in Verbindung gebracht wurde. Er legte danach die beiden Schriftstücke nicht mehr in die Habe von Alberic zurück, sondern steckte sie sich selbst ein.

Die vierte und letzte Wache in dieser Nacht hatte Alberic übernommen. Es war nicht mehr lange hin bis zum Sonnenaufgang, als sich am Eingang zum Bergwerk etwas regte und er seine Aufmerksamkeit darauf richtete. Eine junge Frau kam von draußen einige Schritte den leicht abschüssigen Gang hinab und blieb noch vor dem Eingang stehen. Eine Lichterscheinung beleuchtete sie von hinten, sodass Alberic nur die dunkle Silhouette der Person ausmachen konnte. Alberic wartete noch, um zu sehen, was diese Frau tat. Solange es noch nicht zu einer bedrohlichen Gefahr kam wollte er seine Kameraden noch nicht wecken. Dann zog die Frau ein Messer aus ihrer Gewandung und führte es mit zitternder Hand an ihren Hals. Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte sie ihre Halsschlagader und sackte danach in sich zusammen, woraufhin das Licht ebenfalls erlosch. Alberic war überzeugt, dass es sich hierbei nur um eine von Geistern erschaffene Erscheinung handelte, die sich spätestens mit den ersten Sonnenstrahlen auflöste und blieb bei der Feuerstelle sitzen.

Um sich von der makabren Szenerie abzulenken versuchte er sich auf seine Klinge der Muse zu konzentrieren. Doch selbst auf seinen gedanklichen Kontaktversuch hin antwortete ihm Kalliope nicht. Aber er hörte ihre Stimme. Sie sprach mit irgendwem und eine Stimme, die ihm vertraut vorkam, antwortete ihr. Dann dämmerte es ihm. Kalliope sprach mit dem Fuchsmädchen!

Als die Sonne aufging weckte er seine Gefährten. Doch kurz darauf wurde er sich einer Sache gewiss. Das was er in seiner Nachtwache gesehen hatte, war gar keine Erscheinung gewesen. Am Abstieg zum Eingang lag eine Leiche und ein blutiges rotes und noch nicht ganz eingetrocknetes Rinnsal zog sich von ihrem Hals bis hin zum hölzernen Tor. Jetzt war er den anderen Abenteurern eine Erklärung schuldig und erläuterte ihnen, was er gesehen hatte und dass er das ganze nur für eine Illusion hielt, vor allem da die Frau von hinten von einem ominösen Licht beleuchtet wurde. Sie beruhigten ihn, er hatte sich nichts vorzuwerfen. Sie traten näher heran und begutachteten die Tote genauer. Die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt und auch war keine offensichtliche Fremdeinwirkung ersichtlich. Die einfache und schlichte Kleidung deutete auf eine Frau vom Lande hin, wohl eine Bäuerin oder Landarbeiterin. Sie war sehr schmutzig und irrte wohl schon einige Tage durch den Wald, bis sie hier ihr Ende fand. Tarion sammelte umgehend einige große Steine vom Vorplatz auf und schichtete sie über dem Leichnam zu einem oberirdischen Grab auf. An ihrer letzten Ruhestätte richtete er daraufhin noch ein kurzes Gebet an seinen Totengott Ylathor und bat darum, dass ihre Seele den Weg in ihr Totenreich fand.

Danach zeigte Harkon allen die beiden Schriftstücke von PiTze. Euphorisch klärte er sie über seine Vermutung auf, dass dies eine Anleitung für einen Trank des Lebens oder für ein Elixier der Unsterblichkeit sein könnte. Doch hier und jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt sich darüber zu unterhalten.

ZWEI BILDER SCHRIFTSTÜCKE

Um ihre ganzen neuen Fundstücke überhaupt transportieren zu können, reparierte Harkon einen der Schubkarren, in dem er mit dem Zauber „Befestigen“ eine Kiste auf einen der maroden Karren klebte. Da sich die untoten Äffchen mittlerweile von dem Kontrollzauber befreit hatten und nun dabei waren sich durch den Sack zu beißen, waren sie nun gezwungen zu handeln. Sie knüppelten mit Stöcken solange auf den Sack ein, bis sich nichts mehr bewegte und sie definitiv tot waren. Notfalls konnte sie ihr schwarzer Hexer bestimmt zu einem späteren Zeitpunkt zu einem neuen untoten Dienerdasein verzaubern. Sie warfen trotz Tarions Einwände den Sack mit den toten Tieren und den mit den Büchern in den Karren und Alberic schulterte den Sack mit dem Erz. So begaben sie sich auf den beschwerlichen Rückweg.

 

Akt 59:

Die Schrecken des Waldes:

 

teilnehmende Abenteurer:

Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Tarion (Alba, Assassine), Harkon (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Alberic (Albai, Glücksritter), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Die Gruppe ließ gegen Mittag den Berg mit dem Eingang zum vermeintlichen Prinzessinnengrab und den langen geraden Weg, die einstmalige Straße, hinter sich. Von ihrer derzeitigen Position aus konnten sie sogar einen schmalen und nur schwer einsehbaren Pfad hinauf zum verfluchten Schloss auf dem Hügel ausmachen.

Die letzte Wegstrecke, die sie direkt zur Lichtung des Schmiedemeisters führte, lag vor ihnen, als sie etwas Grauenerregendes ausmachten. Etwa fünfzig Meter vor ihnen kreuzte etwas, das aussah wie eine Ameisenstraße, ihren Weg. Doch die Tiere waren größer, manche hatten sogar die Größe eines ausgewachsenen Hundes. Es waren abertausende von Spinnen! Tarion beschwor alle in entsprechender Entfernung abzuwarten und erst weiterzugehen, wenn diese Tierchen verschwunden waren. Vorsichtshalber zog er dennoch eine seiner Flaschen mit Zauberöl. Sollte es zum Äusersten kommen, dann würde er sie einfach abfackeln. Doch nach einer gefühlten Stunde ließ der Strom an Spinnen nach. Am Ende dieser makabren Prozession war aber noch eine auffällige Spinne zu erkennen. Anstatt eines gewöhnlichen Spinnenleibs besaß sie einen menschlichen Schädel als Korpus, dessen Gesicht ausdruckslos gen Himmel blickte. Das Wesen drehte sich ein Mal um seine eigene Achse und würdigte die Abenteurer mit einem kurzen Blick, ehe es dann seinen Artgenossen in das Dickicht des Waldes hinterher hechtete. Die Luft war nun rein.

Die Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, als sie auf der Lichtung angelangten. Bei einem gemeinsamen Abendessen, bei dem auch Hattori anwesend war, erklärten sie, dass sie den Weg nach Osten ausgekundschaftet hatten und dabei auch Zeuge eines Selbstmordes wurden. Naridyi machte Alberic daraufhin schwere Vorwürfe diesen Selbstmord nicht verhindert zu haben. Jedes Leben eines anständigen und rechtschaffenen Bürgers war in ihren Augen wertvoll, denn dieses Leben wurde den Menschen von den Göttern gegeben. Selbstmord war aus diesem Grund eines der schwersten Verbrechen, die einer Verachtung der himmlischen Ordnung und sogar der Götter selbst gleichkam. Es hätte daher Alberics höchste und wichtigste Aufgabe sein müssen in diesem Augenblick, als er die Handlung der jungen Frau bemerkte und begriff, dieses Verbrechen zu verhindern und notfalls Hilfe zu leisten, damit sie danach eine gerechte Strafe für dieses Vergehen erhielt. Alberic wehrte sich nicht einmal gegen diese Anschuldigungen Naridyis, denn bei dieser Frau brachten logische Argumente rein gar nichts. Er fand sie ohnehin schon gestört, seit sie vor über einem Jahr dafür gestimmt hatte das Dorf der Kannibalen niederzubrennen. Bestätigt wurde er bei der Belagerung der Schmiedesiedlung, als sie sich dagegen ausgesprochen hatte etwaige Brände zu löschen. Sie war eben eine Feuerpriesterin und nahm ihren Glauben und Gebote überaus ernst. In ihrem Heimatland Aran galt jedes Feuer nämlich als eine Art reinigendes Instrument der Götter und es war der Priesterschaft deswegen strengstens verboten ein Feuer und sogar einen Brand zu löschen, selbst wenn dieser außer Kontrolle geriet und dabei Menschenleben forderte. Es war die Art ihrer Götter die Seelen von Straftätern zu reinigen oder gottesfürchtige Personen für ihren guten Lebensweg in ihr Reich zu holen.

Bevor sich allerdings die Feuerpriesterin in Rage redete ging Harkon zu ihr hinüber und lenkte das Gespräch gekonnt in eine andere Richtung, in dem er sie fragte, wie die Menschen in Aran bestattet werden würden. Sofort klärte sich ihre Mine auf und begann seine Neugierde mit Antworten zu befriedigen. In ihrer Heimat wurden die verstorbenen Menschen entweder verbrannt, damit ihre Asche zum Himmel hinauf wehte oder zur Mumifikation im heißen Wüstensand vergraben. In den großen Handelsstädten war dies aber selten möglich oder es gab schlichtweg zu wenig Platz für eine solche Zeremonie. Daher wurden vielerorts hohe Totentürme errichtet. Die Toten legte man dann auf deren Spitze, damit sich die Aasgeier an ihnen labten. Somit würde das Fleisch der Verstorbenen wieder in den Kreislauf der Natur zurückgeführt werden. Alestor war entsetzt das zu hören, aber Alberic fragte ihn, was denn mit den Toten in Alba oder auch anderswo geschehe, wo diese in der Erde begraben wurden. Dort wurden die Leichen von Maden und verschiedenen Insekten gefressen. Demzufolge war es genau dasselbe Prinzip, nur das hier eine andere Tierart zum Zuge kam. Alestor beruhigte sich etwas, denn dem hatte er nichts mehr hinzuzufügen. Danach lauschten sie wieder gespannt dem Gespräch von Harkon und Naridyi, die sich mittlerweile in den kulturellen Hintergründen Arans vertieften. Doch dann schwenkte das Gespräch in eine unvorhergesehene Richtung um. Die Feuerpriesterin machte ihrem Gegenüber den Vorschlag, wenn er die religiösen Geheimnisse ihres Landes kennenlernen wollte, sollte sie sich zu ihrem Glauben bekennen. Scheinbar war sie drauf und dran Harkon zu bekehren. Etwas entfernt begann Tarion zu lachen, als er dies hörte. Er konnte sich seinen nekromantischen Begleiter nur schwer als in weißen Roben gehüllten Priester vorstellen, wie er dann Gläubige zum Gebet anrief. Das war einfach zu viel für ihn. Er holte eine Flasche Wodka hervor, öffnete sie und schenkte sich und den anderen Zuhörern ein, während sie weiterhin dem Schauspiel zusahen.

Später, als sich die Stimmung ein wenig gelegt hatte und sich die ersten schlafen legten, betrat Alberic, während er meditierte, seine Gedankenwelt. Vor ihm lag eine schroffe Gesteinsküste mit teils hoch aufragenden Felshängen wie sie so typisch für die chryseischen Meeresgebiete war. Auf einem Felsen in einer sandigen Bucht und in unmittelbarer Nähe zur Gischt der Wellen saßen sich zwei Frauen gegenüber. Es waren Kalliope und das Fuchsmädchen, die sich ihre Zeit mit einem lustigen Abklatschspiel mit ihren Händen vertrieben und sich dabei prächtig amüsierten. Als sich ihnen Alberic näherte hielten sie inne, wandten sich ihm zu und begrüßten ihn. Kalliope hatte die Stimme der Kitsune schon seit einiger Zeit gehört. Als sie dieser durch seine Gedanken folgte, traf sie sie schließlich und verstanden sich auf Anhieb. Kalliope war erfreut den Abenteurer zu sehen und auch dass er nach der Schlacht um die Schmiede bester Gesundheit war. Dann meldete sich die Füchsin zu Wort. Aufgrund der Erzählungen Kalliopes wollte sie jetzt nicht mehr nur Alba sehen, sondern auch Chryseia. Am besten sogar den ganzen ihr fremden Kontinent bereisen. Alberic sagte ihnen, dass der Tag, an dem er mit ihnen nach Alba zurückkäme, nicht mehr lange auf sich warten ließ. Er und seine Gefährten hatten nämlich bereits vier der fünf heiligen Gegenstände gefunden und zwischen ihnen und dem fünften Relikt lag nur noch der Selbstmordwald und die Randzone des PanKuTun-Gebirges. Dann könnte er auch der Füchsin sein Heimatland zeigen und sein Versprechen einlösen. Diese Neuigkeit erfreute die Füchsin und versprach dann auch seinen Körper zu verlassen. Immerhin hatte sie in seinen Gedanken schon vieles über Alba gelernt und die dortige etwas primitive Kultur schien sie sehr zu interessieren. Alberic war schockiert. Hatte sie etwa Zugriff auf all seine Gedanken? War er für sie so etwas wie ein offenes Buch? Doch nicht nur das. Sie erklärte ihm, dass sie sogar alles sehen, hören und auch fühlen konnte, was er in der realen Welt erlebte. Er blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Es dauerte einige Sekunden, bis er es schaffte eine Folgefrage zu stellen. Könnte sie auch seinen Körper übernehmen? Die Kitsune hielt sich ihre rechte Hand vor den Mund und fing an zu lachen. Nein, das konnte sie nicht, selbst wenn sie es wollte. Eine richtige und allumfassende Besessenheit könnten nur neunschwänzige Füchse bewerkstelligen. Doch es gab nur sehr wenige dieser mächtigen Yōkai und zeigten sich den Menschen äußerst sehr selten in ihrer wahren Gestalt. Es waren so mächtige Geschöpfe, dass sie dazu in der Lage waren mit ihrer Zauberkraft eine eigene Welt zu erschaffen und hätten sich von der realen Welt entrückt. Warum sollten sie dann in einer Welt wohnen, deren Naturgesetzen sie sich ausliefern mussten? Sie selbst hatte nur zwei Schwänze und wedelte daraufhin mit ihnen, nachdem sie sie unter ihrem roten Faltenrock hervorgeholt hatte. Alberic wurde ernst und bat sie, wenn sie Zugriff auf seine Sinne hatte, ihn zu warnen, sollte er zum Beispiel aus den Augenwinkeln heraus eine drohende Gefahr nicht sofort wahrnehmen. Ihr Leben hing schließlich auch an dem seinen. Dies war auch der Füchsin klar, weshalb sie ohne Umschweife dieser Bitte einwilligte. Bevor sich Alberic von den beiden Damen und seiner eigenen Gedankenwelt verabschiedete, um wieder in die Wirklichkeit zu gelangen, nannte ihm die Kitsune ihren Namen. Kizuna.

In der Zwischenzeit suchte Alestor Naridyi auf und stellte sie zur Rede warum sie in den vergangenen Tagen so abweisend gegenüber ihm war. Sie reagierte kühl und entgegnete nur, ob er ihn nicht etwas mitteilen wollte? Zum Beispiel, was es mit Alberics Kommentar aus der Taverne auf sich hatte. Er hatte sich nicht einmal gegen diese Behauptung verteidigt und bisher nur geschwiegen. Dies kam ihr sehr suspekt vor. War er ihr wirklich fremdgegangen? Es folgten gegenseitige Anschuldigungen und das Gespräch schaukelte sich mit jedem Kommentar weiter hoch, bis aus beiden urplötzlich der Hass und all die Gefühle, die sich in ihnen angestaut hatten, einen Weg nach außen bahnten. Dann brüllte Alestor ein Totschlagargument heraus. Er beschuldigte sie, dass sie gar nicht erst solch große Reden schwingen und stattdessen lieber kleine Brötchen backen sollte. Immerhin war sie bereit gewesen ein ganzes Dorf von Eingeborenen niederzubrennen und dabei kein Verständnis für die übrigen Bewohner aufbrachte, die verzweifelt versuchten ihre brennenden Häuser zu löschen. Es war das Argument, was Alberic zuvor zurückgehalten hatte, um die Feuerpriesterin nicht weiter zu erzürnen. Naridyi schnaubte und setzte zum Konter an. Er sollte sich an seine eigene Warnung halten, denn er hatte den Dorfsprecher, Miyas Onkel, ohne einen triftigen Grund niedergestochen! Wie als hätten sie sich abgesprochen, wandten sie sich gleichzeitig ihre Rücken zu. Es herrschte Eiszeit. Auch die Gespräche rund herum verstummten. Die Stimmung war am Tiefpunkt angelangt und der Abend gelaufen. Miya wiederum hatte das ganze Gespräch mit angehört und versetzte sich gefühlsmäßig an den Tag zurück, an dem sie ihren Onkel verlor. Sie ging etwas abseits und legte sich in Hattoris Holzlager nieder, um nicht dabei beobachtet zu werden, wie sie Tränen vergoss. Sie wollte nur noch alleine sein.

Der nächste Tag brach an. Heute war die andere Gruppe Auserwählter um Vadock an der Reihe den Wald zu erkunden. Vor allem die Wege, die am Waldeingang von der Schmiedesiedlung kommend von der großen Kreuzung abgingen. Die Abenteurer gaben ihnen hierfür extra eine Abschrift ihrer selbst erstellten Karte in die Hand, um diese zu vervollständigen. Tarion und Kruschina verabschiedeten sich noch und dann verschwand die Gruppe im Grün des Waldes.

Tarion ging zu Hattori Hanzo herüber, der gerade dabei war Holz zu hacken, um daraus Holzkohle in einem kleinen Meiler für die Befeuerung seines Schmiedeofens zu köhlern. Dort angekommen griff er in seine Tasche und holte den mattschwarzen Kristall hervor, den er am Vortag im Stollen des Bergwerks fand und zeigte ihn dem Schmied. Doch selbst er hatte einen solchen Kristall noch nie gesehen. Er unterbreitete Tarion nichtsdestotrotz den Vorschlag diesen für eine experimentelle Legierung zu verwenden, falls er ihm neben der Reparatur seines Schwertes noch eine andere Auftragsarbeit zukommen ließ. Er wies ihn aber noch darauf hin, dass er ihm dann keine Garantien für das entsprechende Werkstück geben könnte, weil er eben diesen Kristall noch nie verarbeitet hatte und daher auch dessen Eigenschaften nicht kannte. Wo sie schon einmal beim Thema Schmiedearbeiten waren übergab Tarion dem Schmied sein beschädigtes Eisschwert inklusive des herausgebrochenen Splitters der Klinge und zahlte ihn im Voraus aus. Hattori begann auch sogleich damit seinen Schmiedeofen anzufeuern und mit Hilfe des Vanadinits eine Legierung zu bilden. Drei Tage würde er für die Reparatur benötigen.

Auch die anderen ließen diesen Tag nach dem chaotischen Ende des vergangenen Abends etwas langsamer angehen. Harkon verbrachte einige Zeit damit eine Zeichnung einer valianischen Doppelklinge anzufertigen, wie sie schon seit dem Ende des Kriegs der Magier und dem Zerfall des Valianischen Imperiums nicht mehr hergestellt und verwendet wurde. Lange schon träumte er davon selbst einmal eine schwingen zu können, doch er war bis zum heutigen Tage niemandem begegnet, dessen Schmiedekünste so weit fortgeschritten war, eine herzustellen. Das Wissen darum war in den Wirren nach dem letzten Kataklysmus verloren gegangen. Doch jetzt, wo er bei einem legendären Schmied war, der in die Fußstapfen der wenigen moravischen Schmiedemeister trat und sogar kein Problem damit hatte Sternensilber zu verarbeiten, musste er einfach die Gelegenheit ergreifen sich ein solches Meisterschwert anfertigen zu lassen.

Alberic wiederum setzte seine ersten Zeilen für seine Erstkomposition zu Papier. Es sollte ein Lied werden, welches die Heldentaten ihrer Gruppe besang. Natürlich musste er hierfür wohl bei der einen oder anderen Strophe von der Realität abweichen und diese Passagen schönigen, denn in manchen Situationen hatten sie sich nicht gerade heldenhaft verhalten. Irgendwann legte er etwas erschöpft seine Feder nieder, weil seine Kreativität erschöpft war. Interessiert blickte er sich stattdessen mit der Liniensicht seines Königsschwertes in der Umgebung um. Dabei fiel ihm auf, dass der gesamte Bereich des Bodens, soweit er blicken konnte, mit zahlreichen Kraftlinien durchzogen war. Die größten Linien führten dabei allesamt in den Wald in Richtung Süden, dort, wo sie die Eule getroffen hatten. Dort musste es eine mächtige Mehrfachlinienkreuzung geben, en Naturheiligtum.

Gegen Mittag suchte Tarion Harkon auf und bat ihn darum das Tarionit zu untersuchen und herauszufinden, was dieser Kristall für Eigenschaften besaß. Harkon kam der Bitte nach und konnte trotz seiner hier in der Wildnis eingeschränkten Mittel einige der Eigenschaften dieses unbekannten Minerals bestimmen. Wie Quarz war es mittelhart und zeigte auch keine Reaktionen, als er eine Probe davon ins Lagerfeuer gab. Auch war es unlöslich in Wasser. Nachdem seine Experimente mit dem Gestein zu Ende waren und er diese mitsamt des Kristalls an Tarion übergab, ging der Hexer zu Alberic herüber. Dort fragte er ihn, ob er ihn im TaiTschi, Schattenboxen, unterrichten konnte. Da er ohnehin zurzeit nichts anderes zu tun hatte, zeigte er ihm einige Grundtechniken.

Gegen Nachmittag kam die Gruppe um Vadock zur Lichtung zurück und erzählten ihnen von ihrer Erkundung. Bei ihrem Streifzug durch den Wald hatten sie einen direkten Verbindungsweg vom verfluchten Schloss aus bis zur großen Kreuzung gefunden. Von dieser Kreuzung aus schlängelte sich auch ein Weg nach Osten entlang eines großen Baches direkt zum Gebirgsmassiv hin. Auch wenn sie keine Zeit hatten diesen Weg zur Gänze zu erforschen, da sie befürchteten, es nicht mehr rechtzeitig bis zum Einbruch der Nacht ins Lager zurück zu schaffen, waren sie sich sicher, dass dieser zu ihrem eigentlichen Ziel führte. Dort auf dem Gebirge, noch hinter dem Hochplateau des Shiroyamas war das Ende ihrer langen Reise, das letzte Heiligtum.

Im Lager kam es dann zu einer hitzigen Diskussion darüber wohin sie als nächstes aufbrechen sollten. Während einige ihrem eigentlichen Ziel entgegenlaufen wollten, hatten einige noch persönliche Aufgaben und Nachforschungen hier im Wald noch zu erledigen. Letzten Endes vertagten sie die Entscheidung darüber.

Tags darauf waren die Abenteurer wieder an der Reihe aufzubrechen, während sich Vadocks Gruppe ausruhen durfte. Die drei Abenteurer liefen schnurstracks in Richtung Eule. Obwohl sie dabei einigen Eulen begegneten, war die eine, die ihnen hilfsbereit Antworten gab, nicht anzutreffen. Irgendwann erkannte Alestor in einer Wegbiegung ein Zelt etwas abseits zwischen den Bäumen stehen. Sie verließen den festgetretenen Pfad und näherten sich vorsichtig. Der nasse Moosboden unter ihren Füßen war tief und reichte ihnen bis zu den Knöcheln. Doch sie ließen sich davon nicht beirren. Zwischen einem schieren Meer aus Farnen lag das Zelt, deren Seitenwände nur aus zwei einfachen Decken bestand. An einigen Stellen waren die Decken schon grün verfärbt und hatte Moos angesetzt. Es musste schon einige Tage hier stehen. Vor dem Zelt war eine kleine Fläche auf der Erde von Unkraut befreit und darauf ein Kreis aus Steinen errichtet, welcher wohl als Feuerstelle diente. Im Inneren fanden sie noch einen Rucksack in dem sich neben einem Tanto noch eine Decke und ein Lederbeutel mit zwanzig goldenen Lochmünzen befanden. Natürlich wechselte das Gold sofort seinem Besitzer. Allerdings war der eigentliche Besitzer weder verschwunden noch tot. Unweit ihrer Position stand eine einfache Person mitten im Wald, die ihnen den Rücken zuwandte und scheinbar vor sich hinträumte. Sie hatte sie noch nicht bemerkt. Daher schlichen die Abenteurer zum Pfad zurück und traten den Rückweg an. Doch eine Frage stellte sich ihnen. Wenn jemand alleine diesen Wald betrat, dann bestimmt um seinem Leben ein Ende zu setzen. Warum sollte sich dann überhaupt jemand noch die Mühe machen ein Lager zu errichten?

Da der Sonnenuntergang nicht mehr lange auf sich warten ließ, beschleunigten sie ihre Schritte und eilten zur Lichtung zurück. Dabei fielen allerdings Tarion und auch Alestor zurück und konnten nicht mehr mithalten. Als ihre Kameraden dies bemerkten, griffen sie ihnen unter die Arme und halfen ihnen.

Noch beim Laufen fiel Alberic eine Frau im Wald zu seiner Linken auf. Sie trug einen weißen Hochzeitskimono mit passender Haube und schien von innen heraus zu leuchten. Sie war trotz der Hellen Kleidung und dem matschigen Waldboden nicht schmutzig und wirkte vollkommen fehl am Platz. Obwohl sich die Frau nicht bewegte, kam sie ihnen mit jedem Baum, der seinen Blick auf sie kurzzeitig unterbrach, näher, bis sie schließlich direkt am Rande des Weges stand. Die anderen schienen diese geisterhafte Frau nicht bemerkt zu haben und weil er keine Zeit hatte ihnen diese Sichtung genauestens zu erklären, spornte er sie zu mehr Eile an. Er konnte sich immerhin nicht gleichzeitig um diese Frau und um seine Gefährten kümmern.

Etwa gleichzeitig mit dem Untergang der Sonne kamen sie auf der Lichtung an und verschnauften. Erst jetzt sahen sie alle das Licht, welches von der weißen Frau ausging zwischen den Bäumen. Sie war ihnen bis hierher gefolgt, doch konnte anscheinend die Lichtung nicht betreten. Hattori Hanzo hatte Recht. Dieser Ort war sicher. Tarion aktivierte seine „Gabe des wahren Sehens“ und richtete seinen Blick auf das Licht. Unweigerlich bewegte sich sein Körper von ganz allein auf den Waldrand und somit auf das Licht zu. Er war nur noch ein Betrachter, der keine Kontrolle über seinen eigenen Körper hatte. Direkt vor der Baumgrenze verlangsamte er seine Schritte, bis die Braut nur noch einen Meter von ihm entfernt stand und ihre Rechte zu ihm ausstreckte, um sein Gesicht zu berühren. Er schaute ihr tief in die Augen und sein Blick verschwamm.

Wie in einer Traumsequenz sah er dann die Braut in jüngeren Jahren. Sie war damals eine Schreinpriesterin und schritt gemeinsam mit neun weiteren Priesterinnen die hölzernen Treppenstufen am Eingang eines Schreins hinab. Doch dann hielt sie inne und blickte sich um, ganz so, als ob irgendetwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie setzte sich von der Prozession der Priesterinnen ab und versicherte sich, dass sie niemand sah. Dann betrat sie den Wald und schlug sich einige hundert Meter weit durch das Dickicht und Unterholz bis hin zu einem Wasserlauf, der hier an einem kleinen Nebenarm ein Gewässer bildete. Am Rande des Wassers kniete ein Mann in einfacher und schmutziger Kleidung und an seinem Gürtel trug er ein Schwert. Auf den ersten Blick hätte man ihn für einen armen Ronin, einen Landstreicher oder gar einen Banditen halten können. Als er ihrer Anwesenheit gewiss wurde, drehte er sich langsam um und und blickte ihr tief in die Augen. Und sie tat es ihm gleich. In der Folgezeit trafen sie sich heimlich mehrere Male an demselben Ort, tauschten Briefe aus und schlangen sich fest in ihre Arme, auch wenn der raue und ungepflegte Mann mit seinem wettergegerbten und unrasierten Gesicht dem Äußeren nach nicht so richtig zu der zartbesaiteten und makellosen Priesterin in ihrer strahlend weißen Robe zu passen schien.

Dann wurde es ihm von einem Moment zum anderen schwarz vor Augen und er wurde unsanft aus seiner Trance herausgerissen. Unsanft stürzte er rücklings zu Boden. Alberic hatte bemerkt, wie sein Freund und Kamerad nicht mehr auf sein Rufen reagierte und still zum Waldrand schritt. Er handelte schnell und noch bevor ihn die Frau berühren konnte, packte ihn und riss ihn zurück. Als Tarion seine Augen wieder öffnete verschwand auch die Braut mit einem traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht und gleichzeitig erlosch das Licht.

Zurück im Lager berichtete Tarion den anderen detailgetreu, was er in seiner Vision sah, denn seine Gabe hatte ihm einen Teil des wahren Wesens der Geisterbraut gezeigt, auch wenn er dadurch Gefahr lief eine todbringende Geisterberührung zu erhalten. Alberic stellte umgehend eine Parallele zu der Frau her, die vor dem Bergwerk sich selbst das Leben nahm. Denn auch hinter ihr schien ein Licht, welches ihn nun an das Leuchten der Geisterbraut erinnerte. Er stellte die Theorie auf, dass die Menschen hier im Wald wohl nicht alle freiwillig Selbstmord begingen, sondern von diesem Geist dazu gezwungen wurden. Für Harkon klang diese Theorie plausibel, denn immerhin konnten starke Gefühle, wie etwa Liebe, einen starken Fluch auslösen.

Jetzt kam Alberic noch eine andere Idee, die zwar nichts mit der Geisterbraut zu tun hatte, sondern ihnen helfen sollte bestimmte weit entfernte Orte hier zu erreichen, ohne dabei Gefahr zu laufen von der Dunkelheit der einbrechenden Nacht überrascht zu werden. Um somit das Naturheiligtum erforschen zu können mussten sie einfach nur auf halber Wegstecke am Waldeingang ein zweites Lager aufschlagen. Durch die gesparte Wegstrecke könnten sie auch von dort aus innerhalb eines Tages das Naturheiligtum erreichen und zurückkehren. Doch diese gute Idee löste nur einen Teil ihrer Probleme, denn sie wollten noch mehr erforschen. Harkon wollte das Seemeistergrab aufsuchen, Tarion zur alten Schreinanlage, da er vermutete, dass sich dort das Geheimnis um die Geisterbraut lüften ließ, einige das Prinzessinnengrab begehen oder Kontakt mit den anderen Herren des Waldes aufnehmen, sie wollten ihre Waffen reparieren oder neue in Auftrag geben und zu guter Letzt wollte Tarion die finstere Präsenz im verfluchten Schloss entthronisieren, um das alte Gemäuer für seine Zukunftspläne zu verwenden, um dann dort eine Gilde für Kopfgeldjäger zu gründen, deren Mitglieder darauf spezialisiert waren gegen Dunkle Adepten anzutreten und das Land zu befreien.

 

Akt 60:

Ein Wiedersehen mit Freunden:

 

teilnehmende Abenteurer:

Tarion (Alba, Assassine), Alberic (Albai, Glücksritter), Alestor (Albai, Krieger)

im Lager geblieben: Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Der Morgen graute. Die andere Gruppe Auserwählter um Vadock hatten sich schon vorbereitet, reichlich Proviant eingepackt und standen bereit, um andere Teile des weitläufigen Waldes auszukundschaften. Dieses Mal, so sagten sie, würden sie ganze drei Tage fortbleiben. Sie waren sich sicher, dass ihre Feuerpriesterin und auch ihr Hexenjäger sie vor den übernatürlichen Gefahren, die ihnen des nachts begegnen könnten, schützen würden. Kurz nachdem die Abenteurer sie verabschiedeten fing auch Hattori Hanzo mit seinen Schmiedearbeiten an. In den Klang des monotonen Hammerschlagens mischte sich dabei sein Singsang. Es war eher ein melodisches lautes Murmeln, welches er bei jedem seiner Arbeiten anstimmte. Es klang wie ein älterer moravischer Dialekt, den niemand so genau zuordnen konnte. Alberic, Alestor und Tarion bereiteten sich nun ebenfalls vor. Sie hatten keine Zeit zu verlieren und mussten ihrerseits mit dem Kartographieren des Waldes beginnen, bevor ihnen ihre Nahrungsmittelvorräte ausgingen. Für zehn Tage würden sie gewiss noch reichen. Sie baten Yosuke auf der Lichtung zu bleiben und auf Miya aufzupassen, bevor sie ebenfalls ihre Reise antraten.

Sie beschritten den Weg in östlicher Richtung und einigten sich unterwegs darauf das verfluchte Schloss zu erkunden. Unterwegs bemerkte Tarion dann einige Feen, die hoch in den Bäumen über ihnen scheinbar mit Singvögeln spielten. Sie waren nur etwa so groß wie die Vögel, doch ihre regenbogenfarbenen Flügel waren durchscheinend und glichen jenen von Schmetterlingen. Er blieb stehen und machte seine Begleiter auf sie aufmerksam. Aufgrund seiner erhaltenen und angesammelten Artefakte konnte Alberic am besten mit Naturgeistern kommunizieren und daher ergriff er das Wort. Er rief ihnen zu und machte sie somit auf sich aufmerksam. Neugierig ließ sich sich eine Fee zu ihnen hinabgleiten, blieb jedoch in sicherer Entfernung schweben. Freundlich fragte er sie, ob es eine Möglichkeit gäbe eine Audienz bei Arderyu, dem Prinzen der Feen, zu erhalten. Doch sie entgegnete ihm, dass der Prinz seinen Posten so gut wie nie verlassen würde. Eine seltene Ausnahme bildeten nur die Waldversammlungen, bei denen alle Herren des Waldes sich beratschlagten. Arderyus Wachposten befand sich am Zugang zum Grab des Viarchen. Allerdings war er zurzeit nicht gut zu sprechen, da er äußerst verärgert darüber war, dass es einigen Eindringlingen gelang seine Verteidigung zu überwinden und das Grab betraten. Alberic war schockiert. Er selbst würde alles unternehmen, damit es niemandem gelang in den Besitz von Artefakten der alten Seemeister zu kommen. Natürlich fühlte er sich dabei innerlich zwiegespalten, da einer seiner Gefährten, Harkon, einst ein Seemeister war. Um sich damit nicht weiter auseinander zu setzen, wechselte er das Thema und fragte nach den Bewohnern des Schlosses. Der Abscheu auf die Schlossbewohner lag gut leserlich in dem Gesichtsausdruck der Fee, doch sie kam seiner Bitte nach und antwortete. Vor sehr vielen Jahren schon quartierte sich in der Schlossruine TinKaTuh eine Vampirin mit Namen ChiKo ein. Obwohl sie ein Wesen der Finsternis war, gab es mit ihr kaum Probleme und darum störte sich auch niemand daran. Als jedoch vor etwa einem halben Jahr eine andere finstere Präsenz in Menschengestalt in das Schloss Einzug hielt und diese Toten sich vermählten, änderte sich die Lage. Kurz darauf begannen sie Skelettkrieger auszuheben, holzten die Bäume rund um das Gemäuer ab, um die Feuer ihrer Schmiede für die Herstellung von Waffen für ihre untoten Krieger zu schüren und besserten die Ruine aus. Den Vogel aber hatte ChiKo und ihr Gemahl abgeschossen, als sie aus menschlichen Überresten ihren „Sohn" erschufen, der nichts anderes tat als Unheil zu stiften. Falls sie sich dazu entscheiden sollten ins Schloss einzudringen, dann bliebe ihnen jedoch nichts anderes übrig als sich über das offene Gelände dem Gemäuer zu nähern, denn die Existenz eines Geheimganges war ihr unbekannt.

Nach diesem Gespräch änderten sie ihren Plan. Um das Schloss in Angriff zu nehmen benötigten sie wohl mehr Kampfkraft als drei Personen aufzubringen vermochten. Daher beschlossen sie Arderyu aufzusuchen. Sie liefen den ganzen Tag hindurch. Als sie dann am späten Nachmittag das ehemalige Zinnobererzbergwerk erreichten, errichteten sie, wie schon einmal zuvor, ihr Lager im Eingangsbereich. Sie wollten es nämlich nur ungerne riskieren in den letzten verbleibenden Stunden dieses Tages einen unbekannten Teil des Waldes zu betreten, nur um dann vielleicht von der Nacht überrascht zu werden.

Die anderen schliefen eingemummelt in ihren Schlafsäcken und Decken, als Tarion in seiner Nachtwache meinte etwas von außerhalb gehört zu haben. Er verließ den Raum durch die schwere hölzerne Eingangstüre und trat auf den Vorplatz heraus. Es war tiefste Nacht, keine Tiere waren zu vernehmen und der Vollmond stand hoch über ihm, der seine runde Scheibe hin und wieder zwischen den am Himmel vorbeiziehenden Wolken zeigte. In der letzten Zeit war er beinahe jede Nacht zu sehen. Nur einige Sternschnuppen zogen ihre Bahnen, die merkwürdigerweise als Ursprungsort den Mond zu haben schienen.

Dann erklang wieder das Geräusch. Doch diesmal konnte er es genauer hören. Es waren Schritte, schnelle Schritte, so viel stand fest. Und sie näherten sich ihm. Tarion nahm seinen Mut zusammen und rief dem Unbekannten zu. Da erschien auf einmal die Gestalt eines Mannes an der ersten Baumreihe auf der anderen Seite des mit niedrigen Sträuchern und Trümmern gesäumten Platzes. Der Mann war in eine abgeranzte Lederrüstung gekleidet, sein Bart wirkte ungepflegt, ebenso sein schwarzer Haarschopf. Als Tarion das Katana bemerkte, welches der Mann gezogen hatte, meinte er in ihm den Ronin zu erkennen, den Freund der Priesterin aus seiner Vision, der heutigen Geisterbraut. Tarion rief ihm zu, dass sie der Priesterin helfen wollten, doch der Mann blieb regungslos zwischen den Bäumen stehen. Dann, von einem Moment zum nächsten, setzte er sich mit erhobenem Schwert in Bewegung und raste lauthals schreiend auf Tarion zu. Dieser machte sofort kehrt, lief in den Vorraum des Bergwerkes und warf rechtzeitig die Holztüre hinter sich zu. Seine Hoffnung, der Ronin, der ihm dicht auf den Fersen war, würde nicht rechtzeitig zum Stehen kommen und gegen die Türe prallen, bewahrheiteten sich nicht. In Geistergestalt flog er durch das Hindernis und materialisierte sich vor Tarion wieder, um den Kampf aufzunehmen. Alestor war inzwischen durch die vorangegangenen Rufe erwacht und hatte ebenfalls seine Waffe gezogen. Zu zweit setzten sie dem Geisterkrieger zu. Obwohl die Angriffe von Geistern für gewöhnlich feste Materie durchdringen konnten, vermochten ihre magischen Waffen es, die Angriffe zu parieren und ihrerseits empfindliche Schläge auszuteilen. In den Augen des Ronin bemerkten sie dabei einen unendlichen Zorn aufblitzen zu sehen und sein teils durchscheinender Körper war wie von schwarzem Nebel umwoben. Dann gelang Tarion der ersehnte Treffer und teilte den Geist mit seiner Klinge. Der Geist zerstob und Ruhe kehrte ein. Alestor kam dies viel zu einfach vor und misstraute der Stille. Er setzte seine Gabe ein, um das Unsichtbare zu erkennen. Er hatte recht mit seiner Vermutung, denn der Geisterkrieger war noch immer da. Unsichtbar für die Augen gewöhnlicher Lebender umrundete dieser Tarion mit zum Streich erhobenem Schwert und näherte sich ihm von hinten. Alestor machte einen schnellen Ausfallschritt auf seinen Gefährten zu, stach an ihm vorbei und traf ihren Gegner. Der Geist zerstob endgültig. Doch wenn der Ronin so von Hass zerfressen war, würde es nicht lange dauern, bis sich dieser wieder erholte und abermals durch die Wälder wandelte. Solche Geister konnte man nur erlösen, wenn man den Grund, der sie auf dieser Welt hielt, ausfindig machte. Doch was war dies?

Nachdem sich die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages ihre Wege zum erdigen Grund des Waldes bahnten und die Baumwipfel in goldenem Licht erstrahlten, packte die Gruppe ihre Habe und schritten los. Immer tiefer drangen sie in den von Felsnadeln zerklüfteten Wald vor. Es war ihnen nur schwer vorstellbar, dass diese bis zu zwanzig Meter hohen Säulen natürlichen Ursprungs waren. Der Boden rings um sie herum war von Tierspuren regelrecht durchpflügt. An einer Wegeskreuzung, an der ein kleiner Pfad ostwärts abzweigte, gingen sie stattdessen weiterhin geradeaus.

Sie stoppten erst, als der Weg vor ihnen durch mehrere dicke umgestürzte Bäume blockiert war. Die Stämme waren zu massiv, nicht von Fäulnis oder Verwitterung gekennzeichnet und lagen zu gleichmäßig, als dass dies ein Zufall war oder durch einen Sturm hätte passiert sein können. Dies war ein Zeichen, dass es ab diesem Punkt Menschen verboten war auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Um die Feen nicht zu provozieren überquerten sie auch nicht das Hindernis, sondern machen mit Rufen auf sich aufmerksam.

Es dauerte nicht lange, bis eine Fee in ihrer Nähe erschien, welche sich von ihren Artgenossen unterschied. Diese Fee besaß zwar auch durchscheinende, schmetterlingsähnliche Flügel, war aber von der Statur her so groß, wie ein etwa fünfjähriges Menschenkind. Der Prinz der Feen! Abschätzend glitt sein Blick über die Abenteurer und fragte nach ihrem Begehr. Ihre Antwort, sie wollten ihn nur sprechen, quittierte er verächtlich. Wenn dies ihr wahrer Beweggrund war, warum führten sie dann Waffen mit? Sie versicherten ihm, dass sie sie nur mitführten, um sich im Notfall zu verteidigen, denn sonst hätten sie sie selbstverständlich gezogen. Mit dieser Begründung gab sich Arderyu einstweilen zufrieden. Obwohl Arderyu sichtlich nicht darauf erpicht war sich mit Menschen zu unterhalten und von oben heraus auf sie herabblickte, ließ er sich auf das Gespräch ein. Tatsächlich schien ihm sogar Tarions Vorschlag zu gefallen, die derzeitigen Bewohner des Schlosses TinKaTuh zu vertreiben, denn er verabscheute sie ebenso sehr wie die Spinnen. Dies beflügelte Tarion umso mehr in seinem Vorhaben. Wenn es ihnen gelingen sollte die untoten Horden und auch die Spinnen aus dem Wald zu jagen, dann schuldete ihnen Arderyu mit Sicherheit einen Gefallen. Und einen weiteren Fürsprecher unter den Herren des Waldes auf ihrer Seite zu wissen hätte bestimmt etwas für sich. Und so unterbreitete er dem Feenprinzen den Vorschlag sich darum zu kümmern, wenn er im Gegenzug danach das Schloss für sich beanspruchen durfte. Dagegen hatte Arderyu nichts einzuwenden, solange er die Gesetze dieses Ortes wahrte und niemand das Grab des Seemeisters anrührte.

Im Laufe des Gesprächs fasste der Prinz etwas Vertrauen in die Abenteurer und öffnete sich ihnen mehr und mehr. So erzählte er ihnen auch, was es mit dem Schloss und dem Grab der Prinzessin HaiTang in Wirklichkeit auf sich hatte. Einst, als dieser Wald noch nicht existierte und an seiner Stelle eine große Stadt der Menschen gestanden hatte, residierte im Schloss TinKaTuh eine Prinzessin mit Namen HaiTang, deren Name „Apfelblüte“ bedeutete. Sie hatte einen jungen Sohn, der, der Bestimmung nach, der Nachfolger des damals amtierenden Kaisers werden sollte. Das Schicksal wollte es, dass auch HaiTangs Bruder WuTienTi, der dasselbe Schloss bewohnte, in die kaiserliche Familie einheiratete. Dieser bekam kurz darauf ebenfalls einen Sohn, den er auch sehr gerne auf dem Kaiserthron gesehen hätte. Doch zu seinem Pech besaß die Linie seiner Schwester einen höheren und auch angeseheneren Stellenwert in der Gesellschaft. WuTienTi ließ HaiTang von seinen getreuen Männern, die sich verkleideten, um nicht erkannt zu werden, ihr Kind wegnehmen, um es auf Anraten seines Hausmagiers DoJin elendig verhungern zu lassen, um somit die mütterliche Linie seiner Familie zu schwächen, damit sein eigener Sohn aus der männlichen Linie der neue Kaiser werden konnte. Das Unterfangen gegen seine Schwester glückte ihm und so zog WuTienTi mitsamt seines Sohnes aus dem hiesigen Schloss aus, um stattdessen in der Hauptstadt zu regieren. Sein Sohn wurde Jahre später tatsächlich Kaiser und regierte über KanThaiPan. HaiTang verbitterte mit der Zeit über den Tod ihres noch jungen Kindes und durch den schwerwiegenden Verrat ihres Bruders. Ihre Linie verkümmerte zu einer unbedeutenden Nebenfamilie des Kaisers und fand nur noch wenig Beachtung. HaiTang starb schließlich und wurde in dem Felsengrab in der Nähe ihres Schlosses beigesetzt. Die letzte Prinzessin dieser Nebenfamilie hörte auf den Namen LinYa. Als das Schwarze Wasser erschien und die Menschen flohen da trat die Herrin der Spinnen vor diese letzte Prinzessin der Familie. Doch anstatt sie zu töten, entführte sie sie. Seitdem war sie niemals mehr gesehen.

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass dieser von Naturgeistern beseelte Wald den Ruf eines Selbstmordwaldes erhielt? Auch dies konnte er ihnen beantworten. Als die Menschen hier noch siedelten und das Land urbar machten, gab es einen großen Schrein, in dem immer zehn Priesterinnen ein bestimmtes Ritual vollzogen. Diese besonderen Priesterinnen wurden Stützen genannt. Dieses Ritual diente dazu eine hier vor Urzeiten versiegelte Dämonin, die Herrin der Spinnen, versiegelt zu halten und dazu bedurfte es immer genau zehn Priesterinnen. Falls einmal eine der zehn Stützen starb, ohne dass bereits eine neue Stütze fertig ausgebildet wurde, die umgehend ihren Platz einnahm, wurde eine Geisterhochzeit abgehalten. Wie diese Geisterhochzeit genau aussah, konnte Arderyu ihnen nicht mitteilen. Doch bei der letzten Geisterhochzeit kam es laut dem, was ihm zu Ohren gekommen war, zu einem schwerwiegenden Fehler. Dadurch brach das Siegel und das Schwarze Wasser erfüllte den See des Schreins, trat über seine Ufer und ergoss sich sogar über den Schreinbezirk hinaus. Dadurch wurde nicht nur die Herrin der Spinnen befreit, sondern seit diesem Tage erschien auch die Geisterbraut in den Wäldern. Seither erhöht sich die Anzahl derjenigen, die Selbstmord begingen, von Jahr zu Jahr und ebenso die Anzahl der Geister. Die mit Abstand meisten Geistersichtungen gäbe es aber im Schrein der Puppen im Zentrum des ehemaligen Schreinareals.

Schon bei der Erwähnung von Puppen in Kombination mit Geistern lief Alberic ein eiskalter Schauer über den Rücken und daher wechselte er schnell das Thema. Ihnen allen war die Verärgerung des Prinzen nicht entgangen und hakten daher vorsichtig nach der Sache mit den Eindringlingen nach. Arderyu atmete ein mal tief durch, bevor er anfing zu erzählen. Vor guten zwei Wochen gelangte es tatsächlich einigen Eindringlingen seine Barrikaden zu überrennen und in das Seemeistergrab vorzudringen. Es war ihm gelungen mehrere von ihnen zu töten, als sie nicht auf seine Warnungen reagierten, doch gänzlich aufhalten konnte er sie nicht. Sie waren einfach zu zahlreich gewesen. Seit diesem Tage versteckten sich die Überlebenden im Grab des Viarchen und ließen sich nur noch selten am Eingang blicken. Vor wenigen Tagen kam dann ein Reiter des Weges, der es überaus eilig hatte und versuchte zu den Überlebenden vorzustoßen. Diesen tötete er jedoch. Arderyu wandte sich um und wies mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand zu einer nahen Felsgruppe. Die drei Abenteurer könnten ruhig jeden vom Schicksal der Eindringlinge erzählen, damit es auch ja niemand wieder wagen sollte, sich diesem Grab zu nähern. Mit diesen Worten erhob er sich und flog davon.

Die Gruppe trat auf die Felsen zu und erblickte einen dahinter zusammengesunkenen Leichnam. Seine teure, gelbe Seidenrobe war zerrissen und angesenkt und der Körper wies an vielen Stellen Verbrennungen auf, wie sie nur von Zauberwerk stammen konnten. Zudem steckten ein halbes Dutzend gut gezielter Pfeile in seinem Oberkörper. War die Farbe gelb nicht nur dem Kaiser und den ranghöchsten Ministern vorbehalten? Demnach musste es sich um eine wichtige Persönlichkeit gehandelt haben. Sofort begannen sie mit der Durchsuchung und stießen dabei schnell auf zwei Schriftstücke, die er bei sich trug. Das erste war ein kaiserliches Dekret, welches ihn als einen Angestellten und Boten des kaiserlichen Hofes auszeichnete und ihn als LiangLiu auswies. Das andere Schreiben war vom Kurai Anat ausgestellt, der einzigen Magiergilde in ganz KanThaiPan, von der es hieß, dass sie in Wahrheit den Kaiser und dessen Geschicke lenkten. Alberic schlug vor sich im Ernstfall mit dem ersten Schreiben als den Boten LiangLiu auszugeben. Etwaige Verfolger würden bestimmt niemanden ergreifen, der im offiziellen Auftrag des Kaisers unterwegs war. Und vermutlich sollte dieser Bote die zweite Nachricht an die im Grab eingeschlossenen Menschen überbringen. Es war gut, dass diese Nachricht sie nun niemals erreichen würde.

Dann lasen sie gespannt das zweite Dokument. Dieses handelte von der Erschaffung einer neuen Weltordnung. Und anscheinend betrachtete der Verfasser sie, die Abenteurer, nicht als eine Gefahr, sondern fürchtete sich viel mehr vor anderen Gruppen wie Arcana. Dies sagte ihnen jedoch nichts. Dafür meinten sie aber schon den ein oder anderen Namen der Verschwörer einmal gehört zu haben. Sollte es sich bei ihnen gar um einflussreiche Persönlichkeiten in anderen Winkeln dieser Welt handeln? Und was hatte es mit der Zerstörung des heiligsten Tempels von PadKu auf sich? Derjenige, dem dieses Kunststück gelang, hatte sich dem Brief zufolge in ihre Richtung aufgemacht, was leider auch bedeutete, dass demnächst eine Horde von Verfolgern diesen Wald erstürmen könnte. Sie hatten demzufolge nicht mehr viel Zeit hier zu verlieren. Aber etwas anderes beunruhigte sie noch viel mehr. Es war der unter den Verschwörern genannte Name Aimar Elissa. Hießen nicht auch Rodric und Sarazian so oder war dies nur ein Zufall?

Schreiben des Kurai Anats
Schreiben des Kurai Anats

Sie kehrten zur Kreuzung zurück und schlugen von dort aus den noch nicht begangenen Pfad nach Osten ein. Etwa zur Mittagszeit erreichten sie dann das Ende des Waldes und eine weitreichende Wiese eröffnete sich vor ihnen. Diese Wiese war zu zwei Seiten vom Wald flankiert und zu ihrer Linken führte ein verschlungener Stieg schier endlose Stufen steil den Hang zum Gebirgsmassiv empor. Auf der gegenüberliegenden Seite von ihnen lag ein großes Gewässer, welches durch einen mächtigen Wasserfall, der von einer Klippe des Gebirges hinabstürzte, gespeist wurde. Der See selbst besaß eine Strömung, die auf einen großen Abfluss hindeutete, welchen sie aber von ihrer derzeitigen Position aus jedoch nicht ausmachen konnten. Inmitten der hüfthohen Gräser der Wiese stand eine Hütte. Es war viel eher ein Holzgestell, deren Verstrebungen aus gleichlangen Ästen bestand. Das Dach war ein Flechtwerk aus Weidenzweigen und einfache Decken bildeten die Seitenwände. Wer auch immer dort lebte musste schon seit einigen Tagen hier campieren.

Da sie niemanden sahen riefen sie laut aus. Prompt erhob sich ein Gesicht aus der Wiese heraus und blickte sie an. Zu ihrem Erstaunen handelte es sich um Iphicrates, den sie zuletzt beim Überfall der Piraten gesehen hatten, bei dem er sich in einen Feuervogel verwandelte und davonflog. Als wenige Sekunden später noch jemand anderes aus der Hütte trat, war ihre Begeisterung groß. Es war Sarazian!

Die Gefährten trafen sich an der Hütte und begrüßten sich ausgiebig. Beide, Iphicrates als auch Sarazian, waren unabhängig voneinander hierher geflogen und begegneten sich dabei eher zufällig wieder. Iphicrates hatte sich damals auf Vadocks Wunsch hin verwandelt und flog nach KanThaiPan. Wären sie alle durch die Piraten gefangen genommen oder getötet worden, so hätte es an ihm gelegen ihre Reise zu beenden. Sarazian unterdessen hatte gewusst, dass sich beide Gruppen an der Schmiede treffen wollten. Als er dann sah, wie die Schmiede umkämpft wurde, flog er auf einem Windpfau gleich hierher zum Pass zum Gebirge, weil er hoffte, dass auch seine Kameraden diesen kürzesten Weg nehmen würden. Und er sollte Recht behalten. Die drei wurden neugierig. Wie war es ihnen gelungen hier draußen unbeschadet zu überleben bei all den übergroßen Tieren, Untoten, Geistern und Riesenspinnen? Die zwei Magier lachten auf. Mit ihrer Magie war es ihnen möglich sich erfolgreich gegen die Kreaturen der Nacht zu behaupten. Einem Geist waren sie in den vergangenen Tagen nur ein einziges Mal begegnet. Es war eine Frau in der weiten Robe einer Priesterin. Sie erschien eines Nachts vor ihrer Hütte und führte scheinbar unbeeindruckt von ihnen irgendeine Art von Tanz auf. Danach verschwand sie wieder. Ihre Schutzamulette gegen Geisterwesen leisteten wohl ihr Übriges, um andere niedere Geister von ihnen fernzuhalten. Lediglich ein einziges Mal mussten sie im Laufe der vergangenen Woche im kalten Wasser des Sees Schutz suchen, als eine Rotte von fast hundert zu groß geratenen Wildschweinen die Wiese erstürmte, um im Boden nach Nahrung zu wühlen. Dafür hatten sie aber keinen Hunger leiden müssen. Mit „Macht über die belebte Natur“ fischten sie im See, beschworen mit dem Zauber „Brot und Wasser“ mehr Brot als sie essen konnten und suchten am Waldesrand nach Kräutern und Pilzen. Ihre weitreichenden Buchkenntnisse konnten sie somit einmal in die Tat umsetzen.

Doch wieso hatte sich Sarazian von ihnen getrennt ohne ihnen eine Nachricht zu hinterlassen oder ihnen Bescheid zu geben? Dies war dem Magier offensichtlich etwas peinlich. Nichtsdestotrotz wollte er ihnen dies beantworten. Kurz bevor sie den Mondlampion berührten erfuhr er von Fela Garcia, dass sie im Felsengrab noch eine andere Grabkammer fand. Da ihn das Grab von ZuFong schon so sehr beeindruckte, wollte er es sich nicht nehmen lassen auch dieses in Augenschein zu nehmen. Er hatte mit Gewissheit vorgehabt danach ebenfalls durch den Mondlampion zu reisen, um ihnen zu folgen. Leider kam dann alles anders, als er erwartet hatte und war dann gezwungen ZuFongs Zepter zu zerstören. Aus diesem Grund musste er eine eigene Reise antreten. Doch nun waren sie schließlich wiedervereint und konnten ihre göttliche Bestimmung beenden. Etwas Gutes hatte seine Reise aber noch gehabt, erzählte Sarazian. In der Hafenstadt Ina traf er ihre Freunde, die dort bereits auf ihre Rückkehr warteten. Und auch die Reparatur ihres Schiffes war bald abgeschlossen. Tarion bemerkte Sarazians aufsteigende Nervosität und wie er geschickt mit der Erwähnung ihres Schiffes das Thema in eine andere Richtung wechselte. Was machte Sarazian in den vergangenen Wochen am Schattenmeer auf der anderen Seite des TsaiChen-Tals? Tarion zählte eins und eins zusammen und beschloss ihn mit einem Vorwurf zu konfrontieren. War er etwa für die Zerstörung von PadKus Heiligtum verantwortlich? Sarazian erschrak und Leichenblässe legte sich über sein Gesicht. Er versuchte sich etwas zurecht zu stottern, im Sinne von „das war nicht ich, sondern nur mein Körper“, doch es gelang ihm nicht. Er war ertappt! Sarazian schluckte und besann sich zur Ruhe. Da er seiner Ansicht nach nicht imstande dazu war den Kopfgeldjäger zu täuschen und er ohnehin nichts von Schauspielerei hielt, fing er langsam an die Details darzulegen und zu schildern. ZuFongs Zepter konnte nur in den Feuern eines ganz bestimmten Vulkans weit im Süden in KuroKegaTi vernichtet werden. Darum reiste er dorthin. Leider traf er bei seiner Ankunft auf größeren Widerstand als angenommen, sodass er gezwungen war das Zepter mit der bloßen Hand zu berühren. Durch diese Tat gestattete er es ZuFong sich seines Körper zu ermächtigen und dieser lieferte sich dann einen heftigen Kampf mit den Anhängern der Adepten. Um seine Widersacher zu bezwingen ließ er den Vulkan ausbrechen. Dabei wurde eine Bergflanke instabil und rutschte in einer gewaltigen Gerölllawine den Hang hinab. Das Kloster, PadKus Heiligtum, lag in der Eruptionszone und wurde bis auf den letzten Stein zerstört. Tarion runzelte die Stirn und wurde nachdenklich. ZuFong war ein einflussreicher und überaus mächtiger Magier gewesen, so viel stand fest. Wie konnte es dann Sarazian nur gelingen wieder Herr über seinen eigenen Körper zu werden? Sarazian quittierte diese Frage nur mit einem müden Lächeln und entgegnete, dass ZuFong freiwillig selbst das Zeptes, welches seine eigene Seele enthielt, in den Vulkan warf. Tarion wusste nicht wie viel er von dieser Erzählung glauben konnte. Außerdem kam ihm der Magier seit ihrer letzten Begegnung irgendwie verändert vor. Irgendwie glücklicher. Tarions Misstrauen wuchs. War Sarazian wirklich noch er selbst oder wurde er noch immer von ZuFong oder einer anderen Macht beherrscht? Noch während der Magier von seinem Abenteuer berichtete, aktivierte er seine „Gabe des wahren Sehens“. Und ihm missfiel, was er sah, denn in Sarazians Innerem erkannte er etwas aufblitzen, von dem er nicht einmal wusste, was es war. War Sarazians Seele etwa tatsächlich von ZuFong befleckt worden? Tarion machte gute Mine zum bösen Spiel und ließ sich nichts anmerken. Bevor er handelte musste er erst ganz sicher sein und Beweise sammeln und bis dahin würde er diesen Magier im Auge behalten.

Als die Gespräche allmählich ein Ende fanden, packten die beiden Magier ihre Habe zusammen und waren dann bereit aufzubrechen. Sarazian und Iphicrates wollten am liebsten jetzt schon zum Basislager ihrer Gefährten auf der Lichtung von Hattori Hanzo zurückkehren, doch wurden von den anderen drei vertröstet. Selbst wenn sie sich beeilten würden sie die Lichtung vor Einbruch der Dunkelheit unmöglich erreichen. Stattdessen schlugen sie vor wieder im Bergwerk einzukehren und dort die Nacht zu verbringen.

Die Abenddämmerung brach herein und dann hörten sie plötzlich unterwegs ein Kichern und Lachen. Es klang nach Kinderstimmen, die sie aus mehreren Richtungen gleichzeitig vernahmen. Dann sahen sie sie. Es waren die Geister von fünf Kindern, die hinter Baumstämmen hervorlugten. Die Kinder baten sie unbekümmert darum mit ihnen zu spielen, doch die Gruppe lehnte ihre Anfrage höflich ab, winkten ihnen kurz zum Abschied zu und die Kinder erwiderten ihren Gruß. Sie schritten einfach weiter, in der Hoffnung, sich auf diese Weise die Kinder vom Leibe zu halten. Zu ihrer Erleichterung war wenig später von den Kindern keine Spur mehr zu erkennen.

Sie erreichten den Vorraum des Bergwerkes und sofort sanken die Magier erschöpft zu Boden. Die Strapazen der letzten Tage und Wochen waren ihnen in die Gesichter geschrieben. Aus diesem Grund ließen sie die zwei bei der Einteilung der Nachtwachen auch außen vor. Alberic bot Tarion und Alestor sogar an, dass er eine doppelte Wache übernehmen könnte, damit auch sie sich etwas mehr erholen konnten. Er selbst benötigte ohnehin wegen der „wehenstillenden Muschel der Schwalben“, die er bei sich trug, nur halb so viel Schlaf wie andere Menschen. Sie gingen auf seinen Vorschlag ein.

Alestor saß in seiner Nachtwache vor der noch rot glühenden Glut ihres kleinen Lagerfeuers, als er auf einmal ein Trompeten vernahm. Das Geräusch musste von irgendwo aus den Minengängen unter ihm kommen. Er richtete sich angespannt auf und horchte. Dann erklang es wieder und dieses Mal konnte er den Ursprungsort genauer ausmachen. Es klang, als wäre es in der Nähe des Werkzeugverschlages am lautesten. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung, öffnete die Türen zum Verschlag und trat ein. Er zwängte sich an Kisten, Werkzeugen und alten Fässern vorbei und lugte in den schräg abfallenden Schacht hinab, der sich dahinter verbarg. Doch es war so dunkel, dass er den Grund nicht einmal ausmachen konnte. Mit seinen Händen tastete er die Umgebung ab und fand einen faustgroßen Stein. Als das Trompeten erneut einsetzte, warf er den Stein in den Schacht hinunter. Dieser polterte mehrmals gegen die aus dem Felsgestein herausgeschlagenen Wände und schlug dann mit einem ohrenbetäubenden Knall gegen die hölzerne Klappe in der Tiefe. Es folgte eine wilde Stampede, die den Berg zu erschüttern drohte, gefolgt vom krachenden Bersten von Holz. Ein letztes Mal trötete es, bevor wieder Ruhe einkehrte. Alestor hatte genug und ging zurück zu ihrem Lagerplatz. Dort waren mittlerweile alle anderen durch den Lärm erwacht. Alberic hatte genug gehört um eine Theorie aufzustellen. Er befürchtete, dies könnte der merkwürdig graue Blob gewesen sein, den sie schon bei ihrer ersten Begehung des Bergwerkes sahen und bei dessen Anblick sie sich zurückgezogen hatten. Die restliche Nacht über hatten alle Anwesenden mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen überhaupt ein Auge zu tun zu können. Jederzeit konnten sie mit einem Angriff durch diesen Blob rechnen. Doch am Ende obsiegte die Müdigkeit vor ihrer Furcht vor dem Unbekannten.

Die letzte und längste Nachtwache übernahm Alberic. Um sich von dieser beklemmenden Situation abzulenken betrat er seine Gedankenwelt und wechselte einige Worte mit Kalliope und Kizuna. Dann drang ein Kinderlachen in seine Ohren, welches ihm eine Gänsehaut einjagte und beförderte ihn im Handumdrehen wieder in die reale Welt. Eiligst blickte er sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches ausmachen. Auch seine Kameraden schliefen immer noch. Um sicherzugehen, öffnete er die Eingangstüre und trat hinaus in die kalte Luft. Direkt vor ihm stand ein Geistermädchen, welches einen Kopf kleiner war als er. Sie hatte schulterlang geschnittenes, schwarzes Haar und trug einen pastellfarbenen Kimono und darüber eine orangene Weste mit Blumenmuster. Im Hintergrund machte er noch vier andere Kinder aus. Die Geister waren ihnen also doch gefolgt. Das Geistermädchen legte ihren Kopf schief und fragte ihn mit liebreizender Stimme, ob er mit ihnen verstecken spielen wollte. Alberic ließ sie mit seiner Antwort warten und fragte sich vielmehr, wie man überhaupt mit Geistern verstecken spielen könnte. Immerhin konnten sie sich unsichtbar machen. Da er annahm, dass von ihnen keine Gefahr ausginge, lehnte er dankend ab und kehrte wieder zu seinen schlafenden Kameraden zurück. Die mittlerweile verstummten und enttäuschten Kinder ließ er einfach auf dem Vorplatz zum Minengelände stehen.

Der nächste Morgen brach an. Als die Abenteurer aus der Mine ins Freie traten, traf sie der Schock. Neben dem von Tarion errichteten Grab für die Frau, die hier Selbstmord begangen hatte, waren fünf neu errichtete Gräber zu sehen. War jedes dieser Gräber für sie gedacht? War dies etwa ein äußerst schlechter und makabrer Kinderstreich, weil sie nicht mit ihnen spielen wollten? Die Steine für die Gräber mussten erst in den letzten Stunden aufgeschichtet worden sein, denn sonst hätte Alberic dies schon während seiner Nachtwache bemerkt. Sie beeilten sich von hier zu verschwinden.

Sie liefen den ganzen Tag über und machten nur selten Rast. Dann erreichten sie am frühen Abend die ersehnte Lichtung. Die anderen, die hier geblieben waren, staunten nicht schlecht, als sie die zwei Magier erblickten und nahmen sie herzlich in Empfang. Iphicrates entschuldigte sich hierbei auch noch einmal bei seinen eigenen Gefährten. Hätte er gewusst, wo sie sich in den letzten Monaten genau im Land aufhielten, dann wäre er schon früher zu ihnen gestoßen. Die Magier hatten aber auch noch etwas Gutes zu berichten: Als sie sich eines Tages so sehr langweilten, beschlossen sie für ein paar Tage aufzubrechen und bestiegen den hinter dem Wald liegenden Bergpass, um den weiteren Weg auszukundschaften. Ganz hoch oben öffnete sich das Gelände zu einem weiten Tal, das Hochplateau des Shiroyama. Und von dieser Position aus war es ihnen möglich am anderen Ende zwischen zwei Steilhängen einen anderen mit Felsen gesäumten Pass zu erkennen, der hinauf zu einem Gebäude führte. Dies musste ein Kloster sein, das letzte Heiligtum und damit das Ende ihrer Reise. Auch Vadocks Gruppe blieb in den letzten Tagen nicht untätig. Ihnen war es gelungen die Karte des Waldes zu vervollständigen. Nachdem Hanzo Tarion sein repariertes Feuerschwert übergab und sich unverzüglich daran machte alles für die Ausbesserung von Alestors Waffe vorzubereiten, setzten sie sich gemeinsam um das Lagerfeuer herum und feierten den Rest des Tages ihre Wiedervereinigung.

Karte des Selbstmordwaldes
Karte des Selbstmordwaldes

A: Schmiedesiedlung mit der Eisenhütte

B:

C:

D:

E: Lichtung von Hattori Hanzo

F: verfluchtes Schloss TinKaTuh

G: Geisterwald

H: Schrein der Puppen

I: Grab der Prinzessin HaiTang

J: zerklüftetes Gebiet mit Zinnobererzbergwerk

K: Grab des Viarchen

L: großer Waldsee