Akt 61:

Das Siegel der Stützen:

 

teilnehmende Abenteurer:

Tarion (Alba, Assassine), Alberic (Albai, Glücksritter), Alestor (Albai, Krieger)

im Lager geblieben: Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschow (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin)

 

Tags darauf brachen Alberic, Alestor und Tarion erneut gen Osten auf. Sie wussten zwar jetzt wegen ihrer Karte genau, welche Waldwege wohin führten, nicht aber was sie auf ihren Wegen oder an den einzelnen Landmarken erwartete. Um Tarions Wunsch nachzukommen, die unheiligen Kreaturen hier im Wald zu vertreiben, um mit dem Prinzen der Feen einen guten Fürsprecher für seinen Plan zur Eroberung des Schlosses zu erhalten, mussten sie unbedingt noch das Geheimnis lüften, wie es zu dem Unfall mit dem Schwarzen Wasser kam. Sie erhofften sich am einstigen Schrein, wo damals die Herrin der Spinnen versiegelt war, neue Erkenntnisse und begannen ihre Reise dorthin.

Als sie an der Kreuzung am Fuße des Berges angelangten, auf dem sich das Schloss TinKaTuh befand, meinte Tarion über dem Gemäuer etwas zu erkennen. Eine fremde Wesenheit erhob sich hoch oben auf dem Schlossplatz. Für ihn sah es wie ein Gargoyle aus, der von dort aus in östliche Richtung davonflog. Umgehend machte er seine Begleiter auf diese Sichtung aufmerksam. Das Wesen war schnell und verlor sich alsbald aus ihrem Sichtfeld. Für Alberic sah dies aus der Ferne jedoch nur wie ein gewöhnlicher aber großer Vogel aus (1).

Dieses Mal hielten sie sich nach links und schritten dem Schrein der Puppen entgegen. Da hörte Alestor auf einmal ein Krabbeln, wie von vielen kleinen Beinchen, irgendwo im Gebüsch in ihrer unmittelbaren Nähe. Als er es den anderen mitteilte, hörten sie es auch. Alestor wollte schon nachsehen, wurde aber von ihnen zurückgehalten. Erinnerte er sich etwa nicht mehr an die Warnung niemals vom Weg abzukommen? Doch der Krieger blieb hartnäckig. Es war immerhin nur ein kurzes Stück bis zu der Wand aus Gestrüpp und er wollte auf jeden Fall in Sichtweite bleiben. Mit dieser Begründung ließen sie ihn gehen. Vorsichtig und leise näherte er sich dem Dickicht und schob mit seinen Armen die Äste auseinander. Dahinter lag ein toter Bereich von mehreren Metern Durchmesser, die Vegetation des Waldbodens war wie leergefegt. Stattdessen bevölkerten dort unzählige Spinnen von Weberknechten bis hin zu einem Meter großen Exemplaren den toten Bereich. In ihrer Mitte standen einige große Felsbrocken herum zwischen denen ein Loch klaffte. Es war groß genug, damit ein Mensch hinabsteigen konnte. Alestor schob die Äste wieder zurück und begab sich zu den anderen, um ihnen mitzuteilen, dass er ein Nest dieser Spinnen fand. Tarion empfand nichts weiteres als Ekel und Abscheu und war drauf und dran von hier zu verschwinden. Doch als der Krieger ihn bat ihm einen Feuerstein zu überreichen, wurde er hellhörig. Was hatte ihr Krieger jetzt schon wieder vor? Alestor grinste, als er sagte, dass er das Nest mit einem Molotowcocktail bewerfen wollte. Seine Kameraden waren von dieser Idee weitaus weniger begeistert als er selbst. War es nicht ein Gesetzt der Naturgeister gewesen in diesen Wäldern kein Feuer zu entfachen? Alestor argumentierte dagegen. Immerhin schürte selbst Hattori Hanzo hier ein Feuer um seine Schmiede zu betreiben und außerdem war der Bereich rund um den Eingang zum Spinnennest herum tot. Man müsste sich schon unglaublich blöde anstellen, wenn man bei diesem Versuch tatsächlich den Wald anzündete. Doch waren die Spinnen nicht auch den Herren des Waldes ein Dorn im Auge? Wenn dieses Vorhaben wirklich gelingen sollte, dann könnten sie damit Arderyu imponieren. Obwohl sie noch immer nicht vollständig von seinem Plan überzeugt waren, überreichten sie ihm schließlich den gewünschten Feuerstein. Alestor kramte in seinem Rucksack herum, holte eine Flasche mit klarer Flüssigkeit hervor, öffnete sie und steckte einen alten Lumpen in den Flaschenhals. Dann schritt er wieder auf das Gebüsch zu und entflammte den Lumpen. Tarion und Alberic dachten nach. Irgendwie kam ihnen diese Flasche bekannt vor. Dann ging ihnen ein Licht auf. In ZuFongs Heiligtum hatte Alestor bei einer der Fallen drei Flaschen mit Zauberöl abgefüllt! Und sie dachten es wäre Schnaps. Da flog auch schon die brennende Flasche im hohen Bogen auf den Eingang des Spinnennestes zu, schlug irgendwo in der Tiefe auf und eine brodelnde Feuersäule erhob sich. Der Krieger war wieder bei den anderen angelangt, als weiße Rauchschwaden über den Waldboden waberten. Kurz darauf huschten mehrere brennende und einige rauchende Spinnen mit teils abgerissenen Extremitäten an ihnen vorbei. Sie schenkten den dreien keine Aufmerksamkeit, sondern fiepten nur schrill in Panik. Als die Flammen erstarben riskierten sie noch einmal einen erneuten Blick auf das Loch. Zwischen den immer noch aufsteigenden Rauchsäulen strömte unablässig eine schwarze Flut aus achtbeinigen Körpern heraus, die sich ihren Weg in alle Richtungen bahnte. Das war ihr Zeichen zu verschwinden, denn mit so vielen konnten sie es unmöglich aufnehmen. Sie nahmen die Beine in die Hand und machten sich vom Acker, bevor die Spinnen auf sie aufmerksam wurden.

Nach einigen Kilometern veränderte sich der Wald um sie herum. Es wirkte fast so, als ob jemand einen Großteil der Farbe entfernt hätte. Auch die Tiergeräusche waren verstummt oder gab es hier gar keine Tiere? Die Bäume, die hier wurzelten, wirkten sehr alt, doch von jüngeren Bäumen, Gräsern oder Büschen fehlte jedwede Spur. Aus dem matschigen, fast sumpfigen Boden lugten vielerorts hölzerne und steinerne Überreste heraus, die letzten Zeugnisse einer menschlichen Besiedelung. Nur mit größter Mühe gelang es ihnen den kaum sichtbaren Spuren eines alten Weges zu folgen. Hier herrschte eine absolut bedrückende Stimmung vor, so als ob man hier keine Freunde empfinden konnte und man gleichzeitig von unzähligen Augen verfolgt werden würde.

Da trat Alestor auch schon mit einem Fuß in ein Schlickloch, als wollte der Boden ihn genüsslich verspeisen. Mit ganzer Kraft zog er seinen Fuß aus dem Tümpel. Dabei glitt sein Blick auf einen Ast direkt über seinem Kopf. Dort in einer Astgabel saß eine etwa ein Meter große fein geschnitzte Puppe. Sie war einem Mädchen nachempfunden und man hatte ihr sogar einen echt wirkenden Haarschopf aufgesetzt. Sie war gekleidet in einen schwarzen Kimono mit überaus langen Ärmeln, die so lang waren, wie sie selbst. Sie wirkte lebensecht, als ob sie gerade eben erst erschaffen wurde. Alberic befürchtete bereits, sie könnte sich jederzeit erheben, doch das tat sie nicht.

Dann gelangten sie am Schrein an. Tarion erkannte diesen umgehend aus seiner Vision wieder. Dies war definitiv der Schrein in dem die Geisterbraut vor langer Zeit als Priesterin tätig war. Die Stufen, die von der Veranda vor der Eingangstüre hinabführten, war sie mit den anderen Priesterinnen heruntergestiegen. Er erinnerte sich so detailreich an all das, als hätte er sie gerade eben erst gesehen. Bis auf die verschmutzten Wänden, den abgeplatzten orangenen Lack an den Hölzern, die bemoosten und einigen fehlenden Dachziegel, sowie die gerissenen Shojipapieren hinter den Fenstern hatte der Schrein die Zeit gut überstanden, im Gegensatz zu den vielen Gebäudeüberresten, die ihn umgaben.

Dann plötzlich schrie Alberic vor Schmerzen laut auf. Er blickte an sich herunter und erkannte einen kleinen geisterhaften Arm, der aus seinem Bauch herausragte. Schnell wandte es sich um und trat einen Schritt zurück. Dort vor ihm stand wieder dieses Geistermädchen mit der Weste mit Blumenmuster und schaute ihn direkt an. Ihren Arm in seine Richtung ausgestreckt, so als wollte sie versuchen, sich durch Zupfen an seiner Kleidung auf sich aufmerksam zu machen. Sie lächelte ihn mit den unschuldigen Augen eines gewöhnlichen Kindes an und trat dann auf Alestor zu. Als auch sie ihn berührte, wich er mit einem schmerzverzerrten Gesicht von ihr zurück. Das Mädchen wirkte etwas irritiert und fragte sie, ob sie mit ihr und ihren Freunden fangen spielen würden. Da traten auch schon die anderen vier Kinder hinter den Bäumen hervor. So Leid es den Abenteurern auch tat die Kinder zu enttäuschen, sie mussten ablehnen. Auch wenn diese Geister ihren kindlichen Spieltrieb behalten hatten, so waren sie doch dazu imstande sie mit einer Geisterberührung umzubringen, selbst wenn die Kinder es gar nicht beabsichtigten. Doch niemand der dreien brachte es übers Herz die Kinder mit ihren magischen Waffen zu erlösen. Einer der Jungen sah es schließlich ein, dass die Erwachsenen nicht mit ihnen spielen wollten und rief das Mädchen, die Ren hieß, zurück. Lachend und tollend verschwanden die Kinder wieder.

Sie schoben die Schiebetüren am Eingang auf und betraten das Schreingebäude. Vor ihnen lag ein dunkler, breiter Gang, der sich nach hinten hin zu einem anderen Raum öffnete. Zu ihrer rechten befanden sich zwei andere Türen und auf der linken Seite eine. Doch es war zu finster, um genaueres auszumachen. So kramten sie ihre Leuchtsteine heraus und durchschritten den Gang.

Der Raum auf der gegenüberliegenden Seite stellte sich als ein Andachtsraum heraus, dessen Hölzer mit einem dunklen, braunroten Lack gestrichen waren. Überall waren kleine Ornamente aus Messing zur Dekoration befestigt, die das Licht ihrer Leuchtsteine noch immer widerspiegelten. Auf drei großen Holzregalen, die wie die Stufen einer Treppe angeordnet waren, standen Dutzende von großen Holzpuppen, wie jene, die sie vorhin schon im Geäst gesehen hatten. Allesamt waren sie in Furisode gekleidet, Kimono, die von für gewöhnlich von ledigen Frauen getragen wurden. Ein Teil der linken Raumhälfte war nicht einsehbar, da zwei große Paravents vor der Wand aufgestellt worden waren. An der rechten Wand befand sich noch eine Türe und am obersten Rand der Außenmauer war eine lange Reihe schmaler Fenster eingelassen, durch die, obwohl es draußen Tag war, kein einziger Lichtstrahl einfiel.

Als sie sich umschauten, meinte Alberic aus den Augenwinkeln heraus zu erkennen, wie ihn die Augen einiger Puppen verfolgten. Aber er ließ sich noch nichts anmerken. Alestor stellte sich vor das Regal in der Mitte und ergriff mit beiden Händen eine der Puppen. Sie war wirklich außerordentlich detailreich. Bei dem Haar konnte es sich tatsächlich um menschliches Haar handeln, die Augen waren aus weißem Holz geschnitzt, bemalt und in den Kopf eingesetzt worden und die Gesichtszüge aller Puppen unterschieden sich. Wer auch immer diese Puppen erschaffen hatte, hatte keine Kosten und Mühen gescheut.

Tarion traute der Sache nicht, dass sie sich hier im Herzen des Waldbereichs, in dem die meisten Geistersichtungen sein sollten, so frei bewegen konnten. Er aktivierte seine Gabe und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. So erkannte er eine geisterhafte Erscheinung auf einem leeren Platz auf dem Regal zwischen einigen Puppen sitzen, die sie augenscheinlich beobachtete. Umgehend forderte er die Erscheinung auf sich zu zeigen und sie kam der Aufforderung direkt nach. Von jetzt auf gleich manifestierte sich vor ihnen auf dem Regal eine junge Frau in einem schwarzen Kimono und mit schulterlangem silbrig weißem Haar, welches zu ihrem Gesicht hin zu zwei Strähnen gebunden war. Sie sprang vom Regal und verneigte sich kurz vor den drei Gästen des Schreins. Irgendetwas sagte den Abenteurern, dass diese Person ihnen gewogen war und sie ihnen viele Fragen beantworten konnte.

Ihre Hoffnung bewahrheitete sich, denn sie war offen für ein Gespräch mit ihnen. Diese Puppen wurden alle zu Ehren der verstorbenen Stützen hier aufgebahrt. Jede war einer Stütze nachempfunden, um ihr Andenken zu bewahren, da sie ihr ganzes Leben damit verbrachten dem Schrein zu dienen und das Siegel zu erneuern. Ihre Schöpfer hatten sich für eine kindlichere Darstellung der Stützen entschieden, weil Kinder die Reinheit und Sündenlosigkeit symbolisierten. In ihrem Inneren schlummerten bis zum heutigen Tag die Seelen ihrer menschlichen Abbilder, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sich ihr aller Schicksal erfüllte. Auch sie selbst war zu Lebzeiten eine Stütze gewesen. Ihr Blick schweifte zu einer Puppe auf einem anderen Regal hin, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitzt war.

Die Abenteurer horchten ihr gespannt zu und baten darum die ganze Geschichte hören zu dürfen. Dereinst gab es in diesem Schrein immer genau zehn Stützen, die ihre Reinheit und damit ihre Jungfräulichkeit bewahrten, um das Siegel, welches das Schwarze Wasser zurückhielt, mit ihren Ritualen aufrecht zu erhalten. Das Schwarze Wasser käme aus den tiefsten Tiefen des Sees links des Schreins und stammte von einer vor Urzeiten dort versiegelten Dämonin, die auch Mutter der Spinnen genannt wurde. Wenn eine der Stützen vorzeitig starb, ohne dass bereits eine Nachfolgerin ihr Erbe antreten konnte, wurde eine Geisterhochzeit zelebriert. Dafür wurde die tote Stützenpriesterin in einen Sarg gebettet und mit einem ihr freundlich gesinnten Mann gemeinsam im See versenkt. Viele Männer weigerten sich dieses Opfer selbst zu erbringen und mussten teils gezwungen werden. Doch ihnen blieb in einem solchen Fall nichts anderes übrig. Das Ritual war zwar grausam, doch am Ende waren die zwei Versunkenen auf ewig im Tode vereint. Ihre gegenseitigen Zuneigungen und Liebe festigte solange das Siegel, bis die neue Stütze fertig ausgebildet war und ihren Platz in den Reihen der übrigen neun Priesterinnen einnehmen konnte. Die Geisterbraut, die noch heute durch die Wälder wandelte und den Menschen den Tod brachte, war die letzte zur Wasser gebettete Stütze gewesen. Es war ihr nicht vergönnt gewesen, dass ihr Geliebter sie in den Tod begleitete, obwohl sich dieser bereitwillig dafür meldete. Stattdessen nahm einer der hiesigen Priester seinen Platz ein und stieg freiwillig in den Sarg, um mit ihr die Ewigkeit im Wasser zu verbringen. Direkt im Anschluss an diese Geisterhochzeit verfärbte sich der See. Das Schwarze Wasser sprudelte empor und mit einem Mal brach das Siegel. Das Schwarze Wasser trat über die Ufer des Sees und überspülte den Schreinbezirk, bevor es sich über die ganze Stadt ergoss. Wer nicht durch das Wasser umkam, der suchte sein Heil in der Flucht und kehrte nie wieder zurück. Seit jenem Tag war die Herrin der Spinnen befreit und terrorisierte ihrerseits die Bewohner des Waldes, um wieder zu alter Stärke zu gelangen. Jetzt wurde Tarion so einiges klar. Der Priester war eifersüchtig auf den Ronin gewesen, da auch er starke Gefühle für die Priesterin hegte. Wahrscheinlich wurde seine Liebe nicht erhört und nahm dann die Chance wahr mit ihr zumindest im Jenseits vereint zu sein. Kein Wunder also, dass der Ronin so sehr von Hass zerfressen war. Doch was machte sie noch hier? Die Geisterfrau zwang sich ein Lächeln ab, bevor sie weitersprach. Nicht nur sie war noch an diesen Ort gebunden, sondern die Seelen aller hier jemals gestorbenen Stützen. Die meisten von ihnen hatten sich jedoch bereits mit dem Schicksal abgefunden niemals erlöst zu werden und zogen sich daher in ihre Puppen zurück. Sie jedoch hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben und erwartete sehnsuchtsvoll den Tag, an dem die Spinnendämonin endgültig vertrieben oder vernichtet werden würde.

Ihre Geschichte erklärte zumindest die Geister der Braut und Priesterinnen und auch denen von Erwachsenen, die hier ihrem Leben ein Ende setzen wollten. Doch was hatte es mit den Geistern der Kinder auf sich. Die Miene der Frau mit den silbernen Haaren änderte sich abermals und tiefe Traurigkeit legte sich über ihr Gesicht. Wenn arme Menschen, vor allem aus der Landbevölkerung zu viele Kinder besaßen, um sie zu ernähren, kämen einige von ihnen auf grausame Gedanken. Ihnen blieb jedoch meistens nichts anderes übrig, als die Kinder im Wald auszusetzen, damit zumindest die anderen Familienmitglieder keinen Hunger leiden müssten. Sie einfach umzubringen wäre Mord und das ihrem eigenem Fleisch und Blut anzutun brachten nur die wenigsten übers Herz. Wenn sie stattdessen ihr Kind fernab ihres Zuhauses hier im Wald aussetzten, wo sie ohnehin den sicheren Tot fanden, könnten sie noch vor anderen Menschen behaupten ihr Kind wäre entlaufen oder entführt worden, ohne dass ihnen jemals jemand das Gegenteil beweisen konnte. Das war in der Tat sehr grausam, gaben die Abenteurer zu. Doch solche Geschichten kannten einige von ihnen bereits aus Alba, hielten sie jedoch bis heute für Ammenmärchen.

Doch warum blieben die Toten hier und wandelten umher, ohne ins Nachleben überzugehen? Dies lag einzig und allein am „Fluch des geschriebenen Wortes“, antwortete sie. Als die Geisterbraut und der Ronin noch lebten, tauschten sie häufig Liebesbriefe miteinander aus und versteckten diese an fest ausgemachten Orten, um miteinander kommunizieren zu können, ohne dass sie jemand sah oder die anderen Schreinbewohner etwas von ihrer Liebelei bemerkten. Trotzdem wussten viele von ihren Treffen, auch wenn die Priesterschaft es nicht gutheißen konnte. Der Ronin war in ihren Augen nichts weiter als ein Verstoßener, der in der Vergangenheit, bevor er hierher kam, viel Schuld auf sich geladen hatte. Durch die fehlerhafte Geisterhochzeit wurde dieser mächtige Fluch ausgelöst und dem geschriebenen Wort kam durch deren Liebesbriefe eine besondere Bedeutung zu. Wer beispielsweise selbst jetzt noch hier schriftlich einen Mord zugab, den würde der Fluch dazu zwingen erneut andere Menschen, selbst seine Liebsten, zu ermorden, ohne dass jemand etwas dagegen tun könnte. Sie nahm an, dass die Geisterbraut den Ronin in einem ihrer Briefe darum bat immer und ewig an ihrer Seite zu bleiben und dies wirkte sich wohl bis heute auf alle anderen Geister aus.

Tarion ging in sich und dachte nach. Seiner Einschätzung zufolge gab es nur zwei Möglichkeiten um das ganze Problem ein für alle Mal zu lösen. Sie könnten die Mutter der Spinnen töten, um die Seelen aller Stützen und die der anderen Geister zu befreien oder sie müssten eine Möglichkeit finden das Siegel zu erneuern. Als er diesen Gedanken aussprach mischte sich Alberic ein. Auf ihrer Welt konnte man keinen Dämonen endgültig töten, denn sie tauchten hier lediglich als Projektionen auf. Ihre richtigen Körper befanden sich währenddessen in ihren Heimatsphären und könnten dann jederzeit wiederkehren. Die junge Frau lächelte erneut und meinte dies stellte in diesem Fall kein Problem dar. Die Dämonin befand sich zwar, wie Alberic bereits andeutete, in einer anderen Sphäre, doch diese war ein Teil dieses Waldes, der von dieser Welt entrückt war. Trotzdem war ihre Welt mit dem Wald durch zahlreiche Tunnel miteinander verbunden und somit auch ihr richtiger Körper angreifbar. Ihnen ging ein Licht auf. Das Loch, welches Alestor mit Zauberöl in Brand gesetzt hatte, war demnach nicht ihr Spinnennest gewesen. Vielmehr war es einer ihrer Tunnel zu ihrer Heimatsphäre. Dann erschrak die Stütze und meinte sie hätte schon viel zu lange mit ihnen gesprochen. Sie verblasste schnell und kehrte in ihre Puppe zurück.

Nebel quoll unter den Türen hervor und tauchte den Innenraum in ein seltsames Licht, Feuchtigkeit legte sich über die Oberflächen und der Schall im Raum wirkte auf einmal seltsam gedämpft. Dann wurde die Türe an der rechten Zimmerwand geöffnet und ein älterer Mann in vornehmer Kleidung erschien. Auch er war ein Geist. Er richtete sein Hauptaugenmerk auf Tarion und sprach ihn an. Warum war er noch nicht fertig angezogen? Die Zeremonie sollte gleich beginnen. Der Kopfgeldjäger wirkte völlig verwirrt und fragte bei welcher Zeremonie er denn teilnehmen sollte. Der Mann schien überrascht zu sein. Hatte er denn seine eigene Hochzeit vergessen? Tarion ahnte Übles und entschuldigte sich kurz, um sich zurecht zu machen. Er gab seinen Gefährten ein Zeichen ihm zu folgen und verließ dann so schnell es ihm möglich war den Schrein.

Vor dem Gebäude atmeten sie erst einmal tief durch, denn damit hatte niemand von ihnen rechnen können. Sie wollten sich gerade in Richtung des heiligen Sees in der Nähe des Schreins begeben, als sie sich der Tageszeit bewusst wurden. Wenn sie sich jetzt nicht beeilten, dann würden sie es nicht mehr rechtzeitig bis zum Einsetzen der Nacht zur Lichtung schaffen. Und hier wollte niemand von ihnen die Nacht verbringen. So liefen sie in aller Eile los.

Auf halben Weg zum Schloss bemerkte Alberic hauchdünne Fäden, die quer über den passierbaren Weg gespannt waren. Im letzten Moment gelang es ihm einigen auszuweichen, stolperte mit seinen Füßen über einen anderen und landete unsanft auf dem Boden. Tarion hatte nicht so viel Glück und rannte in die hauchdünnen und nur schwer zu erkennenden Netze hinein und verhedderte sich. Alestor, der die Nachhut bildete, erkannte die Gefahr und blieb noch rechtzeitig stehen. Mehrere riesige Spinnen seilten sich mit ihren Hinterleibern von den Baumkronen her ab und steuerten geradewegs auf Tarion zu, der sich verzweifelt versuchte von den Spinnenfäden zu lösen. Die Torsos aller Spinnen bestanden aus menschlichen Köpfen, deren Gesichtsausdrücke auf ihren Rücken von Schmerzen und Wehklagen gezeichnet waren. Alberic und Alestor zogen ihre Schwerter und zertrennten mit gezielten Hieben die Fäden um Tarion herum. Dann ließ sich die erste Spinne fallen und steuerte geradewegs auf Tarion zu. Ihre Maulwerkzeuge waren gespreizt, ganz so, als ob sie es nicht erwarten konnte ihr Opfer genüsslich zu verspeisen. Just in diesem Augenblick zog Tarion seine beiden magischen Schwerter und zertrennte die auf ihn fallende Spinne noch in der Luft in zwei Hälften. Grünliche Körperflüssigkeit sprühte in einer wahren Fontäne aus den Hälften heraus und benetzte ihn von oben bis unten. Noch während sie aufatmeten ergoss sich aus dem Maul der toten am Boden liegenden und noch immer zuckenden Spinne ein Strom aus wabernden Leibern. Es waren hunderte, wenn nicht sogar tausende von winzigen Spinnentieren. Die Gruppe überkam reinster Ekel ob diesen Anblicks. Doch dann erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Was es auch war, es ließ die Erde, wie von einer Stampede erzeugt, erzittern. Dann durchbrach etwas wahrhaft Gigantisches das Gebüsch in ihrer Nähe und kam auf dem Weg zum Stehen. Der riesige und massige Körper einer Spinne baute sich vor ihnen auf. Ihre Beinspannweite betrug mindestens fünf Meter, wenn nicht gar mehr und sie fixierte mit ihren acht Augen die drei Leckerbissen vor sich. Sie blickten sich tief in die Augen und keiner rührte sich. Den Gruppe war bewusst, dass ihre Rüstungen gegen den monströsen Giftstachel dieser Kreatur keinerlei Schutz bot und rannten um ihr Leben. Etwa gleichzeitig setzte sich das Monstrum in Bewegung und stürmte ihnen hinterher. Alles, was diesem Ding in die Quere kam, auch seine kleineren Artgenossen, wurde entweder mit brachialer Gewalt fortgeschleudert oder unter den mächtigen Beinen zerquetscht. Aber der Spuk währte nur wenige Minuten, dann gab die Riesenspinne schließlich auf und trat ihren Rückweg an. Die Abenteurer indes rannten noch eine ganze Weile weiter, bis auch sie ihren Lauf drosselten und gemächlicher schritten. Sie waren sich sicher, dies war eine Falle für sie gewesen. Die Spinnen hatten ihnen aufgelauert, um sich für den Brandanschlag an ihnen zu rächen.

Die Sonne ging unter und sie hatten das Schloss bereits hinter sich gelassen, als Alestor vorschlug beim nächsten Mal die Puppe der Priesterin, mit der sie das lange Gespräch führten, mitzunehmen. Auf ihren weiteren Reisen könnte sie sich womöglich als nützliche Informationsquelle erweisen. Aber seine Gefährten wa-ren zu erschöpft, um ihm darauf eine Antwort zu geben. Sie hatten selbst keine Augen und Motiva-tion mehr dafür, die Flug-katze, die kurz über sie hinwegflog zu verfolgen. Unter anderen Umständen hätten sie mit Bestimmt-heit versucht sich dieser anzunähern, um sie als Haustier abzurichten. Doch jetzt wollten sie nur noch die sichere Lichtung erreichen, bevor noch andere Geschöpfe auf sie aufmerksam wurden.

Irgendwann erreichten sie ihr Refugium und ließen sich sichtlich erschöpft auf der Lichtung nieder. Tarion erzählte allen, was sie für schreckliche Dinge erlebt hatten und durfte danach von Kruschina getröstet werden. Naridyi hingegen wollte den ausgelaugten Gefährten ihre Ruhe gönnen und versprach die Nacht über Wache zu halten. Mit ihren reinigenden Flammen würde sie jedes noch so sinistre Wesen ganz sicherlich seine Schranken aufzeigen und verbrennen. Die meisten Anwesenden waren von ihrem Versprechen eher wenig angetan, denn sie befürchteten sie könnte bei ihrer derzeitigen Gemütsverfassung einen unkontrollierten Waldbrand verursachen, den es tunlichst zu vermeiden galt. Tarion ging die Angelegenheit mit seiner Hochzeit nicht durch den Kopf. Mit wem sollte er verheiratet werden? Er ärgerte sich darüber nicht nach dem Namen der Frau gefragt zu haben, die er ehelichen sollte. Die einzige Person, der er so etwas zutrauen könnte, war die Geisterbraut. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, seitdem er durch die Anwendung seiner Gabe in ihre Vergangenheit geblickt hatte und sie ihm, nachdem Alberic ihn aus der Vision herausgerissen hatte, mit einem traurigen Blick in seine Augen sah. Aber warum sollte sie nun so fixiert in ihn sein? Er erläuterte Kruschina seine Erlebnisse und bat sie um Rat. Als eine Schamanin, die schon des Öfteren mit Geistern zu tun hatte, wusste Kruschina eine Antwort. Tarion hatte vermutlich nicht nur in ihre Vergangenheit, sondern auch in ihre Seele geblickt. Die Geisterbraut musste sich dadurch an ihren Liebsten erinnert haben, sodass sie fortan in ihm den Ronin sah.

Am nächsten Tag gab es nur ein einziges Gesprächsthema auf dem Lagerplatz und zwar die Verbindung zwischen den Geistern und den Spinnen. Jeder hatte seine ganz eigene Theorie dazu und inwieweit man den Schilderungen der Priesterin Glauben schenken konnte. Doch für die drei Abenteurer stand die Wahrheit bereits fest. Sie beschlossen diesem Spuk ein für alle Mal das Handwerk zu legen und die Herrin der Spinnen wieder zu versiegeln. Aber sie wollten keinesfalls überstürzt losziehen, jetzt, nachdem sie wussten was sie erwartete. Zwei Tage nahmen sie sich vor noch zu warten, bis Alestors Schwert repariert sein würde.

Um sich etwas abzulenken und um endlich Gewissheit zu haben, wer der stärkere war, wollten sich Alberic und Alestor in einem Trainingskampf messen. Dafür schnitzte Alestor, der immerhin Waffenschmied war, aus Harthölzern zwei ansehnliche Trainingsschwerter. Als sie sich gegenüber standen und aufeinander losgingen, ohne sich zurückzuhalten, befürchtete Tarion bereits, dass sie sich gegenseitig schwerste Verletzungen zuführen würden. Sie teilten mit aller Kraft Schläge aus, parierten die gegnerischen Hiebe und schenkten sich nichts. Wie sich im Kampf herausstellte, sollte Tarion mit seiner Befürchtung richtig liegen. Alberic wechselte die Stellung und benutzte das Holzschwert wie beim Fechten. Er stach zu, direkt auf Alestors Kopf gerichtet und hätte der Krieger keinen Helm mit Visier getragen, so hätte ihm der Glücksritter freilich ein Auge ausgestochen oder ihn gar getötet. Sie beendeten daraufhin ihren Trainingskampf, weil sie genügend durch Blessuren gezeichnet waren. Die Holzschwerter warfen sie danach ins Lagerfeuer, da sie zu ramponiert für eine zweite Runde waren.

Im Anschlussc daran suchte Tarion Stanislaw, den Hexenjäger, auf und berichtete ihm detaillierter als am Abend zuvor von dem Fluch, der auf dem Wald lastete und was dies tatsächlich auslöste. Auch schilderte er ihm seine neueste Theorie: Wenn man die Gebeine des eifersüchtigen Priesters aus dem Sarg mit dem Leichnams der Geisterbraut entfernen würde und sie durch die des Ronins ersetzte, war es dann möglich, dass der Fluch sich auflöste? Stanislaw grübelte einige Augenblicke lang nach und stimmte ihm zu. Seiner Meinung nach könnte dies tatsächlich funktionieren.

An einer anderen Stelle auf der Lichtung war Alestor gerade ziemlich aufgeregt und versuchte sich einige Worte zurecht zu legen, denn er hatte etwas wieder gut zu machen, was ihn schwer belastete. Dann gab er sich selbst einen Ruck und trat seinen schweren Gang in Richtung Naridyi an. Diese war gerade dabei das Pferd neben ihren zwei Wägen in der Mitte der Lichtung zu striegeln. Alestor räusperte sich und fragte sie umgehend, ob die Möglichkeit bestünde sich wieder zu vertragen. Sie drehte sich zu ihm um und blieb eisern. Sie wollte zuvor von ihm wissen, ob Alberic die Wahrheit sagte und er ihr fremdgegangen war. Oder wollte er sie nur wieder mit Schweigen strafen? Vorwurfsvoll verschränkte sie ihre Arme und baute sich vor ihm auf. Alestor wusste, dass er ihr die Wahrheit schuldig war und rang dann mit seinen Worten. Er gestand ihr einfach alles. Die Hölle war für ihn vollgepackt mit Verführungen und er war so leichtfertig auf diese eingegangen, ohne an die Konsequenzen zu denken und versprach ihr nie wieder so etwas zu tun. Naridyi löste ihre verschränkten Arme etwas und ihr Blick erweichte. Irgendwie schien die Feuerpriesterin, die sich mit den Qualen und Verführungen des Nachlebens auskannte, dafür Verständnis aufzubringen. Doch eine Frage musste er sich noch stellen. Warum hatte er es ihr nicht von vorne herein erzählt? Alestor entgegnete nur, weil es ihm peinlich war. So hatte Naridyi den Krieger noch nie erlebt und bat ihn um ein wenig Bedenkzeit. Als Alestor ging, war eine große Last von ihm abgefallen.

In diesen zwei Tagen behielt Tarion Sarazian unentwegt im Auge, um eine Veränderung an ihm festzustellen. Und je länger er ihn beobachtete, desto offensichtlicher wurde es, dass der Magier irgendwie verändert und glücklicher wirkte als sonst. Wo er ansonsten nur Theorien über den Verbleib seines Stiefbruders Rodric aufstellte interessierte er sich nun für die Gefühle anderer Menschen. Und wenn er alleine war und sich unbeobachtet vorkam, summte er sogar Melodien vor sich hin. So konnte es nicht weitergehen! Tarion ging zu ihm herüber und verwickelte ihn in ein Gespräch, um endlich Gewissheit darüber zu bekommen, ob dies der echte Sarazian war. Sarazian war dem Gespräch nicht abgeneigt und erklärte seinerseits glücklicher zu sein. Bald schon wäre ihre Reise zu Ende und er freute sich bereits auf seine Rückkehr nach Alba. Tarion wurde nachdenklich. So häufig wie Sarazian in der Vergangenheit über Valian sprach, wollte er doch sicherlich eher zurück auf das Inselarchipel? Doch der Magier winkte ab. Seine zukünftige Heimat würde Alba werden, denn er hatte nun alles, was er brauchte, um ein Versprechen zu erfüllen. Einer ehemaligen Kameradin versprach er nämlich einen Ort zu errichten, der den Menschen Freiheit versprach und jeder Mensch, unabhängig seiner Herkunft, die gleichen Rechte haben würde. Doch leider durfte er an dem Ort, den sie dafür auserkoren hatten, sein Lebenswerk nicht in die Tat umsetzen. In Alba durften nämlich Ausländer kein Land erwerben. Ian MacRathgar, das Oberhaupt des Clans der MacRathgar, versprach ihm jedoch ihn in seinen Clan aufzunehmen, wenn er ihm im Vorhinein einen Übersetzungswürfel der Zwerge brächte. Damit würde er als ein Albai von hohem Rang anerkannt werden und dürfte Land besitzen. Jahrelang hatte er auf der Suche nach solch einem Artefakt verbracht, doch ohne Erfolg. Aber dann erhielt ein jeder von ihnen in der Hölle einen Wunsch frei, nachdem sie Blutadler in seinem eigenen Spiel schlugen. Und da hatte er die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich einen solchen Würfel gewünscht. Der Magier wühlte daraufhin in seiner Tasche herum und holte den handflächengroßen Würfel hervor. Er war aus einem stahlgrauen Metall gefertigt und die Kanten waren mit Runen versehen. In der Mitte einer jeden Fläche war ein viereckiger Ausschnitt freigelassen, sodass man dadurch in einen darin eingeschmiedeten zweiten Würfel aus einem gläsernen Material sehen konnte. Tarion aktivierte seine „Gabe des wahren Sehens“ und sah, dass der Würfel dadurch für ihn hellgrau leuchtete. Das war die Farbe für Magan, da war er sich sicher, was auch bedeutete, dass der Würfel magisch war. Also fragte er seinen Gegenüber, was der Würfel für Fähigkeiten besaß. Sarazian zuckte nur mit den Schultern, er hatte keine Ahnung. Er hätte ihn zwar schon häufiger versucht zu analysieren, doch es wäre beinahe so, als ob sich das Artefakt dagegen weigerte seine Geheimnisse zu offenbaren. Der Magier ließ danach den Würfel wieder in seiner Tasche verschwinden. Dies gefiel Tarion nun überhaupt nicht und strafte Sarazian mit einem bösen Blick. Er deutete auf den Magier und meinte nur schroff, falls dieser Würfel in den Händen der MacRathgars zu einer Fehde oder gar einem Krieg führte, dann würde er ihm allein die Schuld daran gegen. Mit diesen Worten machte er kehrt und ging seines Weges. Tarion hatte allen Grund dem Clan der MacRathgars zu misstrauen, denn seit der letzten Königswahl, die die MacBeorns gewannen, versuchten die MacRathgars verzweifelt mittels Intrigen und falschen Behauptungen ihren Kontrahenten zu schaden und das Land zu destabilisieren.

Doch was war dieser Würfel nun genau? Diese Frage wurmte ihn. Dann bemerkte er Vadock, der gemütlich auf einem Stein saß und seine Waffe mit einem Schleifstein bearbeitete. In dessen Rücken verschloss Stanislaw gerade mit einer Schaufel ein frisch ausgehobenes Loch in der Wiese. Vadock war doch auch ein Albai und kam auf seinen Reisen weit herum. Vielleicht kannte er sich sogar mit zwergischen Artefakten aus? Ohne viel Umschweife fragte er ihn direkt danach. Allerdings entschuldigte sich Vadock bei ihm, denn von solch einem Übersetzungswürfel hörte er gerade zum allerersten Mal. Bis jetzt hatte er sich nämlich noch nie so richtig mit der Kultur der Zwerge auseinander gesetzt.

Der dritte Tag ihrer Rast brach an, doch am heutigen Morgen erklang weder das Schlagen eines Schmiedehammers, noch ein moravischer Singsang. Stattdessen warf sich Hattori Hanzo eine strahlend weiße Robe über und trat auf die Abenteurer zu, um Alestor feierlich seine Waffe zu überreichen. Der Krieger zog sie augenblicklich aus der Scheide und begutachtete sie im Licht der ersten Sonnenstrahlen. Wie bei Tarions Waffe zuvor war auch an seiner Klinge keinerlei Grat der Beschädigung mehr auszumachen. Der Schmiedemeister machte seinem Ruf ganze Ehre. Jetzt wo der Schmied nicht mehr in seine Arbeit vertieft war, konnte Tarion ihm eine Frage stellen. Wenn es ihm gelänge das Schloss in seinen Besitz zu bringen und die derzeitigen Bewohner zu vertreiben, damit im Wald wieder Ruhe einkehrte, hätte er dann Interesse als Hofschmied anzufangen? Hattori schloss kurz seine Augen und ließ seinen Kopf sinken, bevor er antwortete. Er wäre jederzeit gerne dazu bereit für ihn Waffen anzufertigen, wenn er sie bezahlen würde. Aber er würde sich niemals wieder einem Herrn Untertan machen oder an einem Hof arbeiten wollen. Das letzte Mal, als er nämlich einem Herrn zu Dienst verpflichtet war, war er gezwungen worden ein Unrecht zu begehen. Dies wollte er niemals wieder erleben und zog sich darum in die Wildnis und Abgeschiedenheit zurück. Er hoffte inständig, Tarion würde dies verstehen. Um die Stimmung wieder aufzulockern und um Hattori für seine Dienste zusätzlich zu entlohnen, holte Alberic ein Katana hervor, welches er im versteckten Gemach im Untergrund von Jigokuniochiru gefunden hatte, und schenkte es ihm. Der Schmiedemeister nahm dieses Geschenk dankend an.

Jetzt wo Alestor sein mächtigstes Schwert zurück hatte schöpften sie neuen Mut und brachen unverzüglich zum Schrein auf. Doch die Spinnen hatten in den vergangenen zwei Tagen gute Arbeit geleistet. Der ganze Wald war mit so vielen Spinnennetzen ausgekleidet, dass die Farbe weiß anstatt grün vorherrschend war. Für sie war es der reinste Alptraum sich dort hindurch zu bewegen. Überall hingen teils menschengroße Kokons an armdicken Fäden herab, die bis knapp über den Erdboden baumelten. Und egal wohin sie sahen, andauernd bemerkten sie Spinnen. Doch am helllichten Tag waren wenigstens nur die kleineren Exemplare unterwegs, die ihnen aus dem Weg gingen. Um ihre unbändige Neugierde zu befriedigen öffneten sie mit einem Schwert einen der Kokons. Der Panzer aus Spinnenfäden platzte auf und ein ausgetrockneter und verkümmerter Hirsch fiel heraus. In dem Körper war keinerlei Feuchtigkeit mehr und die riesige Bisswunde an seiner Flanke verriet, dass der Täter eine der großen Spinnen sein musste. Dann raschelte es neben ihnen. Es war ein salatkopfgroßer Ballen von Spinneneiern, die jeden Moment schlüpfen konnten. Sie beeilten sich von hier wegzukommen.

Die Mittagszeit war schon ins Land gezogen, als sie das Schreingelände erreichten. Von dort aus bogen sie nach links ab und stießen nach ein paar hundert Metern auf einen See, dessen Wasser schwarz verfärbt war. Rund um das Gewässer herum waren selbst die widerstandsfähigsten Bäume tot und zugrunde gegangen. Dies war offenkundig das Epizentrum des Fluches. Sie näherten sich der Uferböschung und blickten in den See, doch konnten durch die Färbung des Wasser keinen Grund erkennen. Tarion zog sich aus, band sich ein Seil um seine Hüfte und stieg in das eiskalte Wasser, während Alestor und Alberic das andere Ende des Seiles festhielten. Falls er feste ziehen sollte, dann sollten sie ihn unverzüglich nach oben ziehen. Mit verschlossenen Augen tauchte er in das Nass und tastete mit seinen Händen durch die trübe Brühe. Doch bis auf den Schlick des Bodens spürte er überhaupt nichts. Er benötigte eine andere Vorgehensweise. Er öffnete seine Augen und spürte sofort, wie sie zu brennen anfingen. Doch jetzt konnte er zumindest seine Gabe anwenden. Mit einem Mal sichtete er etwa zwei Dutzend golden leuchtende Punkte am tiefsten Punkt des Sees. Vorsichtig watete er zu dem Punkt, der ihm am nächsten war und streckte seine Hände danach aus. Er ertastete Holz, doch konnte es nicht genau erkennen, da selbst hier das Wasser zu trübe war. Er ergriff das hölzerne Etwas und zerrte am Seil, als er kurz davor war nicht mehr die Luft anhalten zu können. Sofort spürte er, wie seine Gefährten das Seil einholten und ein Ruck ihn fortzog. Doch was immer er fest umklammert hielt, es war bedeutend schwerer, als er zunächst angenommen hatte. Er verschluckte sich (1) und atmete dadurch den letzten Rest seiner Luft aus. Als er dann die Wasseroberfläche durchbrach, spuckte er einen Mund voll Wasser aus und atmete mehrmals tief ein und aus. Jetzt erst realisierte er, was er überhaupt festhielt. Es war eine große, morsche Holzkiste. Mit vereinten Kräften bugsierten sie sie über die glitschige Uferböschung an Land.

Die Kiste war in etwa zwei Meter lang und einen halben Meter breit. Die Seile, welche um sie gewickelt waren, lagen nur noch in Fetzen lose daran. Nachdem sie mit Leichtigkeit den Deckel öffneten, wussten sie, um was es sich handelte. Es war ein Sarg, denn in dem schwarzen Wasser darin lag eine vollständig skelettierte Leiche. Aufgrund der Beckenform schlussfolgerten sie, dass es sich um einen Mann handelte. Seine Arme waren hinter seinem Rücken noch immer mit nahezu zersetzten Seilen gefesselt, was darauf hindeutete, dass er wohl noch lebte, als er in diese Kiste gesperrt wurde. Um nichts zu übersehen griff Tarion noch einmal in die Kiste und wühlte mit seinen Händen durch das schwarze Wasser darin. Dabei stieß er aus etwas Spitzes, ergriff es und zerrte es heraus. Es war ein weiteres Skelett. Das von einer Frau. Doch wenn das männliche Skelett gefesselt war, dann dürfte es sich unmöglich um den Priester gehandelt haben. Denn dieser hatte sich schließlich freiwillig für das Schicksal entschieden geopfert zu werden. Das war der falsche Sarg! Tarion schnaubte, als ihm bewusst wurde, was dies bedeutete. Er band sich erneut das Seil um und stieg zurück ins Wasser.

Die Skelette in der zweiten Kiste waren jüngeren Datums, denn an ihnen hafteten noch vermoderte fleischliche Überreste und auch einzelne Haarsträhnen waren noch erkennbar. Doch leider waren auch hier wieder die Hände des Mannes hinter seinem Rücken gefesselt. Tarion war schon genervt und seine Laune auf den Tiefpunkt angelangt, als sie später den Deckel der vierten Kiste öffneten. Doch dann konnten sie ihr Glück kaum fassen und seine Laune hob sich. Die Hände des männlichen Skelettes waren frei und von Fesseln fehlte jede Spur. Dies war der Sarg mit den Gebeinen der Geisterbraut und jenen des Priesters, da waren sie sich sicher.

Tarion wusch sich die schwarzen Schlieren des Wassers mit dem Wasser aus seinem Trinkschlauch ab, trocknete sich und zog seine Kleidung über. Die drei Särge, die sie zuerst an Land gezogen hatten, verschlossen Alberic und Alestor wieder und ließen sie danach sachte in das Wasser zurückgleiten, während der Kopfgeldjäger am Ufer stand und in einem kurzen Gebet seinen Gott Ylathor darum bat, dass ihre Seelen den Weg in ihre Nachwelt finden würden. Dann entnahmen sie dem vierten Sarg die beide Skelette und bahrten sie nebeneinander auf. Das Skelett der Priesterin reinigten sie sorgfältig, doch mit dem des Priesters, der dies alles auslöste, hatten sie noch etwas gänzlich anderes vor. In der Nähe entzündeten sie ein großes Feuer aus dem ganzen am Boden liegenden Totholz und gaben die Gebeine des Priesters in die Flammen.

Als die ersten Knochen laut unter den züngelnden Flammen barsten, erklang kurz darauf ein monotoner Sprechgesang, der sich nach altem und heute nicht mehr gesprochenem KanThaiTun anhörte. Zeitgleich mit dem Klang tauchte ganz in ihrer Nähe die geisterhafte Gestalt eines Priesters in typischer Robe und mit lackschwarzem Papierhut auf seinem Haupt auf. Beidhändig hielt dieser einen Haraegushi, einen Stock, an dessen Spitze sich ein Büschel aus weißem Zickzackpapier befand, den er hin und her wedelte. Sie waren zu sehr auf die eigenartige Situation um den Priester fixiert und erahnten nicht einmal die drohende Gefahr. Plötzlich schossen unter ihnen, ähnlich dem Zauber „Pflanzenfessel“ tentakelähnliche Schlingen aus festem schwarzen Wasser empor und wickelten sich blitzschnell um die Beine der Abenteurer. Alberic war es gelungen noch rechtzeitig auszuweichen und warf schnell einen Blick zurück auf seine Kameraden. Tarion und Alestor hatten nicht so viel Glück. Die Wasserfesseln hatten sich um ihre Beine herum zugezogen und hielten sie an Ort und Stelle fest umklammert. Sollte er erst seine zwei Gefährten befreien, um zu dritt dem Priester den Garaus zu machen oder sollte er es riskieren alleine gegen den Geist anzutreten, um keine kostbare Zeit zu verlieren? Er musste sich schnell entscheiden. Er zog sein Schwert und stürmte mit erhobener Waffe auf seinen Feind zu. Die Klinge traf den Priester mehrmals, doch dieser zerstäubte nur und regenerierte seine menschliche Form. Selbst wenn es so aussah, als ob der Geist keine Verletzungen erlitt, so wusste Alberic doch, dass auch ein solcher Geist durch sein magisches Schwert erheblichen Schaden erlitt. Und all zu lange würde dieser nicht mehr aushalten können. Doch sein Gegenüber dachte nicht im Geringsten daran aufzugeben. Diese drei Eindringlinge hatten seine Ruhe gestört, trennten ihn von der Person, die er am meisten auf der Welt begehrte und waren dabei seine Gebeine zu verbrennen. Sie hatten es verdient für ihre Sünden Höllenqualen zu erleiden! Der Haraegushi verschwand in der Luft und löste sich auf und mit seiner nun freien rechten Hand schnellte der Priester nach vorne und berührte den Sünder mit einer Geste kurz am Bauchraum (Zauber Verletzung). Sofort spürte Alberic einen Schmerz, der ihn zu übermannen drohte, als sein Bauch an genau dieser Stelle aufplatzte und ein Schwall Blut aus ihm heraus strömte. Dies war keine oberflächliche Verletzung, das wusste er. Der Glücksritter verdrehte die Augen und ließ seine Waffe zu Boden sinken. Ohne jedwede Regung sackte er in sich zusammen und blieb regungslos in einer größer werdenden Blutlache liegen.

Tarion stieg der Angstschweiß auf die Stirn. Sie waren gefesselt und sein Gefährte, mit dem er gemeinsam schon so viele Abenteuer erlebt hatte, lag im Sterben! Wo war die Heilerin, wenn man sie brauchte? Er gab sich selbst die Schuld dafür, weil er die Gebeine des Priesters dem Feuer dargeboten hatte. Als der Priester langsam und ohne eine Mine zu verziehen auf sie zu marschierte, mit ausgestreckten Armen, musste er handeln. Lauthals rief er seinen Totengott an, dieses Unrecht wieder gut zu machen und ihm die Kraft zu geben die Seelen all derer zu erlösen, die ziellos in diesem Wald wandelten und schwor ihm dafür alles nur Erdenkliche zu unternehmen (göttliche Queste). Dann erklang eine alles durchdringende Stimme mit den Worten „So sei es!“ und selbst der Priester blickte dabei gen Himmel. Dort oben riss die Wolkendecke auf und ein einziger goldener Lichtstrahl durchbrach das tote Geäst der Bäume und tauchte ihr Feuer in glänzendes Licht. Die Flammen erstarken in Windeseile und pulverisierten die darin liegenden Knochen mit grenzenloser Hitze binnen weniger Sekunden. Der Geist des Priester schrie bitterlich auf und verschwand gleichfalls und die Tentakeln aus schwarzem Wasser zerflossen. Schleunigst eilten alle zu Alberic herüber und begannen seine Wunden zu versorgen, bevor er vollends verblutete. Sein Zustand war kritisch.

Alberic hatte zwischenzeitlich seine Augen geschlossen und wegen des hohen Blutverlustes sein Bewusstsein verloren. Er spürte keinen Schmerz mehr, noch konnte er wahrnehmen, was um ihn herum geschah. Sein Geist war sich beinahe des eigenen Todes gewiss und so flüchtete er sich in seine Gedankenwelt. Er ging gemächlich über den Strand der zerklüfteten Felsenküste, die er schon so häufig gesehen hatte und erblickte dann in der von Wellen umschlagenen Bucht Kalliope und Kizuna. In aller Ruhe setzte er sich zu ihnen und sie lächelten ihn freundlich an. Ohne Umschweife sprach er die Muse direkt an und bat sie zu erzählen, wie sie überhaupt in das Schwert gelangte. Kalliope spürte, wie ernst ihm diese Antwort heute war und da sie ihm mittlerweile genügend Vertrauen schenkte, offenbarte sie ihm, wie sie versiegelt worden war. Doch von vielem hatte sie auch selbst keinerlei Ahnung und entschuldigte sich vorab schon einmal, weil sie sich einiges selbst zusammenreimen musste. Alberic zeigte Verständnis dafür.

Sie, Kalliope, war eine von neun Schwestern gewesen und waren die Kinder der großen, gütigen und allseits geliebten Göttin der Musen, die noch heute in Chryseia verehrt wurde. Seit sie denken konnte, war sie ihrer Mutter am ähnlichsten gewesen. Daher versuchte sie auch so häufig es ihr möglich war, eine gute große Schwester zu sein, indem sie ihren Geschwistern bei jeder Lebenslage half und sie jederzeit unterstützte. Als dann die anderen großen Gottheiten ihres Pantheons wegen einer Nichtigkeit in Streit gerieten und ein Götterkrieg drohte, versuchten alle Gottheiten ihre Positionen zu stärken und neue Allianzen zu bilden. Nicht jedoch ihre Familie. Sie hatte sich schon damals gewundert, warum ihre Schwestern und ihre Mutter in dieser heiklen Lage ein Familienfest ganz alleine zu ihren Ehren veranstalteten. Doch damals fragte sie nicht nach den Gründen, sondern nahm es einfach hin. Auch wenn es ihr dereinst etwas peinlich war von allen in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Aber das Fest war wundervoll gewesen und tat sein Übriges um sie von den Wirren des drohenden Krieges abzulenken. Das letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass eine ihrer Schwestern einen Gesang anstimmte, der sie ermüden ließ. Als sie schließlich erwachte, war sie an das Schwert gebunden, welches Alberic viele Jahre später „Schwert der Musen“ taufte. In dessen Griff waren neun Vertiefungen für Edelsteine eingelassen. Wohl eines für jede ihrer Schwester und für sie. Und mit jedem der bestimmten gefundenen Steine spürte sie, wie dies die Fesseln löste, die sie am Schwert banden. Doch es war schon eine beachtliche Leistung seitens Alberic gewesen, dass er schon durch Zufall mehrere von diesen fand. Doch vielleicht war dies auch Schicksal gewesen und gewollt, dass die Edelsteine von diesem Schwert angezogen werden? Dann veränderte sich ihr Blick und meinte nur, seine Reise wäre hier noch nicht zu Ende.

Tarion und Alestor war es irgendwie gelungen die schweren Bauchverletzungen ihres Kameraden notdürftig zu verbinden und die Blutung zu stoppen. Als er dann daraufhin seine Augen aufschlug, waren sie erleichtert. Erst jetzt realisierten sie, dass Ylathors Licht noch nicht verschwunden war, sondern ein anderer Sonnenstrahl auf einer Stelle zwischen dem See und dem Schrein verharrte. Sie ließen Alberic vorerst an Ort und Stelle liegen und machten sich zu jenem lichten Punkt auf. Als sie dort angelangten, verschwand das Licht umgehend. Einer Eingebung folgend ergriffen sie ihre Schaufeln und begannen zu graben. Schon nach kürzester Zeit und nach wenigen Zentimetern stießen sie auf etwas Festes mit weißer Farbe. Es war der schwer verweste Leichnam eines Mannes, von dem beinahe nur noch die Knochen übrig waren. Der Ronin, meinte Tarion. Sie befreiten die menschlichen Überreste von Schmutz und Erde und betteten sie behutsam in den Sarg der Priesterin. Danach schoben sie ihn zurück in das dunkle Wasser des Sees. Es dauerte nicht lange, bis sich der undichte und morsche Sarg mit Wasser füllte und langsam zu sinken begann. Dann klärte sich plötzlich das Wasser auf und das gedämmte Licht, das diesen Ort fest umklammert hielt, wurde durch einen aufkommenden heftigen Wind, der als Ausgangspunkt den See hatte, in alle Richtungen gleichzeitig hinfort gerissen. Vom Schrein stiegen annähernd hundert golden leuchtende Lichter gen Himmel auf, ebenso an den verschiedensten Ecken des Waldes. Ein Klackern, wie von unzähligen Rasseln ertönte rings um sie. Es waren Kodama, die überall erschienen. Mit ihren kleinen grünlichen Händchen berührten sie die totgeglaubte Flora und sofort sprossen die ersten Halme und Gräser und die ersten Knospen erwuchsen an den kahlen Bäumen.

Tarion ahnte, dass er nun nicht mehr in der Gunst seines Gottes stand und er Ylathor sogar noch einen Gefallen schuldete. Dies hatte bestimmt noch ein Nachspiel. Er schluckte schwer, als er sich an Fela Garcias Aufgabe erinnerte gegen Blutadler antreten zu müssen. Aber das Leben seines Freundes war es ihm wert, dieses Risiko eingegangen zu sein.

Sie waren zu erschöpft, um noch zu ihren Lagern im Bergwerk oder zur Lichtung zurück zu kehren. Und so trugen sie Alberic in das Innere des Schreins und ließen sich im Andachtsraum nieder. Auch hier schien sich etwas verändert zu haben. Durch die Fenster drang wieder das Licht der Sonne und die Puppen rührten sich nicht. Auch erschien ihnen die silberhaarige Priesterin nicht mehr. Stattdessen hörten sie von außerhalb den ersten Singvogel in diesem Gebiet. Das Leben kehrte allmählich zurück.

Arberic war wieder ohnmächtig geworden und der Krieger schlummerte schnarchend in einer Ecke des Raumes und bekämpfte sicherlich in seinen Träumen die hässlichsten Ungeheuer. Aber Tarion konnte nicht ruhen. Irgendetwas außer ihnen befand sich noch in diesem Schrein, das spürte er. Ziellos wanderte sein Blick durch den Andachtsraum und auf die Puppen. Was immer es auch war, was ihn wach hielt, er musste es einfach finden. Draußen war die Sonne im Begriff unterzugehen und so ergriff er ein Licht und stand auf. Er öffnete die Türe an der rechten Wand des Raumes und trat in einen dunklen Flur, dessen Boden aus langen Dielen bestand. Gegenüber zog er eine andere Schiebetüre auf und trat hinein. War dies sogar der Ort, an den ihn der ältere Geist für seine Hochzeit aufforderte zu gehen? Dieses Zimmer mit Tatamiboden war bis auf eine Schlafecke und einen niedrigen Schreibtisch fast vollständig leer. Nur an einer Wand befand sich ein Kimonoständer, auf dem eine Priesterrobe hing. Dies musste die persönliche Räumlichkeit des obersten Priesters gewesen sein. Dann erspähte er die Geisterbraut, die sich auf dem Boden an der gegenüberliegenden Wand niedergelassen hatte und ihm tief in die Augen sah, ohne ein Wort zu sagen. Ihr Blick schien Hoffnung auszustrahlen und von der Traurigkeit ihrer letzten Begegnung war nichts mehr zu erkennen.

Dann fand er sich als Zuschauer in einer anderen Welt wieder und erkannte sofort, dass dies eine erneute Vision war, obwohl er seine Gabe nicht einmal anwandte. Die Stütze wusste um die schweren Vergehen des Ronin, doch dies war für sie nicht wichtig. Er hatte sich verändert und nur darauf kam es an. Auch dass sie niemals Kinder haben durfte, war ihm egal. Der Ronin wollte einfach nur mit ihr zusammen leben und seine Linie fortzuführen war dabei nur zweitrangig. Aber die anderen Bewohner aus dem Schrein würden diese Ansichten nicht teilen, weshalb sie sich dazu entschlossen, ihre Treffen geheim zu halten. Stattdessen hinterließen sie sich an gut ausgesuchten Orten Briefe. Doch dann starb seine Geliebte. Sie wurde eines morgens erstochen aufgefunden. Da die Bewohner mit der Blüte der Stadt zu selbstgefällig wurden, gab es kaum noch junge Mädchen, die sich für die Laufbahn einer Stützenpriesterin entschieden. Um das Siegel, welches die Dämonin gefangen hielt, zu stabilisieren, war die Priesterschaft gezwungen eine Geisterhochzeit zu zelebrieren. Sofort meldete sich der Priester, der den zweiten Rang inne hatte, freiwillig, um mit der toten Priesterin geopfert zu werden. Während der Vorbereitung zu diesem Ritual nahm der Ronin all seinen Mut zusammen und trat vor die Priester. Er gestand ihnen der Geliebte der toten Stütze zu sein und wollte ihr in den Tod folgen. Die Priesterschaft erkannte den gesuchten Mörder und beschimpften ihn aufs Äußerste. Da ergriff der zweitrangige Priester das Wort und forderte alle zur Ordnung auf. Er legte dem Ronin eine Hand über die Schulter und gebot ihm ihm zu folgen. Gehorsam folgte ihm der Ronin zu einer kleinen Lichtung im Garten der Anlage zwischen dem See und den Schreingebäuden. Dort zückte der Priester plötzlich ein Messer und stach dies dem Ronin direkt ins Herz, der sofort vor ihm nieder sackte. Der Priester lachte auf, denn ihm war schon lange bewusst, dass die Frau, die er schon seit geraumer Zeit anhimmelte und ihn bis vor kurzem immerzu abwies, in einen anderen Mann verliebt war. Der Priester griff in seine Robe und zog ein Bündel zerknitterter Briefe heraus und warf sie auf den Sterbenden. Und dem Ronin wurde in seinen letzten Gedankengängen klar, dass seine Liebe seine letzten Briefe niemals erhalten hatte und nun mit dem Mann vereint werden würde, der für ihren vorzeitigen Tod verantwortlich war. Er schloss ein letztes Mal die Augen. Der Priester indes kehrte eilig zu seinen Obersten zurück. Dort gab er schau-spielerisch aufgeregt zu, dass der Ronin ihm gestand für die Ermordung der Stütze verantwortlich zu sein und versuchte auch ihn umzubringen. Er hatte sich zur Wehr setzen müssen und war nun selbst ein Mörder. Der erste Priester jedoch hatte Mitleid mit seinem Untergebenen und schenkte ihm vollstes Vertrauen. Er berichtigte ihn kein Mörder zu sein und erteilte ihm die Absolution.

Die Vision hatte ein Ende gefunden und so erwachte Tarion wieder in seinem Körper. Vor ihm stand die Priesterin in ihrem Hochzeitskimono und an ihrer Seite der Ronin. Sie verneigten sich kurz und zerstoben augenblicklich in nebelartige Schlieren, die ihre Bahnen noch für einen Moment durch die Luft zogen. An ihre Stelle traten zwei goldene Kugeln aus reinem Licht, die sich zunächst langsam und dann immer schneller nach oben schraubten und dann durch die Decke des Zimmers glitten.

Am Morgen brachen sie bereits in aller Früh auf, konnten jedoch aufgrund von Alberics Verletzungen nicht so schnell gehen, wie sie es ursprünglich geplant hatten. Von geisterhaften Erscheinungen oder den Spinnen samt ihren Gespinsten war nichts mehr zu erkennen. Stattdessen tummelten sich zahlreiche Feen und Baumgeister und erfüllten den Wald mit neuem Leben.

Nach einigen Stunden erreichten sie die Lichtung, wo sich die Heilerin umgehend um den Glücksritter kümmerte. Und in spannenden Erzählungen schilderten sie ihnen allen, von ihren Taten und wie Tarion ihnen mit seinem Schwur womöglich das Leben rettete. Naridyi fand eine solche Ergebenheit gegenüber einem Gott gut, auch wenn es sich nicht um ihren Gott handelte, und wünschte sich, dass auch die anderen des Öfteren zu solch selbstlosen Taten imstande waren. Sie meinte auch, er bräuchte bei der kommenden Erfüllung der Aufgabe, die sein Gott ihm zukäme ließ, keine Ängste oder gar den Tod zu fürchten. So würden immerhin neue Geschichten um Märtyrer ihren Anfang finden und etwaige Zuhörer zu mehr religiösem Eifer und Eigeninitiativen bewegen. Tarion wusste nicht genau, ob er ihre Worte gut oder schlecht aufnehmen sollte, also schwieg er dazu.

Doch trotz Alberics Nahtoderlebnis waren sie glücklich und zufrieden. Sie hatten eine gute Tat vollbracht und die Herren des Waldes würden ihnen dies bestimmt hoch anrechnen. Sie hofften nur, dass niemand ihnen diesen Erfolg zunichte machte. Aber zum ersten Mal kamen sich die drei vor wie wahre Helden. Und zumindest dieses Gefühl konnte ihnen niemand mehr nehmen.

 

Akt 62:

Der Weg von Isobel Grünflamme:

 

teilnehmende Abenteurer:

Isobel Grünflamme (Erainn, Fian)

 

Nachdem Sarazian sich wieder von seinen neuen Bekanntschaften in Ina verabschiedete machte sich die Fian Isobel Grünflamme so ihre Gedanken über ihre gegenwärtige Situation. Eigentlich wurde sie mit dem Auftrag auf die Reise geschickt den vermeintlichen dunklen Seemeister Harkon hinterher zu spionieren. Falls es sich bewahrheiten sollte, dass dieser Harkon, der durch seine Taten in Argyra Aufmerksamkeit erlangte, tatsächlich der gesuchte überlebende Seemeister war, dann sollte sie ihn bei einer günstigen Gelegenheit ausschalten.

Doch die Situation hatte sich geändert, als sie von seinen Gruppengefährten erfuhren, dass sie in Wahrheit im Auftrag einer göttlichen Macht unterwegs waren. Durfte sie dann einfach so in die Geschicke eines Gottes eingreifen und dessen Pläne dann trotz ihrer guten Absichten zunichte machen? Zu Beginn hatte sie dieser Erzählung keinen Glauben geschenkt und musste Harkon auch nicht verfolgen. Immerhin musste er früher oder später ohnehin zu seinem Schiff zurückkehren. Doch die Lage hatte sich geändert. Sie wurde vor einigen Wochen Zeuge, wie sich ein Geisterschiff am helllichten Tag von der gehobenen Roten Seekuh loslöste und in den Himmel aufstieg. Und dann als sich Sarazian gestern von ihnen verabschiedete, ritt er auf einem der legendären Windpfauen los und flog davon.

Sie war gänzlich irritiert und benötigte unbedingt den Rat ihrer Obersten. So nahm sie ihre Kristallblüte in die Hände und nahm telepathisch Kontakt mit ihren Ansprechpartnern auf. Nachdem sie ihnen die Geschichte um das Himmlische Flügelgewand mit dessen Karte und die lange Pilgerfahrt schilderte, dauerte es nicht lange, bis sich ihre Obersten bei ihr zurück meldeten. Scheinbar war an der ganzen Sache mit dem Aufsuchen von fünf Schreinen in denen sich sagenumwobene Relikte befanden wirklich etwas dran. Dann hatten sie ihr doch die Wahrheit gesagt. Aber wieso war dann ein schwarzer Hexer wie Harkon bei ihnen? Waren die Götter etwa derart verzweifelt, dass sie eine solche Auswahl treffen mussten oder steckte etwa etwas ganz anderes dahinter? War sich Harkon überhaupt der Wichtigkeit dieser Pilgerfahrt bewusst und wenn nicht, könnte er dann ganz eigene Ziele verfolgen und womöglich gar diese Reise sabotieren?

Sie musste unbedingt Gewissheit erlangen und diese Gruppe bei ihrer Reise unterstützen. Auch um sicherzustellen, dass der vermeintliche Seemeister keine eigenen Pläne verfolgt. Doch wo in diesem riesigen Reich befanden sie sich jetzt? Doch wenn die sagenumwobenen Relikte tatsächlich so mächtig waren, stellte es kein Problem dar ihren Aufenthaltsort genau zu bestimmen. Sie ging zum Pier und legte ihre Kristallblüte auf die ruhige Wasseroberfläche. Sie drehte sich und zeigte mit dem größten spitz zulaufenden Blütenblatt auf einen Punkt im Osten. Ihr Artefakt wies nämlich immer, wenn es auf das Wasser gelegt wurde, auf den Punkt mit der größten Weltenmagie. Schleunigst packte sie ihre Habe, sowie Reiseproviant und verabschiedete sich von den anderen.

Zwar kannte sie ihre ungefähre Route da sie, als sie gemeinsam beim Butsu-Kloster waren, einen kurzen Blick auf die Pilgerroute auf dem Himmlischen Flügelgewand werfen konnte, doch daran durfte sie sich nicht halten. Immer ihren Pfaden zu folgen würde bedeuten einen längeren Weg zu nehmen. Darum legte sie an jedem Morgen ihre Blüte auf ein Gewässer und folgte ihrer Spur auf direktem Weg, einmal quer durch das TsaiChen-Tal. Doch obwohl sie einen strammen Marsch einlegte sollte ihre Reise über zwei Wochen in Anspruch nehmen.

Irgendwann erreichte sie am Vormittag eines Tages weit im Osten in einem gänzlich abgelegenen Teil des Landstrichs eine über weite Flächen gerodeten Wald. Dort hörte sie von irgendwoher laute Geräusche zu ihr schallen. Es war der Lärm einer Schlacht. Und als sie über die nächste Hügelkuppe spähte wusste sie woher dies stammte. Eine kleine und mit Palisaden befestigte Siedlung auf einer Insel in der Mitte eines großen Sees wurde gerade von einem Heer von mindestens 2500 SaMurai und anderen Kriegern wie Söldnern erstürmt. Die Krieger waren nicht nur über die Landzunge gekommen sondern auch mit Dutzenden von Booten und Flößen übergesetzt. Sie brandschatzten und plünderten und zerrten die Überlebenden nach draußen aufs freie Feld. Man hörte die Schreie der Verzweiflung und das Rufen der Soldaten, diese Magiewirker zu töten. Die Männer packten die Verteidiger und nagelten sie an Pfähle, die sie danach in einer langen Reihe auf der schmalen Landzunge, die das Ufer des Sees mit der Insel verband, aufstellten. Dabei machten sie keinen Unterschied, ob es sich um die ehemaligen verteidigenden Krieger oder Frauen und Kinder handelte. Für gewöhnlich hätte Isobel eingeschritten, doch in diesem Fall war die Lage selbstmörderisch und aussichtslos. Schweren Herzens wandte sie ihren Blick von den Geschehnissen ab und schritt weiter ihrem Ziel entgegen.

Vor dem Eingang des nahen Waldes, zu dem ihre Blüte sie geführt hatte, hielt sie kurz inne. Unterwegs hatte sie nämlich schon von Reisenden zahlreiche Gruselgeschichten über diesen angeblichen Selbstmordwald gehört. So sollte Menschen diesen Wald generell meiden. Und falls man dennoch dazu gezwungen wäre diesen betreten zu müssen, dann durfte man keinesfalls von den festgetretenen Pfaden abkommen. Sie nahm tief Luft, denn es blieb ihr keine andere Wahl und betrat den Urwald.

Die ersten Stunden geschah nichts Ungewöhnliches, sodass ihr dieser Wald wie jeder andere Wald aus ihrer Heimat erschien. Nur die Stämme der Bäume waren dicker als gewöhnlich, aber vermutlich auch nur deshalb, weil sie nicht von Menschenhand geschlagen wurden. Als sich das beklemmende Gefühl in ihrer Brust bereits gelöst hatte, drang plötzlich ein seltsames Flüstern in ihre Ohren, welches in ihrem Kopf widerhallte. Die Stimme rief immerzu „helft mir, rettet mich“, doch konnte sie keinen Ursprung ausmachen. Es war die Stimme eines Geistes. Doch sie durfte dieser keinesfalls nachgehen, da sie ansonsten vom Weg abkäme. Sie behielt ihren Fokus, ignorierte die unheimliche Stimme und lief weiter.

Doch irgendwann verstummten die Geräusche des Waldes und eine merkwürdige Stille legte sich über alles. Eine Weille verging ohne dass irgendetwas geschah. Und dann ging auf einmal alles ganz schnell. Das Getrappel unzähliger Tiere erklang und wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Der Boden erbebte schier, bevor das dich bewachsene Unterholz zu Isobels Rechten zerbarst und eine große Herde an allerlei Wildtieren über den Weg preschte. Eine Stampede! Isobel versuchte den Individuen der Horde auszuweichen und entging nur knapp einem äußerst großen Braunbären, der sie beinahe über den Haufen rannte. Die Tiere verschwanden auf der anderen Seite im Wald ebenso schnell, wie sie zuvor gekommen waren. Neugierig richtete sie sich wieder auf und blickte sich um, was die Tiere so in Angst und Schrecken versetzt hatte. Da erkannte sie die Silhouette einer Person, die sich ihr langsam und mit gemächlichen Schrittes aus der Richtung, aus der die Tiere kamen, näherte. Als der Fremde sich näherte erkannte sie in ihm einen SaMurai.

Sie blieb auf dem Weg stehen, bis der SaMurai auf ihrer Höhe war und dann wandte sich der Fremde an sie. Der Krieger trug die Rüstung eines SaMurais und sein Kabuto, der Helm, war mit prächtigem Zierrat versehen. An seinem Gürtel waren zwei Schwerter festgemacht, ein Katana und ein Wakizashi und er stannk bestialisch nach Tod und Verderben. Mit äußerst monotoner Stimme und ohne jedwede Anzeichen von Gefühlen fragte er sie, was sie hier machte. Sie antwortete ihm wahrheitsgemäß eine Gruppe von Abenteurern zu suchen. Dies weckte scheinbar das Interesse des SaMurais, weshalb er weiter nachhakte. Befanden sich unter diesen Abenteurern auch ein Mann und eine Frau? Diese komische Frage irritierte Isobel, doch bejahte sie diese. Als sie jedoch angab nicht ihren genauen Aufenthaltsort hier im Wald zu kennen, verlor der Krieger das Interesse an ihr. Sie fragte ihn, ob er ihr seinen Namen verraten könnte und er erwiderte lediglich ein Mann zu sein, der an der Grenze zwischen tot und Lebendigsein wandelte. Das machte sie stutzig und versuchte ihm mit Fragen noch mehr Informationen heraus zu locken. Wusste er überhaupt, was gegenwärtig auf der Siedlung unweit vor diesem Wald geschah? Er zuckte nur mit den Achseln. Die Eroberer bei der Schmiedesiedlung interessierte ihn nämlich genau so wenig, wie der große Trupp Gerüsteter, die gestern Mittag hier in den Wald einmarschierten. Da sie sich anscheinend nichts mehr zu sagen hatten, drehte sich der SaMurai von ihr fort und zog weiter, ohne die Fian noch einmal eines Blickes zu würdigen.

Isobel war sich sicher, dass dieser Krieger untot war und eine solche Wesenheit konnte sie nicht einfach so ziehen lassen, denn dies würde gegen ihre Gebote als Fian verstoßen. Sie verzauberte sie ihr Schwert mittels „Lebensflamme“, sodass die Klinge von einem grünen Flammenschein umgeben war, schnellte vor und griff den Krieger hinterrücks an. Sie ließ ihre Klinge von unten geschwungen auf den Fremden fahren (20) und wenn ihre Klinge nicht an seinem Oberschenkelknochen zum Stillstand gekommen wäre, dann hätte sie ihm mit diesem gezielten Streich sicherlich das Bein abgetrennt. Eine Fontäne aus pechschwarzem Sutsch spritzte heraus und aus der klaffenden Wunde erschien ein surreales Licht aus goldenen und schwarzen Strahlen. Dann wandte sich ihr Opfer blitzschnell um, so schnell, dass Isobel nicht einmal Zeit fand zu reagieren, packte sie mit seiner Rechten am Hals und drückte mit einer schier übermenschlichen Kraft zu. Die Fian konnte weder atmen, noch schreien. In ihrem Todeskampf versuchte sie in dieser Umklammerung noch ihr Schwert herum zu wirbeln, um seinen Arm abzutrennen, doch vergebens. Mit seinem eisernen Griff hob er Isobel vom Boden ab und in die Höhe. Ihre Augen zitterten und verdrehten sich. Und als das Pochen des Blutes in ihrem Schädel unaushaltbar wurde, ließ sie entkräftet ihre Waffe fallen. Vermutlich dachte der SaMurai die Frau wäre tot oder womöglich hatte er auch einfach nur kein Interesse auf diesen Zeitvertreib, weshalb er sie im hohen Bogen gegen den nächsten Baumstamm schmetterte und von ihr abließ. Bevor Isobel schwer verwundet und entkräftet ihre Augen schloss, sah sie noch den Fremden, unbeeindruckt seiner schweren Beinverletzung, in der Ferne im Grünen verschwinden.

Stunden später erwachte sie, als sich der Tag bereits seinem Ende zuneigte. Ihr Kehlkopf war gequetscht und starke Kopfschmerzen plagten sie. Sie torkelte zu ihrer Waffe und nahm sie auf und kehrte zum ausgetretenen Weg zurück. Mit ihrer Heilerausrüstung behandelte sie sich nur notdürftig, denn all zu viel Zeit durfte sie hier nicht mehr verschwenden. Wenn schon solche Wesen am Tage durch diese Wälder gingen, dann war sie nicht sonderlich erpicht darauf zu erfahren, welche Schrecken dann erst des nachts aus ihren Löchern gekrochen kämen. Sie nahm all ihre verbliebene Kraft zusammen und schleppte sich auf ihrem Schwert stützend vorwärts. Sie musste ihre ehemaligen Reisebegleiter auf jeden Fall noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.

Dann gelangte die einsame Wanderin an einer großen Kreuzung an, von der vier andere Wege abgingen. Sie kniete sich nieder und inspizierte die Spuren. Während drei der abzweigenden Wege nur noch breiteren Trampelpfaden glichen, waren zwei kürzlich von vielen Personen begangen worden. Der Weg geradeaus wurde von Dutzenden von schweren Stiefeln gar komplett zertreten. Die Stiefel könnten zu Menschen gehört haben, auch wenn einige von ihnen ungewöhnlich groß waren. Doch der Weg zu ihrer Linken erregte bei ihr größeres Interesse. Neben Fußabdrücken zeigte dieser auch die Rillen der Räder zweier Fuhrwerke. Da sie bei der Begegnung mit den Abenteurer bei der Provinzhauptstadt SuiFeng und dem MuChanKwan-Kloster von ihnen erfuhr, dass sie über einen kleinen Wagen verfügten, nahm sie an, dies wäre die richtige Richtung und folgte ihnen.

 

Akt 63:

Die Erforschung des südlichen Waldes:

 

(Notiz: die Akte 63-66 spielen parallel zu den Akten 60 und 61)

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Isobel Grünflamme (Erainn, Fian)

 

Tarion, Alestor und Alberic verließen ebenso wie Vadocks Gruppe am Morgen die Lichtung, um die bisher unbekannten Gefilde des weitläufigen Waldes in zwei unabhängigen und getrennten Gruppen zu erkunden. Fela Garcia und Harkon blieben somit vorerst mit Yosuke, Miya und Hanzo alleine in ihrem Lager zurück. Doch dies empfanden sie gar nicht als etwas Schlimmes und so gönnten sich die zwei erst einmal einen Tag Ruhe und Entspannung, während alle anderen auf Wanderschaft waren, denn die vergangenen Tage hatten ihnen so einiges abverlangt.

Harkon ergriff diese günstige Gelegenheit und nahm eine Portion Opium heraus, welche er in dem halblegalen Vergnügungshaus mitsamt Drogenhöhle, die KoreMitsu gehörte, ergattern konnte. Aus Unwissenheit um die Dosierung steckte er einfach den gesamten Brocken in seine Pfeife, entzündete sie und nahm einen tiefen Zug, ehe er diese an die Heilerin weiterreichte.

Wenig später fiel Fela zum allerersten Mal auch Harkons bläuliche Haarsträhnen auf und sprach ihn dahingehend an. Harkon erklärte ihr, die Farbe wäre natürlich und ein Zeichen für die in ihm schlummernden Kräfte der Seemeister. Bis zum Krieg der Magier hätte ein jeder Seemeister diese Farbe offen als Zeichen seines Standes zur Schau gestellt. Er selbst hatte sein Haar bis vor Kurzem eingefärbt, damit er nicht in der Öffentlichkeit auffiel. Doch seitdem er wieder unter den Lebenden weilte, dachte er darüber anders und entschied sich dazu seine ursprüngliche Haarfarbe zu tragen. Fela seufzte, denn sie wünschte sich ebenfalls so sehr eine solche Haarfarbe zu besitzen. Sie stand auf, stellte sich in Harkons Rücken und begann ungefragt damit dessen Haare mit ihrer Bürste zu kämmen. Als die Haare von allen Knötchen befreit waren fing sie an seine einzelnen Strähnen zu süßen Zöpfchen zu flechten.

Als die Droge langsam ihre Wirkung mehr und mehr entfaltete, glitten sie ins hohe Gras und blickten auf die vorüberziehenden Wolken im Himmel, die wie die Tageszeit an ihnen vorbeirauschten. Aber eine Frage beschäftigte sie. Konnte man die Nüsse an Felas Stab der drei Jahreszeiten auch verspeisen? Daran hatte selbst die Heilerin noch nie gedacht und so lachten sie beherzt darüber. Doch dann brauchten sie dringend die Antwort auf diese wichtige Frage. Fela griff ins Gras neben sich und zerrte den Stab, der in ihrer Nähe lag, zu sich heran. Beide machten sich gierig daran die Nüsse abzupflücken, die daraufhin in ihren Mündern genüsslich verschwanden.

Im Gegensatz zu Fela Garcia spürte Harkon die Auswirkungen der Droge jedoch nur marginal. Zwar musste er sich bei allem was er tat konzentrieren, doch sein Geist blieb klar und konnte noch weitestgehend normal handeln. So suchte er Hattori Hanzo auf und gestand ihm eine Sache, die ihn bekümmerte. Vor gar nicht all zu langer Zeit betraten er und seine Gefährten eine andere Sphäre, die von Lebenskraft durchzogen war. Dadurch wurde er in einen sterblichen Menschen zurück verwandelt. Leider hatte diese Tatsache auch negative Auswirkungen auf sein Abenteurerdasein, denn in seiner gegenwärtigen Verfassung war er schlicht zu schwach, um mit seinen bisher verwendeten Schwertern umzugehen und diese richtig führen zu können. Der Schmied schien verwirrt und wusste gar nicht so genau, worauf Harkon überaus hinaus wollte. Und was meinte sein Gegenüber überhaupt mit „andere Sphäre“ und „zurückverwandelt“? Harkon bemerkte, dass er schon zu viel von seinen Erlebnissen preisgegeben hatte und brachte sein Anliegen, weswegen er den Schmied aufgesucht hatte, auf den Punkt. Seine Erlebnisse dort brachten ihn nämlich auf die Idee für eine neue Waffe. Seine eigentliche Idee für eine valianische Doppelklinge hatte er dafür sogar aufgegeben. War es dem Schmied möglich eine Waffe für ihn anzufertigen, in der ein Teil seiner Lebenskraft versiegelt wäre? Hattori überlegte kurz bevor er antwortete. Das Ganze erinnerte ihn nämlich stark an „Werdende Waffen“, die in vielen Geschichten und Legenden eine wichtige Rolle einnahmen. Eine solche Waffe könnte er durchaus anfertigen, nur benötigte er seiner Kenntnis nach dafür Mooreichenholz, welches leider in diesem Breitengrad seit Jahrhunderten nicht mehr wuchs, da die Menschen in der Vergangenheit all diese Bäume aufgrund ihrer Robustheit für den Bau von Herrschaftssitzen geschlagen hatten. Jetzt war es Harkon, der verwirrt dreinblickte. Wofür benötigte man denn Holz bei einer metallenen Waffe? Etwa nur für den Griff? Hattori erkannte seinen Gedankengang und erläuterte es ihm. Die Rituale der Schmiedemeister bedurften manchmal gewissen Gerüchen, ähnlich wie es bei religiösen Ritualen mit Sandelholz oder Weihrauch der Fall war, um die gewünschten Wirkungen zu entfalten. Er musste es dafür über einen längeren Zeitraum hinweg in die Glut seines Schmiedefeuers geben, damit die Magie beim Schmieden des Stahls in der Waffe verankert würde. Aber woher sollte Harkon das Holz eines in dieser Gegend ausgestorbenen Baumes nehmen? Hattori hatte einen nicht ungefährlichen Einfall und richtete seinen Blick auf das verfluchte Schloss, welches auf einem Berg gelegen von hier aus über den Baumwipfeln in der Ferne auszumachen war. Bevor er jedoch diese Waffe in Auftrag gab, sollte er sich aber genauestens Gedanken über die Einzelheiten und Eigenschaften machen. Die Herstellung würde auch mit ziemlicher Sicherheit einen ganzen Monat in Anspruch nehmen, bei dem er bei seinen Schmiedearbeiten nicht gestört werden durfte und zudem bedeutend teurer sein als die bloße Reparatur einer bereits bestehenden Waffe.

Fela saß derweil breit und unter schwerem Drogeneinfluss am Rande der Lichtung und spähte in den Wald hinein (1). Dort erblickte sie zahlreiche schwarze Gesichter, wie von Dämonen, die ihre Blicke grinsend erwiderten. Aber dann war da noch etwas anderes, eine Gestalt, die hinter den Bäumen umherstreifte und wohl keine Notiz von ihn nahm. Als diese Gestalt sich aus ihrem Blickfeld entfernte, meinte sie in ihr Madock erkannt zu haben. Den Schiffsjungen von der Roten Seekuh hatte sie seit ihrer Abreise aus Ina nicht mehr gesehen. War er damals überhaupt mit der Crew losgezogen oder an Bord geblieben, als das Schiff versenkt wurde? Und war er vorhin nicht gerüstet gewesen?

Die Abenddämmerung war schon weit fortgeschritten und die Sonne im Begriff hinter dem Horizont zu verschwinden, als sich Harkon zu Fela zurück bequemte. Fela saß nur im Gras und stammelte den Namen Madock vor sich her, während sie mit ihrem rechten Zeigefinger in den dunkler werdenden Wald wies. Harkon folgte ihrem Zeig, doch dort war nichts. Stattdessen tauchte eine andere Gestalt unweit von ihnen vom Weg her auf. Isobel! Noch immer auf ihrem Schwert gestützt näherte sie sich den beiden. Sie war schwer angeschlagen. Blaue Würgemale zierten ihren Hals und ein blutunterlaufenes Auge sowie zahlreiche Abschürfungen verunstalteten ihr Gesicht. Harkon ging auf sie zu und reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen, doch Isobel ergriff die Dargereichte gekonnt und kugelte Harkon innerhalb eines Sekundenbruchteils den Daumen aus. Als der Hexer anfing zu schreien, war sich die Fian bewusst, dass dies kein Traum war. Sie hatte die Abenteurer gefunden.

Im folgenden Gespräch klärten sie Isobel über die derzeitige Situation auf und auch darüber, dass sie die andere Gruppe Auserwählter, die mit ihnen nach KanThaiPan gesegelt waren, in der Zwischenzeit wieder gefunden hatten und nun mit ihnen gemeinsam hier lagerten. Doch Isobels Neugierde zielte derzeit hauptsächlich auf eine einzige Sache ab. War Harkon wirklich wieder lebendig? Doch auf Fela und Harkon hatten Fragen an sie. Woher hatte sie diese Verletzungen erlitten? Isobel nahm tief Luft und begann die Geschichte um den ominösen untoten SaMurai zu erzählen, der sie auf dem Weg hierher beinahe tötete. Dieser Krieger suchte anscheinend einen bestimmten Mann und eine Frau und stellte auf der Suche nach ihnen den gesamten Wald auf den Kopf. Es war nicht ausgeschlossen, dass die von ihm gesuchten Personen zwei der Auserwählten waren. Die Heilerin war mittlerweile wieder weitestgehend bei Verstand und konnte sich dann um die richtige Versorgung von Isobels Verletzungen und auch um das Einrenken von Harkons Daumen kümmern.

Tags darauf war sich die Heilerin sicher, dass die Dinge, die sie zu sehen glaubte, die Fratzen im Wald als auch Madocks Erscheinung lediglich durch das Opium ausgelöste Illusionen waren. So bereiteten sie ihre Mahlzeit über dem Lagerfeuer zu und setzten sich noch einmal zusammen. Dabei berichtete die Fian ihnen auch von der baldigen Fertigstellung ihres Schiffes. Duncen Newgate ließ es sich nämlich auch nicht nehmen jede Arbeiten dort genauestens zu überwachen.

Dann stand Fela auf und marschierte einige Meter fort und winkte Isobel zu sich, denn sie hatte noch etwas wichtiges mit ihr zu besprechen. Unter vier Augen fragte sie sie, warum sie ihnen überhaupt nachgeeilt war. Isobel vertraute der Heilerin genug, um ihr die Wahrheit anzuvertrauen. Sie hatte einige Informationen über die „lange Pilgerfahrt“ gesammelt und diese mit den Obersten ihrer Ordensgemeinschaft geteilt, mit denen sie über ihre Kristallblüte in Verbindung stand. So konnte sie einige weitere Kenntnisse über diese Reise erlangen und wusste, dass die Gruppe nach fünf heiligen Reliquien suchte, in denen uralte Weltenmagie versiegelt war, um irgendeine finstere Wesenheit weiterhin in seinem Gefängnis gefangen zu halten. Doch dies war zu Beginn gar nicht ihr Auftrag gewesen, sondern vielmehr den einstigen dunklen Seemeister Harkon zur Strecke zu bringen. Jetzt, da sie von der Wichtigkeit ihrer Reise Kenntnis erlangte, musste sie unbedingt Harkon mehr denn je hinterher spionieren, um sicherzustellen, dass dieser weder die Seiten wechselt, noch ihr Unterfangen in irgendeiner anderen Art und Weise behindert.

Zurück am Lagerfeuer klärten sie Isobel auch in einem kurzen Abriss über den Wald, dessen Bewohner und die Herren des Waldes auf. Doch wohin sollten sie nun gehen? Während alle anderen fort waren konnten sie mitnichten einfach hier auf der Lichtung ihr Leben genießen, sich entspannen und die Seele baumeln lassen. Ihr erster Plan sah vor das verfluchte Schloss näher zu betrachten. Doch wenn der untote SaMurai der Vater des wahnsinnigen Jungen war, den Fela und Harkon vor einigen Tagen schlugen, dann würde dieser sicherlich dort auf sie warten. Diese Waghalsigkeit konnten sie unmöglich zu dritt eingehen, denn dafür bedurfte es wohl die Kampfkraft ihrer ganzen Gruppe. Darum schlug Harkon vor das Seemeistergrab in Augenschein zu nehmen. Er hatte definitiv nicht vor, so schwor er, etwas daraus zu stehlen sondern wollte nur wissen, was darin verborgen lag. Aber falls sie dabei auf gefährliche Artefakte stoßen sollten, die nicht in die Hände von Unwissenden oder Kriminellen geraten durften, die sie dann für ihre üblen Machenschaften gebrauchen könnten, dann wären diese Gegenstände doch besser bei ihnen aufgehoben, oder? Fela und Isobel schauten sich kurz fragend an und verwarfen diesen Vorschlag auf einen anderen Tag. Der Feenprinz würde mit Sicherheit ihrer Bitte diesen Ort aufzusuchen nicht freiwillig nachkommen, warf Fela ein. Harkon grinste und entgegnete nur, dass der Prinz dies ja nicht wissen müsste. Sie könnten sich auch ungefragt hineinschleichen.

Isobel wechselte das Thema und fragte in die kleine Runde, ob sie wüssten was überhaupt bei der Siedlung auf dem See geschehen war. Die Siedlung wurde nämlich am Mittag des vergangenen Tages von einem riesigen Heer angegriffen und den Überlebenden wegen angeblicher Hexerei der Prozess gemacht. Die Angreifer schreckten dabei auch nicht vor der Ermordung von Frauen und Kindern zurück. Fela und Harkon waren entsetzt, als sie dies hörten. Bei der ersten Belagerung hatten sie den Bewohnern sogar noch geholfen die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Als dann der feindliche General den Rückzug antrat und seinen Männern befahl sein Lager am anderen Seeufer abzuschlagen, nahmen sie an, dass damit die Sache erledigt war. Anscheinend hatte der General sein Versprechen wahrgemacht, dass diese Angelegenheit noch nicht beendet wäre. Isobel hatte einen furchtbaren Verdacht und stellte eine Theorie in den Raum. Hatte Harkon bei dieser Belagerung etwa offensichtlich Magie gewirkt und die Angreifer Notiz davon bekommen? Das folgende Schweigen sprach Bände. Wusste er denn etwa icht, dass jegliche Anwendung von Zauberei außerhalb der Priesterschaft, den Wu und Heilern im TsaiChen-Tal strengstens und unter Androhung der Todesstrafe verboten war? Harkon versuchte sich zu rechtfertigen. Er tat es immerhin aus gutem Grund, um den Menschen in ihrer Notlage zu helfen. Isobel war zwar entrüstet, entgegnete aber nichts mehr darauf. Was getan war, war getan. Das Geschehene konnte nicht mehr ungeschehen gemacht werden.

So beschlossen sie danach den Wald in südlicher Richtung auszukundschaften. Sie packten ihre Habe, ließen Miya bei Yosuke und Hattori zurück und liefen los. In strammen Schritten marschierten sie den ganzen Tag hindurch und passierten bei Einbruch der Dämmerung die große Kreuzung nahe des Waldeingangs. Bevor die Dunkelheit über sie hereinbrach begannen sie mit der Suche nach einem geeigneten Unterschlupf für die Nacht. Dabei fanden sie glücklicherweise wieder das mit etwas Moos bewachsene Zelt, auf welches Alestor schon vor ein paar Tagen aufmerksam wurde. Vieles hatte sich seit dem letzten Male hier nicht verändert, nur dass neben dem kleinen Zelt nun ein Mann mit einem Strick um den Hals an einem niedrigen Ast baumelte. Der Tot war noch nicht lange her. Einige Stunden höchstens. Scheinbar hatte sich der Unbekannte doch dazu entschlossen Selbstmord zu begehen, nachdem er hier viele Tage darüber nachsann, es tatsächlich zu begehen. Gemeinsam hoben sie ein Loch aus und begruben den Toten darin. Sowohl Isobel als auch Fela fehlten die Worte. Darum setzte Harkon an und hielt spontan eine wirklich bewegende Begräbnisrede, die die zwei Frauen an seiner Seite ihm nicht zugetraut hatten.

Es war die erste wirkliche Herbstnacht und eisige Kälte legte sich über den Boden. Während die beiden Frauen dicht beengt im feuchten Zelt schliefen, hielt Harkon die ganze Nacht über Wache neben der improvisierten Feuerstelle des ehemaligen Bewohners. Trotz der Kälte verzichtete er extra auf ein Feuer um nicht irgendjemanden oder irgendetwas auf sie aufmerksam zu machen.

Die Nacht verlief ohne besondere Vorkommnisse und so setzten sie frühzeitig ihre Reise nach Süden fort. Einige Stunden später veränderte sich das Terrain des Waldes. (B) In diesem Teil herrschte beinahe absolute Stille vor. Man konnte jedes Insekt schwirren und summen und jeden einzelnen Wassertropfen des Morgentaus, der von dem dichten Blätterdach hinunterfiel, vernehmen. Viele schmale Landzungen mit dichtem und hohen, vollgesogenen Moospolstern durchzogen die weiträumigen, seichten Waldseen in dem Gebiet, in dem majestätische Baumriesen von teils vier Metern Stammdurchmesser ihre Kronen emporstreckten. Das Wasser der Seen war zudem das klarste, welches die drei jemals in ihrem Leben sahen. Einzelne Lichtstrahlen der Sonne durchbrachen das Geäst und zerstreuten sich an der Wasseroberfläche und verliehen diesem Ort etwas magisches.

Sie ergriffen die Gelegenheit sich einmal gründlich vom Schmutz vergangener Strapazen zu waschen und ruhten sich aus. Isobel war beeindruckt von diesem Ort. Der Wald war gesund, so natürlich und wirkte fast schon archaisch, als hätte ihn nie zuvor ein Mensch betreten. Dann bemerkten die Frauen einen mannshohen Wolf, der ganz in ihrer unmittelbaren Nähe hinter einer Baumreihe sich dem Wasser näherte. Trotz seiner riesigen Pranken konnte sich das Tier nahezu geräuschlos über die Moospolster bewegen. Das Tier nahm zwar Notiz von ihnen, aber würdigte sie nur eines kurzen Blickes, bevor er zu einem der Ufer schritt und seinen Durst stillte. Dann drehte er wieder um und verschwand ebenso leise, wie er zuvor aufgetaucht war. Harkon war jedoch zu beschäftigt, um das prächtige Tier zu bemerken. Scheinbar gab es an dieser Wasserstelle einen Frieden zwischen den Tieren des Waldes und nicht einmal ein Raubtier wagte sich hier an potentielle Beute.

Sie brachen ihre Rast ab und durchquerten diesen wunderschönen Ort mit seinen zahlreichen Wasserstellen. Dann gabelte sich der schmale Pfad auf dem sie wandelten. Da sie ohnehin vorhatten beide Wege zu erkunden, war ihre Entscheidung ohnehin belanglos. Sie schlugen den rechten Weg ein und folgten diesem weiter in die unbekannten Tiefen des Waldes.

Es dauerte nicht lange und sie gelangten zu einer weiteren Lichtung, die aussah, als hätte irgendwer ein kreisrundes Areal aus dem Wald ausgeschnitten und diesen mit einer fremdländischen Gegend vertauscht. In der Mitte dieser kreisrunden Wiese, die übersät war von blau blühenden Blumen, wuchs ein riesiger Dornenbusch. Um diesen herum waren kreisförmig zehn Menhire, wie Hinkelsteine, aufgestellt. Die ganze Szenerie erinnerte Isobel augenblicklich an den Norden Vesternesses, wo die Twyneddin an solchen Orten Opfergaben an Geister und ihre Götter mithilfe der dortigen Druiden darbrachten. Sie näherten sich und erkannten, dass Isobels Eingebung vielleicht gar nicht mal so abwegig war, wie es zuvor klang. Auf den Menhiren waren Schriftzeichen eingeritzt, die nach einem Runenalphabet aussahen. Jetzt wurde Harkon so richtig neugierig und inspizierte die Schrift von nahem. Und tatsächlich konnte er sie als die Schrift der Twyneddin identifizieren. Alle eingeritzten Schriften zeigten das gleiche Wort „Niamha“ an. Für ihn klang es wie ein Name, auch wenn er die tatsächliche Bedeutung dieses Wortes nicht kannte. Als Isobel dies hörte wurde ihr etwas bewusst (20). Niamha oder wie sie auch genannt wurde, die Grüne Dame, war im Norden von Vesternesse ein mächtiger Naturgeist, vielleicht sogar eine niedere Gottheit, die über ein bewaldetes Hochplateau abseits menschlicher Siedlungen herrschte. Nur selten würden sich selbst die Twyneddin dort hinein wagen, da dies ein gefährlicher Ort war und wirklich glaubhafte Berichte gab es sogar noch bedeutend weniger. Doch wie kam es, dass im hintersten Landesteil von KanThaiPan, welches noch dazu auf einem anderen Kontinent lag, ein Heiligtum für eine twyneddische Gottheit existierte?

Harkon schweifte in Gedanken an seine eigene Vergangenheit ab, als er dieses Heiligtum sah. Damals hatte er mit einigen anderen seines Standes, als er noch im Dienste des Valianischen Imperiums stand, versucht den Norden Vesternesses mit einem Heer zu unterwerfen, um die rohstoffreichen Lande in das Imperium einzugliedern. Sie waren aber damals aufgrund der anstürmenden Horden der wilden einheimischen Stämme, die die Regionen dort besser kannten, gezwungen worden den Rückzug anzutreten. Leider gab es heutzutage nur noch wenige überlebenden Seemeister, die er einst seine Kameraden nannte. Außer vielleicht Alchessamiore, den sie kürzlich in der Sphäre der Grünen Hügeln trafen und den er mit ziemlicher Sicherheit nicht gerade als Freund betiteln würde. Jetzt wurde Isobel hellhörig. Noch ein Seemeister? Sie erzählten ihr dann von der unschönen Begegnung mit ihm. Alchessamiore lebte schon zu Zeiten des Kriegs der Magier und war einer ihrer Obersten gewesen, auch wenn er im späteren Verlauf des Krieges das Imperium verriet. Er folgte ihnen mit einem Trick in die andere Sphäre, zu der er für gewöhnlich gar keinen Zutritt bekommen hätte und hetzte die Abenteurer gegeneinander auf und verwickelte sie zudem noch in einen furchterregenden Kampf. Sein eigentlicher Plan war es aber gewesen sich dort der Kräfte einer Urmacht des Chaos zu bedienen, die dort in einem Vulkan gefangen war. Sie verloren ihn schließlich aus den Augen und was dann aus ihm wurde, wussten sie nicht. Harkon seufzte als er sich an die „gute alte Zeit“ erinnerte. Heutzutage gab es ohnehin nicht mehr sehr viele Menschen, die sich an die Errungenschaften und die großartige Kultur des einstigen Imperiums erinnerten und diese zu schätzen wussten. Ihre Nachkommen in KanThaiPan, die Schwarzen Adepten, hätten kaum noch etwas mit ihnen gemein. Isobel schnaubte als sie seine Worte hörte. Das Valianische Imperium brachte ihrer Meinung nach nur Schande über die gesamte Menschheit und überzog die Welt mit Finsternis. Das Land ging zum Glück an seiner eigenen Größe unter und von der Sklavenhaltung wollte Isobel gar nicht anfangen zu sprechen. Harkon war etwas in seinem Stolz verletzt und rechtfertigte sich. Viele Familien, die Sklaven hielten, waren auch gut mit ihnen umgesprungen. Manch ein Sklave hätte es dort sogar besser gehabt, als wenn er obdachlos auf der Straße oder in einer Hütte in ärmlichen Verhältnissen gelebt hätte.

Aus der anfänglichen Diskussion der Fian und des Hexers entwickelte sich in Windeseile ein philosophisches Gespräch, bei dem jeder versuchte seinen Standpunkt über Sklaverei mittels immer drastischeren und anschaulicheren Argumenten Ausdruck zu verleihen. Da wurden sie auf einmal auf ein beherztes Lachen hinter sich aufmerksam und drehten sich erschrocken um. Dort hinter ihnen stand eine völlig entblößte Frau mit langen Haaren und grünlicher Hautfarbe. Trotz ihres Äußeren wirkte sie dennoch auf eine etwas seltsame Weise außerordentlich attraktiv. Die Frau empfand offenkundig Freude daran solchen Menschenkindern bei ihren philosophischen Gesprächen zuzuhören und gab sich als Niamha zu erkennen. Sie hatten die Grüne Dame, die zugleich auch eine der Herren des Waldes war, auf sich aufmerksam gemacht, als sie ihren Namen aussprachen. Auf die Frage was dies für ein Ort war, entgegnete sie ihnen, dass dies ihr Heiligtum wäre und zugleich der Zugang zum Baum der Wünsche darstellte. Er zeigte die Spuren der nordvesternessischen Kultur der Twyneddin, weil sich der Ort häufig dort befand. Dieser Platz war erst seit einigen Tagen hier und würde nicht mehr lange hier verweilen, denn er reiste in gewissen Intervallen über die Kraftlinien, die diese Welt durchzogen und manifestierte sich dann wieder in einem anderen weit entfernten Land. Jedem, der es sich wünscht, würde sie auch freiwillig Zugang zum Baum der Wünsche gewähren. Doch sie warnte sie eindringlich. Nur einem wahren Kind der Natur war es bestimmt überhaupt den Kern des Heiligtums betreten zu dürfen. Alle anderen erwartete der sofortige Tot und ihre Körper würden als Dünger für die Pflanzen ihres Heiligtums enden. Der Baum der Wünsche nehme dargebotene nichtmagische und verarbeitete Opfergaben entgegen und überreichte dem Geber dann einen natürlichen und magischen Gegenstand derselben Art als Austausch. Mit einem Fingerzeig wich ein Teil des Dornengestrüpps zurück und gab einen schmalen Zugang in die Tiefe des Bodens preis. Jeder der gewillt war diese Prüfung anzugehen, der durfte ihr eine einzige Frage stellen, die sie wahrheitsgemäß beantworten würde, nicht jedoch, was ein wahres Kind der Natur wäre.

Fela und Isobel zogen sich umgehend aus und stellten sich vor den zurückgewichenen Dornenbusch. Waren sie jetzt wahre Kinder der Natur? Harkon runzelte die Stirn. So einfach konnte des Rätsels Lösung sicherlich nicht sein. Niamha begann zu lachen. Nein, beide waren jetzt noch keine wahren Kinder der Natur, lautete ihre Antwort. Die zwei Frauen zogen sich anschließend wieder an und verabschiedeten sich von der etwas ungewöhnlicheren Naturgöttin. Sie mussten dringend über die Lösung nachdenken, bevor sie es noch einmal wagten dieses Risiko einzugehen, denn immerhin stünde ihr Leben dabei auf dem Spiel.

Ihr nächster Weg führte sie vom verwunschenen See aus ostwärts und so gelangten sie am Nachmittag desselben Tages zu einer Freifläche gewaltigen Ausmaßes (C). So weit ihre Augen blickten waren große Areale des Waldes zerstört. Mehrere Dutzend riesiger Schneisen hatte etwas in den Wald geschlagen und in diesen Schneisen die Bäume, so mächtig ihre Stämme auch gewesen waren, in dieselbe Richtung umgeknickt. Das Totholz jeder Schneise wies gleiche Alterungsspuren auf. Es gab ältere Schneisen und auch welche jüngeren Datums. Doch der gelichtete Wald war hier nicht in etwa tot, sondern zwischen den umgeworfenen Stämmen sprossen bereits die nächsten Generationen von Setzlingen, die die freigewordenen Flächen mit aller Macht versuchten für sich zu beanspruchen. Für Harkon hatte dies den Anschein, als ob dies ein Schlachtfeld gewesen war, wo jemand einst kraftvolle Magie verwendete, die weit über seinen eigenen Möglichkeiten lag. Etwas anderes konnte er sich bei dieser ganzen Verwüstung nur schwer vorstellen.

Sie wollten unbedingt wissen, was es damit auf sich hatte und begannen den schweren Marsch zum vermeintlichen Epizentrum, dem Mittelpunkt des Areals. Dabei kamen sie nur langsam und unter größtmöglicher Anstrengung voran, weil hunderte von Stämmen ihren Weg erschwerten. Teils mussten sie geduckt unter den umgestürzten Baumriesen hindurch kriechen und manchmal eine Reihe von Stämmen überklettern.

Dann wurden sie auf ein tiefes Brummen aufmerksam. Fela warf sich vorsichtshalber ihren unsichtbar machenden Tarnumhang über und wirkte „Stille“, während Harkon seine finstere Präsenz mittels „Wandelaura“ verbarg. So hofften sie unentdeckt zu bleiben, für das, was auch immer vor ihnen lag.

Sie schlichen über das Totholz und als sie über einen dicken umgefallenen Stamm spähten entdeckten sie das, was vielleicht für die ganze Verwüstung verantwortlich war. Ein fleischiger Berg von bestimmt fünfzehn Metern Länge lag vor ihnen. Der zusammen geschlungene Leib eines Drachens! Er hatte seine mächtigen Schwingen an seinen Flanken eingefaltet und schien friedlich zu schlafen. Seine Unterseite war braun gefärbt, wie der Boden auf dem er schlief, während die obere Seite seines Körpers grün war, wie der umgebene Wald. Jede seiner Schuppen maß einen halben Meter und glichen unscheinbaren spitz zulaufenden steinernen Auswüchsungen, die nur schwer von gewöhnlichen Felsen zu unterscheiden waren. Bei diesem Exemplar handelte es sich ohne Frage um einen Walddrachen. Im Gegensatz zu Sceadren, Wyvern oder Feuerdrachen war diese Art sogar noch bedeutend seltener zu Gesicht zu bekommen. In bekannten Sagen hieß es, dass diese Geschöpfe selbst die Flora und Fauna in ihrem Territorium zu kontrollieren vermochten. Doch wenn dieser Drache tatsächlich für die Zerstörungen im Wald verantwortlich war, warum tat er es?

Langsam näherte sich Fela und umrundete in aller Stille das Geschöpf. Da erkannte sie auch den wahren Grund. Sein linker Flügel war zerfetzt worden, was diesen mit ziemlicher Sicherheit enorm bei Landemanövern behinderte. Die Heilerin empfand tiefes Mitleid und ging auf den verletzten Flügel zu. Die Wunde war alt, sehr alt und war wohl schon seit Jahren im Begriff zu heilen. Sie nahm all ihren Mut zusammen, legte ihre Hände auf und begann den Zauber „Allheilung“ zu wirken. Auch wenn dies einer der mächtigsten Heilzauber war, so wusste sie doch, dass selbst dieser Zauber bei einem solch großen Wesen mit einer derartigen Verletzung lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein war. Zumindest konnte der Zauber aber hoffentlich ein wenig Linderung verschaffen. Dann drang ein Raunen von dem Geschöpf und schlagartig öffnete er seine Augen und erhob den Kopf. Trotz Felas Unsichtbarkeit fixierte der Drache die Heilerin genauestens. Er verfügte wohl über so etwas wie Infrarotsicht!

Der Drache richtete sich auf seine vier Beine auf und streckte sich ausgeschlafen aus. Jetzt erst bemerkten sie, dass das Wesen noch weitaus größer war, als zunächst angenommen. Es maß bestimmt fünfundzwanzig Meter von Kopf bis zur Schwanzspitze. Fela löste augenblicklich ihre Unsichtbarkeit auf, weil der Drache ihre Tarnung ohnehin durchschaut hatte und stellte sich förmlich vor. Dabei erwähnte sie auch ihre beiden Begleiter. Ertappt kamen nun auch Isobel und Harkon aus ihrem Versteck hervor. Nachdem auch sie sich sichtlich verängstigt vorstellten wurde ihnen schnell bewusst, dass ihre Angst unbegründet war. Denn nun folgte der Drache ihrem Beispiel und nannte auch seinen Namen. Er hieß Ta-Nurakh und war auch einer der Herren des Waldes. Harkon überlegte kurz aus welchem Teil der Welt der Drache ursprünglich stammen konnte, denn den Namen konnte er keiner ihm bekannten Kultur zuordnen. Womöglich war Ta-Nurakh ein Name in der Sprache der Drachen, von der auch die Bardenmagie und die Urtöne abstammten. Doch dann meinte er diesen Namen doch schon einmal gehört zu haben, war sich aber dabei nicht ganz sicher. Stammte er vielleicht von einer Inselwelt weit im Westen? Der Drache jedenfalls schien keine Angst vor den drei Fremden zu haben, denn er ließ sich gleich darauf katzengleich nieder, indem er seine Vorderläufe verschränkte und seinen schweren Kopf auf ihnen bettete. Voneinander interessiert entwickelte sich schnell ein Gespräch und so erzählte Ta-Nurakh ihnen seine Geschichte. Eigentlich kam er von einem Inselarchipel, welches sich Nahuatlan nannte. Doch vor vierhundert Jahren geriet er mit einer schwarzen Drachin namens Moirguaillen aneinander, die ihm sein Territorium streitig machte. Diese war bedeutend älter, erfahrener und um ein vielfaches größer als er und zerriss ihm nur im Vorbeiflug den Flügel. Da ein Kampf gegen diese Naturgewalt aussichtslos war, versuchte er es gar nicht erst und verließ seine einstige Heimat. Er umrundete mehrfach die Welt, bis er diesen Wald entdeckte und sich hier niederließ.

Ta-Nurakh bemerkte aber auch Isobels Verletzung und wandte sich fragend an die Heilerin. Wäre es nicht besser gewesen zuerst die Wunden ihrer Begleiterin gänzlich zu versorgen, bevor man sich an seine machte? Seine Wunden würden nämlich irgendwann von alleine heilen. Die Fian hatte mit der Entscheidung der Heilerin ihn zu heilen aber keine Probleme und schilderte dann, wie ihr diese Verletzungen durch einen mächtigen untoten Krieger hier im Wald zugefügt worden waren. Der Drache schnaubte laut aus, als er dies hörte, denn die Untoten hier wurden in der letzten Zeit zu einer regelrechten Plage wie die Geister und die Spinnen. Die Vampirin ChiKo lebte zwar schon seit einigen Jahrhunderten hier, doch mit ihr gab es nie Probleme. Sie schottete sich einfach von der Außenwelt ab und wollte stets nur in Ruhe gelassen werden. Seit ihr Gemahl jedoch vor einigen Monden hier erschien änderte sich aber die Lage. Von einem Tag auf den anderen bauten sie die Ruine, das verfluchte Schloss, zu ihrer schwarzen Festung aus, begannen eine Armee von Untoten auszuheben, fingen an den Wald um das Gemäuer herum zu roden, um ihre Schmiedeöfen zu befeuern, mit denen sie Waffen und Rüstungen herstellten und hauchten Statuen Leben ein. Über vieles konnte er bisher hinwegsehen, doch dass sie ihren „Sohn“ aus den fleischigen Überresten von extra für diesen Zweck entführten und massakrierten Menschen erschufen, ging zu weit. Es war ein Frevel gegen die Natur!

Doch was befand sich vorher in diesem Schloss und von wem wurde es errichtet? Vor langer Zeit, als der Wald hier noch nicht existent war und stattdessen eine Menschenstadt diesen Landstrich dominierte, so hieß es, residierte dort ein Fürst. Dieser hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter war Prinzessin HaiTang, deren Sohn wiederum Kaiser werden sollte. Das Schicksal wollte es aber so, dass anstatt diesem ihr Neffe, der Sohn ihres Bruders, den Jadethron bestieg. Sie selbst starb kurz nach der Thronbesteigung ihres Neffens an Kummer über die Ermordung ihres eigenen Kindes und wurde im Felsengrab in der Mitte des jetzigen Waldes zur letzten Ruhe beigesetzt. Da niemand mehr aus ihrer Familie da war, der über die Stadt herrschte, wurde eine entfernte Verwandte eingesetzt, die ihre Linie fortsetzen sollte. Die letzte Prinzessin dieser Linie war LinYa. Doch als das Schwarze Wasser kam und die Menschen in Panik um ihr Leben flüchteten, umzingelte die Herrin der Spinnen mit ihrer Horde das Schloss und belagerte es. Nach tagelangen blutigen Kämpfen und vergeblichen Hoffen auf Verstärkung für die Verteidiger, gelang den Spinnen schließlich der Durchbruch. Doch anstatt LinYa, wie jeden ihrer Bediensteten und Angestellten, zu töten, nahm die Spinnendämonin sie mit in ihre eigene Welt. Seit jenem Tag war sie nie wieder gesehen. Die Spinnen wiederum hatten gar keine Verwendung für ein Schloss und verkrochen sich zumeist in ihren Höhlen. Als dann der Wald auf der entvölkerten Fläche erwuchs und die meisten Spuren der Zivilisation vertilgte, kehrten unabhängig voneinander die späteren Herren des Waldes ein und stritten sich untereinander um das Land, welches die Menschen mieden. Es dauerte viele weitere Jahre, bis dann endlich Frieden einkehrte und ein jeder seine Fronten absteckte. Aber mittlerweile hätten sich die Herren des Waldes zusammen gerauft und zogen an einem Strang – meistens zumindest.

Wo die Abenteurer jetzt schon einmal vor solch einem weisen und gesprächsbereiten Wesen standen, ergriffen sie auch die Gelegenheit ihn zu fragen, wie man ein wahres Kind der Natur werden könnte. Zum ersten Mal schien der Drache zu lachen. Hatten sie wahrhaft vor Niamhas Prüfung annehmen zu wollen? Der Drache hatte die drei zweifelsohne durchschaut. Aber Ta-Nurakh wollte der Grünen Dame keineswegs in den Rücken fallen und ihnen diese Lösung auf dem Silbertablett präsentieren. Darum gab er ihnen nur einen Rat: Ein wahres Kind des Waldes oder der Natur hätte keine verarbeiteten Dinge am oder im Körper. Aber gleichzeitig warnte er sie auch. Die Grüne Dame hielt immer ihr Wort, doch jeder Pakt mit ihr wäre ein zweischneidiges Schwert. Reichte sie jemandem die eine Hand, so nahm sie sich gleich darauf die andere. Mittlerweile war der Drache wieder müde geworden und vertröstete die Besucher. Als er sich zusammenrollte fegte dieser mit Leichtigkeit mit seinem Schwanz einen dicht hinter ihm stehenden mannsdicken Baum um, welcher mit einem tiefen Donnergrollen zu Boden krachte.

Als sie gingen meinte die Heilerin nur, sie müssten etwas unternehmen und Ta-Nurakh irgendwie eine Freude machen. In ihren Augen wirkte der Walddrache nämlich depressiv, weil er seine einstige Heimat verlor und seine derzeitige neue Heimat nun von Spinnen Geistern und Untoten terrorisiert wurde. Doch wie sollten sie einen solchen Drachen denn genau glücklich machen?

Sie kletterten bereits über die unzähligen umgestürzten Bäume zurück und warfen noch einmal einen Blick auf die angerichteten Schneisen in der Vegetation, als sie einen spontanen Einfall hatten. Wenn der Drache hier so oft unglückliche Landeversuche unternahm, bestünde dann nicht auch die Möglichkeit, dass er sich bei einer solchen Aktion an angrenzenden Bäumen die ein oder andere Schuppe ausgerissen hatte? Sie blickten sich gegenseitig gierig in die Augen und begannen sogleich mit der Suche. Während sie den Waldboden genauestens durchforsteten erzählte Harkon von einer seiner größten Ängste. Es war jene Angst, die auch die Seeleute fürchteten, jene vor den unbekannten Tiefen eines Gewässers, wie des Meeres. Unfähig hinunter auf den Grund zu blicken, ohne genau zu wissen, was sich dort verbarg. Es malte sich schon lange aus, welche abscheulichen Wesenheiten dort unten auf arglose Schwimmer oder auf über Bord geratene Menschen lauerten. Man sollte sich nur einfach Anglerfische in der Größe eines Drachen vorstellen. Fela Garcia musste grinsen und bekam sich kurz darauf vor lauter Lachen gar nicht mehr ein. In ihren Gedanken zeichnete sie nämlich das Bild eines Tiefseeanglerdrachens. Sie spann den Gedanken weiter, bis sich daraus ein gewöhnlicher Drache abzeichnete, der am Ufer eines Meeres stand und in hohem Bogen seine Anglerroute mitsamt Köder auswarf. Auch wenn sie diesen Gedanken nicht aussprach wusste Harkon prompt, was sie sich vorstellte und korrigierte seine Aussage. Er meinte damit Tiefseemonster in der Größe eines ausgewachsenen Drachens mit riesigem Maul, welche eine tentakelartige Auswüchsung auf ihrer Stirn trugen, an deren Spitze sich ein falscher Köder befand, mit dem sie unachtsame Opfer anlockten, um sie danach zu verspeisen. Nach einigen Stunde erfolgloser Suche nach Drachenschuppen brachen sie jedoch enttäuscht ab.

Am verwunschenen See schlugen sie schließlich ihr Lager auf, verzichteten an diesem Ort aber darauf ein Lagerfeuer zu entzünden. Isobel hatte nämlich die Einsicht, dass es sich bei diesem magischen Ort um ein Naturheiligtum handelte, einem Knotenpunkt, zu dem die ganzen Kraftlinien hier im Wald führten. Solch mächtige Linienkreuzungen kannte sie bis dato nur aus ihrer Heimat Erainn. Sie fing an in Erinnerungen zu schwelgen und erzählte ihnen bei Sonnenuntergang von der Schönheit ihrer Heimat. Innerhalb der Bevölkerung dort gab es, von Grenzstreitigkeiten mit den Twyneddin einmal abgesehen, keine Kriege oder größere Konflikte. Auch die Elfen verstanden sich bestens, im Gegensatz zu vielen anderen Regionen, mit den Menschen und gründeten sogar vermischt lebende Gemeinschaften. Die Welt wäre eine andere, bessere, wenn dies überall so wäre.

Den Folgetag verbrachten sie mit einem flotten Marsch zurück zur Lichtung mit ihrem Basislager. Bis auf eine einsame Riesenspinne, welche auf einem Baum in der Nähe ihres Weges lauerte und die sie getrost ignorierten, geschah nichts aufregendes. Und so erreichten sie noch am selben Abend ihr Ziel und schlummerten friedlich in der Sicherheit von Hattoris Refugium ein.

 

Akt 64:

Eine folgenschwere Beichte:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Isobel Grnflamme (Erainn, Fian)

andere Abenteurer:

Alestor (Alba, Krieger), Tarion (Alba, Assassine), Alberic/Azel (Alba, Glücksritter), Miya (NPC, TsaiChen-Tal, Avatar von O-Miya), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valianer, Magier)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (Albai, Krieger), Stanislaw Kirilew (Morave, Hexenjäger), Kruschina Kruschov (Moravin, Schamanin), Naridyi Aranee (Aranerin, Feuermagierin), Iphicrates (Valianer, Magier)

 

Dies war der fünfte Tag ihrer Reise seitdem sie zu dritt alleine aufgebrochen waren. Vadocks Gefährten waren auch zugegen und selbst die Gruppe um Alberic, Tarion und Alestor waren anwesend. Letztere hatten sich hier eine dreitägige Auszeit gegönnt, um auf die Fertigstellung der Reparatur von Alestors magischen Schwert zu warten. Denn für das, was nun vor den drei Recken lag, benötigten sie wohl die volle Stärke ihres Kriegers. Doch nachdem der Schmiedemeister Hattori Hanzo feierlich dem Krieger sein repariertes Schwert überreicht hatte, brachen die drei Männer auch schon wieder auf. Ihr Ziel war nun der Schrein der Puppen, in dem sie hofften, das Geheimnis um die Geisterbraut endlich zu lüften.

Vadock kam danach auf Isobel, Fela und Harkon zu und zeigte ihnen einen Brief, den die anderen drei Abenteurer bei der Leiche eines berittenen Boten gefunden hatten. Interessiert lasen sie unverzüglich dieses Schreiben durch. Harkon wusste sofort, was es mit YenXuLu auf sich hatte. Es war eine der mächtigsten Festungen der bekannten Welt und zugleich das schwarze Herz des KuraiAnat, der einzigen Magiergilde von ganz KanThaiPan. Der Ort, an dem sich die geflüchteten dunklen Seemeister nach dem verlorenen Krieg der Magier mittels eines Weltentores Zugang zu diesem Land verschafft hatten, um ihrer gerechten Strafe durch die Siegermächte zu entgehen. Bei Arcana wiederum, so schlussfolgerte er dem Namen nach zu urteilen, könnte es sich um eine Vereinigung von Zauberern handeln, die sich für die Erfüllung eines ganz bestimmten Ziels zusammen getan hatten. Und wenn selbst das KuraiAnat ihre Anhänger vor dieser Vereinigung warnte, dann musste es sich bei Arcana um eine wirklich einflussreiche Gruppe von Personen handeln. Doch warum hatte er dann bis zum heutigen Tag noch nie in seinem langen Leben von ihnen gehört? Agierten ihre Anhänger etwa immerzu aus dem Dunkeln heraus, ohne jemals öffentlich in Erscheinung zu treten? Ihre Blicke fielen nun auf die im Schreiben aufgelisteten Namen, die sie für ausgesprochen wertvoll erachteten. Bei ihnen musste es sich um geschickte Handlanger und Verbündete der schwarzen Adepten handeln, die vielleicht aus höheren Positionen heraus versuchten ihre Fäden in der Welt ganz im Sinne der Adepten zu spinnen. Sowohl Harkon als auch Isobel fertigten sich jeweils eine Kopie dieses Schreibens an, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Harkon wollte nämlich in aller Ruhe noch einmal über die Namen sinnen, während Isobel zu gegebener Zeit den Oberen ihres Ordens über den Inhalt unterrichten wollte. Damit hätten die Fian nämlich neue Ansatzpunkte, um etwaige Hexer oder Finstermagier aus dem Weg zu ziehen, bevor diese in der Lage wären größere Schäden anzurichten.

Dann schreckte Fela Garcia auf einmal hoch, denn im Hintergrund erblickte sie eine Person, die sie bis jetzt für tot hielt. Es war Sarazian. Freudig rannte sie sofort auf ihn zu und schloss ihn überglücklich in ihre Arme. So froh war sie ihn wiederzusehen. Sie dachte nämlich schon, dass die Weltenspinne ihn zwischen den Sphären nach dem Berühren des Mondlampions erwischt hätte. Sarazian lächelte und beruhigte sie. Es bedurfte schon mehr als eine Weltenspinne um ihn zu töten. Um ihre aufkommende Frage zu beantworten, schilderte er ihr, warum er sich von ihnen trennte. Als sie damals die andere Grabkammer erwähnte, musste er einfach seine Neugierde befriedigen. Leider gab es einige Zwischenfälle, sodass er daraufhin gezwungen war ZuFongs Zepter zu zerstören und darum eine Reise in den Süden antreten musste. Er beteuerte es wirklich vorgehabt zu haben ihnen direkt zu folgen, doch das Schicksal hatte nun einmal andere Pläne mit ihm. Und warum hatte er ihnen dann nicht einmal eine schriftliche Nachricht hinterlassen? Auf diese Frage hatte der Valianer zunächst keine zufriedenstellende Antwort und lächelte sie deswegen einfach nur erneut an. Immerhin hatte er bis jetzt gehofft Akitoki, den er in seine Reise eingeweiht hatte, würde ihnen bei ihrer Rückkehr nach Ljosgard davon berichten. Scheinbar war dem nicht der Fall. Aber sie bräuchte sich auch künftig keine Gedanken um ihn machen. So schnell würde er nicht sterben, denn er hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen. Er musste nämlich immer noch herausfinden wie und vor allem unter welchen Umständen sein Stiefbruder Rodric starb und warum danach dessen Leichnam aus dem Grab verschwunden war. Dabei kamen ihm die Worte Rodrics wieder in den Sinn, die er in der Grabkammer von MikiFune in seinem Kopf vernommen hatte. Warum hatte sein Stiefbruder gesagt, er wollte Rache an ihnen nehmen? Doch davon berichtete er Fela Garcia nichts, um sie nicht zusätzlich zu beunruhigen.

Die Heilerin nahm etwas Abstand von Sarazian und schluckte schwer, weil sich ihr Magen verknotete. Sie konnte es einfach nicht mehr ertragen ihren Kameraden, was das Schicksal Rodrics betraf, weiter anzulügen. Dann erzählte sie ihm unter Tränen, was sich in Wirklichkeit zugetragen hatte. An Bord der Roten Seekuh hatten sie auch eine Schamanin namens Meleagris mit dabei. Um ihre Navigation zu vereinfachen bot sie ihnen an jemanden auf eine Seelenreise zu schicken, damit dieser in einer anderen Welt etwaige Informationen über Meerengen, Untiefen und andere Gefahren, die vor ihnen lagen, für sie sammeln konnte. Da sich zu Beginn niemand freiwillig dazu bereit erklärte, gab sich Rodric schließlich einen Ruck und meldete sich dann doch dafür bereit. Unterwegs kümmerte sich die Schamanin immerzu um Rodrics Körper und reichte ihm Wasser und Nahrung. Vielleicht gab sie sich selbst die Schuld daran, dass er nicht mehr aufwachte, weil ihr womöglich bei dem Zauberritual ein Fehler passierte und darum Rodrics Seele nicht mehr den Weg in seinen Körper fand. Als sie ihr Ziel, den Hafen von Ina, erreichten, verließ auch Meleagris das Schiff, um sich dem Erkundungsteam der Crew an Land anzuschließen, die ihre im Sterben liegende Kapitänin mit dem Wasser einer heiligen Quelle retten wollten. Als das Schiff wenig später von schwarzen Adepten im Hafenbecken versenkt wurde, betteten sie seinen Stiefbruder in Harkons Sarg, um ihn leichter auf ihrem Wagen transportieren zu können. Als Harkon sich kurz darauf von ihnen trennte, um den weiteren Weg mit zwei anderen Vampiren zu bestreiten, wurde Rodric versehentlich im Sarg vergessen und verstarb. Sarazian lief rot an und sagte nur zähneknirschend „Harkons Sarg“. Und es war nicht einfacher ihn auf die Ladefläche ihres Wagens zu legen, wo jeder ihn sehen und somit nicht vergessen konnte? Fela beteuerte inständig, dass dies ein Unfall war und versuchte voller Herzschmerz den Magier noch einmal zu umarmen. Doch dieser stieß die Heilerin von sich fort.

Mit schnellen Schritten eilte der Magier nun zu Harkon herüber und stellte diesen erzürnt zu Rede. Doch der Hexer blieb kühl und gelassen und ließ sich gar nichts erst anmerken, ganz so als ob er sich keiner Schuld bewusst war. Dies machte Sarazian nur noch wütender, als er ohnehin schon war. Um die Sache jetzt nicht noch weiter eskalieren zu lassen, nahm Harkon bereitwillig einen kleinen Teil der Schuld auf sich, was nicht ernst gemeint klang. Er erklärte ihm, dass es unfair war ihn nun alleine damit zu behelligen, wo die Schuld doch bei allen lag. Nicht nur er hätte Rodric vergessen, sondern alle anderen auch. „Ach so ist das! Na dann ist ja alles in bester Ordnung“, entgegnete ihm der Magier daraufhin. Dann packte er Harkon am Kragen und schubste ihn auf die Wiese, bevor er sich von ihm abwandte und ging.

Aber Sarazian war noch nicht fertig mit ihm. Von dem Stapel mit Brennholz neben der Feuerstelle ergriff er die Axt, marschierte auf den Wagen zu, auf dem sich Harkons Sarg befand und bestieg diesen. Er holte weit aus und rief Harkon zu „Wisst ihr, was ich von eurem Sarg halte?“ Dann ließ er mit aller Kraft die Axt sinken. Als der Hexer dies sah wurde er leichenblass. Schleunigst streckte er seine rechte Hand aus und wirkte „Heranholen“ auf die Axt. Sarazian versuchte mit einem Gegenzauber zu kontern, doch dies misslang. Harkon konnte auf Gedeih und Verderb nicht zulassen, dass sein Sarg mit seiner Heimaterde beschädigt würde und nun hatte er im letzten Moment die Kontrolle über die Axt erhalten und hielt sie mit einer geisterhaften Hand fest umschlungen. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Doch nun kam es auf die körperlichen Kräfte an und da hatte Sarazian die Oberhand, schüttelte Harkons geisterhaften Griff ab und erhielt die Kontrolle zurück. Die Axt sauste hinab und brach ein kopfgroßes Loch in den oberen Bereich des Sargdeckels, bevor er zum nächsten Streich ausholte. Fela Garcia bemerkte nun auch diese Auseinandersetzung und zauberte nun ebenfalls „Heranholen“. Auf einen zweiten Gegner war Sarazian nicht vorbereitet gewesen und so entriss ihm die Heilerin die schwere Holzfälleraxt, die nun langsam auf die Heilerin zu schwebte. Unterdessen nahm Harkon diese Ablenkung wahr und erkletterte nun ebenfalls den Wagen. Doch sobald er oben auf war, wurde er bereits mit einem Faustschlag ins Gesicht begrüßt. Die beiden Magiekundigen schenkten sich nichts und so entwickelte sich eine üble Schlägerei auf der Ladefläche. Zwischen den Hieben ergriff Harkon das Wort und gab Sarazian ebenfalls die Schuld für Rodrics vorzeitigen Tot. Sarazian war seiner Meinung nach der alleinige Grund dafür, dass Rodrics Vater sich nicht mehr um seine eigenen Kinder sorgte, sondern nur noch um ihn, das Adoptivkind. Aus diesem Grund, weil sich Rodric vernachlässigt fühlte, war er überhaupt erst auf die Idee gekommen eine solch gefährliche Reise anzutreten, damit er sich vor seinem eigenen Vater beweisen konnte. Sarazian war doch nur in dieses entfernte Land gekommen, um sein eigenes Gewissen seinem Stiefbruder gegenüber zu bereinigen. Rodric stand seit Lebzeiten doch nur in seinem Schatten! Jetzt erboste Sarazian so richtig und ermahnte Harkon seine Worte umgehend zurück zu nehmen. Wenn dies alles so wäre, dann wäre nicht er, sondern dessen Vater Aimar Elissa der Schuldige! Immerhin oblag ihm die Aufgabe der Erziehung! Harkon dachte aber nicht im Geringsten daran seine Worte zurück zu nehmen und hetzte weiter. Dem Magier, der es gewagt hatte seinen Sarg zu beschädigen, wollte er nun endgültig einen Denkzettel verpassen.

Mehrere Kinnhaken, Ohrfeigen und tiefe Schläge später hatte ein jeder auf der Lichtung Wind von dieser Schlägerei bekommen und stürmten entschlossen in Richtung des Wagens. Während die Zauberkundigen die beiden Streithähne versuchten mit ihrer Magie auseinanderzuzerren, ergriffen Vadock, Yosuke und Stanislaw Sarazian und Harkon und warfen sie nicht gerade zimperlich zu Boden. Die Situation spitzte sich zu und griff allmählich auf alle anderen über. Schreie und gegenseitige Anschuldigungen hallten über die Lichtung, ob das Eingreifen von einigen nicht womöglich zu übertrieben und zu ruppig vonstatten gegangen war und sich am Ende alle gegenseitig anbrüllten.

Doch einige Augenblicke später kehrte Ruhe ein und die aufgelaufene Menge verstreute sich. Während Sarazian sich von allen abwandte und Fela Garcia ob ihres Verschuldens an der ganzen Sache heulend davon lief, inspizierte Harkon seinen Sarg. Dort klaffte ein Loch von annähernd vierzig Zentimetern Länge im Deckel, aber zu seinem Erstaunen hatten seine magischen Sicherungsmechanismen den Angriff heil überstanden (20). Er war sich aber auch im Klaren darüber, dass er den Sarg unbedingt reparieren musste. Doch wo fand er in dieser Abgeschiedenheit das dafür notwendige Werkzeug und vor allem gefertigte Bretter oder Holzleisten? Reichten seine begrenzten handwerklichen Fähigkeiten dafür überhaupt aus? Er ärgerte sich. Soweit hätte es gar nicht erst kommen dürfen. Der Hexenjäger aus Vadocks Gruppe war vorhin schon zu nah an seinen Sarg heran getreten, viel näher, als es ihm lieb war. Zum Glück hatte dieser aber wichtigeres zu tun gehabt, als einen Blick durch das Loch ins Innere des Sarges zu riskieren, in dem dicht gepfercht seine drei Untote ruhten. Wenn der Hexenjäger diese sehen würde, dann käme es unweigerlich zur nächsten Auseinandersetzung und diese würde mit Sicherheit nicht so glimpflich ablaufen. Dann würden sich wieder einmal alle gegen ihn verschwören und dabei könnten seine untoten Krieger ihnen im Kampf doch so gute Dienste erweisen. Die anderen verstanden es einfach nicht.

In der Zwischenzeit suchte Sarazian Miya auf, kniete sich vor ihr nieder und nahm sie fest in seine Arme. Er entschuldigte sich bei ihr, dass sie diesen Streit mitansehen musste. So lange suchte er schon nach den Antworten, wer für den Tot seines Stiefbruders verantwortlich war und dabei reiste er die gesamte Zeit Seite an Seite mit dessen Mördern ohne sich dessen Gewiss zu sein. Diese Mörder bedeuteten ihm kaum noch etwas. Der einzige Grund für ihn diese Reise zu beenden bestand nur noch darin dieses Mädchen zu beschützen. Denn er wollte keinesfalls, dass sie alleine mit den anderen reiste und dann womöglich noch durch Unachtsamkeit oder Unterlassung ihr Leben verlor. Wenn sie wirklich nicht mehr in ihr Heimatdorf nach der langen Pilgerfahrt zurück durfte, so schwor er sich, dann würde er sie mit in seine künftige Heimat nehmen und ihr dort ein anständiges Leben abseits von Gefahren ermöglichen.

Derweil hatte Fela Garcia, noch immer die Axt in ihren Händen haltend, die Lichtung verlassen und rannte schnurstracks in den Wald. Sie hatte kein festes Ziel. Sie wollte nur fort. Zu aufgewühlt, um nur einen klaren Gedanken zu fassen oder die Umgebung im Auge zu behalten, bemerkte sie nicht einmal die vor ihr liegende drohende Gefahr. Dort war eine Senke, die mächtige Regenfälle in den Hang gewaschen hatten. Sie stürzte und fiel hinab. Sie überlebe zwar unverletzt, doch saß jetzt in einem Tümpel aus Schlamm. Schlimmer konnte der Tag für sie wohl kaum werden. Sie rappelte sich mühevoll auf und sah sich um, bevor sie ihren Tränen freien Lauf ließ.

Als Isobel auf der Lichtung aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, wie die Heilerin in den Wald hinein rannte, eilte sie ihr prompt hinterher. Mittlerweile wusste sie um die Gefahren im Wald und konnte sie nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen. Zum Glück achtete Fela Garcia nicht darauf ihre Spuren zu verwischen, sodass es für die Fian ein Leichtes war ihre Verfolgung aufzunehmen. Schon nach einigen hundert Metern erblickte sie sie jedoch in einer Kuhle stehend und weinend. Isobel sprach beruhigend auf sie ein und half ihr hinaus. Tröstend umarmte sie die Heilerin. Es war genau das, was Fela jetzt brauchte. Eine Seele, die sie verstand. Isobel begriff die Situation vorhin auf der Lichtung aber noch immer nicht und hakte vorsichtig nach, woraufhin ihr Fela alles gestand. Ihre Gruppe war für den Tod von Sarazians Stiefbruder verantwortlich gewesen. Um Sarazian nicht zu verärgern hatten sie eine Abmachung getroffen ihm dies niemals mitzuteilen. Allerdings konnte sie nicht länger mit dem Geheimnis leben und erzählte ihm darum alles. Schnell begriff die Heilerin, dass sie Isobel voll und ganz vertrauen konnte und klärte sie darum auch über alle anderen Geschehnisse und Geheimnisse ihrer Gruppe auf.

Derweil versuchte Harkon das große Loch im Sargdeckel mit Hammer und Nägeln zu verschließen. Leider fand er nirgends zugeschnittene Bretter und auch Hattori wollte er darum nicht bitten. Es war zum Verrücktwerden. Wegen mangelnden Alternativen nahm er schließlich ein einigermaßen flaches Scheit vom Brennholzstapel und nagelte dieses auf das Loch. Jetzt konnte zwar niemand mehr hinein blicken, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sein Sarg nun verunstaltet war. Erbost warf er den Hammer in das hohe Gras. Warum wurde immer nur er alleine für alles verantwortlich gemacht? Und mit einem Mal hörte er schon die Stimme einer seiner Schwestern in seinem Kopf erklingen, wie sie einst alle gegen ihn aufwiegelte. Schon damals in seinem magischen Studium hatten andere ihn mit abfälligen Blicken bedacht und jede seiner Schwächen schamlos ausgenutzt, um Fehler auf ihn abzuwälzen. Nichts hatte sich seit jeher geändert.

Doch dann wurde die Stimme seiner Schwester durch eine andere verdrängt. Sie war einfühlsamer, mächtiger, durchdringender und sie kam von etwas, was er an seinem Gürtel trug und dem er lange Zeit keine Beachtung mehr geschenkt hatte. Er nahm das Mondschwert aus der Scheide und betrachtete es vor sich. Dann sprach die Stimme erneut zu ihm. Er könnte sein Schicksal selbst bestimmen und alles ändern. Im letzten Schrein auf seiner Reise befände sich eine schier unendliche Menge an gespeichertem Sa und danach verlangte es ihm doch, oder? Er sollte einfach nur alles in sich aufnehmen, dann würde er schon von ganz alleine eines der mächtigsten Wesen dieser Welt werden und über schier grenzenlose Macht verfügen. Niemand würde sich dann mehr trauen auch nur schlecht über ihn zu sprechen oder selbst auch nur einen Gedanken daran verschwenden. Und wenn Harkon nur bei diesem Sa seinen Hunger freien Lauf ließe, dann würde auch ER aus seinem Gefängnis befreit werden und die Pilgerfahrten könnten ein für alle Mal ein Ende finden. Sie beide könnten davon profitieren. Die Entscheidung läge ganz allein bei ihm.

Harkons Wut hatte sich zwar etwas gelegt, doch nun schien er verwirrt zu sein. Sollte er diesem Vorschlag folgen? Doch vielleicht wusste jemand anderes einen besseren Rat für seine derzeitige Situation. Er ging tief in sich und versuchte mit seinem Mentor, dem Herrn der Zeit, Kontakt aufzunehmen. Es gelang ihm und so fand er sich geistlich in einer schwarzen Welt wieder, die von dicken weißen Nebelschwaden durchzogen war. Er watete durch den Nebel, bis er einen Raum erreichte, der nicht von den Schwaden eingenommen wurde. Darin stand ein älterer Mann mit einem hölzernen Gehstock, der ihn anlächelte und freundlich begrüßte. Sein Mentor. Harkon verneigte sich kurz, ehe er sich wieder aufrichtete und ihm sofort seine brennende Frage stellte. Wie kam es, dass immer nur er von allen zum alleinigen Schuldigen erklärt wurde und warum hatte sich gar damals schon seine Familie gegen ihn gewendet? Der Herr der Zeit ging nicht direkt auf seine Frage ein, sondern erzählte ihm einen kleinen Teil der Geschichte der Vucub auf Midgard. Auch er hatte Geschwister, die Herren der Vucub. Doch schon zuvor hatte Camasotz die sieben erstgeborenen Söhne der nahuatlani Priesterin Malinalxochitl zu seinen Statthaltern gemacht und in ihnen die vampirischen Kräfte erweckt, die ersten Vampire dieser Welt. Sie hielten nicht mit ihrer Macht zurück und versuchten so direkt wie nur irgend möglich die Anhänger der Lichtgötter zu bekämpfen. Doch obwohl sie mit außergewöhnlichen Kräften gesegnet waren konnten auch sie dem ständigen Ansturm der einfachen Menschen nicht länger standhalten und fielen, einer nach dem anderen. Und nach diesem Krieg wandte sich dann sogar ihre Mutter, die nun schwarze Priesterin Malinalxochitl nach ihrem Tod und Wiedererweckung, gegen ihren einstigen Retter und Helfer Camasotz. Dann wandte sich der Blick des alten Mannes gezielt auf Harkon zu und meinte, er hätte denselben Fehler begannen, wie vor all den Jahren die ersten Vucub. Er beschritt bereits ausgetretene Pfade womit sich die Geschehnisse lediglich wiederholten. Selbst einen heftigeren Krieg entfesselte er, nachdem er seine magischen Künste bei der Verteidigung der Schmiedesiedlung zur Schau stellte. Und womit dieser Kampf endete, hatte er nun immerhin von der Fian erfahren. Harkon wirkte etwas gekränkt. Denn mit der Zurschaustellung seiner Kräfte dort wollte er zum erstem Mal seinen Kameraden beweisen, dass er auch etwas Gutes erreichen und beitragen konnte. Der Herr der Zeit schmunzelte, denn diese Worte kamen ihm bekannt vor. Die Kunst wäre es neue Pfade zu beschreiten und nicht in die Fußstapfen derjenigen zu treten, die vor ihm da waren. Außerdem sollten Vampire niemals ihre wahren Kräfte zur Schau stellen, vor allem nicht im TsaiChen-Tal, wo die Ausübung von Zauberei für die meisten Bewohner ohnehin strengstens verboten war. Dies erregte nur die Missgunst und führe zwangsläufig zu Argwohn. Die wahre Kunst wäre es für Vucub mit Bedacht vorzugehen und eher im Hintergrund die Strippen zu ziehen. Sie müssten versuchen jedwede Aufmerksamkeit zu vermeiden und durften sich daher auch nicht grundlos vermehren. Ein einzelner Mensch stellte vielleicht gegen einen Vampiren keine Bedrohung dar, doch eine Zusammenrottung von ihnen schon. Harkon verstand. Er müsste handeln wie der Puppenspieler, für den man ihn bereits vor dem Krieg der Magier hielt. Nicht umsonst hatte er sich damals einen Namen als „Puppenspieler der Alpträume“ gemacht. Er bräuchte von nun an einfach nur zu seinen eigenen Wurzeln zurückkehren und in der Öffentlichkeit die Maskerade bewahren. Der alte Mann lachte erneut, denn nun hatte es Harkon verstanden. Dann beruhigte er den „jungen“ Vampiren noch, denn immerhin brauchte er sich von nun an keine Gedanken mehr um den Fürsten zu machen, der das zweite Heer zur Siedlung entsandte. Dieser starb nämlich kürzlich durch die Hände seines eigenen Fleisch und Blutes, bei dessen Entthronisierung. Doch bevor ihr Gespräch endete bedachte ihn der Herr noch mit einer Warnung. Falls er am baldigen Ende seiner derzeitigen Reise vor einem unermesslichen Verlangen stünde, dann sollte er unbedingt einen eisernen Willen zeigen, denn Harkon konnte unmöglich wissen, was das Ende der Bestimmung eines Vucub bedeutete. Zwar war es offensichtlich, dass der Herr etwas verschwieg und sein Argument nur ein Vorwand für etwas anderes gewesen war, trotzdem hakte Harkon nicht nach, um nicht unhöflich zu sein. Als er sich von dem alten Mann abwandte, fragte er ihn trotzdem noch etwas, was ihm schon seit geraumer Zeit auf der Seele lag. Warum hatte er ihn als Schüler auserwählt? Der Herr war offen und ehrlich und entgegnete, dass Harkon nicht sein einziger Schüler war. Für ihn, der außerhalb von Zeit existierte, war es ein Leichtes sich um viele Kinder zu kümmern. Immerhin hatte er sieben eigene Kinder gehabt, die Fürsten der Zeit, von denen jeder wiederum sieben Kinder zeugte. Und wenn er sich schon um so viele kümmerte, dann machte es ihm auch nichts aus sich noch zusätzlich um den einen oder anderen Würdigen zu kümmern. Harkon bedankte sich und schritt wieder hinein in die dichten Nebelschwaden.

Er öffnete seine Augen und war zurück in der realen Welt. Er saß noch immer auf dem Wagen neben seinem Sarg und hielt das Mondschwert mit seinen mit kleinen Kratern übersäten Oberfläche in seinen Händen vor sich umklammert. Doch beinahe all sein Frust war von ihm gewichen und so hielt er das Schwert direkt vor sein Gesicht und sprach „Weißt du was mich von dir unterscheidet, Schwester? Ich bin noch hier!“ Dann steckte er das Schwert zurück in die Scheide und sprang vom Wagen.

Zur gleichen Zeit kamen auch Fela Garcia und Isobel aus dem Wald heraus und beschritten die Lichtung. Doch während die Heilerin Abstand zu den anderen bewahrte, ging die Fian zielstrebig auf Harkon zu und verwickelte ihn in ein Gespräch. Sie wusste nun alles von ihm, was er ist und wer er wirklich einmal war. Er war der von ihrer Zunft gesuchte Seemeister. Und ihr war nun auch bekannt, was er in dieser Kiste verbarg. Auch wenn sie dies unmöglich gutheißen konnte und eigentlich auch verpflichtet wäre diese Untoten zu vernichten, so würde sie dies in diesem Fall nicht tun, denn sie hatte von Fela Garcia die ganze Wahrheit inklusive aller Einzelheiten über ihre Mission erfahren. Und wenn die lichten Götter sie dafür auserwählt hatten, dann würde sie dies für die Vollendung ihrer Aufgabe akzeptieren. Zudem wirkte Harkon für sie nicht wie der typische Seemeister, ganz so, als ob er sich geändert hätte. Harkon stimmte ihren Worten ein, denn er wollte fortan nicht mehr in der Öffentlichkeit mit seinen Kräften glänzen. Und auch den Inhalt der Kiste würde er keineswegs mehr vor anderen offenbaren, um keinen erneuten Streit auszulösen. Diese Lektion hatte er mittlerweile gelernt. Doch Isobel konnte sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. „Wie bei der Sache mit der Schmiedesiedlung?“

 

Akt 65:

Das Grab der Prinzessin HaiTang:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Isobel Grnflamme (Erainn, Fian)

 

Die drei mussten etwas unternehmen, um ihre Köpfe frei zu bekommen. Immerhin waren ihre Kameraden immer noch unterwegs und mit ihrem baldigen Kommen rechneten sie noch nicht. Da sie darum noch etwas Zeit für etwaige Erkundigungen hatten, beratschlagten sie sich, wohin sie nun gehen sollten. Dabei schlug Harkon erneut das Viarchengrab vor. Auch wenn sich Isobel mit der Sicherstellung alter Seemeisterartefakte zufrieden stellen konnte, war dieses Unterfangen für eine Dreiergruppe vermutlich zu schwierig. Dafür benötigten sie wohl auch, wie bei der Säuberung der finsteren Feste, die ganze Kraft ihrer vollständigen Gruppe. Schließlich einigten sie sich auf das vermeintliche Grab der Prinzessin HaiTang und verließen die Lichtung.

Als sie die Festung in gebührenden Abstand umrundeten, hörten sie aus dieser das andauernde Hallen vieler Hammerschläge. Anscheinend bauten die derzeitigen Bewohner rund um die Uhr an irgendetwas. Untote brauchten immerhin auch keinen Schlaf. Fela Garcia versteckte sich durchgehend unter ihrem unsichtbar machenden Tarnumhang, da sie noch immer die Rache des Vaters des von ihr geschlagenen Kindes fürchtete. Als ihr Blick dabei kurz rechts in den Wald wanderte, meinte sie erneut Madock zu erkennen (20), der sie mit toten Augen fixierte. Doch als sie sich erneut umdrehte, war von ihm nichts mehr zu erkennen. Hatte sie etwa aufgrund der Drogen noch immer Tagträume? Mittlerweile verteufelte sie das Opium und auch ihre Neugierde es überhaupt probiert zu haben.

Sie schritten über die alte Handelsstraße und ein frischer Wind wehte ihnen entgegen. Der Herbst zog langsam über das Land und verfärbte die Spitzen der Bäume merklich ein. Am frühen Abend gelangten sie am Eingang zum Grab der Prinzessin an. Sie bogen das Gestrüpp im Vorfeld weg und reinigten kurzerhand den Verschlussstein grob mit ihren Händen. Neben einigen Schriftzeichen war darauf auch die Gravur einer tanzenden Frau in weiten Kleidern zu erkennen. Harkon schaute sich den Stein genauer an und konnte sein Glück kaum fassen (1). So verwittert wie dieser Stein durch die Feuchtigkeit war, musste das Grab älter sein, als alles, wovon er jemals hörte. Vielleicht sogar älter als die alten Pyramiden in Eschar oder die ersten Elfen auf dieser Welt! Es war zweifelsohne ein sensationeller Fund. Er wirkte „Feuerfinger“ und fuhr mit dem kleinen Licht am Rande der Verschlussplatte entlang. Oben bog sich die Flamme zur Türe hin, wohingegen sie am unteren Rand vom Eingang wegwehte. Es herrschte eine Konvektion, was bedeutete, dass die Räumlichkeiten hinter der Platte noch erhalten und nicht zusammengestürzt waren. Bei ihrer Suche fanden Fela und Isobel auch einen kleinen schmalen Grat im unteren Bereich der Platte, wo eine Hand hindurch passte. Die Türe war nicht dick, nur etwa zehn Zentimeter maß sie. Mit vereinten Kräften versuchten sie sie aufzudrücken oder irgendwie zur Seite zu schieben, doch ihre Versuchte missglückten. Die Platte rührte sich kein Stück. Als dann Harkon horizontal verlaufende Kratzer an den Rändern bemerkte, wurde ihnen bewusst, dass der Verschlussstein einst von oben heruntergelassen worden war. Schnell suchten sie einen geeigneten Hebel, einen dünnen umgestürzten Stamm und einen Felsen und hoben die Verschlussplatte an. Nachdem sie den Eingang dann mit einem anderen Stein sicherten, betraten sie das Innere.

Der Eingangsbereich (1) maß sieben mal sieben Metern. Die in reichen Farben getünchten Fresken an den Wänden stellten eine Prinzessin mit ihrem Hofstaat dar. Man sah sie beim Spaziergang, beim Brettspiel mit ihren Damen in einem Pavillon sowie beim Bootfahren auf einem Seerosenteich. Die Kleidung der dargestellten Personen war sehr altertümlich. Der Boden des Raums war mit exquisiten Mosaiken ausgelegt, die Phönixe darstellten. An der Wand gegenüber von ihnen befand sich eine doppelflügelige Tür aus Marmor, über der sich eine Inschrift befand: „Grab der Prinzessin HaiTang“. In Front diese Türe lehnte zusammengesunken eine lebensgroße bunte Gliederpuppe von merkwürdiger Gestalt. Sie bestand aus bunt lackiertem Holz. Die einzelnen Glieder ihrer Arme und Beine waren durch kurze Stricke und einer Vielzahl von kompliziert wirkenden Metallteilen verbunden.

Die Puppe trug sogar den Stempel seines Erschaffers DaJin und Harkon war dieser Name sogar bekannt. DaJin war ein Magier und lebte vor weit über 1500 Jahren. Das war die Blütezeit der magischen Kunst der Schaffung von Golems und Automaten in KanThaiPan.

Fela näherte sich weiter der Türe und packte die Puppe an, um sie von dort wegzustellen. In dem Augenblick drehte sich plötzlich ihr Kopf auf sie zu und sie erhielt einen mächtigen Fausthieb ins Gesicht. Während die Heilerin strauchelte erhob sich die Puppe und verwickelte die beiden Frauen in einen Nahkampf. Umgehend wirkte Harkon den Zauber „Rost“ und die Feinmechanik in den Gelenken der Puppe nahm einen bräunlichen Farbton an, woraufhin sie bei jeder Bewegung anfing unangenehm zu quietschen. Die Puppe richtete nun ihr Hauptaugenmerk auf den Hexer und ignorierte die nachgesetzten Hiebe der Frauen. Harkon fuhr umgehend seine Krallen aus, um seinen Kontrahenten zu verletzen. Doch die Puppe war schneller. Mit beiden Händen ergriff sie seine langen Nägel und brach sie mit einem Mal nach hinten ab (20). Harkon schrie erbärmlich auf, doch konterte mit „Verdorren“. Binnen weniger Sekunden verdorrte das linke Holzbein. Als es sich in feinen Holzstaub auflöste, brach die Puppe in sich zusammen. Doch davon ließ sie sich nicht beeindrucken. In einer bemerkenswerten Geschwindigkeit krabbelte sie auf Harkon zu, packte ihn an seinen Beinen und riss ihn zu sich auf den Mosaikgrund. Umgehend waren Isobel und Fela Garcia mit ihren Waffen zur Stelle, um ihrem Gefährten beizustehen. Während die Fian mit ihrem Schwert die Mechanik des rechten Arms zertrümmerte, stieß die Heilerin die hintere Spitze ihres Stabes mehrfach in den Kopf des Automaten, bis die kristallinen Augen zersplitterten und die Puppe sich nicht mehr rührte.

Harkon richtete sich wieder auf und trat näher an den vollkommen zerstörten Automaten heran und versuchte irgendwie die Teile ordnungsgemäß zusammenzufügen. Einige Augenblicke später verzweifelte er aber aufgrund seiner Unkenntnis die unzähligen Komponenten der komplizierten Mechanik wieder aneinander zu fügen. Er fiel auf die Knie und trauerte um diesen Verlust des kunstvoll gearbeiteten Automaten. Solche Kunst war heutzutage nahezu in Vergessenheit geraten und nun waren sie selbst gezwungen gewesen ein solch seltenes Überbleibsel zu zerstören. Er verteufelte sich selbst für ihr aller Pech. Grob legte er die Teile beieinander, sodass sich wieder einigermaßen eine menschliche Gestalt ergab und fertigte ein Bild des künstlichen Wesens als Erinnerung für sich an.

Danach öffneten sie die Mormortüre, die sich erstaunlicherweise geräuschlos und leichtgängig aufdrücken ließ und gelangten in den nächsten Raum. Der Raum (2) war wie ein vornehmes Wohnzimmer eingerichtet. Geschnitzte Hocker und mit roter Seide gepolsterte Bänke sowie kleine Tischchen bildeten die Einrichtung. Wunderschöne Holzparavents, die in filigranem durchbrochenen Schnitzwerk Blattwerk und Vögel beim Nestbau darstellten, waren im Raum verteilt aufgestellt. Feine Seidenteppiche lagen auf dem Boden ausgebreitet. An den Wänden hingen Seidenrollen mit Landschaftsmalereien. Ein Go-Spiel aus weißer und grüner Jade lag auf einem der Tischchen, auf einem anderen die angefangene Stickerei eines blühenden Apfelbäumchens. Verteilt im Raum aufgestellte Kohlebecken warteten darauf, gefüllt zu werden und die Lampen an den Wänden enthielten sogar noch Öl. An der gegenüberliegenden Wand befand sich eine weitere Marmortür gleicher Bauart, wie jene, die sie gerade passierten. Auf jedem Türflügel war eine Einlegearbeit aus Silber in Form einer Elster zu erkennen. Beide Elstern blickten zur Mitte der Tür, wo sich ein etwa zwanzig Zentimeter großes rundes und rotes Medaillon befand, das sich über beide Türflügel erstreckte.

Sie wunderten sich. Auch wenn alles alt wirkte, so blieb es jedoch vom Verfall verschont und glänzte noch wie neu. Auch von Staub war nirgends etwas zu sehen. Vorsichtshalber blickten sie hinter die Seidenrollen, die vor den verputzten Wänden aufgehängt worden waren und leuchteten jede Ecke des Raums mit ihren Leuchtsteinen aus. Doch sie konnten nirgends eine Gefahr erkennen. Da es hier scheinbar sicher war und es draußen bereits dunkel sein musste, beschlossen sie die Nacht in diesem Raum zu verbringen und stellten Nachtwachen auf.

Als Harkon mit seiner Nachtwache an der Reihe war, musste er sich einfach an Fela Garcia für das Chaos auf der Lichtung rächen. Immerhin verstieß sie gegen den gemeinsamen Pakt Sarazian die Wahrheit bezüglich ihrer Mitschuld beim Tode seines Stiefbruders vorzuenthalten. Und dies hatte dazu geführt, dass nun er als haupter Schuldiger angeprangert und sogar sein geliebter Sarg beschädigt wurde. Vorsichtig und still näherte er sich ihr und beugte sich langsam über ihr Gesicht, um ihr mit einem vampirischen Kuss einen Alptraum zu schenken.

Fela Garcia durchwatete in ihrem Traum einen dunklen und fensterlosen Gang aus Bruchsteinen. Das Wasser hier in der Dunkelheit stand ihr bis zur Hüfte. Sie hielt den Stab mit dem Leuchtstein erhoben, um zumindest irgendetwas hier sehen zu können. Doch dann erklang ein Geräusch und durch den Schreck ließ sie den Stab ins Wasser fallen. Der Leuchtstein glühte aber unter Wasser noch weiter und seine Lichtstrahlen brachen sich an der aufgewühlten Wasseroberfläche und warfen ein schauderhaftes Lichtspiel an das alte Deckengewölbe. Doch da war noch etwas anderes! Von vorn aus dem Gang schlugen ihr kleine Wellen entgegen, ganz so, als ob sich dort etwas bewegen würde. Sie musste sich verteidigen, doch sie hatte keine Waffen dabei! Dann packte sie etwas plötzlich an ihren Füßen und riss sie mit sich in die Tiefe.

Isobel bemerkte, nachdem sie am Morgen aufgestanden war, wie sich die Heilerin in ihrer Decke unruhig hin und her wälzte. Sie ging zu ihr herüber und weckte sie aus ihrem Alptraum auf. Sofort als sie ihre Augen öffnete, versuchte sie die Fian, wie aus einem Reflex heraus, zu schlagen, sprang auf und stürmte aus dem Grab heraus. Isobel folgte ihr abermals und stellte sie im Freien zur Rede. Fela war ganz aufgewühlt und hatte schreckliche Angst vor der Tiefe. Sie wollte keineswegs ins unbekannte Wasser steigen, da dort die untoten Wasserleichen nur auf sie lauerten. Isobel nahm sie in ihren Arm. Und nachdem sie ihr versprach, dass sie in diesem Grab nur auf dieser Ebene bleiben wollten, gingen sie wieder hinein, wo Harkon bereits auf sie wartete.

Gemeinsam stellten sie sich nun vor die Türe. Doch als Harkon versuchte den ominösen Verschlussmechanismus zu berühren geschah etwas Eigenartiges. Die beiden Einlegearbeiten in Form von metallenen Elstern lösten sich einschließlich des roten Medaillons von der Türe, entwickelten ein Eigenleben und flogen auf. Sie trugen zwischen sich ein silbernes Band in ihren Schnäbeln, auf dem das rote Medaillon tanzte und kreiselte, was sie an ein Diablo-Spiel erinnerte. Doch dann leuchtete das Medaillon für einen Sekundenbruchteil auf und entlud sich. Dabei verschoss es einen magischen Blitz auf jeden von ihnen. Es war eine Falle! Schnell streckte Fela Garcia ihre Rechte aus und sprach „Heranholen“, woraufhin eine der Elstern die Schnur losließ und langsam auf sie zu schwebte. Das Medaillon fand dadurch keinen Halt mehr auf der Schnur und stürzte Richtung Boden. Nur durch das schnelle Eingreifen und Auffangen Isobels konnte verhindert werden, dass es auf dem Boden zerschellte. Fela fing die Silberelster und hielt sie mit ihren Händen gefangen, was dazu führte, dass die zweite Elster nun anfing mit ihrem Schnabel auf Isobel einzuhacken. Wütend darüber traf die Fian den Vogel mitten im Flug und ließ ihn unsanft auf dem Grund landen, wo er sich nicht mehr bewegte und in einer seltsam deformierten Haltung wieder verfestigte. Harkon hatte derweil „Macht über magische Wesen“ ausgesprochen und den Vogel in Felas Händen unter seine magische Kontrolle gebracht. Er zwang die Elster dazu eine majestätische Pose mit weit ausgestreckten Flügeln einzunehmen und so warteten sie dann bis die Wirkung des vermeintlichen „Belebungshauchs“ nachließ. Nur zwei Minuten war es dann so weit und auch dieser Vogel erstarrte.

Isobel hatte nun Zeit genug sich das Medaillon anzusehen. Es war metallen und mit rotem Lack bemalt, auf dem ein geflügelter Affe mit Hörnern und Krallen an den Händen und Füßen abgebildet war. Die Hinterseite ließ sich sogar aufschrauben, doch es war leer.

Danach öffneten sie die Türflügel und betraten einen ähnlich großen Raum, wie den vorherigen (3). Die Wände waren mit stilisierten Bäumen und Blüten bemalt und ein großes Himmelbett war in der Raummitte aufgestellt. Die Vorhänge dieses Bettes waren aus feinster hellgelber Seide mit eingestickten lilafarbenen Pflaumenblüten. Daunengefüllte Kissen aus goldenem Satin waren auf dem Bett aufgetürmt und eine Decke aus schneeweißer Mohairwolle lag darauf ausgebreitet. Zudem umspielte dieser Raum, von dem aus drei weitere Türen fortführten, ein feiner Apfelduft.

Nach Fallen an zwei Türen waren sie schon so verunsichert, dass sie Harkon vorschickten, um mittels „Erkennen der Aura“ alle drei zu überprüfen. Tatsächlich stellte es sich heraus, dass von allen drei eine schwache Magan-Aura ausging. Konnte das sein oder war hier im Grab womöglich alles mit einem Zauber belegt? Dies könnte auch die Antwort auf die Frage sein, warum hier noch alles so hervorragend erhalten war. Vereint suchten sie weiter, doch konnten auch nirgends thaumaturgische Zeichen finden, die auf etwaige Fallen hindeuteten.

Fela war erschöpft, weil sie in der vergangenen Nacht nicht gut geschlafen hatte. Und so lachte sie mittlerweile das kuschelig wirkende Bett an. Doch sie würde keineswegs jetzt einschlafen können, denn sie war zwar sehr erschöpft aber leider nicht müde.

Dann öffneten sie doch noch die mittlere Türe. In diesem Raum (6) stand ein großer Sarkophag aus weißem Marmor in der Mitte. Die Wände waren auch hier mit bunten Fresken geschmückt, die verschiedene Jagdszenen zeigten, bei denen jeweils eine hübsche Frau und ein Knabe dargestellt waren. Ein bunter Tiger aus Stoff, wie er im Neujahrstanz von mehreren Männern getragen wurde, lag auf dem Sargdeckel und der Boden war mit bunten Federn bestreut.

Umgehend beschlich sie das dumpfe Gefühl, der Drache könnte lebendig werden und sie jeden Moment angreifen. Darum machten sie kehrt. Als Isobel und Fela Garcia bereits den Raum verlassen hatten und Harkon im Begriff war die Türflügel wieder zu verschließen, erklang eine sanfte Stimme aus dem Raum. Harkon wurde von seiner Neugierde übermannt und musste einfach nachsehen, wer dort sprach und betrat so den Raum erneut. Vor dem Sarg erschien der Geist einer wohlgekleideten Dame mit einem ebenso geisterhaften Knaben auf ihrem Arm. Sie stellte sich förmlich als Prinzessin HaiTang mit ihrem Sohn Han vor. Jetzt wurden auch die beiden Abenteurerinnen auf die Situation aufmerksam und folgten Harkon.

Nachdem sich auch die Fremden vorstellten, bat HaiTang sie um einen Gefallen. Doch dafür musste sie erst einmal ihre Geschichte erzählen. Durch ein scheinbares Fremdverschulden wurde ihr ihr Sohn geraubt und getötet, der eigentlich hätte Kaiser von KanThaiPan werden sollen. Als dann ihr Neffe schließlich den Thron bestieg, kam sie nicht über den Verlust und den Verrat ihres eigenen Bruders hinweg, der den Tod ihres Sohnes zu verantworten hatte und verstarb an ihrer unendlichen Trauer darüber. Um ihre Linie fortzusetzen haben die anderen Fürsten dann beschlossen eine entfernte Verwandte einzusetzen, die an ihrer Stelle im Schloss TinKaTuh residieren und herrschen sollte. Leider wurde auch diese Linie unterbrochen, als die Spinnendämonin erwachte und die letzte Prinzessin ihrer Linie namens LinYa entführte. Doch selbst heute noch, nach all den Jahren, fühlte sie noch die lebendige Präsenz dieser Prinzessin. Darum bat sie die Abenteurer darum jene Prinzessin zu retten, damit ihre Linie fortbestehen konnte. Als Dank würde sie ihnen verraten, wo sie einen versteckten Schatz finden könnten. Isobel mutmaßte laut, ob es sich dabei um ihre Grabbeigaben handelte, was HaiTang nur mit einem Schweigen quittierte. Sie bräuchten dafür nichts weiter tun, als des nachts den Spinnen zu folgen. Die drei erinnerten sich daran, dass sie von verschiedenen Seiten aus nachdrücklich davor gewarnt wurden, den Spinnen zu folgen. Doch dann gaben sie sich selbst einen Ruck und versprachen der Prinzessin LinYa zu retten.

Jetzt wo sie offiziell im Auftrag der Prinzessin unterwegs waren würden die Fallen in diesem Grab mit Sicherheit nicht mehr von ihrer bloßen Anwesenheit ausgelöst werden, nahmen sie an. Aus diesem Grund erkundeten sie nun losgelöst von Angst auch noch die restlichen beiden Räume.

Ein Raum entpuppte sich dabei als ein Badezimmer (4). Der Boden dort war aus weißem Alabaster und senkte sich zur Mitte hin deutlich nach unten. An der tiefsten Stelle stand ein rundes Alabasterbecken mit einem dreißig Zentimeter hohem Rand, das mit Wasser gefüllt war. Am hinteren Ende der Wand befanden sich regalartige Nischen in der Marmorverkleidung, die mit silbernen Ornamenten verziert waren und in denen kleine Gegenstände aufbewahrt wurden. Dazu zählten Handtücher, Duftflakons, Öle, Naturschwämme und Bürsten, sowie ein paar Enten aus gelb glasiertem Lack, bunt bemalte Holzfrösche und detailgetreue kleine Spielzeugdschunken. Die Öle und Duftflakons verschwanden dabei schnell in Harkons Gepäcktasche.

Der zweite noch nicht erkundete Raum war hingegen wie ein Kinderzimmer eingerichtet (5). Es gab ein Bett mit Kissen aus bunter Seide, kleine Tischchen und Hocker, einen kleinen Schreibtisch aus Ebenholz mit eingelegten Elefantenmustern aus Elfenbein und weiche Teppiche in bunten Farben. An den Wänden hingen farbige Drachen aus Papier und Seide. Nur der hölzerne Kindersarg in der Mitte des Raumes störte das Bild ein wenig. Nur kurz ließen sie hier ihre Blicke schweifen und entdeckten dabei neben dem Bett noch ein echtes ausgestopftes Pony und eine in Reih und Glied aufgestellte Terrakottaarmee aus hundert kleinen Figürchen auf dem Boden, zu der auch Pferde, Streitwagen und ein General gehörten

Obwohl sie noch gar nicht richtig müde waren und dies eine Grabstätte war ruhten sie sich erneut aus. Fela Garcia ließ sich sogar in der Wanne im Bad Wasser ein, um ein wenig auszuspannen und ihre noch immer durch ihren Sturz in die Senke verdreckte Kleidung zu reinigen.

Gegen Mittag überkam sie auf einmal die Erleuchtung. Warum sollten sie überhaupt bis zum Einbruch der Nacht warten, um den Spinnen in ihr Nest zu folgen? Sie könnten sich doch auch gleich schon auf die Suche nach ihnen begeben. Dann müssten sie auch nicht die Gefahr eingehen sich den Schrecken der Nacht zu stellen. Schnell packten sie ihre Habe zusammen und verließen das Grab.

 

Akt 66:

Im Tal der Spinnen:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Isobel Grnflamme (Erainn, Fian)

 

Auf der alten langen und geraden Handelsstraße in Front des Grabes dauerte es nicht nicht lange, bis sie unzählige kleine Beinabdrücke auf dem erdigen Grund ausmachten, wie sie sie schon des Öfteren hier sahen. Dies musste zweifelsohne eine der Spinnenstraßen sein, die quer durch den Wald verliefen. So taten sie zweierlei Dinge, vor denen sie gewarnt wurden. Einerseits den Spinnen folgen und andererseits die befestigten Wege verlassen. Doch im Augenblick war ihnen dies egal, denn sie hatten versprochen die Linie von Prinzessin HaiTang wiederherzustellen. Und dafür war es wohl nötig irgendwie ungesehen in das Nest der Spinnen einzudringen und ihre Geisel LinYa zu befreien.

Als sie erst wenige Meter tief in das Unterholz vorgedrungen waren, meinten sie kurz menschliche Stimmen aus Richtung des Handelsweges zu vernehmen. Es musste sich bei ihnen um eine ganze Gruppe von Männern handeln. Doch dafür hatten sie gegenwärtig keine Zeit.

Nach einigen hundert Metern wussten sie bereits, dass sie auf der richtigen Spur waren, denn an den Bäumen befanden sich zahlreiche Netze und von den Ästen hingen große Kokons an dicken Seidenfäden hinab, in denen wohl irgendwelche Beutetiere vor sich hin trockneten.

Als sie dann den Spuren zu einer wenige Meter großen und tot wirkende Lichtung folgten, entdeckten sie in deren Zentrum ein steil abfallendes Loch im Boden. Schnell holten sie ein Seil aus einem ihrer Rucksäcken heraus, befestigten dieses an einem nahen Baum und warfen das andere Ende in das Loch. Harkon nahm sich noch die Zeit um „Aurentrug“ auf sich zu wirken, während Isobel die Spitzen von ein paar ihrer Pfeile mit Netzen fest umwickelte. Diese improvisierten Feuerpfeile würden zwar gewiss nicht gut fliegen, könnten ihnen aber in ihrer Not mit Sicherheit gute Dienste erweisen.

So kletterten sie am Seil in das Loch hinab. Es war weniger tief als angenommen, denn schon nach ungefähr fünf Metern hatten sie den Grund erreicht. Von dort aus führte eine waagerechte Höhle weiter in das unbekannte Erdreich. Der gesamte Gang war mit teils klebrigen Spinnweben ausgekleidet, die an ihrer Kleidung hafteten. Zudem war die Höhle an manchen Stellen so niedrig, dass sie sich gebückt vorwärts bewegen mussten, um sich nicht ihre Köpfe an der Decke oder an heraushängenden Wurzeln zu stoßen. Dann gelangten sie an einer Stelle an, an der sie irgendeinen Widerstand spürten. Da sie den Grund für diesen Widerstand nicht ausmachen konnten, gingen sie davon aus, dass es sich um Magie handelte und dahinter das eigentliche Reich der Spinnen begann. Sie nahmen ihren ganzen Mut zusammen und kämpften sich durch die zähe Luft dieser Stelle hindurch. Danach konnten sie sich wieder frei und unbeschwert bewegen.

Sie traten aus der Höhle hinaus ins Freie und mussten mit Erschrecken feststellen, dass sie sich wohl nicht mehr in ihrer eigenen Welt befanden. Sie fanden sich in einem Talkessel mit steil aufragenden Felsklippen zu allen Seiten wieder. Doch der hier vorherrschende Nebel war mancherorts so dicht, dass sie unmöglich das obere Ende der Klippen oder die Größe dieses Tals ausmachen konnten. Obwohl hier finsterste Nacht herrschte und die Sichel eines blutroten Mondes nur schwach am Himmel zu sehen war, schien ein fremdartiges Licht den Nebel und auch die überall vorherrschenden Spinnweben weiß erstrahlen zu lassen. Der Boden auf dem sie standen war zwar mit Gräsern bewachsen, doch es schien nicht grün zu sein, sondern wies einen Braunton auf. Generell gab es hier nichts, was der Farbe grün auch nur annähernd ähnelte. Es herrschte kein Wind, sodass die Nebelschwaden und auch die Wolken am Himmel sich nicht bewegten. Am Ende des Lichtscheins ihrer Leuchtkristalle konnten sie sogar noch die flache Wand eines alten Gebäudes ausmachen. Isobel war die ganze Lage nicht geheuer und verzauberte prompt ihr Schwert mit dem Spruch „Elfenklinge“.

Zielstrebig gingen sie auf das Gebäude zu, was sich aus der Nähe als eine uralte fünfstöckige Pagode entpuppte. Sie war schon längst Opfer der Zeit geworden. Die Farbe blätterte ab und offenbarte ihre Ziegelwände, das Holz war morsch und viele Dachziegel lagen schon heruntergefallen und zerborsten um sie herum. Da die Türe offen stand, wagte Fela einen kurzen Blick ins Innere. Auch hier sah es nicht besser aus, denn die Zwischendecken waren schon längst eingestürzt und türmten sich zu hohen Schuttbergen im Eingangsbereich auf. Dafür waren alle Wände mit Dutzenden von Kokons regelrecht zugepflastert, ganz so, als ob das Gebäude heute als Vorratslager von den Spinnen genutzt wurde.

So wandten sie sich von der Ruine ab und traten wieder auf die offene Fläche. Wegen einer inneren Eingebung, dass sich wohl etwas in dem hohen Gras befinden und auf sie lauern könnte gingen sie nur über die unbewachsenen Flächen. Auf ihrem Weg hielten sie sich stets entlang der Klippen zu ihrer Rechten, um nicht die Orientierung zu verlieren.

So kam es dann doch, dass sie ein kleines Wäldchen durchqueren mussten, obwohl ihnen dies Unbehagen bereitete. Sie kamen sich beobachtet vor und achteten bei ihrem Durchschleichen stets auf die blattlosen Äste der Bäume, die vollkommen eingesponnen waren mit Gespinsten. Dichtere Areale des Gestrüpps mieden sie vorsichtshalber, um sich nicht in den Netzen zu verfangen. Doch ihre Vorsicht hier schien unbegründet, denn sie traten ohne Schwierigkeiten wieder auf der anderen Seite auf die erdige Ebene des Talkessels.

Der hiesige Teil des Tals war enger, sodass sich der Nebel hier nicht so breitflächig ausgebreitet hatte und sie darum einigermaßen weit sehen konnten. Die Klamm, in der sie sich nun befanden, knickte scharf nach links ab und führte in einen sehr dicht bewachsenen Wald. Die Kronen der dortigen Bäume trugen prall gefüllte Kokons, was aus der Ferne wie surreal wirkende Früchte aussah. Interessiert gingen sie zu einem bodennahen Kokon ganz am Waldrand und öffneten ihn. Heraus purzelte der gänzlich trockene und wohl von Spinnen ausgesaugte Leichnam eines Menschen. Hier wollten sie nun keineswegs entlang! Aber sie konnten noch einen Höhleneingang vor sich im Fels ausmachen, der sie aufgrund der hölzernen Stützbalken an einen alten Minenstollen erinnerte.

Dann hörten sie mehrere Schritte, die sich ihnen aus dem Wald heraus näherten. Sie zogen sich erst einmal auf offenes Gelände zurück, um abzuwarten, mit wem sie es zu tun bekämen. Nur wenige Augenblicke später traten fünf menschliche Krieger in Rüstung und mit Langschwertern bewaffnet hinter den Bäumen hervor und schlürften langsam auf die Abenteurer zu. Sie wirkten untot, denn ihre Haut war sehnig und jede Farbe war von ihnen gewichen. Ihre Augen waren eingefallen und einem fehlte sogar der halbe Kopf. Langsam aber zielstrebig näherten sie sich immer weiter. Die Abenteurer indes wollten kein Risiko eingehen und dieser Konfrontation am liebsten aus dem Weg gehen. Fela wirkte noch schnell ihre Bannsphären mit ihrem Stab der drei Jahreszeiten und dann zogen sie sich auch schon in den Schutz des Höhleneingangs zurück. Zwar folgten ihnen die Krieger, doch so langsam wie ihre Verfolger waren, dürften sie ihnen wohl ohne größere Schwierigkeiten entkommen.

Der Stollen, dem sie folgten, wandte sich durch mehrere Kurven immer weiter in den Berg hinein. Es gab keinerlei Abzweigungen, sodass nicht die Gefahr bestand sich zu verlaufen. Dann endete der Gang plötzlich und die Schritte hinter ihnen hallten lauter, auch wenn sie die Krieger noch nicht zu Gesicht bekamen. Doch es war keine Sackgasse. Auf ihrer linken Seite entdeckten sie einen Durchbruch, der in einen mit massiven Holzbrettern beschlagenen Raum führte und in dem sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Türe befand. Leider war diese mit einem Vorhängeschloss gesichert und so machte sich Isobel daran diese aufzutreten.

Aber es war bereits zu spät, denn im Durchbruch tauchten bereits die fünf Krieger auf, die sich nebeneinander aufreihten, um die Abenteurer an einer Flucht zu hindern. Ein „Erkennen der Aura“ ergab nichts. Hieß das sie waren weder untot noch lebendig? Lebendige Menschen müssten nämlich in einer anderen Sphäre eine Mittelwelt-Aura aufweisen, doch das taten sie auch nicht. Fela ließ sich davon nicht beirren und sprach „Ring des Lebens“, ein mächtiger Zauber der untoten Kreaturen immensen Schaden zufügte. Doch als der Zauber ihre Verfolger traf blieben diese vollkommen unbeeindruckt davon. Dann ging Harkon ein Licht auf. War es möglich, dass diese Krieger tatsächlich tot waren und sie im Hintergrund von irgendeinem Puppenspieler gelenkt wurden? Während sich nun die Fian mit ganzem Körpereinsatz gegen die Türe warf, kamen die Krieger langsam aber sicher immer näher an sie heran. Als sie nur noch fünf Meter trennte musste Harkon etwas tun. Er ging ein paar Schritte auf ihre Feinde zu und beschwor eine „Feuerkugel“. Zur Not würde er sie mit nur einem Zauber vernichten. Doch dann ließ einer der Krieger seine Waffe fallen und rannte auf ihn zu und in die Feuerkugel hinein. Diese detonierte in einer gewaltigen Explosion und riss den Krieger in Stücke. Harkon wurde ebenfalls durch diesen unvorhergesehenen Angriff und die vorzeitige Wirkung seines eigenen Zaubers nach hinten geschleudert und erlitt dabei schwere Verletzungen. Doch als er wieder aufstand, sah er, dass auch ein anderer Krieger, der sich nur am äußersten Wirkungsrand der Explosion aufgehalten hatte, einfach in sich zusammenfiel und sich nicht mehr rührte (1). Dieser hätte eigentlich nur sehr leichte Verletzungen erleiden müssen, was ihn keineswegs hätte töten dürfen. Daraufhin rannten die übrigen drei Krieger gleichzeitig auf die Abenteurer zu und verwickelten sie in getrennte Einzelkämpfe. Fela Garcia stärkte ihre Barriere, doch zu ihrer Überraschung lief ihr Gegner einfach durch diese hindurch und verletzte sie mit einem Schwerthieb. Jetzt wurde auch ihr bewusst, dass Harkon Recht hatte. Ihre Gegner waren nicht untot sondern wirklich tot! Während sich Harkon gegen seinen Gegner behauptete wiederholte er seine Vermutung, dass ein Puppenspieler dahinter steckte. Dieser musste sich irgendwo ganz in ihrer Nähe aufhalten, um die Situation zu überblicken. Dann nahm er an seinem Gegner, als er mehrere aufeinander folgende Hiebe abwehrte, hauchdünne Spinnenfäden wahr, die aus dem Gang zu kommen schienen und machte seine Kameraden darauf aufmerksam. Isobel zerteilte ihren Kontrahenten mit einem mächtig geführten Schlag in zwei Hälften, wandte sich blitzschnell um und durchtrennte die Fäden, die zu dem Krieger führten, der die Heilerin beharkte. Umgehend sackte dieser in sich zusammen und regte sich nicht mehr. Das war die Lösung! Harkon löste sich von seinem Gegner und folgte rasch den Fäden in den Gang, durch den sie vorhin kamen. Während die Fäden scheinbar dem Stollen nach draußen folgten, entdeckte er noch eine tellergroße Spinne an der Wand, die mit ihren acht Augen die Geschehnisse im Raum überblickte. Als Fela Garcia gerade ihren Gegner mit ihrem Stab zu Boden knüppelte, sprang die Spinne plötzlich auf Harkons linken Arm und rammte ihm ihre Cheliceren, ihre Kieferklauen, ins Fleisch. Doch schon war die Heilerin zur Stelle, holte mit ihrer Waffe weit aus und katapultierte die Spinne mit einem kraftvollen Hieb fort. Eine grünliche Körperflüssigkeit benetzte beide, als der Schlag der Spinne ihr Leben aushauchte und sie unweit von ihnen mit ihren Beinpaaren zuckend liegen blieb.

Sie atmeten tief durch. Harkon bekräftigte zum wiederholten Male seine These, dass ein Puppenspieler hinter diesem Angriff steckte, der mit den Spinnfäden die toten Krieger steuerte. Aber ihr Feind befände sich wohl doch nicht in ihrer Nähe, sondern versteckte sich irgendwo an einem sicheren Ort. Wahrscheinlich verfolgte er diesen Kampf sogar durch die Augen der Spinne, die sie soeben erledigten. Und dieser Puppenspieler war gewiss nicht dumm, denn er hatte sogar seinen gewirkten Zauber erkannt und bereitwillig eine seiner Marionetten geopfert, um die anderen zu schützen. Mit einer solchen Taktik hatte Harkon nun wirklich nicht gerechnet.

Während der Hexer die tote Spinne für Forschungszwecke einsackte, gelang es der Fian die Türe zu öffnen. Doch gerade als sich die Heilerin um Harkons Verbrennungen kümmern wollte, hörten sie bereits, trotz ihres Hörsturzes durch die gewaltige Explosion der Feuerkugel in diesem kleinen Raum, das näher kommende Krabbeln unzähliger Beinpaare. Schleunigst eilten sie durch die geöffnete Türe nach draußen.

Sie befanden sich wieder im Freien und verschlossen kurzerhand die massive Holztüre zum Stollen hinter sich mit Harkons Befestigungszauber. Dies würde die Spinnen zwar nicht lange aufhalten, ihnen aber kostbare Zeit schenken. Dann blickten sie sich um und ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Sie befanden sich nun inmitten eines dichten toten Waldes, der gänzlich weiß vor lauter Netzen erstrahlte. Überall waren Kokons unterschiedlicher Größe versponnen und zudem war nun ihr Rückweg blockiert. Die Lage war aussichtslos und so konnten sie nur noch die Flucht nach vorne antreten. Immer weiter hinein in diese weiße Hölle aus Spinnennetzen.

Während sie so wanderten durch das finstere Tal ließen sie ihre Blicke schweifen. Die Wolken am Himmel über ihnen hatten sich kein Stückchen bewegt seit sie in dieser Welt angelangten und selbst ihre Formen waren unverändert. Lag dies wirklich nur an dem nicht vorhandenen Wind oder verging hier in dieser fremdartigen Welt sogar die Zeit anders?

Sie schlichen durch den Wald und behielten unentwegt die Umgebung im Auge. Von überall her näherten sich ihnen neugierige Spinnen, die jedoch einen sicheren Abstand zu ihnen bewahrten. Selbst von den Ästen über ihnen ließen sich einige, teils große Exemplare, an dicken Fäden aus ihren Hinterleiben zu ihnen hinabund blickten ihnen nach.

Dann tat sich vor ihnen ein wahrhaft gigantisches Gespinst auf. Dieses festungsähnliche weiße Gebilde, welches in seiner Größe einer albischen Burganlage in nichts nachstand, musste das Herz des Tals der Spinnen sein, wo deren Herrin, die mächtige Spinnendämonin, residierte. Und höchstwahrscheinlich befand sich auch dort drinnen die gesuchte und vor vielen Jahren entführte Prinzessin LinYa. Auf was hatten sie sich bloß eingelassen? Sie entzündeten ihre Fackeln. Falls es zum Äußersten käme, dann würden sie nicht kampflos untergehen, sondern das gesamte Nest mitsamt der Brut mit sich in den Tod reißen. Ihr Schicksal wäre dann besiegelt, das wussten sie. Darum versuchten sie zunächst einmal eine versöhnliche und für beide Seiten gütliche Lösung zu finden. Immerhin waren die Spinnen nicht dumm, wie sie bereits bemerkt hatten, und daher konnte man vermutlich sogar mit ihnen verhandeln.

In Front des Nestes riefen sie lauthals zu Verhandlungen auf und warteten dann gespannt, ob sie eine Reaktion erhielten. Sie waren zwischenzeitlich schon von aberhunderten von Spinnen unterschiedlicher Größe umzingelt, als eine besonders auffällige Spinne aus dem Nest heraus auf sie zu krabbelte. Es war die Spinne, die einen menschlichen Kopf als Korpus besaß, die sie schon einmal im Selbstmordwald gesehen hatten. Alle anderen Spinnen machten diesem Exemplar Platz, damit es auf die drei Abenteurer zugehen konnte. Aus dem Mund des menschlichen Schädels fragte sie die Spinne dann, was ihr Begehr wäre. Die drei baten förmlichst um eine Audienz bei ihrer Herrin, um LinYa mit einem Deal zu befreien. Doch was hatten die Abenteurer im Gegenzug anzubieten? Nichts, denn darüber hatten sie sich noch gar keine Gedanken gemacht. Allerdings war es auch nicht die Aufgabe der Kopfspinne dieses Gespräch zu führen und daher gab sie ihnen die Anweisung ihr ohne die Fackeln zu folgen.

Die Gruppe tat, was die Spinne ihnen anordnete. Sie folgten der Spinne in das Nest und so durchschritten sie mehrere unförmige Räumlichkeiten, die allesamt aus weißem Gespinst gefertigt waren und deren Wände, Böden und Decken keiner geometrischen Form folgten. Mancherorts bemerkten sie sogar einige Gegenstand aus Menschenhand, die die Bewohner wohl im Wald aufgelesen hatten. Zumindest klebten die Netze hier nicht, weil sie wohl nicht zum Einfangen von Beute geschaffen wurden. Auch wenn es sonderbar erschien, doch dieser Gedanke beruhigte sie sogar etwas in ihrer derzeitigen Lage.

Als sie vor einer großen und schmucklosen weißen Wand angelangten, öffnete die Spinne ihnen diese wie einen schweren Vorhang. Sie konnten kaum ihren Augen trauen, was sie dahinter sahen. Dort eröffnete sich ihnen eine riesige gewebte Räumlichkeit, die in ihrer Erscheinung einem Thronsaal glich. Die organischen Wände dieses Raums bewegten sich durch die Last der Bewohner des Nestes seicht hin und her. Flankiert wurde dieses ganze Gebilde durch zwei Reihen von Bäumen deren Stämme aus dem Netzboden herauswuchsen und in der Decke wieder verschwanden und so den Eindruck von mächtigen Pfeilern erweckten. Die Decke war jedoch von einem unendlichen Heer achtbeiniger Wesen bedeckt, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf die drei Gäste richteten. Am anderen Ende vor einer pulsierenden Wand aus prall gefüllten Spinneneiern saß auf einer mehrere Meter großen und dicht behaarten Tarantel die Herrin der Spinnen, die ihren wachsamen Artgenossen unter sich als eine Art lebendigen Thron gebrauchte.

Die Herrin hatte aber überraschenderweise ein menschliches Aussehen. Ihre langen silbernen Haare waren zu einem Zopf gebunden und reichten ihr bis über den Rücken. Zwei kürzere Zöpfe trug sie seitlich ihres Gesichts, die mit Bändern verziert waren. Ihre Lippen und Augen waren giftgrün und ihre Haut bleicher, als es die von Harkon jemals war. Gekleidet war sie in einen langen und schimmernd reinweißen Kimono, der wohl aus Spinnenseide bestand.

Sie durchschritten den Thronsaal, bis sie das andere Ende erreichten. Dann verneigten sie sich vor der Herrin und warteten auf die Erlaubnis sich wieder erheben zu dürfen, was ihnen auch sogleich gestattet wurde. Die Herrin sprang von ihrem Thron herunter, wobei die langen Ärmel ihres Gewandes kurz an ausgebreitete Flügel erinnerten und ging dann gemächlich auf die Abenteurer zu. Lange schon war sie niemanden mehr begegnet, der freiwillig und ohne eine Einladung ihr Reich betrat und fragte sich, was sie dazu veranlasste. Ohne Umschweife baten die drei um die Freilassung von LinYa. Die Herrin schloss kurz die Augen und ging in sich, bevor sie antwortete. LinYa war für sie zu wichtig, als dass sie sie einfach so freigeben könnte. Sie könnte sich nur schwer von ihr trennen, weil sie sich in den vergangenen Jahren so an ihre Anwesenheit gewöhnt hatte. Harkon wunderte sich. Die Herrin der Spinnen wirkte nicht so, wie sie von allen anderen beschrieben wurde. Sie wirkte beinahe schon menschlich. Aber er hörte in ihren Worten auch heraus, dass sie unter gewissen Umständen bereit war sich von ihrer Geisel zu trennen. Auch schien sie an ihrer Gruppe Interesse zu finden und sie nicht einfach nur als Nahrung wahrzunehmen. Selbst die deplatziert wirkenden Gegenstände aus der Menschenwelt in den anderen Räumen passten nicht in dieses Bild, was sie von ihr gezeichnet hatten. Hatte sich die Herrin der Spinnen etwa durch irgendetwas in der Vergangenheit geändert oder alle anderen Wesen nur ein falsches Bild von ihr? Bevor sie noch weiter überlegten und schwiegen ergriff er das Wort. War sie an der Welt außerhalb dieses Tals und ihres Reichs interessiert? An fremden Kulturen oder den fein gearbeiteten Kostbarkeiten der anderen Welt? Zu ihrer Überraschung folgte ein schnelles ja. Doch sie konnte unmöglich ihren Stammsitz verlassen, weil sie ihre Familie nicht zurücklassen konnte. Dies war immerhin ihr zuhause. Und warum kehrte sie dann nach ihrer Befreiung in die andere Welt zurück und nahm die Prinzessin als Geisel? Auch wenn diese Frage etwas direkt und schroff gestellt wurde, beantwortete sie die Herrin. Nach ihrer Befreiung aus dem tausend Jahre bestehenden Siegel war sie erbost und wollte nur noch Rache nehmen. Daher überzog sie die damalige Menschenstadt mit Tod und Vernichtung. Als sie am Ende deren auf einem Berg sicher gelegenes Schloss belagerte und schließlich mit ihren Kindern die Verteidigungsanlagen überwinden konnte, ließ sie auch dort ein Blutbad anrichten. Selbes Schicksal sollte auch die Prinzessin ereilen, doch im ausschlaggebenden Augenblick zögerte sie, denn das fremdartige Gefühl einer unbekannten Verbundenheit mit dieser Frau überkam sie plötzlich. Es war ein Gefühl welches sie niemals zuvor erfuhr und woher dieser Sinneswandel stammte, wusste sie bis heute selbst nicht (SL-Lösung: „Fluch des geschriebenen Wortes“ ausgelöst durch die Liebesbriefe der Stützenpriesterin und des Ronins). Daher war es ihr auch unmöglich sie zu töten, obwohl die Prinzessin darum bat. Sie schläferte darum die gestürzte Herrscherin ein und nahm sie mit in ihre Welt. Nun läge sie noch immer schlafend in einem Nebenraum dieses Saals.

Sie baten darum die Prinzessin sehen zu dürfen und die Herrin kam dieser Bitte nach. Sie folgten ihr in einen Nebenraum, dessen Zugang auch ein feiner Schleier aus Seide war. Hier lag sie nun, die gesuchte LinYa. Sie lag friedlich schlafend in einem großen Himmelbett, das von weiteren weißen Schleiern umflort wurde. Die vier Bettpfosten waren, ähnlich wie der Stamm einer Birke, schwarz und weiß gemustert. Dazwischen spannte sich wiederum das allgegenwärtige Gespinst. Der Baldachin selbst bestand aus einer Masse ineinander verwobener Äste, die ebenfalls mit weißen Fasern und silbernen Bändern umwoben waren. Darunter lag die noch junge Frau in einem weißen, seidenartigen Kleid auf einem großzügig angelegten Haufen aus frischen Chrysanthemen. Sie selbst war mit einer zarten dünnen Decke aus reiner Spinnenseide bis zum Halse zugedeckt. Doch als sie genauer hinschauten entpuppte sich das Bett auf dem sie lag als eine große Gladiatorspinne, die jeweils mit zwei Beinen einen der Bettpfosten bildete.

Dann blickte sie die Herrin der Spinnen an und schlug einen Handel vor. Wenn ihnen die Prinzessin so wichtig wäre, dann dürften sie sie unter einer Bedingung mitnehmen. Für die Erklärung dieser Bedingung musste sie aber etwas weiter ausholen. Sie verfügte nämlich über eine sehr ausgeprägte Gabe der Präkognition, einer außersinnlichen Wahrnehmung, um zukünftige Ereignisse voraus zu ahnen. Deswegen wusste sie, dass bald ein Unheil über sie und ihre Artgenossen hereinbrechen würde, doch nicht genau, um was es sich dabei eigentlich handelte. Wenn sie ihr eigenes Spinnenei, welches die künftige Herrin der Spinnen beherbergte, mit sich in ihre Welt nehmen könnten, dann würde sie auch die Prinzessin freigeben. LinYa sollte dann spätestens nach einer halben Woche aus ihrem magischen Schlaf erwachen, sobald sie wieder in ihrer Welt wären. Sie selbst konnte das Ei leider nicht einem Wesen ihrer eigenen Art anvertrauen, denn irgendwer machte bereits Jagd auf ihresgleichen bei den Nesteingängen. Wenige Stunden zuvor hätte nämlich jemand einen ihrer Zugänge in Brand gesteckt und viele ihrer Schützlinge verletzt und getötet. Bei den Angreifern handelte es sich auch um Menschen und deswegen nahm sie an, dass die drei Abenteurer vor ihr bestimmt nicht von diesen angegriffen werden würden und darum das Ei bei ihnen sicherer wäre. Sie bräuchten auch nicht lange ein sicheres Versteck für ihr Kind finden, denn es sollte bereits innerhalb der kommenden zwei Tage schlüpfen. Jedoch bedeutete ihr dieses Ei das Wichtigste in ihrem Leben und somit konnte sie sich nicht bloß auf ein gegebenes Wort von Fremden verlassen und es ihnen einfach anvertrauen. Um sicherzugehen, dass ihrem Kind nichts geschah, müsste sich einer von ihnen freiwillig melden, dem sie ein anderes Ei einpflanzte. Es wäre bloß ein unbedeutendes Exemplar, welches spätestens einen Tag nach dem Schlüpfen ihrer Tochter von alleine absterben und sich dann spurlos auflösen sollte. Falls ihrer Tochter aber stattdessen etwas zustoßen sollte, dann würde die in ihrem Körper geschlüpfte Spinne ihr Vernichtungswerk beginnen.

Die Abenteurer waren schockiert von diesem Vorschlag und entschuldigten sich, um in einer anderen Raumecke darüber zu diskutieren. Keiner von ihnen war gewillt sich ein Spinnenei einpflanzen zu lassen. Doch dann kam Harkon mal wieder die rettende Idee und wandte sich an die Herrin der Spinnen, um ihr seinen Vorschlag zu unterbreiten. Seine Gruppe hatte ja nur wegen der Rettung LinYas die Gefahr auf sich genommen, trotz zahlreicher Warnungen, dieses Tal zu betreten und aus diesem Grund würden sie es keinesfalls zulassen, dass der Prinzessin etwas geschehe. Konnte sie daher nicht einfach der Prinzessin das unbedeutende Spinnenei einpflanzen? Die Herrin überlegte kurz und ging dann auf Harkons Vorschlag ein. Umgehend ging sie mit kleinen Schritten zum Bett hinüber, schlug die Decke zurück und ergriff sanft den linken Arm der Schlafenden. Mit einem dünnen Spinnenfaden schnitt sie eine kleine Wunde auf und setzte dann ein murmelgroßes Ei hinein. Als sie damit fertig war verband sie die Stelle noch schnell mit einem Linnen. Dann griff sie in ihr Seidenkleid und holte das faustgroße Ei ihrer Tochter hervor. Dieses wickelte sie behutsam in das Seidenlaken vom Bett ein und überreichte es voller Wehmut Harkon.

Einige Minuten später waren sie froh das Gespinst der Herrin verlassen zu können. In Begleitung der Kopfspinne und einiger anderen achtbeinigen Ungeheuern marschierten sie zurück zum Tunnel, wo sie diese Welt betreten hatten. Dieses Mal brauchten sie nichts und niemanden fürchten, denn sie hatten das Kind der Herrin dabei. Allerdings kamen sie nur sehr langsam voran, da Isobel und Fela Garcia die noch immer schlafende Prinzessin trugen, während Harkon das ihm übertragende Spinnenei fest umklammert hielt. Am Eingang trennten sich dann ihre Wege und sie mussten (zum Glück) Abschied von den Spinnen nehmen.

Im Tunnel waren sie erleichtert diese Reise unbeschadet überstanden zu haben. Doch während Isobel, die nun alleiune LinYa trug und voraus ging, problemlos den Übergang der Welten passieren konnte, war für die nachfolgende Fela Garcia der Widerstand zu hoch. Es war beinahe so, als ob eine unsichtbare Mauer sie am Durchgehen hindern wollte. Harkon quetschte sich in dem engen Durchgang an der Heilerin vorbei und versuchte selbst diese Barriere zu durchdringen. Doch auch er hatte größtmögliche Schwierigkeiten dabei. Dann breitete sich Panik unter ihnen aus, denn die Heilerin und Harkon befürchteten schon, sie müssten bis in alle Ewigkeit in diesem Tal gefangen sein. Isobel hatte zwischenzeitlich das Schlamassel ihrer Kameraden hinter sich erkannt und legte LinYa auf dem Boden ab, um sich den anderen beiden zuzuwenden. Sie streckte ihnen ihre Hand direkt beim Übergang der Welten entgegen, ergriff Harkon und versuchte mit aller Kraft ihn zu sich zu ziehen. Doch es war aussichtslos. Dann meinte Isobel, dass der Tunnel enger wurde. Oder trübte sie nur ihre Wahrnehmung? Sie versuchte diesmal stärker den Hexer zu sich zu ziehen und stemmte dafür sogar ihre Füße gegen die nun immer fester werdende Barriere. Derweil versuchte Harkon mit seiner anderen Hand das Spinnenei so an seinem Körper zu positionieren, dass es bei diesem Unterfangen nicht beschädigt wurde. Isobel zog noch fester und so durchbrach Harkon langsam aber sicher die Barriere, bis sein Oberkörper durch war. Aber Fela machte es ihnen dabei nicht einfacher. Aus purer Angst in dieser Welt zurück zu bleiben klammerte sie sich so fest, wie sie nur konnte, an Harkons Beine. Als ihre beiden Kameraden mitten in der Barriere feststeckten, ließ die Fian schließlich völlig entkräftet los. Sie brauchte dringend eine andere Vorgehensweise. Darum nahm sie sich ein paar Sekunden Zeit, um „Schlachtenwahnsinn“ auf sich zu wirken. Mit dieser neu gewonnenen Stärke versuchte sie es erneut und riss so fest an Harkons Armen, bis dieser meinte zerrissen zu werden. Doch mit einem Mal durchbrachen sie die Barriere und stürzten dahinter unsanft zu Boden. Doch sie waren erleichtert und blieben erst einmal dort liegen und verschnauften. Als sie wieder zu Atem kamen realisierten sie, wie sich die Barriere und sogar der Gang immer mehr zuzogen, bis der Tunnel am Ende im festen Grundgestein endete. Der Zugang zum Tal der Spinnen war verschwunden und nun nicht mehr von den anderen Wänden zu unterscheiden. Allem Anschein nach hatte die Herrin der Spinnen mit ihrer Vorausahnung Recht behalten.

Sie kletterten aus dem Loch und auch hier war in der Zwischenzeit die tiefste Nacht hereingebrochen. Doch im Gegensatz zu den Nächten davor hörten sie die vertrauten Geräusche, die man in einem solchen Wald erwartete und nicht mehr diese beklemmende Stille. Und als sie dann in den Himmel blickten waren sie wie verzaubert, denn ein magisches Schauspiel vollzog sich dort. Aus allen Teilen des Waldes schraubten sich nämlich kleine hell leuchtende und tanzende Lichter in den Sternenhimmel empor. Doch dieses Schauspiel währte nicht lange und bald schon waren sie ausgeglüht. Die Geräusche blieben aber, denn der Wald hatte sich verändert.

Sie beschritten den Rückweg zur alten Handelsstraße. Dabei ließ sich Harkon etwas zurückfallen und streichelte sanft das Spinnenei mit den Worten: „Ich gebe dir den Namen Tiatlana, Herrin der Ungeborenen.“

Zurück im Grab betteten sie die noch immer schlafende Prinzessin LinYa unter den wachsamen Augen ihrer Ahnin HaiTang in das Bett und baten Isobel so lange dort aufzupassen, bis diese in wenigen Tagen erwachte. In eine anderer Grabkammer legte Harkon zudem noch das Spinnenei nieder. Hier würde mit Sicherheit niemand danach suchen. Da sie ohnehin schon einmal hier waren und noch einen langen und strammen Marsch vor sich hatten, beschlossen sie eine kurze Rast einzulegen. Damit Fela Garcia sich dabei etwas erholen konnte und nicht wieder von Alpträumen geplagt wurde, raubte ihr Harkon die Träume durch einen weiteren Kuss. Doch nach wenigen Stunden war ihre Rast bereits vorüber und sie traten noch in der Nacht ihren Rückweg zu Hattoris Lichtung an.

 

Akt 67:

Verfolger:

 

teilnehmende Abenteurer:

keine

 

(Notiz: Dieser Akt wurde nie gespielt. Er dient lediglich dazu den Lesern noch offene Fragen bezüglich der Hintergrundgeschichte zu beantworten.)

 

Vor einigen Tagen drang er mit seinen Gefolgsleuten und einer großen Schar von Kriegern und den Unsterblichen, sowie einigen KageMurai und OrcaMurai in diesen geheimnisumwobenen und von Menschenhand fast unberührten Wald ein. Die KageMurai, elitäre Schattenkrieger und Assassinen, sogenannte Ninja, hatte ihnen der neue Daimyo SokugareIemitsu für dieses Unterfangen zur Verfügung gestellt, nachdem dessen Vater, SokugareKanwa, vor zwei Tagen von seinem eigenen und ältesten Sohn ermordet wurde, um selbst an die Macht zu kommen. Bei dieser Gelegenheit ließ es sich Iemitsu auch nicht nehmen sich aller anderen Nebenbuhler auf den Fürstentitel, seiner Geschwister, zu entledigen. Auch wenn der Daimyo nicht zum südöstlichen Landesteil gehörte, wollte er sich vom amtierenden SchiDoscha, dem Kriegsherrn des TsaiChen-Tals, lossagen, weil auch sein Vater bereits mit diesem im Clinch lag, und dem Jadekaiser und damit auch den schwarzen Adepten von nun an dienlich sein. Er wusste, was gut für ihn war und stünde mit dieser Entscheidung gewiss auf der Siegerseite, wenn erst einmal die Revolte der aufbegehrenden Fürsten des Nordens niedergeschlagen sein würden. Doch er tat es sicherlich nicht nur deshalb, sondern weil er sich davon mehr Land und Einfluss erhoffte.

Er selbst, Alchessamiore, der er einer der mächtigsten schwarzen Adepten von KuroKegaTi war und direkt dem Prior des Kurai Anats, der gleichzeitig der Hauptmann von YenXuLu war, Quan, der auch „die Faust“ genannt wurde (siehe: Buch 0 „Dämonenkerker“, „Charaktergeschichte: Inari KagayakuYama“), unterstand, ablag es nun den Auftrag seines Obersten zu erfüllen und diese kleine Gruppe von fremdländischen Abenteurern, die auf den Pfaden der langen Pilgerreise wandelten, zu vernichten.

Da sie die Route der Auserwählten in Erfahrung bringen konnten, übergaben sie einem berittenen Boten des Kaiserhauses vor wenigen Wochen, der ohnehin in den Selbstmordwald zu ihrem Forschungsteam im ehemaligen Viarchengrab geschickt werden sollte, den Auftrag, diese ebenfalls über das baldige Kommen der Abenteurer zu informieren. Zu ihrer Enttäuschung kehrte der Bote jedoch nie zurück. Doch dies sollte keinen Einfluss auf ihr Vorhaben haben, denn solche Boten waren austauschbar und so ließ sich dieser Posten mit Leichtigkeit mit einem der unzähligen Emporkömmlingen des Adels neu besetzen.

Die vergangenen Tage waren schwer für seine Truppen, die ausgesandten Späher kamen entweder völlig verängstigt, ausgedünnt oder gar nicht mehr zurück und geisterhafte Schemen verführten unachtsame Alleingänger zu grausigen Selbstmorden. An die Schlacht mit den unendlichen Horden von Spinnen in ihrer ersten Nacht, direkt nachdem sie ihr gewaltiges Feldlager zwischen den Bäumen aufgeschlagen hatten, war mit das Grausigste, was er jemals sah. Wie eine schwarze Masse schossen sie aus ihren Löchern und fielen über seine Krieger her. Und in ihrer Mitte, aber in sicherer Entfernung zu seinen Bogenschützen und Magiern, stand eine bleiche Frau in einem weißen Kimono mit roten Markierungen im Gesicht und silbernem langen Haar, die scheinbar die achtbeinigen Dämonen befehligte und mit ihren Händen messerscharfe Spinnweben beherrschte, die seinen Männern die Gliedmaßen mit Leichtigkeit abtrennte. Doch dann geschah am gestrigen Abend etwas Seltsames. Tausende Lichter stiegen zum dunklen Himmel empor, ein einerseits beängstigendes und andererseits hoffnungsvolles Schauspiel, welches jede Wache für den kurzen Moment, in dem es andauerte, in seinen Bann zog. Die Nacht zu heute war dann die erste, in der Ruhe herrschte und ein jeder beruhigt schlafen konnte. Weder die Spinnen noch die Geister waren aufgetaucht und stattdessen herrschten die gewohnten Geräusche eines ganz normalen Waldes vor. Wenn diese Ruhe von Dauer war, dann könnte er erneut versuchen Späher auf die Suche nach den Auserwählten auszusenden.

Alchessamiores Blick fiel auf den übermächtigen Hünen in der schwer gepanzerten Rüstung, der etwas abseits stand. Und mit diesem Fremden sollte er nun diese Mission leiten? Das konnte spannend werden. Der Fremde durchschaute ihn, mehr noch, sein Blick durchbohrte ihn schier, als ob er spielend in seine Seele und in seine Vergangenheit schauen könnte. Der Fremde wusste, dass er in Wirklichkeit nur eine Maske trug und sich als Alchessamiore ausgab, um mit diesem altehrwürdigen und mächtigen Namen Eindruck vor seinen Untergebenen zu hinterlassen. Der richtige Alchessamiore verschwand nämlich kurz nach dem Krieg der Magier und es hieß, dass seine letzte Reise ihn nach Nahuatlan geführt hatte, von der er nie wiederkam. Er war in Wahrheit ein KanThai mit Namen HanNiuPang, der sich aufgrund seiner magischen Begabung schnell in den Reihen der Schwarzen Adepten hocharbeiten konnte und dann den Namen Alchessamiore annahm um Eindruck zu hinterlassen. Auch wenn er sich keine Gefühle anmerken durfte, so trauerte er doch innerlich noch über den Tod seines Bruders, dem Räuberhauptmanns „der Söhne der Wälder“, Hideyoki, der seine Lieblingsmarionette dargestellt hatte. Durch seine Augen sah er, dass er nicht nur den SaMurai des Fürstensohns AhodoriSamutomo unterlegen war, sondern ihm auch noch ein Magier entgegenstand. Der Gerüstete erklärte ihm, dass es sich bei diesem Magier um einen der Auserwählten handelte. Aus diesem Grund hatte er auch ein persönliches Interesse daran diese Auserwählten gehörig aufzumischen.

Den nun Gerüsteten, seinen unliebsamen Partner, hatten seine Männer auf der Suche nach diesen Auserwählten, denen er einen magischen Sender untergejubelt hatte, vor einigen Monaten am Wegesrand in der Nähe von Jigokuniochiru aufgelesen und zum Verhör nach YenXuLu gebracht. Der schmächtige Fremde war schon vor der angedrohten Folter bereit mit ihnen alle Informationen die Abenteurer betreffend zu teilen und beharrte darauf zu ihnen überzulaufen. Trotzdem ließen es sich die Folterknechte nicht nehmen ihn zu bearbeiten. Aber seine Schmerzgrenze war unbeschreiblich hoch, sodass die Folterknechte all ihr Können und ihre Kreativität zum Einsatz brachten. Jeder andere Mensch wäre durch diese Prozeduren, die er erleiden musste, schon längst verstorben. Doch nicht dieser Fremde! Er verzog nicht die kleinste Mine als verfügte er nicht einmal über das kleinste Schmerzempfinden. Oder war er bereits durch die wahre Hölle gegangen, sodass ihm die Qualen der irdischen Welt nichts mehr anhaben konnten? Als er selbst durch Verbluten nicht starb, was jeder Regel und jedem Verstand trotzte, verzweifelten die Folterknechte und befürchteten es mit einem mächtigen Dämon in Menschengestalt zu tun zu haben und weigerten sich letzten Endes ihre Arbeit an ihm fortzusetzen.

Prior Quan ließ dann, nachdem er sich selbst davon überzeugt hatte, durch seine Heerführerin Lien, die Lotusblüte, direkt eine Begnadigung aussprechen. Diese Begnadigung war die erste ihrer Art nachdem die früheren Seemeister die Macht über das Land ergriffen hatten. Quans Aussage nach waren die Fähigkeiten dieses Fremden zu wertvoll, als dass er sterben durfte und somit wurde er in die Reihen der Adepten integriert.

So erhielt er auch zum Entsetzen vieler anderen Mitglieder direkt den Titel eines Schwarzen Adepten ohne die entsprechenden Rituale wie dem „Gelage der langen Nacht“ zuvor zelebriert zu haben. Wegen seiner zur Schau gestellten machtvollen Zauberfähigkeiten erfüllte ihm Quan auch jeden noch so abwegigen Wunsch, den er äußerte. Dazu gehörte auch die Anfertigung dieser Rüstung, die so schwer war, dass diese eigentlich von keinem Menschen getragen werden konnte. Doch den Fremden, der sich bis heute weigerte seinen richtigen Namen zu nennen, behinderte diese weder in seiner Bewegungsfreiheit noch beim Wirken von Magie, was schon sehr merkwürdig war und den Naturgesetzen widersprach. Er arbeitete sich sogar innerhalb weniger Tagen in ihren Reihen hoch. Auch wenn er ihnen wichtige Informationen über die lange Pilgerfahrt lieferte, ging das alles viel zu schnell vonstatten. Falls er tatsächlich ein Dämon war, konnte er dann die Menschen in seiner Gegenwart beeinflussen und strebte nun selbst danach die Macht im KuraiAnat und damit über KanThaiPan zu ergreifen? Falls sich seine Theorie bestätigte, dann würde der Fremde ihm irgendwann in den Rücken fallen und sich danach Quan entledigen. Soweit durfte er es nicht kommen lassen und musste unbedingt Beweise gegen den neuen Emporkömmling sammeln. Sein eigener Geist war zudem eine unüberwindbare Mauer und er ließe sich bestimmt nicht von dem Gerüsteten an seiner Seite beeinflussen.

Er dachte über die derzeitige Situation nach. Auch wenn er und der Gerüstete durch die Wesen des Waldes bereits viele Krieger eingebüßt hatten, verfügten sie trotzdem noch über eine viel zu übertrieben große Heerschar. Und jetzt wo scheinbar die Geister und auch die Spinnen verschwunden waren konnte sich ihnen ohnehin nichts mehr in den Weg stellen. Der Ausgang ihres Auftrages war demnach sicher und nur noch eine Frage der Zeit. Sie würden die Auserwählten der langen Pilgerfahrt vernichten und ihre Überreste Quan präsentieren, er würde seine Rache für seinen ermordeten Bruder bekommen und dann könnte der Anarch endlich aus seinem Gefängnis auf dem Mond erwachen. Diese Urmacht war ihnen damit definitiv einen Gefallen schuldig und mit der Mithilfe ihrer Informanten im Ausland könnten sie ihr Herrschaftsgebiet um die Länder um das Meer der Fünf Winde herum ausbauen und das alte Valianische Imperium erneut ausrufen. Er blickte zum Nachthimmel empor. Das Gefängnis des Anarchen bröckelte bereits und mächtige Trümmer lösten sich, die man des nachts sichtbar als leuchtende Sternschnuppen mit langen Schweifen auf die Welt niedergehen sah.

Dann wurde der Blick des falschen Alchessamiores wieder klar. Auch wenn er diese Mission gemeinsam mit dem Gerüsteten unternahm, so durfte er ihm keinesfalls trauen. Es wird sein, wie es eh und je war. Sobald einer der Adepten im KuraiAnat Schwäche zeigte, wurde dies prompt von einem anderen Adepten ausgenutzt, um dessen Stelle oder Position zu erlangen. Und der Fremde war gefährlich, sodass er unbedingt auf der Hut sein musste. Und falls es zum Äußersten käme, dann wäre er es, der zum Streich ausholen würde!

 

Akt 68:

Schloss TinKahTu:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Alestor (Alba, Krieger), Tarion (Alba, Assassine), Alberic/Azel (Alba, Glücksritter), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin), Vadock MacBeorn (NPC, Alba, Krieger), Stanislaw Kirilew (NPC, Moravod, Hexenjäger), Naridyi Aranee (NPC, Aran, Feuermagierin)

 

im Lager geblieben:

Miya (NPC, TsaiChen-Tal) Kruschina Kruschov (NPC, Moravod, Schamanin), Iphicrates (NPC, Valian, Magier)

 

Am nächsten Morgen suchte Tarion umgehend Sarazian auf um nähere Einzelheiten zu der Auseinandersetzung mit Harkon zu erfahren. Er fand ihn dann am anderen Ende der Lichtung, wo dieser gemeinsam mit Iphicrates und Miya genüsslich ihr Frühstück einnahmen. Auf seine Frage, von wem er von dieser Angelegenheit erfahren hatte, erwiderte dieser, dass Fela Garcia es ihm verraten hatte. Ab sofort würde er nur noch aus zweierlei Gründen mit ihnen reisen. Er wollte die Bestimmung seines Bruders beenden, um dessen Vermächtnis zu bewahren und zudem auf Miya aufpassen. Und wenn sie diese Reise dann beendeten, würden sie getrennte Wege gehen und er auf jeden Fall Miya mit sich in seine Heimat nehmen. Diese Worte verärgerten Tarion umgehend. Was fiel diesem Magier überhaupt ein eine solche Entscheidung über den Kopf von Miya hinweg zu beschließen? Einen solchen Entschluss sollte Miya wenn dann schon selbst fassen!

Als dann auch Fela Garcia und Harkon sichtlich erschöpft auf der Lichtung eintrafen musste Alberic unbedingt etwas unternehmen. Die Stimmung unter ihnen allen war nämlich noch immer bis zum Reißen gespannt. Daher rief er sie alle zu sich, um in einer Intervention alle Probleme anzusprechen, damit es auch künftig nicht zu Folgestörungen käme. Ihnen allen war bewusst wie wichtig dies war und so stimmten sie ein. Nachdem Alberic seine beiden „Begleiterinnen“ Kalliope und Kizuna darum bat bei dem folgenden Gespräch nicht zu lauschen, setzten sie sich auf Steinen in der Wiese in einen Kreis zusammen, um mit dem Gespräch beginnen zu können.

Sofort eröffnete Tarion die Intervention, in dem er sich an Harkon wandte und ihn fragte, warum er Sarazian so kalt begegnete und ihm sogar die Schuld am Tode Rodrics gab. Harkon wusste nicht, was diese Anfeindung jetzt sollte und erklärte es ihm. Rodric stand schon immer, seitdem sein Vater Sarazian adoptierte, im Schatten seines Stiefbruders. Das war auch der Grund warum er überhaupt erst diese Reise angetreten hatte. Er wollte einzig und allein seinem eigenen Vater seinen Mut beweisen. Wäre er dazu nicht gedrängt worden, dann hätte er auf dieser Reise auch nicht sein Leben gelassen. Einige der Abenteurer murmelten daraufhin los. War es nicht Harkon gewesen, der dessen Tod verschuldete? Er war es immerhin der Rodric, dessen Seele sich noch auf einer Reise befand, in seinen Sarg legte, um ihn leichter transportieren zu können. Als sich dann Harkon von ihnen für ein paar Tage verabschiedete, um stattdessen seine Reise mit den zwei Vampirinnen fortzusetzen, grenzte dies schon beinahe an einen Verrat an allen von ihnen. Immerhin hatte sogar eine der Vampirinnen kurz zuvor versucht in dem Onsen sich an Fela Garcia zu nähren. Harkon wehrte sich vehement gegen diese Anschuldigung. Er war nämlich nur mit den Vampirinnen mitgegangen, um diese im Auge zu behalten. Als er fort war hätte es an seinen Gefährten gelegen sich um Rodric zu kümmern! Tarion widersprach direkt. Er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass sich Rodric überhaupt in dem Sarg befunden hatte. Doch die anderen erinnerten sich so langsam wieder. Sie hatten damals nur einen kleinen Handkarren für ihre gesamte Habe besessen und tatsächlich wenig Platz gehabt. Es war wirklich ihre gemeinsame Entscheidung gewesen Rodric in den Sarg zu legen. Daraufhin legte sich ein Schweigen über die Gruppe, welches einige Zeit andauerte. Dann durchbrach einer von ihnen diese unangenehme Situation. Harkon hätte zwar damals viel Zeit damit verschwendet seine eigenen Ziele zu verfolgen anstatt ihrer Mission nachzueifern, doch jetzt durfte man ihm dafür nicht mehr so viele Vorwürfe machen. Einerseits konnte man die Vergangenheit nicht mehr ändern und andererseits hatte sich sein Verhalten innerhalb der Gruppe in den letzten Tagen deutlich gebessert. Wenn überhaupt dann müssten sie Meleagris die Schuld an der ganzen Sache geben, denn sie war es, der wohl ein Fehler bei dem Ritual mit der „Seelenreise“ unterlaufen war.

Doch apropos letzte Tage. Was hatten sie eigentlich getrennt voneinander in den letzten acht Tagen im Wald erlebt? Fela begann zu erzählen, wie sie den östlichen Teil des Waldes erkundeten, Isobel wiedertrafen und dann schließlich das Grab der Prinzessin HaiTang öffneten. Dort bat sie ihr Geist darum eine entfernte Verwandte, die sich in den Klauen der Spinnendämonin befand, zurück zu holen, damit ihre Linie fortbestehe. So betraten sie zu dritt das Reich der Spinnen und konnten durch einen Handel die gesuchte Prinzessin und rechtmäßige Erbin des Schlosses TinKaTuh freikaufen. Umgehend stellte sich die Frage, was dieser Handel beinhaltete, doch sowohl Fela Garcia als auch Harkon wichen der Frage aus. Tarion übernahm das Wort und erzählte seinerseits von ihren Erlebnissen. Wie sie die herumspukenden Geister besänftigten, indem sie das Siegel der Stützen erneuerten und damit auch den Zugang zum Reich der Spinnen verschlossen. Fela Garcia reagierte entrüstet. Ihre Kameraden waren also der Grund dafür, dass sie es beinahe nicht mehr geschafft hatten zurück zu kommen. Sie wären dadurch beinahe in der Welt der Spinnen gefangen worden! Doch dann warf Tarion spontan eine Frage erneut in den Raum, die bis jetzt unbeantwortet blieb. Was für einen Handel? Fela und Harkon erkannten nun, dass es aufgrund der Hartnäckigkeit des Kopfgeldjägers unmöglich war dies zu überspielen, der Frage überhaupt auszuweichen oder sie ihnen zu verheimlichen. Daher gestanden sie ihnen nun kleinlaut das Ei der Spinnendämonin, aus dem bald die künftige Herrin der Spinnen schlüpfen sollte, in diese Welt mitgebracht zu haben, um es zu retten. Auf einen anderen Deal hätte sich nämlich die Dämonin nicht eingelassen und das, obwohl sie ihr sogar das Himmlische Flügelgewand angeboten hatten. Tarion fiel völlig entsetzt beinahe aus allen Wolken, als er diese Worte vernahm. Das Flügelgewand war nämlich ein Teil ihrer göttlichen Pilgerfahrt und zugleich ihre einzige Karte zum letzten Schrein. Wie kamen sie nur auf diesen absurden Gedanken einer Dämonin sogar dieses anzubieten? Und hatte er darüber hinaus nicht alles menschenmögliche getan, um für die nächsten Jahrhunderte diese Spinnendämonin vom Antlitz der Welt zu verbannen? Und nun waren es seine eigenen Weggefährten, die die Brut der Spinnen retteten! Sofort wollte er wissen, wo sich dieses Ei befand, damit er es zerstören konnte. Doch die Heilerin und der Hexer schüttelten mit ihren Köpfen. Dies war leider nicht möglich, da der Tod des Eis zugleich auch den Tod von Prinzessin LinYa bedeutete. Und diese hatten sie immerhin geschworen zu beschützen. Es war eine Zwickmühle. Tarion war sauer. Wollten seine Begleiter etwa nur um eine einzige Person zu retten die Gefahr eingehen in Zukunft hunderte Menschenleben durch die Spinnen zu gefährden? Für ihn war die Situation glasklar. Das Ei musste vernichtet werden, selbst wenn es den Tod der Prinzessin bedeutete. Doch die Heilerin blieb stur. Immerhin gehörte dieses Land ursprünglich den Spinnen, und das lange bevor die Menschen hier siedelten oder gar der Wald erwuchs. Sie hatten demzufolge auch ein Anrecht darauf hier zu sein!

Um sich nicht in Rage zu reden oder einen erneuten Streit zu provozieren wechselten sie schnell das Thema. Denn nun, wo sie alle wieder beisammen waren, konnten sie sich einem viel größeren Problem widmen – dem finsteren Schloss TinKaTuh! Danach hätten sie noch genügend Zeit sich um das Ei oder um andere Dinge zu kümmern. An dieser Stelle erwähnten sie auch Isobels Begegnung mit dem untoten SaMurai, der aller Wahrscheinlichkeit nach der Vater des irren Kindes und zugleich der dortige Herrscher war. Doch selbst für die überaus fähige Fian hatte dieser einen zu mächtigen Gegner dargestellt, der sich mit Leichtigkeit ihren Angriffen behaupten konnte. Bei Isobels Erwähnung wunderten sich Alberic, Tarion und Alestor. Sollte Isobel nicht eigentlich bei ihrem Schiff in Ina auf ihre Rückkehr warten? Doch was genau Isobel zu ihrer Reise veranlasste erwähnte Fela dabei nicht, nur dass diese gesehen hatte, wie die Schmiedesiedlung auf der Halbinsel erneut von einem feindlichen Heer gestürmt wurde und dort wohl niemand überlebte. Scheinbar waren die Angreifer in einer größeren Zahl zurück gekehrt, um einem vermeintlichen Hexer dort das Handwerk zu legen. Schleunigst warf Harkon ein, dass man sich aber keine Gedanken mehr um den Fürsten machen brauchte, der das Heer entsandte, da dieser nämlich bereits durch die Hand seines eigenen Sohnes starb. Doch seine Ablenkung verlief im Sande, denn schon waren alle Augen wieder nur auf ihn gerichtet. Alle wussten, dass die Angreifer in Wahrheit nur ihn suchten! Die Blicke durchbohrten ihn selbst dann noch, als er sie auf eine andere Gefahr aufmerksam machte. Eine Gruppe Adepten war hinter den Gegenständen her, die sich im Viarchengrab befanden. Nun mussten sie unbedingt verhindern, dass diese in ihre Hände gelangten. Doch alle schwiegen dazu.

Das Schweigen strafte ihn. Er kam sich ertappt und abermals schuldig vor. Erst seine Schwester, dann Sarazian, die beiden Vampirinnen und jetzt legte man ihm noch den Angriff auf die Siedlung zur Last. Immer war nur er schuld! Dann vernahm er seine eigene Stimme rechts neben sich, die ihm zuflüsterte „Du bist schuld!“ Als er sich zur Seite umwandte traute er seinen Augen nicht, denn dort erblickte er die nebulöse Gestalt von sich selbst. Doch diese war ein perfekteres Ebenbild. Er war so, wie er sein sollte. Seine Robe und die darunter getragene Rüstung waren sauber und strahlten beinahe, die Haare waren glatt und gepflegt, die Brust stolz herausgestreckt und er trug das verschmitzte Lächeln eines Adligen im Gesicht. Harkon murmelte nur „Du bist nicht echt.“ Doch sein besseres Ebenbild widersprach ihm. „Natürlich bin ich echt. Ich bin du. Und wie kannst du nicht echt sein? Wenn du deinem armseligen Dasein ein Ende bereiten und mächtiger werden willst, dann brauchst du mir nur zu folgen.“ Harkon schüttelte den Kopf und wirbelte mit seinen Händen durch die Gestalt, um sie zu zerstäuben. Seine Gefährten wiederum konnten diese ominöse geisterhafte Gestalt weder sehen noch hören, sondern wurden lediglich Zeuge davon, wie Harkon gestikulierend Selbstgespräche führte. Drohte ihr Kamerad nun den Verstand zu verlieren? Daher hakten sie vorsichtshalber nach und fragten nach dem Rechten. Der Hexer war froh über ihre Worte und berichtete ihnen darum wahrheitsgemäß, dass er seit Kurzem von merkwürdigen Visionen heimgesucht werde, die ihm Schuld einredeten. Fela machte sich nun selbst große Sorgen um ihn, stand auf und bot ihm zugleich eine „Seelenheilung“ an, die er unverzüglich annahm. Allerdings spürte er auch, dass dieser Schatten, oder was auch immer es auch war, diesem Zauber trotzte.

Dann kam Tarion wieder auf das Schloss zurück. Dieses war definitiv den Herrn des Waldes ein Dorn im Auge und daher mussten sie dem, was auch immer sich in seinem Inneren befand, das Handwerk legen. Immerhin waren sie die Auserwählten. Und danach würde er auch definitiv dieses Gemäuer für sich beanspruchen, um ihn Zukunft dort eine Assassinengilde zu gründen, deren Mitglieder die Schwarzen Adepten jagten, selbst wenn dies Prinzessin LinYa, der Erbin des Schlosses, nicht gefallen sollte. Doch auf sie konnte er bei der Befreiung des TsaiChen-Tals keine Rücksicht nehmen. Er mutmaßte aber, dass sein Ziel auch im Interesse der Prinzessin war und man vielleicht ein Arrangement zur beiderseitigen Nutzung des Schlosses treffen könnte. Doch wer lebte heute eigentlich wirklich in diesem Gemäuer? Sie wussten bereits, dass sich dort eine Vampirin schon vor vielen Jahren eingenistet hatte und sich vor der Welt verborgen hielt. Und bis zur Ankunft ihres Gemahls vor ein paar Wochen oder Monaten hatte es mit ihr auch niemals Schwierigkeiten gegeben. Aber wer war dieser untote Mann und wo kam er auf einmal her? Harkon scherzte, dass es sich bei diesem vielleicht um Madock handelte, weil Fela Garcia diesen bereits zum zweiten Male meinte gesehen zu haben. Doch während fast alle darüber lachten, war Tarion dabei nicht zum Spaßen zumute. Damals hatten sie Madock geärgert und gemobbt, was wohl im Endeffekt dazu führte, dass er einen Pakt mit dem Todesloa einging, der in der Büste versiegelt war, die Wulfric in der Ruinenstadt auf Herena fand, um stärker zu werden. Nun war er ein Gott, wenn auch ein niederer. Und wie sollten sie dann überhaupt gegen ein solches Wesen kämpfen und welche Konsequenzen könnte der Tod eines Gottes in der Welt nach sich ziehen? Alestor war dieses Geschwätz zu viel und unterbrach diese geäußerten Bedenken. Seinem Kenntnisstand nach gab es auf dieser Welt viele Todesgötter. Was sollte denn schon der Tod eines einzigen von ihnen, der nicht einmal zu ihrem Glauben gehörte, für Konsequenzen nach sich ziehen? Wenn überhaupt dann nur in Buluga, von wo dieser Gott ursprünglich herstammte. Zudem brächte es nichts jetzt über dieses Worst-Case-Szenario zu diskutieren, wo sie sich doch nicht einmal sicher waren, ob es sich wirklich um diesen Loa oder nicht gar doch um ein anderes finsteres Wesen handelte. Am besten sollten sie einfach dort in voller Mannstärke aufmarschieren und die Reihen ihrer Feinde mit irgendeinem Zauber lichten. Er meinte sich sogar erinnern zu können, dass Naridyi ihm einmal sagte, über den Zauber „Feuerregen“ zu verfügen.

Alestor und Tarion standen unverzüglich auf und schritten zu Vadocks Gruppe herüber, die auf der anderen Seite der Lichtung gerade gemeinsam frühstückten. Anscheinend hatten auch sie inzwischen ihre Diskrepanzen niedergelegt. Beide erklärten ihnen die derzeitige Situation und auch ihr Vorhaben das schwarze Schloss zu erstürmen, woraufhin direkt die Feuerpriesterin Naridyi als auch der Hexenjäger Stanislaw aufsprangen und sich bereit erklärten sie dabei zu unterstützen. Doch Vadock hatte Zweifel an der ganzen Sache und mäßigte seine beiden Freunde zur Zurückhaltung, ehe er sich an Alestor und Tarion wandte. Sollten sie nicht viel lieber ihr Hauptaugenmerk auf ihre Bestimmung und damit auf den letzten Schrein richten? Sie hätten nämlich schon zu viel Zeit hier in diesen Wäldern verschwendet. Und wie stellten sie sich diese Erstürmung denn überhaupt vor? Tarion und Alestor blickten sich kurz gegenseitig an, denn darüber hatten sie sich noch nicht so richtig Gedanken gemacht. Doch Tarion entwickelte in Windeseile zwei Ideen, um Vadock zumindest zufrieden zu stellen. Sie könnten entweder unter dem Vorwand Fela Garcia und Harkon auszuliefern dort hinein gelangen. Immerhin wollte der dortige Herrscher mit Sicherheit ein Exempel an denjenigen statuieren, die seinen Sohn geohrfeigt hatten. Oder aber sie schickten Harkon als einen Abgesandten vor. Immerhin war er auch ein Vampir und darum würde man ihm bestimmt Gehör schenken. In diesem Fall würden sie sich alle als seine Untergebenen ausgeben. Ihm war aber schon jetzt bewusst, dass seine eigenen Kameraden von diesen Plänen nicht sehr erfreut sein würden, weshalb er noch einen dritten Vorschlag äußerte. Zur Not könnte man nämlich auch einfach um eine Audienz bitten. Vadock bat sie daraufhin um ein wenig Bedenkzeit, damit sie sich intern beratschlagen konnten.

Wieder zurück bei den anderen waren diese, wie zuvor bereits befürchtet, nicht beeindruckt von den Vorschlägen. Denn Harkon kam dabei eine Schlüsselposition zu und zurzeit war er nicht gerade die Person, der sie am meisten Vertrauen schenkten, was natürlich niemand aussprach. Nichtsdestotrotz bemerkte Harkon diese Abneigung und schwieg dazu. Umgehend erschien ihm sein geisterhaftes Ich, welches ihm von Neuem Schuld einredete. Doch dieses Mal ging er nicht darauf ein und ignorierte das geisterhafte Etwas so lange, bis es von selbst verschwand. Am Ende ihrer Unterredung waren sie sich jedoch alle einig, dass der dritte Vorschlag mit der Bitte um eine Audienz wohl das erfolgversprechendste Szenario darstellte.

So verließen die Abenteurer wenig später gemeinsam mit Vadock, Stanislaw, Naridyi, Yosuke und dem mürrischen Sarazian, auf den Tarion lange einreden und seine ganze Überzeugungskraft einsetzen musste, die Lichtung. Kruschina und Iphicrates blieben derweil zurück, um in der Zwischenzeit auf Miya aufzupassen.

Gegen Mittag marschierten sie über den festgestampften Weg, der hoch zum einsamen Berg durch das gerodete Terrain führte, direkt auf das Tor der Festung zu. Jetzt konnten sie sich zum ersten Mal ein genaueres Bild der Anlage machen. Die Festung bestand aus zwei großen Gebäuden, die von einer vier Meter hohen Mauer umgeben war. Links hinter dem Tor war aus Brettern ein fünfstöckiges einfaches Holzgebäude errichtet worden, von dem aus mehrere große Schornsteine in den Himmel aufragten, aus denen sich dunkle Rauchsäulen erhoben. Vermutlich war dies eine große Schmiede, um Rüstungen und Waffen für deren neu ausgehobene Armee von Untoten herzustellen. Rechts davon war ein einstöckiges Gebäude in klassischer Architektur und einem mächtigen, großen Fußwalmdach, das einstige Schloss. Sowohl das Schloss, als auch die Mauern waren oben mit einstmals grün lasierten und traditionellen Dachziegeln versehen, die nun aber aufgrund des Rußes schwarz angelaufen waren.

Im offenstehenden Tor stellten sich ihnen prompt zwei Skelettkrieger mit einfachen Speeren entgegen und die Abenteurer stoppten. Noch bevor sie ihre Bitte äußern konnten, tauchte hinter einem der Torflügel ein drittes gerüstetes Skelett mit einer Naginata (Art Hellebarde) auf und fragte sie nach ihrem Begehr. An ihnen vorbei konnten sie sogar in den Innenhof zwischen den beiden Gebäuden blicken. Dort erkannten sie noch gut drei Dutzend weiterer Skelette bei Trainingskämpfen und beim Transport von Waren zum Fabrikgebäude. Ein steinerner Gargoyle stand währenddessen in ihrer Mitte und delegierte scheinbar diverse Aufgaben an seine Untergebenen. Alestor sah Naridyi an, dass sie Mühe hatte sich zu beherrschen. Sie ballte ihre Fäuste und begann mit ihren Zähnen zu knirschen, doch sie konnte sich noch zusammenreißen. Und noch während einige von ihnen sich die Frage stellten, wie ein Skelett ohne Fleisch und Organe überhaupt in der Lage war zu sprechen, trat Harkon auch schon vor, verneigte sich kurz und bat förmlich um eine Audienz. Das gerüstete Skelett verlangte dafür von ihnen die Niederlegung ihrer Waffen. Erst dann dürften sie eintreten. Harkon tat umgehend, was von ihm verlangt wurde und legte seine Waffen vor dem Tor ab, um ihm ins Innere zu folgen.

Als Alestor dies sah, brach für ihn seine Welt zusammen. Für nichts in dieser Welt würde er sich freiwillig von seinen Waffen trennen. Und nun sollte er dieser Aufforderung nachkommen und den Untoten schutzlos in ihren Unterschlupf folgen? Seiner Meinung nach war dieser verrückte Plan zum Scheitern verurteilt und könnte nur mit ihrem Tod enden. Schnell und ohne Vorwarnung zückte er zwei seiner Schwerter, preschte vor und hieb am Tor unter den entsetzten Blicken seiner Begleiter auf die beiden Skelette mit den Speeren ein. Das gerüstete Skelett rief lauthals einen Befehl, den niemand von ihnen direkt deuten oder verstehen konnte und schon setzten sich die Massen im Hof hinter ihm unverzüglich in Bewegung und formten mehrere hintereinander gruppierte Schlachtreihen, die sich langsam auf sie zu bewegten. Jetzt waren die Auserwählten gezwungen ihrerseits auf die plötzlich veränderte Situation zu reagieren. So zauberte Harkon „Feuerwand“ in das Tor, um den nachrückenden Horden den Zugang zu ihnen zu verwehren, während Fela Garcia einen „Ring des Lebens“ wirkte, dessen grüne Flammen sich von ihrer Position aus langsam aber stetig in alle Richtungen ausbreitete. Ihre Kämpfer wiederum zogen ihre Waffen und streckten in Windeseile die drei Skelette auf ihrer Seite der „Feuerwand“ nieder. Naridyi explodierte förmlich vor lauter Aufregung und Freude darüber sich nicht mehr beherrschen zu müssen und nun kurzen Prozess machen zu können. Sie trat ein paar Schritte zurück und begann mit der Rezitation des Spruches „Feuerregen“. Als weiter vorne das erste Skelett der anrückenden Verstärkungstruppen in den „Ring des Lebens“ trat, wurde es unverzüglich von den magischen Flammen erfasst und verzehrt und verpuffte zu einem Haufen Asche. Die anderen Skelette bemerkten dies und wichen daraufhin zurück. Wer auch immer diese erschaffen hatte, hatte diese Kreaturen wohl mit etwas Verstand gesegnet. Doch dann türmten sich über ihnen bereits Wolken zu dunklen Bergen auf und eine große rot glühende Sigille erschien auf ihrer Unterseite. Unter Naridyis krankhaftem Lachen setzte der „Feuerregen“ daraus ein und prasselte eine Minute lang unaufhörlich in den Innenhof hernieder. Lautes Donnergrollen der aufschlagenden und explodierenden Feuerkugeln, die wie Kometen lange Rauchschweife hinter sich herzogen, hallten über den gesamten Wald hinweg. Und der Staub, Asche und Trümmerteile von dem Bombardement, welches alles und jeden im Hof versengte, schlug den Abenteurern durch das geöffnete Tor entgegen und drängten sie dazu sich einige Meter zurückfallen zu lassen. Dann war der Spuk auch schon vorbei und bis auf das knackende Geräusch von verbrennenden und knisternden Holz war nichts mehr zu hören.

Noch immer konnten sie aufgrund des aufgewirbelten Staubes nicht durch das Tor in den Innenhof blicken und auch die Asche brannte in ihren Augen. Doch dann preschte etwas durch die Rauchschwaden durch das Tor auf sie zu und riss einige von ihnen zu Boden. Es war der Gargoyle! Er war zwar schon schwer angeschlagen, verwickelte aber wutentbrannt die Abenteurer in einen Nahkampf. Die Kämpfer gingen ihrerseits in einen Gegenangriff über und schlugen mit vereinten Kräften solange auf ihren Gegner ein, bis dieser zu einem Haufen rußgeschwärzter Gesteinsbrocken zerbrach.

Wenig später hatte sich der Staub soweit gelegt, dass sie den Hof betreten konnten. Nur noch kleinere Schwaden waberten über den mit Kratern, Knochen, Waffen und glimmenden Holzresten übersäten Hof hinweg und unzählige Dachziegel des Schlosses und der umgebenen Mauern lagen zerborsten am Boden verstreut. Doch während das eigentliche Schloss nur wenige Schäden aufwies, bis auf die zerstörte Front, stand das hölzerne und scheinbar schnell und unfachmännisch errichtete Schmiedegebäude lichterloh in Flammen. Einer der großen aus Ziegelsteinen errichteten Schornsteine neigte sich gefährlich in ihre Richtung, bis er schließlich in einem lauten Krachen umstürzte und einen Teil der Dachkonstruktion mitsamt eines Gebäudeflügels zerstörte. Hunderte Bretter verstreuten sich somit noch über den ohnehin völlig in Trümmern liegenden Hof, was Nadidyi ein Lächeln auf das Gesicht zauberte. Nur ein einsamer Knochenarm krabbelte langsam auf Fela Garcia zu, der jedoch durch einen festen Auftritt von ihr unter ihren Stiefeln brach und sich danach nicht mehr rührte.

Vorsichtig schritten sie über ihre angerichtete Verwüstung hinweg und auf das Schloss zu. Das Haus war auf Stelzen errichtet und über eine kleine aber breite Treppe gelangten sie zu einer Veranda, die einmal um das Gebäude herum führte. Die mit Fließ bespannten Türen des Haupteingangs waren eingedrückt und aufgerissen, sodass sie ohne weiteres einen Blick ins Innere werfen konnten. Dahinter lag ein langer und dunkler Gang, der am anderen Ende nach rechts abknickte.

Sie traten hinein und standen kurz darauf in einer zentralen Kammer (7) von der aus drei weitere Gänge abgingen und auch drei Türen zu sehen waren. Auf dem Boden befand sich ein Gitter aus stabilen Holzbohlen, welches einen anderen Raum bedeckte. Da es darunter zu finster war, um etwas sehen zu können, entzündeten sie eine Fackel und ließen diese durch das Gitter nach unten fallen. Der Raum darunter musste in etwa die gleiche Größe besitzen wie die zentrale Kammer, in der sie standen und die Wände waren aus Bruchsteinen errichtet. Auf dem Boden konnten sie sogar ein größeres magisches Zeichen ausmachen, welches kreisförmig angelegt und in den steinernen Boden eingeritzt worden war. Sarazian erkannte dieses sogar aus seinem magischen Studium wieder (20). Es war ein Weltentor, welches zur Heimatwelt des Vampirdämons KooSchi führte, die übersetzt in den dämonologischen Wissenschaften der KanThai „Domäne des dünnen Saugens“ hieß. Diese eigentümliche Bezeichnung spielte darauf an, dass KooSchis Wohnsitz nur ein Haus aus Papier sein sollte. Und auch in seiner eigentlichen Gestalt, in der KooSchi auf Midgard in Erscheinung trat, wirkte er wie eine übergroße OriGami-Figur aus gelbem Seidenpapier. Biss er ein Opfer, schien sein Körper sich wie ein Stück Papier mit Rot vollzusaugen. Doch außerhalb von KanThaiPan war über diesen Vampirdämon nahezu nichts bekannt. Einige Forscher hierzulande nahmen sogar an, dass dieser Dämon in irgendeiner Verbindung zum mächtigen Dämonenfürsten Lyakon stünde. Ob dieser aber in Wahrheit ein geringerer, aber mächtiger Vasall in Lyakons Reich war oder ein Rivale, der ebenfalls um Einfluss kämpfte, war nichts bekannt.

Nach diesen Worten waren sich alle einig, dass dieses Weltentor auf der Stelle unschädlich gemacht werden musste, da ansonsten die Gefahr bestand, dass die Dämonen von dort aus ihnen bei der Erkundung des Schlosses in den Rücken fallen könnten. An einer Ecke des Gitters befand sich eine Falltür, die zu einer Treppe in die Tiefe führte. Doch sie war mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Mit geeignetem Werkzeug brachen sie dieses mit viel Gewalt auf und schritten über die Stufen hinab nach unten. Dort angekommen nahmen sie ihre Spitzhacken hervor und schlugen solange auf die Linien des Zeichens ein, bis sie sich sicher waren, dass von dem Zeichen keinerlei Gefahr mehr ausging. Dann erklang ein lautes Krachen von oben. Als sie nach oben blickten, bemerkten sie ein Skelett, welches gerade dabei war die Falltüre, ihren einzigen Fluchtweg, zu schließen. Fela Garcia eilte los, erreichte die Treppe und sprach noch einmal „Ring des Lebens“ und vernichtete damit das Skelett, bevor es sein Werk vollbrachte und sie eingeschlossen waren.

Von der zentralen Kammer aus öffneten sie die erste Schiebetür zu ihrer Linken. Der Raum (6) war wohl einstmals schön eingerichtet und ein Esszimmer gewesen, denn entlang einer niedrigen Tafel standen beinlose Hocker mit mittlerweile vermoderten Sitzkissen aufgereiht. Direkt hinter der Türe war zudem noch ein ganzer Knochenhaufen aufgetürmt. Scheinbar wollten zehn Skelette sie dort überraschen, bevor sie selbst durch Felas eben gewirktem „Ring des Lebens“ überrascht wurden. Im Süden dieses Raumes war noch eine andere Türe zu erkennen, die mit Shoji bespannt war, die sie nun öffneten.

Das Zimmer dahinter (5) war gänzlich hölzern eingerichtet und besaß insgesamt drei Türen. Hier standen ungeordnet ein großer Spiegel, Kleidertruhen und Polsterstühle um einen kleinen Sarg herum. Von der Zimmerdecke hingen einige Bambuskäfige herab, in denen junge Vögel, ein Affe, Ratten sowie eine Katze saßen. Die Tiere machten einen verängstigten Eindruck.

Da Tarion umgehend vermutete, wer oder was sich in diesem Sarg befand sah er sich diesen mit seiner „Gabe des wahren Sehens“ einmal genauer an. So konnte er darin, ohne den Deckel zu öffnen, eine kindergroße Gestalt ausmachen, von der eine finstere Aura ausging. Das reichte Alestor. Der Krieger packte sein Schwert, schritt an den Sarg heran und stach von oben mehrmals hinein. Ein markerschütterndes Schreien ertönte, welches bei jedem neuen Schwerthieb leiser und quengeliger wurde, bis es allmählich in ein Gurgeln überging und dann gänzlich verstummte.

Dann sprengte irgendetwas die eine Schiebetür auf der anderen Raumseite auf, die mit einem Rumpeln zu Boden flog, und wie ein geölter Blitz schnellte eine Wesenheit hervor, hieb unterwegs Harkon mit krallenbewehrten Händen zu Boden und griff Alestor wie ein Berserker an. Es war eine Vampirin mit bleichem Antlitz und langen schwarzen Haaren, die ein blutrotes Kleid trug. ChiKo, die Mutter! Sofort entflammte Tarion sein Feuerschwert, stürmte auf sie zu und trennte ihr mit einem von unten geführten Schlag ihr rechtes Bein oberhalb der Kniekehle ab (20). ChiKo torkelte, doch ließ sich von dieser schweren Verletzung nicht beirren. Doch schon waren alle anderen Auserwählten zur Stelle und ließen ihre Waffen auf sie hinabfahren. Etwas weiter hinten beschwor Naridyi eine Feuerlanze und warf diese haarscharf an ihren Gefährten vorbei. Sie traf ChiKo im Bauch und durchbohrte sie regelrecht. Von der Wunde ausgehend zerfiel die Vampirin vor aller Augen zu einem kleinen Haufen Asche zusammen.

Dann öffneten sie den Sarg. Wie bereits von Tarion vermutet lag darin der nun tote Junge. Sein ganzer Körper war mit Narben übersät, weil er wohl tatsächlich aus mehreren Leichen zusammengenäht worden war. Es war gut, dass diese Abscheulichkeit nun tot war!

Doch das nächste Problem sollte nicht lange auf sich warten. Gerade als sie durchatmeten erschien eine weitere Gestalt von menschlicher Größe in der soeben aufgesprengten Tür. Es war ein SaMurai. Dessen Rüstung war dunkelblau eingefärbt und sein Kabuto, der Helm, war mit viel Zierrat versehen. An seinem Gürtel trug er zudem noch ein Katana, sowie ein kürzeres und gänzlich weißes Wakizashi. Alle erschraken, als sie ihn sahen, denn es handelte sich bei diesem tatsächlich um Madock! Unbeeindruckt von den Abenteurern ging dieser gemächlichen Schrittes auf den Sarg zu und alle machten ihm Platz. Madock ging auf die Knie und griff in den Haufen, der einstmals seine Frau gewesen war und ließ behutsam und langsam ihre Asche durch seine Hand rieseln. Danach stand er auf und wandte sich dem Sarg zu. Er hob seinen toten Jungen heraus und drückte ihn ein allerletztes Mal, bevor er ihn wieder in den Sarg bettete. Dann wurde sein Gesicht von Zorn übermannt und er verfluchte seine ehemaligen Weggefährten. Er wusste von seinem Wirt, dem Schiffsjungen Madock, was sie ihm antaten! Dann hatten sie ihn auch noch auf dem sinkenden Schiff im Hafenbecken zurück gelassen! Doch bis dorthin konnte er ihnen noch verzeihen. Er wanderte wochenlang durch dieses Land und musste sich gegen eine Vielzahl von Gegnern behaupten, die ihm nach dem Leben trachteten. Doch sie alle starben gegen ihn. Dann eines Tages spürte er die Präsenz eines anderen einsamen, untoten Wesens und so folgte er diesem Rufen, bis er schließlich ChiKo fand. Mit ihr gründete er eine Familie und wollte in diesen Wäldern nur sein eigenes Reich erschaffen, um diese schützen zu können. Und was taten seine ehemaligen Reisegefährten dann? Sie zerstörten sein Zuhause und nahmen ihm seine Familie! Diesen Frevel konnte er nicht ungesühnt lassen!

Mit diesen Worten zog er seine beiden Klingen und holte zum Rundumschlag aus. Zum Glück war er dabei so unbeherrscht, dass er alle umstehenden Personen bei seinem ersten Angriff verfehlte. Als die Abenteurer nun erneut zum Angriff übergingen und ihn umzingelten, sprach Stanislaw „Austreibung des Bösen“. Leider wurde ihm schnell bewusst, dass sein Gegner gar kein Dämon war und sein Zauber fehlschlug. Von dem SaMurai aus breitete sich eine finstere Aura aus, die selbst das Holz der Decke und des Bodens vermodern ließ und allen Anwesenden Magenkrämpfe bereitete. Madock erlitt zwar tiefe Wunden durch die unzähligen Hiebe, die auf ihn einprasselten, doch das kümmerte ihn nicht wirklich. Er war sogar so unbeeindruckt davon, dass er es nicht einmal für nötig erachtete den Angriffen überhaupt auszuweichen oder sie gar zu parieren. Dann schoss Yosuke mit seinem Kyu gezielt einen Pfeil ab, der haarscharf an den im Kampf befindlichen Abenteurern vorbei zischte. Als Madock kurz in die Knie ging, da der Pfeil ihn in der Kniekehle traf, stach Alberic mit seinem Rapier zu (20/100) und durchbohrte mit solch einer Gewalt dessen Unterkiefer, dass die Klinge auf der Oberseite seines Schädels wieder zum Vorschein kam. Für einen kurzen Moment erschien es dem Glücksritter so, als ob an seinem Rapiergriff neben seiner Hand auch die von Kizuna und Kalliope zu sehen waren. Doch schon im nächsten Moment, als er die Klinge herauszog, waren diese verschwunden. Was es nur eine Einbildung gewesen? Madock machte keinen Mucks und rührte sich nicht mehr. Er ließ einfach seine beiden Waffen fallen. Dann erstrahlte aus seinen Wunden, Mund und Augenhöhlen ein merkwürdiges schwarzes Licht, welches von goldenen Strahlen durchzogen war und schon eine Sekunde später zerriss es ihn in einer Explosion aus schwarzen Flammen, die alle mehrere Meter weit davon schleuderte.

Als sie alle ihre Augen wieder aufschlugen war der Spuk vorbei und sanfte Schwaden eines goldenen Filaments durchzogen den gänzlich verwüsteten Raum. Während Harkon und Tarion es sich nicht nehmen ließen etwas dieses Filamentes in fünf gläserne Phiolen einzufangen, bevor sich dieses verstreute, kümmerte sich die Heilerin um Harkon, der noch immer mit einer stark blutenden Bauchverletzung auf dem Boden hockte. Anschließend befreite sie die Tiere aus den Käfigen. Die verängstigte und ungepflegte Katze jedoch beruhigte sie mit ihren magischen Künsten und nahm sie an sich. Nachdem Harkon wieder bei Kräften war nährte er sich noch an den kläglichen Resten des Filamentes, was er nun als Sa identifizierte. Alberic stand derweil etwas verdutzt im Raum und starrte auf sein Rapier. Die Klinge hatte sich bis zu dem Punkt, bis wohin er sie in den Schädel gestoßen hatte, kohlrabenschwarz verfärbt und zudem bereitete es ihm eine Übelkeit das Schwert in der Hand zu halten. Der Hexer ging zu ihm hinüber und bat darum sich die Klinge einmal anschauen zu dürfen. Ohne Worte händigte Alberic ihm seine Waffe aus. Harkon wurde direkt klar, dass diese von einem wirklich starken, finsteren Fluch durchzogen war – auch Alberic selbst. Das musste wohl der Preis dafür gewesen sein einen Gott getötet zu haben. Der Glücksritter nahm das Rapier zurück und und taufte mit ruhiger Stimme seine Waffe auf den Namen „Götterschlächter“. Harkon korrigierte ihn. Es war immerhin eine chryseische Waffe und sollte demnach auch einen chryseischen Namen erhalten. Wie wäre es zum Beispiel mit „Deum Summum“ (chryseisch: „Ende der Götter“)? Tarion fragte nun, ob ihm irgendwer helfen wollte drei Gräber im Hof vor dem Haus auszuheben, um die Überreste des Loas beziehungsweise Madocks mitsamt seiner Familie zu bestatten und gleichzeitig damit ein einfaches Mahnmal aufzustellen. Alberic meldete sich bereit und beide ergriffen die Reste der drei Leichen und verließen mit ihnen das Zimmer.

Erst jetzt bemerkte Harkon eine Taubheit in seinem linken Arm, die sich von einer Schwellung seines Oberarms ausbreitete. Er zog seinen Ärmel nach oben und rief Fela Garcia laut und etwas panisch zu sich. Die Schwellung war nämlich schwarz und in der Mitte war eine größere Eiterbeule zu erkennen, genau an der Stelle, an der ihm die Spinne vor einem Tag gebissen hatte. Die Heilerin schaute sich diese Bisswunde einmal genauer an und erkannte, dass das Gewebe dort bereits angefangen hatte sich nekrotisch zu zersetzen. Leicht angewidert und genervt holte sie erneut ihre Ausrüstung heraus, behandelte ihm mit einem starken Heilzauber und verband die Wunde.

Alestor sah sich unterdessen die beiden Waffen von Madock, die noch immer unangetastet auf dem Boden lagen, an. Während das Katana zwar einen guten aber gleichzeitig auch gewöhnlichen Eindruck machte, erschien ihm das Wakizashi besonders. Nicht nur die Stoffumwicklung sondern auch die Klinge selbst mitsamt dem Griffschutz war reinweiß. Die Klinge war scheinbar auch nicht metallen, sondern bestand aus einem anderen Material, in welches verschnörkelte Zeichen eingeätzt waren. Zudem trug die Klinge das Zeichen seines Erschaffers Muramasa. Da niemand Einspruch erhob nahm er diese Waffe an sich.

Etwas später hoben Alberic und Tarion auf dem Hof drei Gräber aus und bestatteten die Familie darin. Als sie dann nach oben blickten sahen sie eine dünner werdende Lichtsäule, die bis zu den Wolken hinauf führte und ihren Ursprung im Schloss hatte, genau an der Stelle, an der der Loa starb. Dann mussten sie auf einmal herzlich lachen. Ihre ganzen Taten waren zweifelsfrei weithin zu sehen. Wenn ihnen tatsächlich Verfolger auf den Fersen waren, dann mussten sie sie seit gestern bestimmt völlig verängstigt haben. Erst wanderten hunderte von Lichtern in der Nacht zum Himmel empor, dann regnete es Feuer auf einen Berg und nun diese Lichtsäule. Nachdem sie sie Erde über den Gräbern festgestampft hatten, kehrten sie noch die Knochen, die überall verstreut lagen, zusammen und gaben sie dem mächtigen Feuer hin, welches einstmals die Schmiede gewesen war.

Es war schon später Nachmittag als die beiden wieder ins Innere zu ihren Kameraden gingen. Dort bat Tarion Yosuke einen Brief für ihn aufzusetzen, den er Arderyu zukommen lassen wollte. Darin erwähnte er, dass von dem finsteren Schloss nun keine Gefahr mehr ausginge und bat diesen um die offizielle Erlaubnis in diesen Gemäuern eine Gilde gründen zu dürfen, wenn die anderen Herren des Waldes keinen Einspruch hegten. Als das Schriftstück vollendet war rollte er es zusammen und band dieses an einen Fuß seines Rabens. An einem offenen Fenster stehend erhob sich dieser dann mit weit ausgebreiteten Schwingen von Tarions Arm und schwang sich in die Lüfte empor. Als dies getan war begingen sie den noch nicht erforschten Teil des Schlosses.

Einer der Räume (1) war mit Tatamimatten ausgelegt, in deren Mitte sich eine große gemauerte Feuerstelle befand. Doch anstatt Brennholz fanden sie in dieser ein in den steinernen Grund geritztes Hexagon vor. Es war ein weiteres magisches Tor, das jedoch nicht zu einer anderen Mittelwelt, sondern irgendwo auf Midgard hinführte. Vorerst ließen sie es unangetastet.

Dann traten sie in eine Bibliothek ein (2). An den Außenwände dieses Raumes waren Regale angebracht, in denen kanthanische Bücher und Seidenrollen ruhten. Die meisten waren schon uralt und würden mit Sicherheit in unvorsichtigen Händen leicht zerfallen. Neben einigen lackierten Sitzgelegenheiten gab es hier auch noch einen riesigen Wandschirm, welcher den Raum trennte. Der Wandschirm selbst zeigte das noch immer gut erhaltene Gemälde von zwei springenden und zähnefletschenden Panthern.

Der nächste Raum (3) war bis auf einige Sitzkissen leer. Wozu er einmal diente konnte nicht mehr ausgemacht werden. Auf dem Boden fanden sich aber insgesamt ein Dutzend Knochenhaufen. Die hier ausharrenden Skelettkrieger mussten wohl beim Ableben ihres Herrn ebenfalls den Tod gefunden haben.

Der letzte Raum (4) des Anwesens war prächtig ausgestattet. Die Wände und Türen waren mit Seidenpapier bespannt, welches mit schwarzem Lack grundiert und mit goldfarbenen Panthern bemalt war. Mitten im Zimmer stand ein wirklich großer schwarzer Holzsarg, der mit Sicherheit für zwei Personen gedacht war – für Madock und ChiKo. Harkon näherte sich interessiert und inspizierte das schwarze Holz. Er konnte sein Glück kaum fassen, denn der Sarg war aus Mooreichenholz gefertigt. Schnell brach er eine Latte ab, da er dieses für die Anfertigung einer besonderen Waffe bei Hattori Hanzo benötigte. Von diesem Zerstörungswerk seitens Harkons an einem Sarg war Tarion etwas irritiert, weil dieser sonst immerzu darauf achtete, dass seinem eigenem Sarg nichts geschah. Doch Harkon zuckte nur mit seinen Schultern und meinte, dass dies nicht sein Sarg wäre.

Als sie das Schloss am späten Nachmittag verließen brach das linke Gebäude unter den noch immer tobenden Flammen völlig in sich zusammen. Auf dem Weg zur Lichtung bedankte sich Tarion noch bei Sarazian für dessen Hilfe. Dieser nahm die Worte zwar dankend an, beharrte jedoch darauf dies nicht für sie sondern lediglich für seinen Bruder Rodric getan zu haben. Als sie unterwegs von der hereinbrechenden Dunkelheit der Nacht überrascht wurden, machte der Wald auf sie keinen beängstigenden Eindruck mehr. Die Spinnen, Geister und Untoten waren verschwunden und an ihrer Stelle trauten sich wieder die Tiere des Waldes aus ihren Verstecken heraus und ließen ihre Stimmen erklingen.

Der Vollmond strahlte mit seiner vollen Scheibe und über dem Nachthimmel huschte ein Regen von Sternschnuppen, als sie die Lichtung schließlich erreichten. Die meisten legten sich bereits schlafen, als Tarions Rabe zu ihm zurückkehrte. Das Tier war ganz erschöpft, als es zu seinem Herrchen trat, denn jemand hatte ihm etwas Schweres an den Fuß gebunden. Vorsichtig löste der Kopfgeldjäger das Ding ab und schaute es sich an. Es war ein gut gearbeitetes metallenes und stark gebogenes Etwas, was er nicht so genau identifizieren konnte und ihn sichtlich irritierte. Doch weil sein Rabe beim Prinzen der Feen gewesen war musste dieser ihm das Ding als eine Art Botschaft gesandt haben. Er verstand die Nachricht zwar nicht, doch sie musste wichtig sein. Trotz der späten Stunde eilte er zu Hattoris Haus herüber, in dem schon längst die Lichter gelöscht waren und klopfte so lange an die Eingangstüre, bis sich innen etwas regte. Als dann schließlich die Türe geöffnet wurde trat ihm der Schmiedemeister im Nachtgewand und mit einer kleinen Laterne in den Händen entgegen und war von der Störung zu solch einer Stunde gar nicht begeistert. Er hatte morgen immerhin noch ein wichtiges Werk zu vollbringen und brauchte daher seinen Schlaf. Doch als Tarion ihm dann das metallene Etwas unter die Augen hielt und im selben Atemzug erwähnte, dass ihm dies vom Prinzen der Feen zugesandt worden war, war er von jetzt auf gleich hellwach. Das was Tarion dort in seiner Hand hielt war nämlich ein Teil einer Schulterplatte von Rüstungen, wie sie nur im südöstlichen Landesteil KuroKegaTi geschmiedet und auch nur deren Elitetruppen getragen wurde. Jetzt wurde dem Kopfgeldjäger auch die Nachricht klar. Die Schwarzen Adepten befanden sich tatsächlich bereits im Wald und hatten wohl schon Arderyu angegriffen, um in das Viarchengrab zu gelangen. Sie mussten ihm zu Hilfe eilen! Hattori stimmte ein, denn sie hatten keine Zeit zu verlieren. Schnell zog sich dieser um und warf sich eine Lederkluft über, ehe er zu seiner Wand mit den Schwertern schritt und das einzige schmutzige und ungepflegte Schwert, welches noch in seiner Scheide ruhte, nahm. Dann richtete er seinen Blick auf Tarion und befahl ihm seine Gefährten zu wecken. Tarion war überrascht. Wollte der Schmied sie etwa begleiten?

 

Akt 69:

Der gefangene Waelinger:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Alestor (Alba, Krieger), Tarion Weran (Alba, Assassine), Alberic/Azel (Alba, Glücksritter), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), Lothar Wolfspeltz (Waeland, Tiermeister), Hattori Hanzo (NPC, Schmiedemeister)

im Lager geblieben:

Vadock MacBeorn (NPC, Alba, Krieger), Stanislaw Kirilew (NPC, Moravod, Hexenjäger), Kruschina Kruschov (NPC, Moravod, Schamanin), Naridyi Aranee (NPC, Aran, Feuermagierin), Iphicrates (NPC, Valian, Magier), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

 

Ein Mann namens Lothar kam vor einigen Monaten nach KanThaiPan, in das Land, welches sich vor den meisten übrigen Ländern und ihrem Einfluss verschloss, auf der Suche nach Abenteuern und um seine Neugierde, die Welt zu erkunden, zu befriedigen. Doch wenige Tage nachdem er das TsaiChen-Tal betrat wurde er bereits von den hiesigen Ordnungshütern in Gewahrsam genommen und ihrem Lehnsherren vorgeführt. Eigentlich drohte unerlaubten Eindringlingen von außerhalb des Reiches der sofortige Tod, doch als der Lehnsherr erfuhr, dass Lothar unter Lykanthropie litt und in Wahrheit ein Wesen war, welches sich bei starken Gefühlsschwankungen oder beim Erblicken des Vollmondes in einen Werwolf verwandelte, erregte dies sein Interesse. Denn von solchen Kreaturen hörte er bis dato nur aus Sagen und Legenden. Lothar, dessen Namen der Lehnsherr nie richtig aussprechen konnte, entging aufgrund seines Fluchs dem Tode, doch war seitdem das wertvollste Besitztum des Fürsten, der exotische Tiere wie Tiger und Affen in seinen unterschiedlichen mit Mauern umgebenen Gärten hielt. Damit er Lothar unter Kontrolle halten konnte ließ er extra für ihn einen massiven Silberreif für seinen Hals anfertigen, damit sich dieser nicht zufällig verwandelte und Schaden anrichtete. Doch nach mehreren Monaten des Sklavendaseins gelang ihm mit einem kleinen Teil seines damaligen Besitzes die Flucht und entschwand gemeinsam mit seiner (nicht leiblichen) Schwester, einer weißen Fähe, die die ganze Zeit über in der unmittelbaren Nähe des Fürstensitzes ausharrte und auf ihn wartete. Ihr Weg führte sie bis an den östlichen Rand des TsaiChen-Tals, wo sie abseits der menschlichen Zentren hofften vorerst Ruhe zu finden, bis sie neue Kraft schöpfen konnten, um in die westlichen Länder zurück zu kehren. So kam es, dass sie ihr Weg zufällig in den Selbstmordwald führte, von dem sie hörten, dass keine gewöhnliche Menschen, die noch bei Verstand und Sinnen waren, diesen freiwillig betraten. Doch in diesen Tagen kamen noch andere Menschen, mehr als jemals zuvor, in den Wald. Und so wurde er vor zwei Tagen von einem Spähtrupp von Soldaten gestellt und erneut gefangen genommen. Seine Schwester war sich bewusst, dass sie nichts gegen eine solche Übermacht ausrichten konnte, schlug sich in das dichte Gestrüpp, dorthin wo ihr niemand folgen konnte, doch hielt sich weiterhin in Lothars Nähe auf.

Die Abenteurer folgten Hattori mit schnellen Schritten, der voraus ging und in seiner linken Hand einen Stab trug, an dessen Spitze eine Laterne an einer Schnur hing und etwas den Weg vor ihnen ausleuchtete, Er kannte den Wald wie seine Westentasche, so viel stand fest. Denn er trat nicht in eine einzige Unebenheit. Sein schäbiges und ungepflegtes Katana hatte er an seinem Gürtel festgemacht und ein brauner alter Stofffetzen verband Saya, die Schwertscheide, mit der Parierstange, sodass es nicht gezogen werden konnte. Am Fuße des einsamen Berges, auf dessen Spitze noch immer die letzten Überreste der Schmiede der Untoten brannte, bogen sie nach links ab und folgten dem Pfad in Richtung des Schreins der Puppen. Einigen lag bereits die Erschöpfung in den Knochen, da sie seit über einem Tag sich weder ausgeruht noch geschlafen hatten, doch der Schmiedemeister spornte sie zu noch mehr Eile an. Immerhin benötigte sein Freund Arderyu ihre Hilfe. Als das Gelände in Front des Schreins immer morastiger wurde wich Hattori nach rechts vom Pfad ab und schlug sich direkt in den Wald. Zu ihrem Glück hatten sie sich bereits um die Untoten, Geister und Spinnen gekümmert, denn sonst hätten sie womöglich mit vielerlei Problemen zu kämpfen gehabt.

Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages tauchten bereits die Berggipfel des nahen Gebirges in ein seichtes rotes Licht, da traten sie bei den zerklüfteten Karstfelsnadeln aus dem Unterholz heraus. Doch plötzlich erhob Hattori seinen rechten Arm und mahnte mit dieser Geste zur Ruhe, denn er vernahm eine Stimme. Die Abenteurer konzentrierten sich auf die Umgebung und bemerkten diese dann ebenfalls. Vorsichtig schmiegten sie sich an eine der Steinsäulen und lugten um die Ecke. In gerade einmal zwanzig Metern Entfernung war ein kleines Lager errichtet worden. Drei große Zelte standen um eine Feuerstelle herum, auf der in einem Kessel irgendeine Mahlzeit zubereitet wurde. Rund herum waren vier Wachen positioniert, die wachsam die Umgebung in ihren Augen behielten. Im Lager selbst waren noch mehrere andere Personen zugange. Zwei gänzlich in schwarz gekleidete Gestalten, von deren Gesichtern man nur ihre Augen erahnen konnte, eine ogerartige Bestie in einer schweren mit Metallplättchen verstärkten Rüstung, die denen der SaMurai nicht unähnlich sah, die sich auf ein mannshohes Katana stützte und ein Mann in schwarzer Robe, der sein Gesicht hinter einer Knochenmaske verbarg, Mit den einfachen Kriegern waren dies insgesamt zwölf Mann.

Auf die Frage, was dies für Gestalten waren, antwortete Hattori nur, ein Schwarzer Adept und ein OgraMurai! Leise tuschelten sie, wie sie mit dieser Lage umgehen sollten. Sollten sie versuchen den Ort zu umgehen, denn immerhin hatten sie es eilig oder sollten sie das Lager stürmen? Am Ende einigten sie sich auf eine Erstürmung. So könnten sie einerseits etwaige Verfolger loswerden und andererseits vielleicht durch eine Befragung von Gefangenen an neue Informationen gelangen.

Als ein Ablenkungsmanöver von einigen angefangen wurde zu erdenken, trat die Heilerin hinter der Steinsäule hervor auf das freie Feld und meinte nur, dass dies nicht nötig wäre und sprach dann den Zauber „Pflanzenfessel“, Aus dem erdigen Untergrund im Lager schnellten dicke Ranken und Wurzeln hervor und umschlungen beinahe alle, die sich dort im Wirkungsbereich aufhielten. Lediglich der Schwarze Adept und zwei der Krieger reagierten schnell genug, um sich dieser Umklammerung zu entziehen. Danach trat auch Sarazian hervor und ließ mehrere Blitze von seinen Händen aus auf die überraschten Feinde los. Ein Blitz hatte den Adepten als ziel, doch dieser fing die Energie des Blitzes auf und warf sie auf Sarazian zurück, der daraufhin getroffen nach hinten torkelte. Die restlichen Abenteurer zogen ihre Waffen und stürmten nach vorne. Die von Ranken umwickelten Gegner stellten dabei für sie keine Herausforderung mehr dar. Nur ein Wurfmesser wurde auf Tarion geschleudert, während er lief, konnte es jedoch parieren. Als der Adept dann mit der Rezitation eines Auflösungszaubers begann, änderte Tarion sein Ziel und verwickelte stattdessen ihn in einen Nahkampf. Der Adept musste seinen Zauber abbrechen, um den Schwerthieben des Kopfgeldjägers auszuweichen. Doch dieser Zauberer war auch für einen Nahkampf vorbereitet und beschwor noch in dem Scharmützel eine zwei Meter lange Feuerlanze, die er gekonnt wie einen feurigen Schild vor sich her wirbelte. In der Zwischenzeit konnten sich der OgraMurai und der Hauptmann des Lagers von ihrer Pflanzenfessel befreien und machten sich bereit zum Kampf. Alberic erschlug einen Feind mit seiner gottmordenden Klinge, spürte jedoch schnell, dass dieses nun finstere Schwert ihm selbst Schmerzen zufügte. Daher wechselte er die Waffe und schlug mit „Blauer Blitz“ auf den Hauptmann ein. Als dieser einen Treffer kassierte explodierte dieser förmlich unter einer blau zuckenden Explosion und ging zu Boden. Der OgraMurai erhob seine mächtige Klinge und ließ eine Abfolge von wuchtigen Hieben auf Tarion niederregnen, der es gewagt hatte seinen Herrn und Meister anzugreifen, doch dieser wich wich den Schlägen jedes Mal um Haaresbreite aus. Dabei bemerkte das Ungeheuer aber nicht die andere Gefahr, die sich ihm von hinten näherte, denn Alestor rannte mit seinem entflammten Schwert heran und nahm ihn von hinten in die Zange. Unterdessen zauberte Fela Garcia „Beschleunigen“ auf Tarion und Harkon wirkte „Verlangsamen“ auf den OgraMurai. Da sich sein Kumpan Alestor nun um die Bestie kümmerte schwenkte Tarion mit seinen Schwertern um und nahm nun abermals den Schwarzen Adepten ins Visier. Kraftvoll durchschlugen seine Klingen die Feuerlanze, schlitzte mit einem Hieb dessen Bauch auf und zerteilte ihn mit dem zweiten. Trotz seiner stattlichen Größe von vier Metern wurde der Ogra nun in die Enge getrieben und wehrte im letzten Moment einen tödlichen Hieb auf ihn ab, den er mit seinem Schwertknauf parierte und seinen Kontrahenten fortstieß. Doch Tarion taumelte nur kurz und ging dann wieder in den Angriff über und gemeinsam mit seinem Kriegerfreund schlugen sie nun wild auf ihren Gegner ein. Im Hintergrund erstach Alberic den messerwerfenden NinJa, der den Pflanzenfesseln der Heilerin entkommen war. Auch Hattori hatte mittlerweile das Band, welches sein Schwert versiegelte, gelöst und erschlug zwei der Verteidiger. Drei andere Feinde im hinteren Teil des Lagers schrien laut auf, als sie noch immer zur Unbeweglichkeit durch Ranken verdammt in Flammen aufgingen, als Harkon sie mit einem Zauber beharkte. Rüstungsteile flogen glühend durch die Luft, als Alestor mit seiner Elfenklinge den Rücken des Ogras streifte. Und Tarion nutzte diese Gelegenheit gekonnt aus. Er stach auf die Knie des Monstrums ein, woraufhin es blutend zu Boden sackte und erledigte es, in dem er diesem sein eines Schwert durch den Kopf rammte. Dann kehrte Stille ein.

Die Heilerin löste ihren Zauberspruch auf und die Ranken verschwanden. Die letzten beiden Wachen wurden von ihnen überwältigt und in eines der Zelte verfrachtet, welches sich als Mannschaftsquartier mit zehn Feldbetten herausstellte. Die Befragung der Gefangenen überließen sie Harkon, während die restlichen Abenteurer anderen Beschäftigungen nachgingen. So ging Tarion einige Meter abseits des Lagers und ließ sich zu Boden sinken, um sich auszuruhen und der Krieger spähte in die anderen Zelte hinein.

Das mittlere Zelt war pompös eingerichtet mit einem Tisch, einem wirklich großen Bett und die Zeltwände waren mit Holzständern versehen, auf denen schön gemusterte großflächige Tücher hingen. Dies war mit ziemlicher Sicherheit das Zelt des Schwarzen Adepten. Doch da sie unter Zeitdruck standen durchstöberte er dieses nicht und betrat stattdessen das letzte Zelt.

Dieses stellte sich schnell als ein reich gefülltes Vorratslager heraus. Und neben Kisten und Fässern mit Proviant fand er auch eine Person vor, die an einem massiven langen Holzpfahl, der auch als Zeltstange fungierte gefesselt war. Die Person war stämmig gebaut und als sie Alestor erblickte, stellte sie sich als Lothar Wolfspeltz vor. Alestor befreite den Gefangenen schnell und dieser bedankte sich bei seinem Retter. Doch leider verstand dieser nichts, was er sagte. Der Grund war, dass Lothar den Krieger auf Waeländisch ansprach, da er aufgrund von Alestors Jarlsrüstung annahm, er wäre ebenfalls ein Waelinger. Erst als es Lothar mit KanThaiTun versuchte, funktionierte es mit der Verständigung. Der Krieger kehrte ihm kurz den Rücken zu und ging zum Eingang des Zeltes zurück und rief seine Gefährten, um ihnen vom Fund dieser Geisel der Adepten zu berichten

Harkon hatte die beiden gefangen genommenen Wachen gefesselt und in unterschiedliche Ecken des ersten Zeltes gesetzt. Dann beugte er sich langsam über den ersten Wächter und unterbreitete ihm einen Vorschlag, den er nicht ablehnen konnte. Wenn er ihm all seine Fragen beantwortete, dann würde er ihn davon kommen lassen. Allerdings hätte er nur diese eine Chance, denn der anderen Wache würde er denselben Vorschlag unterbreiten. Der Wächter willigte sofort ein und erzählte alles über die Truppen im Wald, von dem er dachte, das es interessant wäre. Insgesamt bestand der Trupp, der sich hier aufhielt, aus mindestens zweihundert Kriegern. Doch neben den gewöhnlichen Fußsoldaten gab es auch noch eine Schar von etwa zwanzig OgraMurais, einigen Schattenkriegern eines verbündeten Fürsten aus dem TsaiChen-Tal und zwei Dutzend Schwarze Adepten. Dieses Bataillon wurde von zwei Befehlshabern geführt. Einer war der berühmte Alchessamiore und bei dem anderen handelte es sich um den neuen aufgehenden Stern von YenXuLu. Dieser war ein wahrhaftiger Hüne in einer solch schweren Rüstung, dass es sich bei ihm unmöglich um einen Normalsterblichen handeln könnte. Aber von diesem kannte er weder seinen Namen noch sein Gesicht, da er es durchgehend unter einem Helm verbarg. Harkon wurde neugierig bezüglich der Hintergründe und harkte weiter nach, was der Trupp überhaupt für Aufgaben hätte. Die Wache entgegnete ihm, dass sie sogar zwei Ziele verfolgten, die ihnen Quan, die Faust, der Herrscher der Schwarzen Feste YenXuLu, persönlich aufgetragen hatte. Ihr Primärziel war die Verfolgung und Auslöschung derjenigen, die seine Vorgesetzten nur „die Auserwählten der langen Pilgerfahrt“ nannten. Darüber hinaus sollten sie noch Kontakt zu einem anderen Trupp herstellen, der bereits wenige Wochen zuvor mit einem anderen Ziel in diese Gegend gesandt wurde. Diesem Sekundärziel konnten sie sich allerdings erst jetzt widmen, nachdem die dämonischen Spinnen verschwunden waren. Davor wurde ihr Hauptlager nämlich zwei Nächte in Folge von ihnen angegriffen, wobei sie schwere Verluste in Kauf nehmen mussten. Doch für seine Vorgesetzten stellten diese Gefallenen kein Problem dar, denn an den darauffolgenden Morgen öffneten sie mit ihrer Zauberkraft magische Tore, um weitere Truppen herzurufen, um die Löcher in ihren Reihen zu schließen. So stießen auch die vierzig Unsterblichen zu ihnen. Harkon wusste nicht, was er davon halten sollte, obwohl ihm seine Menschenkenntnis verriet, dass sein Gegenüber ihn nicht anlog. Ein solches Truppenaufgebot nur um sie aufzuhalten war einfach ein Overkill und gänzlich übertrieben. Dann stellte er noch eine weitere Frage, die ihn nachdenklich stimmte. Woher kamen diese monströsen OgraMurai? Der Mann wurde ängstlich, weil er befürchtete Harkon nicht das erzählen zu können, was dieser von ihm erhoffte und sagte, dass er keine Ahnung hätte. Er musste wie alle anderen gewöhnlichen Soldaten außerhalb der Schwarzen Feste lagern, denn dieser Ort war nur für die Adepten bestimmt. Er erblickte in dieser Zeit mehrere dieser OgraMurai, doch alle verließen immerzu die Festung und niemals betrat einer von ihnen diese. Mehr wusste er nicht über sie.

Harkon wandte sich dann von dem gesprächsbereiten Mann ab und dem anderen zu, um auch ihm etwaige Informationen zu entlocken. Doch diese Wache ließ sich weder überzeugen noch beirren (20). Er fauchte Harkon an, dass er kein Verräter wäre und rotzte ihm ins Gesicht. Der Hexer behielt jedoch die Ruhe, wischte sich durchs Gesicht und knebelte diesen Idioten. Danach schläferte er ihn ein, um ihm am Ende noch mit einem schönen Alptraum zu belegen.

Dann ging er zurück zum anderen Mann und flüsterte diesem magisch ein nicht mehr zu seinem Trupp zurück zu kehren, ehe er seine Fesseln löste. Der Mann sprang mit Tränen in den Augen auf und bedankte sich bei Harkon, in dem er ihn versprach auf direktem Weg zu seiner Familie zu eilen. Dann rannte er davon.

Neben Harkon erschien der Geist, sein eigenes Antlitz. Er blickte den echten Harkon nicht einmal an und beschuldigte ihn weich geworden zu sein. Seit wann hielt sich ein Mann wie er denn überhaupt an ein gegebenes Wort? Solch schwache Personen wie diese Wache hätten es nicht besser verdient als in der Sklaverei oder vielleicht noch als unterwürfiger Diener sein Dasein zu fristen. Gegebenenfalls könnte er sich noch vorstellen seinem niederen Leben ein Ende zu bereiten. Der Geist erhob seine rechte Hand, ganz so, als wollte er der fliehenden Wache einen vernichtenden Zauber in den Rücken schießen. Dann widersprach ihm Harkon. Er war sich bewusst, dass er auf diese mitfühlende Art wohl niemals mehr zu seiner alten Stärke zurück finden könnte. Und er spürte mittlerweile auch, wie er schwächer wurde. Seit seiner Lebendigwerdung hatte sich nicht nur sein Körper, sondern auch sein Geist verändert. Dies ging sogar so weit, dass er sich an einiges seines angesammelten Wissens oder gar an manche Zauber nicht mehr erinnerte und diese sogar vergaß. Doch das war ihm egal. Harkon wollte sich von diesem Geist nicht mehr ins Gewissen reden lassen und auch nicht mehr vor ihm klein beigeben. Er blickte ihm tief in die Augen und behauptete ihm die Stirn, indem er ihm erklärte, dass er ihn nicht mehr benötigte. Verärgert trottete der Geist davon und verschwand außerhalb des Zeltes im Licht der Sonne.

Zur gleichen Zeit nahm Lothar seine Ausrüstung im anderen Zelt wieder an sich und deckte sich reichlich mit Material und Proviant aus den Lagervorräten ein. Die übrigen Abenteurer, bis auf Harkon, waren zwischenzeitlich hinzugestoßen und lauschten gespannt der Geschichte des Waelingers, wie er überhaupt hierher gelangte. Dabei erzählte er ihnen nebenbei auch, wie er auf seinem Weg durch den Wald einen Blick auf das Hauptlager der Saidwirker, wie er die Adepten nannte, in der Nähe des Hauptweges werfen konnte.

Dann fiel Lothars Blick auf einen seltsamen Sack, der in einer Zeltecke hinter mehreren Kisten mit Proviant am Boden lag und hob ihn fluchend auf. Es war sein Dudelsack. Das Instrument stammte zwar nicht aus seiner Heimat sondern aus Alba, dennoch hatte er die Klänge in der Vergangenheit lieben gelernt. Nach seiner Gefangennahme hatten ihn die Wachen entwaffnet und sämtlicher Habe beraubt. Einer der Wachen versuchte sich dann vergeblich am Spielen des Dudelsacks. Aber nachdem er die Funktionsweise trotz mehrfacher Versuche nicht verstand und er dem Instrument nicht einmal den leisesten Ton entlocken konnte, warf er ihn achtlos und verärgert in die Ecke. Der Waelinger verließ daraufhin das Zelt und rief laut nach seiner „Schwester“, jedoch ohne ihren Namen zu nennen. Kurz darauf kam ein weißer Wolf schwanzwedelnd aus dem Unterholz auf ihn zu gehechtet und schmiegte sich an seine Beine. Doch da er den Abenteurern vorhin seine Geschichte erzählte war für sie alle klar, dass dieser Wolf wohl einer seiner tierischen Gefährten sein musste. Immerhin war er laut eigener Aussage ein Tiermeister. Die Gruppe näherte sich ihm und fragten ihn, was er nun mit seiner neuen Freiheit anstellen wollte. Lothar blickte sie ernst an und meinte, wenn sie tatsächlich vorhätten entschlossen gegen diese Saidwirker zu agieren, um ihnen das Handwerk zu legen, dann würde er sich ihnen für dieses hehre Ziel anschließen.

Harkon hatte das Gespräch mit dem Fremden draußen mitbekommen, verließ das Zelt und trat zu ihnen hinüber. Doch anstatt, dass er begrüßt wurde, musste auch er sich einem kleinen Verhör stellen, Seine Kameraden hatten nämlich wieder mitbekommen, wie er abermals ein Selbstgespräch führte – das mit seinem geistigen Ebenbild. Doch Harkon ließ sich nichts anmerken und beschwichtigte sie nur. Es war nichts als ein normales Selbstgespräch gewesen, wie er es stressbedingt in der letzten Zeit häufiger tat. Und diese Aussage genügte ihnen, um keine Folgefragen zu stellen.

Hattori kam auf sie zu und verschränkte leicht genervt die Arme, bevor er sie mit Nachdruck daran erinnerte sich zu beeilen. Denn immerhin benötigte der Herr der Feen, Arderyu, ihre Hilfe. Die Abenteurer sahen seinen Einwand ein und machten sich schleunigst bereit aufzubrechen.

Nachdem die Gruppe siegreich das Lager verlassen hatte, versuchte sich die inzwischen erwachte Wache von ihren Fesseln und dem Knebel zu befreien. Doch zu seinem Pech hatte Harkon sehr viel Erfahrung im Immobilisieren von Gefangenem. Dann ertönten fauchende Geräusche von außen und der Wächter verstummte. Sein Körper fing an zu zittern, als er sich umwandte und in die Augen eines zu groß geratenen Rudels Tiger blickte, die sich schon ihre Reißzähne bleckten, als sie diese Mahlzeit erspähten.

Unterwegs konnte Tarion seine Neugierde nicht mehr zügeln und fragte schließlich Hattori, warum er ausgerechnet für die Erledigung dieser Aufgabe ein solches schäbiges Schwert gewählt hatte und wieso dieses mit einem blutbraunem Band umwickelt gewesen war. Hattoris Blick war nicht zu deuten und schaute sich den Stofffetzen in seiner Hand an, den er mitgenommen hatte, bevor er ein paar Worte dazu sprach. Vor langer Zeit arbeitete er als SaMurai in den Diensten eines angesehenen und einflussreichen Lehnsherren. Doch eines Tages war er gezwungen für seinen Herrn etwas zu tun, was er sich niemals vergeben konnte. Aus diesem Grund schwor er sich sein damaliges Schwert als Zeichen seiner Schande nicht mehr zu pflegen und nur noch dann zu ziehen, um ein Leben zu retten. Doch auf weitere Nachfragen antwortete er nur mit Schweigen, denn er wollte keineswegs an seine Vergangenheit erinnert werden. Tarion wurde nachdenklich und meinte nur, dass jede Handlung in der Vergangenheit dazu führte, dass eine Person so ist, wie sie heute ist. Selbst die schlimmsten Taten könnten so zu einem positiven Lebenswandel führen. Doch dieser Einwand schien den Schmiedemeister nicht zu beeindrucken, denn er hüllte sich auch weiterhin in Schweigen.

 

Akt 70:

Das, was wir zurückließen:

 

teilnehmende Abenteurer:

Fela Garcia (Küstenstaaten, Heilerin und weiße Hexe), Harkon Noctilus (Valian, schwarzer Hexer und Ermittler)

die übrige Gruppe:

Alestor (Alba, Krieger), Tarion Weran (Alba, Assassine), Alberic/Azel (Alba, Glücksritter), Adeptus Rhegaru Sarazian Elissa (SL-Char, Valian, Magier), Lothar Wolfspeltz (Waeland, Tiermeister), Hattori Hanzo (NPC, Schmiedemeister), Miya (NPC, TsaiChen-Tal), Yosuke (NPC, TsaiChen-Tal, Ronin)

die anderen Auserwählten:

Vadock MacBeorn (NPC, Alba, Krieger), Stanislaw Kirilew (NPC, Moravod, Hexenjäger), Kruschina Kruschov (NPC, Moravod, Schamanin), Naridyi Aranee (NPC, Aran, Feuermagierin), Iphicrates (NPC, Valian, Magier)

 

Etwa zur Mittagszeit erreichten sie den Wald Arderyus. Doch was sie dort vorfanden, schockierte sie bis ins Mark. Auf einer Fläche von beinahe einem Hektar Größe offenbarte sich ihnen nämlich ein reinstes Schlachtfeld. Die Bäume des hier einst dichten Waldes lagen zerborsten und von gewaltigen Explosionen zerfetzt in Bruchstücken am Boden. Viele Stellen waren von Rus geschwärzt und inzwischen all den Trümmern lagen verstreut die menschlichen Überreste eines Kampftrupps der Adepten neben den Leichen unzähliger Feen und deren Falken, auf denen sie zu reiten pflegten. Sie verringerten ihr Tempo und schritten vorsichtig über diese Verheerung, als sich plötzlich auf der anderen Waldseite etwas rührte. Dort erhoben sich mehrere Dutzend Feen von dem Geäst der Bäume und richteten ihre winzigen Bögen auf die Abenteurer, um diese zu stellen.

Doch bevor irgendwer zum Streich ausholen konnte erschien Arderyu in deren Mitte und erklärte Seinesgleichen, dass diese Menschen Freunde wären. Ohne Umschweife kam der Prinz der Feen darauf zu sprechen, warum er sie hergerufen hatte. Eine Gruppe Krieger der Adepten hatte versucht zum alten Seemeistergrab zu gelangen. Dort im Inneren verschanzten sich bereits einige Menschen seit zwei Wochen und allem Anschein nach hatte der Kriegertrupp versucht zu ihnen durchzudringen. Nur mit größter Anstrengung war es ihnen gelungen diesen Plan zu vereiteln. Doch wenn die übrigen Menschen, zu denen dieser Trupp gehörte, alsbald keine Antwort von ihren vermissten Kameraden erhielt, würden sie unweigerlich noch mehr Soldaten hierher entsenden. Und die Adepten durften keinesfalls in den Besitz der Artefakte im Inneren der Grabanlage gelangen. Darum bat er die Abenteurer sich um die Menschen im Wald oder um diejenigen zu kümmern, die sich im Grab versteckt hielten. Er könnte sich nämlich nicht gleichzeitig um die Angelegenheiten im Wald und um die Bewachung des Grabes kümmern. Und schon gar nicht war er dazu bereit selbst dort hinein zu gehen oder seinen Feen den Auftrag zu erteilen auch nur einen Fuß in diese unheilige Höhle zu setzen.

Prompt unterbreitete ihm Harkon einen Gegenvorschlag. Die Truppen der Adepten hatten es auf einige Gegenstände abgesehen, die sich in ihrem Besitz befanden. Er spielte dabei auf ihre bisher vier gefundenen Artefakte an, die für das Ritual zur Erneuerung des Mondsiegels gedacht waren. Dass die Adepten es auch hauptsächlich auf sie abgesehen hatten, verschwieg er dabei absichtlich. Wenn sie also die Lockvögel spielten und den Wald verließen, dann würden die Soldaten ihnen unweigerlich folgen. Am Waldrand könnte er dann mit seiner Magie ein unübersehbares Zeichen setzen, damit ihnen die Adepten auch ja folgten. Arderyu empfand den Plan zwar als äußerst risikoreich für die Abenteurer, willigte aber schnell ein, denn eine andere Möglichkeit sah er nicht. Und wenn die Hauptstreitmacht aus dem Wald verschwunden wäre, dann könnten die Feen sich auch darauf konzentrieren, dass die Eindringlinge das Grab nicht mehr verlassen könnten. Spätestens nach weiteren zwei Wochen würden ihnen dann wohl die Nahrungsvorräte ausgehen und sich das Problem damit von selbst erledigen.

Fela Garcia unterbreitete noch den Vorschlag, dass sie, falls tatsächlich von dem Grab eine solch große Gefahr ausgehen würde, sie den Eingang einstürzen lassen sollten. Aber leider war dies nicht möglich, da das Grab aus dem festen Felsgestein heraus geschlagen worden war, sonst hätten sie dies schon selbst versucht. Doch vielleicht war es auch möglich den Eingang zuzumauern, zu verschütten oder einfach mit Sträuchern zuwachsen zu lassen? Diese Möglichkeiten hatte der Prinz der Feen noch gar nicht bedacht, was ihm gerade ziemlich peinlich war. Dann wandte sich die Heilerin wieder zu ihrer Gruppe um. Sie hatten doch eine Person gefesselt im Lager zurück gelassen. Könnten sie ihn nicht einfach wieder auf dem Rückweg befreien und laufen lassen, damit er den Adepten ausrichten könnte, dass sie den Wald verließen?

Sie holten ihre selbsterstellte Karte des weitläufigen Waldes heraus und schauten nach, wo der Pass hinauf zum Gebirge zu finden war. Dieser begann am großen Waldsee, dort wo sie Iphicrates und Sarazian vor einigen Tagen fanden und schlängelte sich dann von dort aus an den Steilhängen der vorgelagerten Berge empor bis ins Gebirge. Als Hattori dies bemerkte machte er sie darauf aufmerksam, dass dieser Pass sehr schmal, steil und gefährlich war. Keinesfalls könnten sie ihr Pferd oder gar ihre Wagen dorthin mitnehmen. Doch er erlaubte ihnen diese bei sich auf der Lichtung zu lassen. Fela wurde nachdenklich. Wenn der Weg, der vor ihnen lag, tatsächlich solche Gefahren für sie bereithielt, was sollte sie dann mit ihrem Pantherjungen und mit der aus dem Käfig in Schloss TinKaTuh befreiten Katze machen? Hattori meinte zwar, dass er keine Zeit hätte sich um ihre Tiere zu kümmern, aber hier im Wald jemanden kannte, der dies womöglich gerne machte. Da nun alles geklärt war erklärte Harkon spöttisch „jetzt retten wir erst einmal die Welt und dann fordern wir unseren Preis ein“.

Einige Zeit später erreichten sie wieder das Lager, wo sie Lothar zuvor befreit hatten. Jedoch wurde ihnen dabei sehr schnell bewusst, dass sich die Raubtiere des Waldes bereits um die fleischigen Überreste gekümmert hatten. Und auch von ihrem dort zurück gelassenen Gefangenen gab es nur noch abgenagte Knochenreste. Ohne Worte marschierten sie weiter.

Irgendwann gelangten sie auf Hattoris Lichtung an. Auch wenn ihnen bereits die Müdigkeit in den Knochen lag, so vergeudeten sie trotzdem keine Zeit und packten all das, was sie für den letzten Abschnitt ihrer Reise benötigten, ein. Als alle ihr leichtes Marschgepäck bereits in ihren Rucksäcken und Taschen verstaut hatten trat Harkon zu ihrem großen Wagen heran. Dort ergriff er seinen Sarg, in dem sich seine drei untoten Kreaturen befanden, zerrte ihn vom Wagen auf die Wiese und zündete ihn an. Als dieser anfing lichterloh zu brennen, ergriff er noch einige seiner schwarzmagischen und finsteren Artefakte und gab sie den Flammen hin. In unmittelbarer Nähe dazu vergrub er seine Rüstung, die er schon damals im Krieg der Magier trug und trat dann zu seinen Gefährten hin, die ihn alle entgeistert anstarrten. Bevor jemand die Frage stellte, die jeden brennend interessierte, kam er ihnen jedoch zuvor. Jetzt, da er seit einigen Monaten wieder lebendig war, dachte er viel über sein bisheriges Leben nach. Und für die Beendigung ihrer heiligen Mission war er bereit sein altes Leben gänzlich zurück zu lassen und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Schon zu oft hatten nämlich seine Taten und seine Moralvorstellungen zu Zwietracht geführt. Und damit war nun Schluss! Sarazian war gänzlich überfordert von dessen Sinneswandel und konnte nichts anderes tun als schweigend dazustehen und den Flammen zuzuschauen, wie diese Harkons altes Leben verzehrten.

Die Sonne war schon lange untergegangen als sie den Waldsee am Fuße des Gebirgsmassivs erreichten. Zu ihrem Erstaunen war die provisorisch zusammengeschusterte Hütte der beiden Magier noch nicht zusammengebrochen und so machten sie es sich im Inneren gemütlich, da die Nächte mittlerweile kalt wurden. Aber zu ihrer eigenen Sicherheit teilten sie noch Nachtwachen ein.